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Jürgen Reifenberger: Neoliberalismus, Krise und die Zukunft des demokratischen Sozialstaats

Rezensiert von Prof. Dr. Georg Auernheimer, 06.10.2015

Cover Jürgen Reifenberger: Neoliberalismus, Krise und die Zukunft des demokratischen Sozialstaats ISBN 978-3-8288-3504-7

Jürgen Reifenberger: Neoliberalismus, Krise und die Zukunft des demokratischen Sozialstaats. Diskurse - Strategien - Argumente - Fakten. Tectum-Verlag (Marburg) 2015. 266 Seiten. ISBN 978-3-8288-3504-7. D: 22,95 EUR, A: 23,60 EUR, CH: 32,90 sFr.

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Thema

Der Autor beleuchtet die neoliberale Programmatik mit ihren Auswirkungen, die er mit der Konzeption des Sozialstaats kontrastiert, für ihn ein Ergebnis der politischen Aufarbeitung der großen Kriege und Krisen des 20. Jahrhunderts. Der Fokus der Ausführungen liegt dabei auf Europa bzw. dem transatlantischen Raum.

Aufbau und Inhalt

In der Einleitung knüpft der Verf. an den Ukraine-Konflikt und die Griechenland-Krise an, um an den aktuellen Auseinandersetzungen den Kampf um den Primat der Ökonomie versus Politik zu illustrieren. Seine Ausführungen gliedert er in sechs Kapitel und beschließt sie mit einer „Bilanz“.

Im Kapitel I wird „der globale Siegeszug der Sozialstaatsidee“ in der Nachkriegszeit, der schon in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen vorbereitet worden war, in Erinnerung gebracht.

Der „transatlantische Kurswechsel“, der dann folgte, wird in Kapitel II „Das Ende der Nachkriegszeit“ nachgezeichnet, wobei der Verf. das sog. Lambsdorff-Papier von 1982 als „Startzeichen für die neoliberale Tendenzwende in Deutschland“ interpretiert, auf der Ebene der EU zehn Jahre später und zwei Jahre nach dem Washington Consensus durch den Vertrag von Maastricht vollendet.

In Kapitel III „Neoliberalismus“ charakterisiert der Verf. dieses politische Programm, die „Master-Idee“, und belegt unter Rückgriff auf eine international vergleichende Studie an 21 Staaten aus dem Max-Planck-Institut (Höpner u.a.) die globale Durchsetzung der Programmatik.

Die entsprechenden Antworten auf „die Banken- und Staatsschuldenkrise ab 2007“ innerhalb der EU (Rettungsschirme, Memoranden, Fiskalpakt) werden in Kapitel IV kritisch beleuchtet.

Dieser Entwicklung stellt der Verf. in Kapitel V Tendenzen zur Revision neoliberaler Strategien in verschiedenen politischen Lagern gegenüber, die bisher allerdings „auf der Stufe der unverbindlichen zivilgesellschaftlichen Diskussion“ verblieben, wie er konzediert (110). Vielmehr stünden die transatlantischen Freihandelsabkommen und TISA für den „Fortgang der neoliberalen Transformation“ (ebd.).

Das umfangreiche Kapitel VI hat die Folgen der neoliberalen Marktdominanz für staatliche Souveränität und damit für die demokratische Willensbildung zum Thema. „Denn die neoliberalen Agenden haben erhebliche strukturelle Auswirkungen auf die Souveränität und Legitimation liberaler, rechtsstaatlicher und sozialer Verfassungsdemokratien“ (121). Der Verf. verweist auf „die Dominanz privater Eigentumsrechte auf Kosten der sonstigen Grundrechte“ (142) – eine Dominanz, die letztlich auch gesellschaftspolitische Interventionen für demokratisch nicht legitimierte private Stiftungen einschließt. Auch auf die Institutionalisierung einer Parallelgerichtsbarkeit in Freihandelsabkommen wird eingegangen.

Die „Bilanz“ des Verf., in der er noch einmal die historische Entwicklung nachzeichnet, fällt düster aus. Zuversicht vermag nur zu wecken, dass wieder mehr Menschen, auch Intellektuelle und Politiker/innen, den herrschenden Trend in Frage stellen (vgl. 182).

Ein Anhang mit historischen Dokumenten, Materialien und Statistiken ergänzt die Ausführungen.

Diskussion

Die dargestellten politischen Entwicklungen sind bereits in zahllosen Publikationen erörtert worden und dem interessierten Publikum bekannt. Nur die Erinnerung an die sozialstaatlichen Reformen der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und speziell die Erklärung dafür bilden ein Spezifikum des vorliegenden Beitrags zur Debatte. Die Einordnung in den historischen Kontext ist ein Verdienst des Autors. Den Gebrauchswert der Publikation kann man aber vor allem darin sehen, dass sie einen ausgezeichneten Überblick über die wirtschafts- und rechtspolitische Entwicklung mitsamt der einschlägigen Diskurse bietet, unterstützt durch den üppigen Fußnotenapparat mit Zitaten aus Wissenschaft, Printmedien und Internet. Leider stellt sich der Autor nicht der theoretischen Streitfrage, inwieweit die neoliberale Agenda durch die wirtschaftliche Globalisierung, speziell den aufgenötigten Standortwettbewerb, erzwungen ist. Für ihn ist die „Entbettung“ der Ökonomie (Altvater/Mahnkopf) eindeutig durch die Politik selbst verschuldet. Sein Diktum: „Keineswegs erwuchs diese Politik aus dem Sachzwang…“ (67).

Fazit

Wer sich schon längere Zeit mit der neoliberalen Krisenbewältigung beschäftigt hat, wer z.B. auch die exklusiven Verhandlungen über TTIP und TISA verfolgt, dem wird die Lektüre nicht viel Neues bieten. Allenfalls die verfassungsrechtliche Perspektive sticht von den üblichen Publikationen zum Thema ab. Interessant mag es für viele Leser/innen sein, die eigene Sichtweise auf Übereinstimmung mit den pluralen Statements zu überprüfen, die in dem Buch zitiert werden.

Rezension von
Prof. Dr. Georg Auernheimer
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Es gibt 88 Rezensionen von Georg Auernheimer.

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Zitiervorschlag
Georg Auernheimer. Rezension vom 06.10.2015 zu: Jürgen Reifenberger: Neoliberalismus, Krise und die Zukunft des demokratischen Sozialstaats. Diskurse - Strategien - Argumente - Fakten. Tectum-Verlag (Marburg) 2015. ISBN 978-3-8288-3504-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19113.php, Datum des Zugriffs 24.03.2023.


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