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Larissa von Schwanenflügel: Partizipations­biographien Jugendlicher

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Monika Alisch, 19.01.2016

Cover Larissa von Schwanenflügel: Partizipations­biographien Jugendlicher ISBN 978-3-658-06236-1

Larissa von Schwanenflügel: Partizipationsbiographien Jugendlicher. Zur subjektiven Bedeutung von Partizipation im Kontext sozialer Ungleichheit. Springer VS (Wiesbaden) 2015. 293 Seiten. ISBN 978-3-658-06236-1. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 50,00 sFr.

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Thema

Die Studie rekonstruiert Biographien als benachteiligt etikettierter Jugendlicher, die sich in der Jugendarbeit engagieren und geht der Frage nach, auf welche Weise Partizipation für (diese) Jugendlichen zu einem subjektiv sinnvollen Handeln wurde. Ziel der Untersuchung ist es, Partizipation als Begriff und theoretisches Konzept biografie- und ungleichheitstheoretisch zu schärfen. Damit soll es gelingen, dem politikwissenschaftlich wie gesellschaftlich oft engen und formalen Verständnis von Partizipation ein Konzept entgegenzusetzen, das auch die Partizipationswege sogenannter benachteiligter Jugendlicher in den Blick nimmt, mit Relevanz versieht und die Themen und Partizipationsinteressen dieser Jugendlichen hörbar macht. Die qualitative Untersuchung im Forschungsfeld von Adoleszenz und Partizipation verknüpft methodische Schritte der Grounded Theory mit der biographischen Fallrekonstruktion.

Autorin

Dr. Larissa von Schwanenflügel ist seit April 2013 Vertretungsprofessorin an der Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit sowie seit März 2013 freie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Sozialpädagogischen Forschungsstelle „Bildung und Bewältigung im Lebenslauf“ der Goethe-Universität Frankfurt a. M.

Aufbau und Inhalt

Die Untersuchung geht von zwei zentralen Fragen an den Partizipationsdiskurs aus: „Zum einen die Frage nach der Ermächtigung und Aneignung von Partizipation und gesellschaftlichen Strukturen, die dies mehr oder weniger ermöglichen, zum anderen die nach gesellschaftlichen Normvorstellungen in Bezug auf Partizipationshandeln und ihre pädagogische Vermittlung“ (S. 13). Es wird ein kritischer Blick auf den vorherrschenden Partizipationsdiskurs und seine Partizipationsbegriffe beworfen, bei denen „immer schon klar zu sein“ (S. 13) scheint, „was als Partizipation zu sehen ist“ (S. 14). Entsprechend setzen hieran orientierte politische Programme oft beid er irrigen Annahme an, dass gerade als benachteiligt etikettierte Jugendliche kein Interesse an Partizipation hätten oder es ihnen an Partizipationskompetenz mangele. Die Autorin hält dem entgegen, dass zum einen sich die Themen geändert haben, für die sich Jugendliche engagieren und zum anderen Partizipationshandeln immer biografisch motiviert und bedingt sei. Das Erkenntnisinteresse der Studie richtet sich deshalb auf den Zusammenhang von Partizipation und biografischer Dimension und somit auf die subjektiven Aspekte von Partizipation.

Die beiden Forschungsfragen sind entsprechend „Wie entwickeln Jugendliche Zugang zu Partizipation und wie erhält diese im Kontext ihrer Biografie subjektive Relevanz?“ (S. 14).

Der forschungsleitende Partizipationsbegriff in der Studie umfasst sowohl gesellschaftliche Teilhabe im Sinne von Einflussrechten und Zugängen zu zentralen gesellschaftlichen Bereichen, als auch die aktive Teilnahme als Möglichkeit der Einflussnahme, Beteiligung, Mitwirkung in Institutionen, im öffentlichen Raum“ (S. 15). Somit versteht die Autorin Partizipation „als ein auf Öffentlichkeit bezogenes individuelles Handeln“ (ebd.).

Auch im Kontext von (formaler) Bildung als vermeintliche Voraussetzung für Partizipation, setzt die Autorin zwei forschungsleitende Annahmen: „Bildung ist nicht Voraussetzung von Partizipation, beide bedingen einander wechselseitig. Subjektbildung ist einerseits zentrale Ressource und Voraussetzung für Teilhabe […] und andererseits wesentliches Merkmal einer Identitäts- und Subjektbildung“ (S. 17). Vor diesem Hintergrund fokussiert die Untersuchung Partizipationserfahrungen aus der subjektiven Perspektive von Jugendlichen im Forschungsfeld der offenen Jugendarbeit.

Der Band gliedert sich in sechs Kapitel, die im Wesentlichen drei Hauptteile der Untersuchung markieren.

Das Kapitel 2 „Partizipation Jugendlicher: Theoretische Perspektiven“ diskutiert den Forschungsstand zur Jugend in der Spätmoderne unter der Perspektive gesellschaftlicher Teilhabe. Hier wird entwickelt, inwiefern „Jugend“ als gesellschaftliches Konstrukt in den Lebensbedingungen brüchig geworden ist und die gesellschaftliche Teilhabe Jugendlicher infrage stellt.

Anschließend reflektiert die Autorin den Forschungsstand zur Partizipation Jugendlicher und stellt insb. dar, wie Einstellungen Jugendlicher zu Partizipation bisher meist erhoben wurden und stellt ihnen die Befunde zur subjektiven Bedeutung von Partizipation entgegen.

Danach wird knapp der forschungsleitende Partizipationsbegriff als Teilnahme und Teilhabe im Sinne der Aneignung von Rechten und Pflichten entfaltet. Der Abschnitt „Gesellschaftstheoretische und politische Perspektiven auf Partizipation“ diskutiert Fragen der Reichweite, der Rahmenbedingungen und Zugänge zu gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen (S. 19) und rekonstruiert (eingeschränkte) Teilhabe „als Ergebnis hegemonialer Normierungs- und Bewertungsprozesse“ (ebd.).

Die anschließende pädagogische Perspektive nimmt Fragen von Mündigkeit, Staatsbürgerstatus und zivilgesellschaftlichen Handlungsmustern in den Blick und markiert pädagogisches Handeln vor diesem Hintergrund als Ko-Produktion, denn eine „Soziale Arbeit, die Heranwachsende sowohl als ernst zu nehmende Gegenüber begreift als auch als „(Rechts-)Subjekte sieht, die sie in ihren Teilhabeanstrengungen und -bedürfnissen unterstützt, ist nur im Modus der Koproduktion denkbar“ (S. 64). Partizipation in einer biografischen Perspektive zu hinterfragen, wird im anschließenden Abschnitt damit begründet, dass erst diese Perspektive Aufschluss darüber gebe, wie jeweils individuelle Prozesse der Aneignung des eigenen Lebenslaufes sich vollziehen und subjektive Bedeutungsmuster entstehen. Dies gilt es, in der Untersuchung empirisch zu rekonstruieren (vgl. S. 74).

Der zweite Teil der Untersuchung, die Kapitel 3 bis 5, widmen sich der empirischen Untersuchung.

Im Kapitel 3 wird die methodische Herangehensweise dargestellt. Das empirische Vorgehen basiert auf dem Forschungsstil der Grounded Theory (Strauss/Corbin) sowie der biografischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal (2008), die beide begründet sind aus den erkenntnistheoretischen Überlegungen des Pragmatismus und des symbolischen Interaktionismus. Das Forschungsdesign entspricht einem Vergleich retrospektiver Fallstudien: Es werden drei Einzelfälle rekonstruiert und ein Vergleich über neun Interviews vorgenommen.

Die Rekonstruktion von drei Partizipationsbiografien Jugendlicher wird in Kapitel 4 entfaltet. Hier wird die je spezifische Verknüpfung von Partizipationshandeln mit biografischen Themen und Bewältigungsanforderungen der Jugendlichen herausgearbeitet. Verdeutlicht wird, wie das Partizipationshandeln durch biografische Erfahrungen und Lebensbewältigungsthemen geprägt und motiviert wurde. Die Rückbindung zur Forschungsfrage der Untersuchung offenbart, dass dort, wo Raum für Öffentlichkeit (das Jugendhaus als Ort offener Jugendarbeit), anschlussfähig an die individuellen Anliegen und Themen ist, Partizipation als subjektiv sinnvolles Handeln erfahren wird.

Im zweiten Analysekapitel (Kapitel 5)werden die Bedeutungsdimensionen von Partizipation entlang des Vergleichs der Interviewergebnisse herausgearbeitet. Hier wird versucht, einen stärker verallgemeinernden Blick – soweit das in qualitativer Forschung möglich und nötig ist – auf subjektiv bedeutsame Aspekte für Partizipationshandeln (der interviewten Jugendlichen) zu gewinnen. Dabei wird deutlich, inwiefern Zugehörigkeit und emotionaler Rückhalt, Anerkennung und Sichtbarkeit, Selbstwirksamkeit, Aneignungs- und Emanzipationsprozesse das Partizipationshandeln mit Sinn erfüllen und subjektive Partizipationsbegriffe sowie subjektiv relevante Voraussetzungen von Partizipation dieses Handeln leiten.

Im abschließenden Plädoyer „für einen biografietheoretisch erweiterten Partizipationsbegriff“ (Kapitel 6) (S. 265 ff.) entwickelt die Autorin in drei Abschnitten, was Partizipation als Aneignungsprozess für einen Begriff von Partizipation bedeutet, was es für pädagogische Kontexte bedeutet und schließlich was daraus auch politisch folgen sollte.

Diskussion

Diese als Dissertationsschrift entstandene Untersuchung zur Partizipation Jugendlicher ist insofern bemerkenswert, als sich die Autorin damit an ein Thema herangewagt hat, das – wie sie selbst schon im Vorwort und der Einleitung herausstellt – zwar immer als politisch wie gesellschaftlich enorm wichtig tituliert wird, jedoch in der Umsetzung oft kläglich scheitert. Zum einen weil von den hegemonialen Vorstellungen davon, was als Partizipation definiert, erkannt und anerkannt werden soll, nur selten abgewichen wird und zum anderen, weil dabei sehendes Auges in Kauf genommen wird, dass als benachteiligt etikettierte Jugendliche auf diese Weise nicht erreicht werden. Es scheint, dass sie an der Ausbildung von Partizipationshandeln gehindert werden und ihre – wie die Studie von Larissa von Schwanenflügel zeigt – eigentlichen Interessensorientierungen, Partizipationsvorstellungen und -relevanzen übersehen werden.

Fazit

Die Untersuchung zeigt in beeindruckender Weise, wie wenig der inflationär verwendete Partizipationsbegriff tatsächlich mit einem Inhalt gefüllt wird, dem es gelingt, Teilnahme und Teilhabe aller Heranwachsenden zu gewährleisten. Die differenzierten Ergebnisse der empirischen Studie füllen diese Lücke wesentlich und sollten insbesondere als Beitrag gegen die Reproduktion sozialer Ungleichheiten gelesen werden.

Nicht nur für die Wissenschaftscommunity ist dieses Buch interessant, sondern auch für das Reflektieren in der praktischen Sozialen Arbeit mit Jugendlichen ist die Untersuchung lesenswert. Dabei ist es so geschrieben, dass es auch möglich ist, sich einzelnen Abschnitten zu widmen, um sich zu bestimmten Aspekten vertieft schlau zu machen.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Monika Alisch
Hochschule Fulda, Fachbereich Sozialwesen, Hessisches Promotionszentrum Soziale Arbeit, Sprecherin des CeSSt – Wissenschaftliches Zentrum Gesellschaft und Nachhaltigkeit.
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Es gibt 7 Rezensionen von Monika Alisch.

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ISSN 2190-9245