Nadine Berlips: Professionelles Wissen und Handeln von KrippenerzieherInnen
Rezensiert von Prof. Dr. Helmut Lechner, 13.04.2016
Nadine Berlips: Professionelles Wissen und Handeln von KrippenerzieherInnen. Eine qualitative Studie in niedersächsischen Kindertageseinrichtungen für 0- bis 3-Jährige. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2015. 487 Seiten. ISBN 978-3-8300-7827-2. D: 129,80 EUR, A: 133,50 EUR, CH: 175,00 sFr.
Autorin
Diese Arbeit wurde 2014 von der Autorin als Dissertation unter dem oben genannten Titel an der Leuphana Universität Lüneburg eingereicht. Erstgutachterin ist Prof. Dr. Maria-Eleonora Karsten.
Thema und Ziel
Die hier von der Autorin vorgestellte Studie richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Handlungsfeld der Kinderkrippe und vorzugsweise dabei auf die gegenwärtigen Handlungspraxen von Erzieherinnen. Diese werden vor dem Hintergrund der These, dass sich es sich bei der Krippenerzieherin um eine „Profession im Werden handelt“, hinsichtlich des professionellen Wissens und Handelns in der pädagogischen Arbeit mit 0- bis 3-Jährigen untersucht. Die Datenbasis dazu liefern leitfadengestützte, teil-narrative Expertinneninterviews, welche auf der Basis der Grounded Theory ausgewertet werden. Insgesamt stehen der Autorin dazu 21 Interviews mit Krippenerzieherinnen und – erziehern aus 12 niedersächsischen Kindertagesstätten zur Verfügung.
Diese Veröffentlichung verfolgt in der Summe das Ziel die gegenwärtige Praxis zu erfassen, zu beschrieben und vor dem Hintergrund Entwicklungsperspektiven für das Handlungsfeld Kinderkrippe sowie für die Profession der Krippenerzieherin aufzuzeigen. Geleitet wird diese Studie zudem von der Hypothese, dass ein wechselwirksames Verhältnis zwischen den Professionalisierungsprozessen und den Handlungspraxen der Erzieherinnen anzunehmen ist.
Aufbau und Inhalt
Diese Arbeit in fünf große Abschnitt eingeteilt:
- Einleitung
- Theoretische Begründung und Verortung
- Forschungsdesign und -methoden
- Auswertung, Forschungserkenntnisse
- Zusammenfassung und Ausblicke
Im Kapitel I, Einführung, stellt die Autorin den großen Kontext für Ihre Forschungsarbeit vor. Sie beschreibt dabei die politischen Entwicklungen der letzten Jahre, welche zum quantitativen und qualitativen Ausbau des Betreuungsangebotes für Kinder unter drei Jahren geführt haben. Sie verweist weiterhin auf die einschlägigen Veröffentlichungen, die den mit dem Ausbau einhergehenden Professionalisierungsdiskurs thematisieren und legt dabei den Fokus auf die Krippenfachkräfte. Sie betont schon zu Beginn dieser Arbeit bereits die mangelnde empirische Wissensbasis bezüglich des Wissens und Könnens der pädagogischen Fachkräfte, insbesondere der Erzieherinnen, die in Kinderkrippen tätig sind. Sie führt so zu ihrem eigenen Forschungsinteresse und zeigt im Anschluss daran, den inhaltlichen und methodischenAufbau ihrer Veröffentlichung auf.
Im ersten Teil des Kapitels II stellt Nadine Berlips gesellschaftliche, (bildungs-) politische sowie (fach-) wissenschaftliche Entwicklungskontexte institutioneller Bildung, Erziehung und Betreuung 0- bis 3-Jähriger aus aktueller und historischer Perspektive vor. Diese Darstellung mündet in eine Zusammenfassung aktueller Entwicklungskontexte von Profession und der Institution Kinderkrippe. Sie attestiert dabei der Profession der Krippenerzieherin eine recht langsame Entwicklung. Doch gerade vor dem Hintergrund des stetig ansteigenden Fachkräftebedarfes rücken so die Frage der Personalgewinnung und noch vielmehr die Frage der erforderlichen Qualifikation der krippenpädagogischen Fachkräfte sehr in den Fokus der Diskussion. Als besondere Herausforderung betrachtet die Autorin die noch wenig feststellbare Theoriebildung, welche ihr zur Festigung der Profession sowie der professionellen Handlungsprozesse dringend erforderlich scheint.
Diesem Fragenkomplex widmet sie sich intensiv im zweiten Teil der Entwicklung der Profession der Krippenerzieherin sowie dem professionellen Wissen und Handeln von Krippenerzieherinnen. Zum einen begründet sie dabei ihre These von der Krippenerzieherin von einer im Werden befindlichen Profession, indem sie ihre Überlegungen in die aktuellen Diskurse zur Profession und Professionalisierung einbindet. Als zweite Diskurslinie greift sie in diesem Abschnitt den kausalen Zusammenhang von professionellen Wissen und professionellen Handeln auf. Dies erfordert nicht nur eine differenzierte Darstellung dessen, was unter dem professionellen Wissen einer Krippenerzieherin zu verstehen ist, sondern ebenso ein Aufzeigen der Komplexität der Handlungsanforderungen an die Krippenerzieherin.
Im dritten Kapitel stellt Nadine Berlips das Design sowie die Methoden ihrer Forschung vor. Rahmen und Grundlage ihres Forschungsvorhabens bildet die Grounded Theory orientiert an den Überlegungen von Strauss/Corbin (1996). Sie begründet diese Ausrichtung mit der Tatsache, dass es bislang wenig empirisches Wissen, wenig Forschung zum Handlungsfeld der Kinderkrippe sowie zum professionellen Wissen und Können der dort tätigen pädagogischen Fachkräfte gibt. Im Zentrum der Datenerhebung stehen dabei die qualitativen Interviews. Sie dienen dem zentralen Ziel dieser Forschungsarbeit. „Das Hauptinteresse der empirischen Arbeit liegt darauf, gegenwärtige Handlungspraxen von ErzieherInnen herauszuarbeiten und darin Momente professionellen Wissens und Handelns in der pädagogischen Arbeit mit 0- bis 3-Jährigen zu identifizieren. Hierin wiederum werden Professionsbegründungen möglich und zukünftige Entwicklungsnotwendigkeiten und -perspektiven können aufgezeigt werden.“ (Berlips, 2015, S. 181)
Den größten Raum in dieser Veröffentlichung nimmt das Kapital IV ein, welches der Auswertung der Forschung und somit der differenzierten Darstellung der Forschungsergebnisse dient. Die große Fülle der vorgestellten Ergebnisse kann an der Stelle nicht erfasst werden Exemplarisch können im Rahmen dieser Rezension folgende Ergebnisse benannt werden.
Im Bezug auf das professionelle Wissen und Können kann wohl in der Summe davon ausgegangen werden, dass die meisten Fachkräfte in ihrer Ausbildung wenig „krippenspezifisches“ Wissen erworben haben und somit darauf im Alltag nicht zurückgreifen können. Damit rücken die Praxis selbst und das dort über reflexive Prozesse gewonnene (Erfahrungs-)Wissen in den Fokus des Interesses. Ebenso kann aufgezeigt werden, welche Konsequenzen sich für die dort tätigen Fachkräfte ergeben, wenn sie „Teil einer Profession im Werden“ sind. „Immer wieder auszuhaltende und auszuhandelnde Spannungsverhältnisse und Unsicherheitsbedingungen in der und um die professionelle Arbeit sind dabei zugleich Kontext und Ziel der Professionalisierungsprozesse der KrippenerzieherInnen.“ (Berlips, 2015, S. 258)
Es folgt eine große Zahl von Ergebnissen, welche sich auf die Handlungspraxen, Strukturen, Rahmen und die Flexibilität in der Handlungsgestaltung konzentrieren.
Den Abschluss dieses Auswertungskapitels bilden Ergebnisse, die die Ausgangs- und Anknüpfungspunkte der Gestaltung täglicher Handlungsprozesse in Krippen vorstellen.
Das abschließende V. Kapitel, Zusammenfassung und Ausblicke, zeigt aus Sicht der Autorin Konsequenzen, Perspektiven und weitere Forschungsnotwendigkeiten für die Weiterentwicklung einer Profession im Werden auf. Diese konzentrieren sich auf die Aus-. Fort- und Weiterbildung von KrippenerzieherInnen und somit auf die Weiterentwicklung von professionellem Wissens, auf die Theoriebildung dieser Profession und auf die Positionierung dieser neuen Profession.
Den zweiten Abschnitt bestimmt eine differenzierte Darstellung der unterschiedlichen Handlungspraxen von Erzieherinnen in Kinderkrippen und deren Interdependenz zur Theoriebildung ebenso wie zur Professionsentwicklung.
Diskussion
Mit dieser Veröffentlichung leistet Berlips einen beachtenswerten Beitrag in einer sich immer noch in der Entwicklung befindlichen Forschungslandschaft zur Profession und Professionalität in der Frühpädagogik. Es gelingt ihr die Komplexität und Differenziertheit der Fragestellung aufzuzeigen und sie bezieht in diesem Kontext eindeutige Positionen, die zur Diskussion und weiteren Auseinandersetzung anregen.
Dazu gehört auch ihre These, dass es sich bei der KrippenerzieherIn um eine Profession im Werden handelt. Hier wäre sicherlich eine noch differenziertere Auseinandersetzung mit der Gegenposition der Breitbandausbildung von ErzieherInnen sowie mit den anderen im Feld sich befindlichen und sich etablierenden Professionen wie z.B. der der Kindheitspädagogin sehr hilfreich gewesen.
Anzufragen ist zudem auch die recht exklusive Konzentration auf das Wissen und Können der Krippenpädagoginnen. Es wird zwar mehrfach die Bedeutung der Haltungen von Profis thematisiert, jedoch vermisse ich hier den Anschluss und die Auseinandersetzung mit der handlungs- und wahrnehmungsleitenden Wirkung von Haltungen auch und gerade jenseits der Forderung nach einer forschenden Haltung.
Ein großer Pluspunkt ist in der äußerst vielschichtigen Differenzierung der Handlungspraxen der Krippenerzieherinnen zu erkennen. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit wäre jedoch eine kompaktere Darstellung hilfreich gewesen, welche die zentralen Erkenntnisse erkennbarer auf den Punkt bringt. Dennoch liegt ein großer Ertrag dieser Veröffentlichung in der sehr ansprechenden Darstellung professionellen Wissens und Könnens, die die gegenwärtigen Diskussionen um ein erforderliches Kompetenzprofil voranbringen kann.
Offen bleibt die Frage, ob es sich hierbei exklusiv um ein Wissensproblem oder um ein Umsetzungsproblem oder um beides handelt. Hierzu wäre eine deutlichere Positionierung der Autorin noch hilfreich gewesen.
Fazit
In der Summe handelt es sich um eine beachtenswerte Forschungsarbeit, die sich in eine Vielzahl vergleichbarer Arbeiten einordnet, den Diskurs voran bringt und zur Klärung komplexer Fragestellungen im Kontext von Profession und Professionalisierung im weiten Feld der Früh- und Kindheitspädagogik beiträgt.
Neben diesem wertvollen Diskursbeitrag erscheint mir diese Forschungsarbeit auch sehr gut geeignet, den Studierenden in kindheitspädagogischen Studiengängen einen Überblick über die Diskurslinien zu vermitteln und zur kritischen Auseinandersetzung anzuregen.
Rezension von
Prof. Dr. Helmut Lechner
Hochschule München
Mailformular
Es gibt 18 Rezensionen von Helmut Lechner.
Zitiervorschlag
Helmut Lechner. Rezension vom 13.04.2016 zu:
Nadine Berlips: Professionelles Wissen und Handeln von KrippenerzieherInnen. Eine qualitative Studie in niedersächsischen Kindertageseinrichtungen für 0- bis 3-Jährige. Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2015.
ISBN 978-3-8300-7827-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19133.php, Datum des Zugriffs 04.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.