Eva Breitenbach, Ilse Bürmann et al.: Männer in Kindertageseinrichtungen
Rezensiert von Dr. Miriam Damrow, 22.09.2015
Eva Breitenbach, Ilse Bürmann, Silvia Thünemann, Linda Haarmann: Männer in Kindertageseinrichtungen. Eine rekonstruktive Studie über Geschlecht und Professionalität. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2015. 180 Seiten. ISBN 978-3-8474-0637-2. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR, CH: 35,80 sFr.
Thema
Das vorliegende Buch beleuchtet biografische Perspektiven und Zusammenhänge zwischen Erfahrungen der eigenen Bildungsgeschichte, Alltagspraxis und pädagogischen wie professionellen Orientierungen männlicher Fachkräfte.
Aufbau
Die empirische Studie wird in sieben Kapiteln vorgestellt.
- Das erste Kapitel bietet eine Einführung zur Orientierung (S. 13-15),
- Kapitel 2 stellt theoretische Konzepte zur Professionalität vor (S. 17-26),
- im dritten Kapitel wird Geschlecht als soziale Praxis konstruiert (S. 27-36), während
- das vierte Kapitel einen kleinen Exkurs zu Zahlen liefert (S. 37-38).
- Im fünften Kapitel werden Fragestellung und methodisches Vorgehen erläutert (S. 39-43), während
- das 6. Kapitel die Fallanalysen darstellt (S. 45-149).
- Das 7. Kapitel zeigt neben einer Zusammenfassung auch Befunde zum Zusammenhang von Biographie, Professionalität und Männlichkeit (S. 151-63).
Literaturliste und Transkriptionsregeln runden den Band ab. Bereits an dieser Stelle besonders hervorzuheben ist die dargestellte Übersicht der Fallanalysen.
Inhalt
In der Einleitung wird knapp über die derzeitigen Diskurse zu Professionalität und Bildung informiert, wobei strukturale Dimensionen (hier: Geschlecht) die vorliegende empirische Studie konturieren.
Das zweite Kapitel skizziert knapp theoretische Konzepte zur Professionalität. So werden differenziert Ansätze vorgestellt (z.B. der kompetenzorientierte und der strukturtheoretische Ansatz), professionelle Orientierungen und Haltungen vorgestellt und konturiert, wobei vorrangig auf den strukturtheoretischen Ansatz rekurriert wird, dessen Vor- und Nachteile differenziert abgewogen werden. Die berufsbiografische Sicht auf Professionalität beschließt das zweite Kapitel.
Im dritten Kapitel wird auf Männlichkeit im frühpädagogischen Feld fokussiert. Darin wird neben der Kategorie Geschlecht auf Doing Gender und somit Geschlecht als soziale Praxis rekurriert. Neben der Konstruktion der Geschlechterdifferenz wird Männlichkeit unter dem Rahmen patriarchaler Dividende und Generalverdacht konturiert. Die AutorInnen rahmen zudem Geschlecht und Geschlechterdifferenz als Glaubenssystem: „Der Verflüssigung der Kategorie Geschlecht im „Doing Gender“ und der weitgehenden Trennung von Geschlechtszugehörigkeit und Subjekt beispielsweise in konstruktivistischen Ansätzen stehen Konzepte gegenüber, die den biologischen Differenzen Bedeutung zumessen und von einer essentiellen Differenz zwischen Männern und Frauen ausgehen“ (S. 33). Identifiziert werden zudem Argumentationsfiguren im frühpädagogischen Diskurs: zum einen die Gleichstellung der Geschlechter (auch in berufspolitischer Hinsicht: damit soll Männern der Zugang zu Frauenberufen und Frauen der Zugang zu Männerberufen erleichtert werden), zum anderen die Relevanz von Vätern und männlichen Identifikationsfiguren.
Im vierten Kapitel, betitelt „Exkurs: die Zahlen“ wird zum einen einschränkend darauf verwiesen, dass die Datenlage (je nach Zeitraum) etwas unübersichtlich ist, sich dennoch Tendenzen ableiten lassen, denen zufolge der Anteil männlicher Erzieher auf 4,9 % in 2014 gestiegen ist. Das als Quelle verwendete Statistische Bundesamt gibt die Zahl männlicher Erzieher in Kitas mit unter 5% (und demzufolge mehr als 95% weiblichen Beschäftigen) an. Zusätzlich vermerken die AutorInnen einen steigenden Männeranteil, je nördlicher das Bundesland liegt (mit Ausnahme von Hessen).
Das fünfte und sechste Kapitel stellen eigene Forschungsergebnisse der AutorInnen dar. Begonnen wird mit einem Überblick zur Fragestellung und dem methodischen Vorgehen der AutorInnen: „Gegenstand der hier vorgelegten Studie sind diejenigen pädagogischen und professionellen Orientierungen von Erziehern, welche ihr praktisches Handeln und ihr Verständnis ihres pädagogischen, beruflichen und professionellen Tuns bestimmen. Diese Orientierungen stehen in engem Zusammenhang mit den Erfahrungen aus der eigenen (Bildungs-)geschichte und (Alltags-)praxis…Ein Ziel der Studie besteht darin, die Faktoren zu erforschen, die ein reflektiertes und bildungsoffenes Professionsverständnis und kompetentes, professionelles Handeln von Erziehern befördern bzw. behindern können“ (S.39). Ein eigenes Unterkapitel konturiert das Forschungsdesign und das methodische Vorgehen wie folgt: die Daten wurden mithilfe von Gruppendiskussionen und narrativen biografischen Einzelinterviews gewonnen und mit Hilfe der Dokumentarischen Methode von Bohnsack und der Narrationsanalyse interpretiert. Vorgestellt werden also sieben Fallstudien (Porträts) männlicher Erzieher. Im sechsten Kapitel werden die gewonnenen Daten als Fallanalysen vorgestellt. Sieben Porträts stellen je unterschiedliche akzentuierte Bildungsgänge, Sozialisations- und Professionsverständnisse (so es denn eine Pluralform von Verständnis geben mag) vor und geben gleichzeitig Einblicke ins gegenderte Feld der Frühpädagogik.
Das siebte Kapitel dient als Resümee der Themenkomplexe von Profession, Männlichkeit und Biographie. Darin werden übergreifend sowohl biographische Abschnitte (wie Kindheit) unter je differenten Folien (wie im ersten Unterkapitel Kindheit als Idylle und Belastung als Erfahrungsfolien) analysiert wie auch Wege zur professionellen Identität (als männlicher Erzieher) aufgezeigt, die in 6 von 7 Porträts Erfahrungen des Scheiterns in Bildungsinstitutionen durchscheinen lässt. Im zweiten Unterkapitel stehen Erfahrungen professioneller (Selbst-)Entwicklung im Fokus: betitelt ist das Unterkapitel mit der Argumentationsfigur „Erlösung durch das Kind“. Der gewählte (oder treffender: der erwählte) Beruf wird als „substanziell. beglückende Kontrasterfahrung“ (S. 156) konnotiert. Väter als Gegenhorizonte changieren in fast allen Fallstudien als Topos. Im dritten Unterkapitel wird dieses aufgegriffen und in Verbindung mit der Dethematisierung der Generationendifferenz gesetzt und von Seiten der AutorInnen als Gefahrenquelle identifiziert: „Die spezifische, biografisch aufgeschichtete Bedürfnislage der Erzieher birgt hier eine Gefahrenquelle, nämlich die entdifferenzierende Ineinssetzung von Entwicklungsnotwendigkeiten bei Kindern und Erwachsenen“ (S. 157). Die Inszenierung der Geschlechterdifferenz wird im vorletzten Unterkapitel knapp skizziert und differente Horizonte eröffnet (die Differenz hier bezieht sich auf Diskussionen mit weiblichen Studierenden der Frühpädagogik, die ihre Geschlechtszugehörigkeit nicht extra betonen, sondern quasi immanent mitschwingen lassen – es ist so normal, dass dazu kein Redebedarf existiert, so die AutorInnen). Im eigentlichen Resümee (dem letzten Unterkapitel) schlussfolgern Breitenbach et al., führe prozessurale Integration von Männern in die frühpädagogische Arbeit nicht automatisch zu einer Qualitätssteigerung im Sinne des Erreichens einer höheren Stufe der Professionalisierung des Feldes.
Diskussion
Breitenbach, Bürmann, Thünemann und Haarmann legen mit ihrer theoretisch wie empirisch fundierten Studie zur Inklusion männlicher Fachkräfte in das Feld der Frühpädagogik einen Band vor, der mehrere Theoriestränge verknüpft (so z. B. den strukturtheoretischen und kompetenztheoretischen Strang), um Themenkomplexe der Biografie und Profession zu verschränken. So wird von den AutorInnen das aufgeladene Feld der sozialen Praxis (Doing Gender) analytisch gespiegelt und auf die Fallstudien als Folie angelegt. Insbesondere in den Fallstudien zeigen sich zum einen biografisch schwierige Passagen, die in das gewählte (oder tatsächlich eher erwählte) Berufsfeld münden, als Identitätsherausforderung, die in den Interaktionen mit Kindern aufgelöst wird: fast alle befragten männlichen Erzieher berichten so von Anerkennungsmomenten, die (mitunter stark überhöht und mit Bedeutung aufgeladen) sie darin bestärken, das Richtige gewählt zu haben. Die AutorInnen nehmen diesen Bedeutungsaufladungen gegenüber eine distanzierende bis kritische Haltung ein – sehr zu Recht, was die Professionsfundierung betrifft – in Teilen womöglich aber abwertend. So bleibt in den Reflexionen der AutorInnen stark unterrepräsentiert, dass Interaktionen mit Kindern nicht automatisch gelingen, dass es pädagogischer Mühen / Arbeit bedarf, um gelingende Beziehungen mit Kindern aufzubauen und zu erhalten und aus Sicht der Kinderinteressen wird die vermutlich ebenfalls spiegelnde Sicht der Kinder zu wenig berücksichtigt: auch die Kinder erfahren Anerkennung durch die (hier befragten) Männer. Die theoretische Exklusion dieser Perspektive verkürzt leider etwas die Aussagekraft des ansonsten ausgewogen und differenziert argumentierenden Bandes. Insbesondere die Passagen zur Professionalisierung des Feldes der Frühpädagogik verdienen ausdifferenzierende Betrachtungen und Reflexionen, wie sie hier angestoßen werden: „Männlichkeit als eine Art von Qualifikation zu betrachten und Männer aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit als einen Gewinn für die Einrichtungen anzusehen, macht nur vor dem Hintergrund einer substantiellen und positiv konnotierten Differenz in der pädagogischen Arbeit zwischen Männern und Frauen Sinn. Die Männer sind also einerseits genötigt, Männlichkeit überzeugend darzustellen und mit Inhalt zu füllen. Andererseits sind sie als moderne und der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtete Pädagogen genötigt, traditionelle Männlichkeit zu überschreiten und damit die Kategorie Geschlecht tendenziell zu verflüssigen. Beides ist kaum zu vereinbaren. Die Männer bewegen sich somit zwischen Widersprüchen, die sich nicht auflösen lassen. Gleichzeitig ist die Geschlechterdifferenz eine Grundlage der zweigeschlechtlichen Ordnung und ihre überzeugende Inszenierung eine Selbstverständlichkeit der sozialen Praxis. Sich von dieser sozialen Praxis in einer theoretischen Analyse oder gar in der Alltagspraxis zu distanzieren, ist außerordentlich schwierig. Leichter und im frühpädagogischen Feld derzeit vermutlich nahezu unausweichlich ist es, sich damit zu arrangieren.“ (S. 159-160).
Fazit
Mit dem vorliegenden Band wird – endlich – eine differenzierende Studie zur Professionalisierung im pädagogischen Feld – konkret durch die Inklusion männlicher Fachkräfte – vorgelegt. Ein informatives lesens- wie beachtenswertes Buch, unbedingt zur fachlichen Lektüre empfohlen.
Rezension von
Dr. Miriam Damrow
Hochschule Magdeburg-Stendal
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Zitiervorschlag
Miriam Damrow. Rezension vom 22.09.2015 zu:
Eva Breitenbach, Ilse Bürmann, Silvia Thünemann, Linda Haarmann: Männer in Kindertageseinrichtungen. Eine rekonstruktive Studie über Geschlecht und Professionalität. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2015.
ISBN 978-3-8474-0637-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19295.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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