Elka Tschernokoshewa, Ines Keller et al. (Hrsg.): Einheit in Verschiedenheit
Rezensiert von Michael Lehmann-Pape, 02.09.2015

Elka Tschernokoshewa, Ines Keller, Fabian Jacobs (Hrsg.): Einheit in Verschiedenheit. Kulturelle Diversität und gesellschaftliche Teilhabe von Minderheiten auf dem Prüfstand. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2015. 240 Seiten. ISBN 978-3-8309-3254-3. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,90 sFr.
Thema
Die Fragen nach der Integration anderer, vordem in Teilen auch fremder Kulturen in den eigenen Kulturraum, der Umgang mit Einwanderung, Flüchtlingen, Asylsuchenden (u.U. mit späterem Bleiberecht), das sind zentrale Fragen, die auf den Nägeln brennen. Nicht nur, aber starkem Maße auch in Deutschland.
Hierbei steht nicht nur die Frage nach der Integrationskraft der europäischen, „abendländischen“, christlich geprägten Kultur auf dem Prüfstand, sondern, wie es der Titel dieser Betrachtung bereits in den Raum stellt, auch die Kraft, das Andere anders sein lassen zu können, das Fremde nicht unter Zwang integrieren zu wollen oder zu müssen, sondern die verbindenden Elemente hinter fremden Traditionen, Bräuchen, Religionen und Kulturen zu erkennen und damit eine „Einheit in (unveränderter) Verschiedenheit“ setzen und leben zu können.
Konstruktive Schritte und Möglichkeiten, Stolpersteine und Hinderungstendenzen sind es, welche die Autoren des Werkes anhand praktischer Untersuchungen und immer nah an der Lebenswirklichkeit von Minderheiten exemplarisch im Buch betrachten und analysieren, um „eine stufenweise Partizipation mit zunehmender Selbstbestimmung und aktiver Mitwirkung in allen sozial relevanten Bereichen“ als erfolgversprechenden Weg zu einer „Einheit in Verschiedenheit“ zu setzen.
Herausgeber
- Dr. phil Ines Keller setzt seit Jahren ihren Schwerpunkt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für serbische Volksforschung in Bautzen auf die „Kleider-, Migrations- und Brauchforschung“.
- Dr. phil Fabian Jacobs war als wissenschaftlicher Mitarbeiter beteiligt am assoziierten Forschungsprojekt der Universität Leipzig „Differenz und Integration“ und setzt seine Forschungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Empirische Kulturforschung/Volkskunde“ am Sorbischen Institut Bautzen fort.
- PD Dr. Erna Tschernakoshewa ist Leiterin der Abteilung „Empirische Kulturforschung/Volkskunde“ am Sorbischen Institut Bautzen. Mit ihren Forschungsschwerpunkten Kulturanthropologie, Minderheiten, Medien, Kulturelle Massenprozesse, Kulturelle Identität und Vergleichende Kulturforschung ist sie seit Jahren dem Thema dieser Untersuchung eng verbunden.
Aufbau und Inhalt
Eröffnet wird das Werk durch eine ausführliche praktische Betrachtung auf konkrete „neue Formen gesellschaftlicher Beteiligung von Minderheiten“. Sei es eine „Fallstudie zur urbanen Superdiversität“ anhand festgestellter Mehrsprachigkeit in Manchester, sei es eine sorgsame Betrachtung der „Urbachmachung“ des digitalen sorbischen „Siedlungsgebiets“ (sorbische Bereiche des Internet), sei es der Aspekt des „immateriellen Kulturerbes“ der Sorben in neuem Umfeld. Sei es das hoch interessante Kapitel über die zunehmende berufliche Selbstständigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund in sehr unterschiedlichen Berufen und Arbeitsfeldern aus „hybridioligischem“ Betrachungswinkel. Eine Diversifizierung, die bis dato kaum Beachtung in der Forschung gefunden hat und in diesem Beitrag von Katrin Baumgärtner eben nicht aus dem „Mangel Migration“, sondern aus der „Chance des Anderssein“ her angegangen wird. Arbeit in einem transkulturellen und transnationalen Kontext bietet eine andere, neue, sich entwickelnde, konstruktive Perspektive (nicht nur) für Menschen mit Migrationshintergrund.
Nach dieser Betrachtung der „neuen Formen gesellschaftlicher Beteiligung von Minderheiten“ führt der Weg des zweiten Hauptteils des Buches hin zu den sich entfaltenden „Bildkonstruktionen“ von Minderheiten in einem konkreten kulturellen Umfeld.
Besonders die „wendische Eigenständigkeit in (eigenverfassten) Schulbüchern“ erhärtet die These, dass in der „Eigendarstellung“ ein wesentlich differenziertes Bild der „Minderheiten durch die Minderheiten“ vermittelt wird, als durch die Mehrheit der verfassten Medien.
Die Betrachtungen der beiden ersten Hauptteile münden in ein „Stufenmodell interkultureller Partizipation“, das im dritten Hauptteil in vergleichender Perspektive dargelegt wird. Rekurrierend auf „Anrsteins ladder“ zeigen die Autoren im Buch die achtstufige „Leiter der Beteiligung“ auf und bietet knapp und komprimiert Folgerungen für eine Partizipation, eine zunehmende Emanzipation und eine (von der anderen Seite her zu fördernde) Integration von Minderheiten. Um, damit schließt die Betrachtung, genau jene „Schicksalskette“ nicht endlos laufen zu lassen, die darin mündet: „Es kann doch nicht das ganze Leben nur ein Kampf sein“, die Betrachtung der Partizipation aus generationaler Perspektive.
Diskussion
Auch wenn hier und da der Blick geweitet wird (Manchester, Österreich), bei der Lektüre entsteht doch der starke Eindruck einer Konzentration auf die Minderheit der Sorben (die bei vielen der Autoren Teil der Forschungsschwerpunkte sind).
Trotz dieser hohen Konzentration lassen sich aus den empirischen Betrachtungen und praktischen Beispielen, sowie aus dem überaus anschaulichen „Stufenmodell“ partizipatorische Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte nachvollziehen.
Wie „transkulturell und transnational“ einerseits die kulturelle Identität „modern“ bewahrt werden kann und dies dennoch eine bürgerliche Partizipation, eine gesellschaftliche Teilhabe, eine kulturelle Form der Integration und eine Bewahrung der Verschiedenheit ohne massive Abgrenzungszwänge ermöglicht, findet sich im Buch an verschiedenen Stellen eindrucksvoll wieder. Ebenso, wie die positiven Möglichkeiten eines Migrationshintergrundes in Teilen herausgestellt werden.
Sprachlich auf hohem Niveau bedarf die Lektüre einer konzentrierten Haltung, in manchen Teilen der Darstellung („Sorben in der Atelierfotografie des 19. Jahrhunderts“) auch speziell ausgeprägter Interessen beim konkreten Leser, um in solchen Darlegungen im Buch auf seine Kosten zu kommen
Fazit
Gerade in der Darstellung der Praxis hat dieses Buch mit seine großen Stärken. Konkrete Personen mit konkreten Lebensweisen bieten einige eindrucksvolle Möglichkeiten der „Einheit in Verschiedenheit“ und der fortschreitenden gesellschaftlichen Partizipation. Die theoretische Untermauerung der Betrachtung durch das Stufenmodell bietet einerseits eine Möglichkeit der Orientierung im Blick auf konkrete Situation der Teilhabe, andererseits auch eine mögliche Struktur für ein konstruktives Unterstützen eines mehr und mehr „Ankommens“ und „Mitgestaltens“ in einer neuen, anderen Kultur, mit entsprechenden Möglichkeiten, die eigene Kultur und die eigenen Traditionen so zu bewahren, dass sie eben nicht als Hindernis einer „Einheit“ in aller auch biographischen Verschiedenheit verbleiben.
Insgesamt bietet das Werk eine ganze Reihe von Anstößen für die aktuelle Diskussion und Perspektiven in hier und da doch sehr angespannter Lage in Fragen von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Einwanderung.
Rezension von
Michael Lehmann-Pape
Pfarrer
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