Rupert Graf Strachwitz: Transparente Zivilgesellschaft?
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.12.2015
Rupert Graf Strachwitz: Transparente Zivilgesellschaft? Akteure – Problemfelder – Handlungsoptionen. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2015. 176 Seiten. ISBN 978-3-7344-0150-3. D: 14,80 EUR, A: 15,30 EUR, CH: 21,90 sFr.
Transparenz als optische und moralische Vision
Der Begriff „Transparenz“ gilt in der Politik als demokratische Grundlage für Freiheit der Bürger und deren Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte am politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Als das Berliner Reichstagsgebäude, das von 1884 – 1894 im Stil der Neorenaissance errichtet wurde und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Sitz des Reichstags des Deutschen Kaiserreichs und bis zum Beginn des Nationalsozialismus das Parlament der Weimarer Republik war, ab 1991 zum Sitz des Deutschen Bundestages wurde, sollte mit der baulichen Umgestaltung auch ein Symbol für nationale Einheit und demokratische Transparenz gesetzt werden. Nach langen Auseinandersetzungen wurde schließlich der Entwurf des englischen Architektenbüros Foster verwirklicht, eine gläserne, begehbare Kuppel auf das Reichstagsgebäude zu setzen und damit auch politische Transparenz zu symbolisieren. Politische Transparenz wird in mehreren Ländern, etwa in Schweden, als Verfassungsrecht postuliert; die Forderung nach „Glasnost“ hat zur „Perestroika“ und zum Wandel in der Weltpolitik geführt; und mit Transparency International hat sich eine Initiative gebildet, die Machtmissbrauch und Korruption durchsichtig macht.
Der Forderung nach politischer und gesellschaftlicher Transparenz steht das Bild vom „gläsernen Menschen“ gegenüber, der in der digitalisierten Welt durchleuchtet und durchschaut und als „entfesselter Skandal“ gebrandmarkt wird (Bernhard Pörksen / Hanne Detel, Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13302.php). Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han sieht in der Forderung nach (totaler) Transparenz nicht mehr und nicht weniger als Tyrannei, die mit dem moralischen Anspruch auf Durchsichtigkeit auftritt, aber nicht hellsichtig und verstand-sichtig, sondern egoistisch und einsam macht (Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/12799.php).
Entstehungshintergrund und Autor
Diese wenigen Hinweise sollen darauf hinweisen, dass der philosophische und anthropologische Diskurs um die Forderung nach Transparenz äußerst widersprüchlich und intransparent verläuft. Es sind immer die Schlagworte, die in den öffentlichen, gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Hoffnungen wecken und Verwirrung stiften. Das ist gut so, weil im intellektuellen Denken und Handeln neben den positiven und objektiven Einstellungen und Verhaltensweisen immer auch die Widersprüche und kritischen Positionen beachtet werden müssen, damit ein Wertediskurs nicht zu einer Modeerscheinung verkommt, oder sich als unverbindliches und nichtssagendes Bla-Bla-Bla entpuppt. Einer solchen Entwicklung sind Wertbegriffe immer ausgesetzt, wenn wir z. B. an den Begriff der „Nachhaltigkeit“ denken, der sich anfangs als perspektivenreiche, gegenwartsbewältigende und zukunftsweisende Vision darstellte und mittlerweile zu Benennungen geführt hat, die ein Alles-oder-Nichts ausdrücken. Diesem Schicksal droht auch ein anderer Begriff, der verortet ist in der Tradition der anthropologischen Philosophie als eine Bezeichnung für ein gleichberechtigtes, demokratisches und freiheitliches Miteinander von Menschen in einer Gesellschaft: Zivilgesellschaft.
Der Politikwissenschaftler, Politikberater und Leiter des Berliner Maecenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft, Rupert Graf Strachwitz, hat sich zur Aufgabe gemacht, Transparenz bei zivilgesellschaftlichen Organisationen einzufordern und gesetzliche Regelungen zu diskutieren. Als eine der wesentlichsten Voraussetzungen, wie Transparenz im öffentlichen Raum zustande kommen kann, ist: Vertrauen schaffen! Diese Erwartungshaltung korrespondiert wie kontrastiert mit dem Wert „Vertraulichkeit“, der in menschlichen Organisationen und Einrichtungen sowohl als positiver wie auch als problematischer Begriff verstanden werden kann; ebenso wie: „Verantwortlichkeit“.
Aufbau und Inhalt
Strachwitz legt eine Studie vor, in der er die Werte und Normen darlegt, die im Sinne von „Accountability“ (Verantwortlichkeit) und „Compliance“ (Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen, konformen und ethischen Standards) bei der Einrichtung und beim Betrieb von zivilgesellschaftlichen Organisationen (Non-profit-Organisationen), also bei Vereinen (e.V.), Stiftungen, Spendenorganisationen und anderen Stakeholder-Einrichtungen beachtet werden sollten. Die Bedingungen für Transparenz werden dabei als demokratische Werte grundgelegt, die in einer offenen, freiheitlichen und transparenten Zivilgesellschaft vorherrschen. Der Autor verdichtet die diesen zivilgesellschaftlichen Organisationen zugeschriebenen Eigenschaften, indem er Voraussetzungen dafür nennt, wie in einer Zivilgesellschaft gemeinwohlorientierte Zusammenschlüsse zu verstehen sind und anerkannt werden: Sie müssen
- ein Mindestmaß an Kohärenz aufweisen,
- nachhaltig tätig sein,
- gemeinwohl- und nicht gewinnorientiert arbeiten,
- Gewinne aus ihrer Tätigkeit nur im Sinne ihrer Satzung einsetzen,
- auf Freiwilligkeit basieren,
- autonom und satzungsgemäß über ihre eigenen Angelegenheiten befinden.
Wichtig für Stakeholder-Initiativen ist, dass Einnahme, Einwerbung, Sponsoring, Verwaltung und Ausgabe von finanziellen und Sachmitteln zweckgebunden und gemeinnützig erfolgen müssen. Um Accountability und Compliance in zivilgesellschaftlichen Organisationen gewährleisten zu können, bieten staatliche und Nichtregierungsorganisationen Grundsätze und Richtlinien an, wie Transparenz hergestellt werden kann, z. B.
- das DZI-Spenden-Siegel des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen,
- die Initiative Transparente Zivilgesellschaft von Transparency International,
- der Swiss Foundation Code,
- das European Foundation Centre,
- der Independent Sector mit den „Prinziples for Good Governance and Ethical Practice“.
Fazit
Die berechtigten wie fragwürdigen Kritiken an den Arbeits- und Wirkungsformen von gemeinwohlbestimmten, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen machen deutlich, dass für deren Tätigkeiten eine optimale Transparenz zu fordern ist. Geheimniskrämerei, machtdominantes Verhalten und jede Form von Mauschelei oder Vetternwirtschaft widersprechen nicht nur den Prinzipien von demokratischer und freiheitlicher Transparenz und Partizipation, sie schaden auch den gemeinnützigen, verantwortungsbestimmten, ethischen und empathischen Zielsetzungen von transparentem, zivilgesellschaftlichem Denken und Handeln.
Rupert Graf Strachwitz zeigt mit seiner explorativen Studie über Stakeholder in der Zivilgesellschaft wichtige Aspekte auf und gibt Empfehlungen für aktives, gemeinwohlorientiertes, ehrenamtliches und verantwortungsbewusstes Handeln in den vielfältigen Feldern einer transparenten Zivilgesellschaft. Er trägt damit auch dazu bei, dass mit zivilgesellschaftlichem Denken und Handeln sich der notwendige Perspektivenwechsel vollzieht, der notwendig ist, damit die Menschheit lokal und global, gegenwartsbezogen und zukunftsorientiert, human leben und überleben kann, wie dies im Appell der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (1995) zum Ausdruck kommt: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 21.12.2015 zu:
Rupert Graf Strachwitz: Transparente Zivilgesellschaft? Akteure – Problemfelder – Handlungsoptionen. Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2015.
ISBN 978-3-7344-0150-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19280.php, Datum des Zugriffs 13.10.2024.
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