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Michael Zander: Autonomie bei (ambulantem) Pflegebedarf im Alter

Rezensiert von Prof. Dr. rer. cur. Maik H.-J. Winter, 24.05.2016

Cover Michael Zander: Autonomie bei (ambulantem) Pflegebedarf im Alter ISBN 978-3-456-85461-8

Michael Zander: Autonomie bei (ambulantem) Pflegebedarf im Alter. Eine psychologische Untersuchung. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2015. 166 Seiten. ISBN 978-3-456-85461-8. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 46,90 sFr.

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Thema

Die in diesem Buch publizierte Untersuchung basiert auf zwei gerontologisch- psychologischen Argumentationslinien: Zum einen auf dem, vom Autor beispielhaft belegten, Umstand, dass die persönlichen Perspektiven und Probleme alter Menschen, zumal wenn sie von Pflegebedürftigkeit betroffen sind, sowohl in der Alter(n)s- als auch in der (gerontologischen) Pflegewissenschaft deutlich unterrepräsentiert sind. Zum anderen, so der Autor, wächst zwar das wissenschaftliche Interesse an Fragen zu Autonomie bei Multimorbidität, jedoch mangelt es bislang an einem einheitlichen Verständnis davon sowie an eindeutigen Befunden. Ziel der Studie ist es daher, „(…) einen theoretischen Rahmen zur (psychologischen) Erforschung von Autonomie bei Pflegebedarf im Alter zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen.“ (S. 12).

Entstehungshintergrund

Michael Zander veröffentlicht mit diesem Buch zugleich seine Dissertation am Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin. Der Autor hat diese Forschungsarbeit im Rahmen des seit 2004 von der Robert Bosch Stiftung geförderten Graduiertenkollegs „Multimorbidität im Alter“ realisiert, das Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen die Möglichkeit bietet, zu einem mit Multimorbidität im höheren Lebensalter einhergehenden Phänomen zu promovieren. In seiner Gesamtheit zielt das Kolleg darauf ab, interdisziplinäre Sichtweisen auf Problemlagen älterer und mehrfach erkrankter Menschen zu eröffnen sowie die entsprechende Forschung zu intensivieren. Von daher sind in dieser Veröffentlichungsreihe inzwischen mehrere interessante Dissertationen der Kollegmitglieder erschienen bspw. zu Inkontinenz, Schmerz oder auch Schlaf bei Mehrfacherkrankung im Alter.

Aufbau

Der Aufbau des Buches orientiert sich erwartungsgemäß an den Prinzipien der Erstellung einer Promotion und gliedert sich in insgesamt neun Kapitel zuzüglich eines Literaturverzeichnisses.

Im ersten Kapitel werden Hintergrund und Aufgabenstellung der wissenschaftlichen Arbeit dargelegt. Das zweite Kapitel setzt sich mit dem Autonomiebegriff im Sinne der WHO auseinander sowie mit dem gerontologischen Konzept des „aktiven Alterns“. Anschließend wird die historische Entwicklung von Autonomie als politische und juristische Kategorie geschildert. Der darauf folgende Abschnitt geht Fragen der Selbstbestimmung bei Pflege im Alter sowie persönlicher Assistenz bei Behinderung nach und bildet die Ausgangslage für das fünfte Kapitel, im dem Modelle von Behinderung und pflegebedürftigem Alter diskutiert werden. Die beiden nächsten Kapitel bieten eine kritisch- psychologisch Perspektive auf Autonomie als Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe sowie auf zentrale psychologische Theorien zu Bewältigung, Kontrolle und Selbstbestimmung. Im achten Kapiteln werden anhand einer Sekundäranalyse von qualitativen Interviews vier Falldarstellungen beschrieben, in denen alte Menschen mit Pflegebedarf über Selbst- und Fremdbestimmung in ihrem Alltag berichten, wobei im Fazit die ermittelten Dimensionen der Bewältigung erörtert werden. Das Buch endet mit einem Rück- und Ausblick auf das Thema.

Inhalt

Nach der Einleitung erfolgt zunächst eine kritische Analyse aktueller wissenschaftlicher sowie politischer Debatten mit Blick auf Autonomie im Alter und aktives Altern. Hier stellt der Autor verschiedene Positionen unter anderem aus der Gerontologie, der Europäischen Union, der WHO und aus dem sechsten Altenbericht der Bundesregierung sowie anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen gegenüber und arbeitet Unterschiede, Unschärfen, Widersprüchlichkeiten, Unklarheiten sowie bislang unberücksichtigte Aspekte heraus.

Anschließend wird der Frage nachgegangen, wie sich Autonomie politisch und rechtlich im Verlauf der Gesellschaftsgeschichte zu einem Menschenrecht entwickelt hat. Zu diesem Zweck wird die Historie dieser Entwicklung vom späten 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert rekapituliert, um dann das Thema Selbstbestimmung in unterschiedlichen Pflegearrangements zu erörtern. Hierbei widmet sich der Autor Themen wie der Zahl der Leistungsempfänger/-innen nach SGB XI, dem Pflegebegriff und den daraus folgenden Pflegestufen sowie dem Leistungskomplex „Hilfe zur Pflege“ nach SGB XII. Ferner geht er Fragen der Finanzierung der Pflegeversicherung und ihren Kosten nach inklusive der, nicht geringen, privaten Ausgaben für eine bedarfsgerechte Pflege. Darüber hinaus werden soziale Ungleichheiten bei Pflegebedarf bzw. pflegerischer Versorgung erläutert, Modul- versus sog. Zeitpflege sowie der Einfluss der Pflegebedürftigen darauf diskutiert und die Konzepte „Selbstbestimmung“, „Eigenverantwortung“ sowie „aktivierende Pflege“ einer kritischen Betrachtung unterzogen.

Die Auseinandersetzung mit der Charta der Rechte Pflegebedürftiger sowie der persönlichen Assistenz bei Menschen mit Behinderung beendet diesen Buchabschnitt und es folgt ein umfassender Diskurs zu Modellen von Behinderung und (pflegebedürftigem) Alter, um das Verhältnis beider Phänomene zueinander grundlegend zu bestimmen, sowie anschließend die Erörterung von Autonomie als gesellschaftlicher Teilhabe aus kritisch- psychologischer Perspektive. Des Weiteren werden die psychologischen Konstrukte der Bewältigung, Kontrolle und Selbstbestimmung eingehend dargelegt und diskutiert. Im achten Kapitel erfolgt dann die Darstellung der Ergebnisse einer explorativen Sekundäranalyse von vier qualitativen Interviews, deren Erhebung im Rahmen eines anderen Forschungsprojektes stattfand unter Beteiligung des Autors.

Die zusammenfassende Ergebnispräsentation findet in Form von Fallportraits statt, die insgesamt sehr unterschiedliche sowie facettenreiche Strategien alter Menschen im Umgang mit Pflegebedürftigkeit zeigen und durch zahlreiche wörtliche Zitate einen sehr anschaulichen Eindruck davon vermitteln. Abschließend erarbeitet Michael Zander Dimensionen der Bewältigung von Pflegebedürftigkeit, die er aus den Interviews rekonstruiert und schließt sein Werk mit einem Rück- und Ausblick ab.

Diskussion

Michael Zander greift mit seiner Untersuchung ein aktuelles Thema der Gerontologie, Pflegewissenschaft sowie -praxis auf und bearbeitet es aus psychologischer Perspektive. Aufbau und Inhalt des Buches orientieren sich an den allgemeinen Standards zur Erstellung von Dissertationen. Von daher erscheint es vor allem für Personen aus Wissenschaft und Forschung lesenswert sowie für Lehrende an Hochschulen und Studierende, die sich mit der Thematik befassen. Besonders interessant könnten in diesem Kontext die vier Falldarstellungen sein, da sie Einblicke in die selbst- und fremdbestimmte Lebenswirklichkeit alter Menschen ermöglichen, die von Multimorbidität betroffen sind. Insgesamt ist das Buch gut lesbar und liefert eine stringente Argumentation und Aufarbeitung des Phänomens der Autonomie bei ambulantem Pflegebedarf im Alter. Stellenweise und dem Umstand geschuldet, dass es sich um eine Dissertation handelt, wird dem/ der Leser/-in allerdings eine gewisse (psychologische) Fachexpertise abverlangt, um allen Passagen hinreichend folgen zu können.

Fazit

Bei dem Buch handelt es sich um die Veröffentlichung einer Dissertation am Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin, die der Autor im Rahmen des von der Robert Stiftung geförderten Graduiertenkollegs „Multimorbidität im Alter“ realisieren konnte. Michael Zander zielt mit seiner Studie darauf ab, einen theoretischen Beitrag zu leisten zur psychologisch orientierten Erforschung von Autonomie bei ambulantem Pflegebedarf im Alter. Die Publikation gliedert sich in insgesamt neun Kapitel und greift aktuelle, teils widersprüchliche Diskurse zum Thema auf und analysiert sie. Hierbei handelt es sich um Beiträge aus der Psychologie, Pflege(-wissenschaft), Gerontologie, Philosophie, Politik- und Rechtswissenschaft. Darüber hinaus beinhaltet das Buch vier Falldarstellungen, die Einblick geben in das Verhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung bei Multimorbidität sowie Pflegebedürftigkeit im Alter.

Der Text ist insgesamt gut lesbar und weitgehend sachlogisch aufgebaut, wobei er den Standards einer wissenschaftlichen Graduierungsarbeit entspricht. Von daher bedarf die Lektüre an einigen Stellen einer gewissen eigenen Expertise, wie sie sicher unter Angehörigen der Wissenschaft und Forschung, von Hochschulen oder auch bei Studierenden zu finden ist.

Rezension von
Prof. Dr. rer. cur. Maik H.-J. Winter
Dipl. Pflegepädagoge, Altenpfleger
Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege
Hochschule Ravensburg- Weingarten
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Es gibt 5 Rezensionen von Maik H.-J. Winter.

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Zitiervorschlag
Maik H.-J. Winter. Rezension vom 24.05.2016 zu: Michael Zander: Autonomie bei (ambulantem) Pflegebedarf im Alter. Eine psychologische Untersuchung. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2015. ISBN 978-3-456-85461-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19102.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.


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