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Franka Schäfer, Anna Daniel et al. (Hrsg.): Methoden einer Soziologie der Praxis

Rezensiert von Dr. Maurice Schulze, 20.04.2017

Cover Franka Schäfer, Anna Daniel et al. (Hrsg.): Methoden einer Soziologie der Praxis ISBN 978-3-8376-2716-9

Franka Schäfer, Anna Daniel, Frank Hillebrandt (Hrsg.): Methoden einer Soziologie der Praxis. transcript (Bielefeld) 2015. 320 Seiten. ISBN 978-3-8376-2716-9. D: 29,99 EUR, A: 30,90 EUR, CH: 40,10 sFr.

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Thema

Für eine praxeologische Herangehensweise in der empirischen Forschung ist es unabdingbar, die Forschungsmethoden zu diskutieren. Ist die Diskussion der Methoden der empirischen Datenerhebung in der Ethnologie seit Jahrzehnten ein zentraler Bestandteil der Disziplin, soll mit diesem Buch die Bandbreite praxeologischer Forschungsmethoden ausgeführt und erweitert werden. In der Vielfalt der methodischen Zugänge liegt auch hier die Stärke für die Aussagekraft empirischer Praxisforschung.

Aufbau

Nach einer Einleitung folgen drei Abschnitte.

  1. Der erste widmet sich dem Methodenproblem einer Soziologie der Praxis.
  2. Darauf folgen Texte zu den Methodischen Problemen einer Soziologie der Praxis.
  3. Der größte Teil des Buches hat Neue methodische Zugänge und Anwendungen einer Soziologie der Praxis im Blick.

Inhalt

Obwohl sich Praxis im alltäglichen Handeln ‚materialisiert‘, wird mit der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Praxis abgegrenzt von Handlung, Kommunikation oder Interaktion. Was ist das Besondere an Praxis, dass man ihr eine ganze Soziologie widmet? Dynamik und Regelmäßigkeit sollen gleichermaßen in die Analysen des Praxisvollzugs einfließen. Umsetzbar wird dies nur, „indem sie eine dynamische, sich in der Forschungspraxis wandelnde Theoriebildung verfolgen“ (16). Dabei wird Praxis als materiell definiert, denn sie ist sowohl mit dem Körper, als auch den Dingen verbunden. Sie wird „als Verkettung von physisch zu fassenden Praktiken an den Begriffen Körper und Ding“ definiert (17). Über den Körper als Träger der ihm eingeschriebenen Praktiken (Habitus), wird dabei ebenso reflektiert, wie über die Dinge und Artefakte. Die Vernetzung wird hier mit Verweis auf Latours Akteur-Netzwerk-Theorie als die Bemühung der Überwindung der „Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt“ (23) aufgegriffen.

Überlegungen ‚Zur Notwendigkeit einer praxeologischen Methodendiskussion‘ sollen die methodologischen Anforderungen an die Herangehensweise empirischer Arbeit grundlegend umreißen. Die umfangreichen Punkte und Paradigmen, die eine Soziologie der Praxis folgt, verlangen nach einem ebenso umfangreichen Arsenal an Methoden der Datenerhebung. Eine Forschung, die die Praxis zum Gegenstand hat, muss sowohl quantitative als auch qualitative Methoden nutzen. Denn es gilt „von der Praxis aus zu denken und die Praktik als kleinste analytische Einheit zum Ausgangspunkt der Analyse machen“ (37). Die dabei bemühte Debatte um die empirischen Forschungsmethoden erinnern stark an die Auseinandersetzungen, mit denen in der Ethnologie über die Forschungspraxis diskutiert wurde. In der Soziologie scheinen die qualitativen Methoden empirischer Sozialforschung, mit samt ihrer methodologischen Diskussion, erst mit der Soziologie der Praxis Einzug zu halten. „So ist zu begrüßen, dass mit der Hinwendung zu ethnografischen Analysemethoden die Konzentration aus Befragungsverfahren, die in der qualitativen Sozialforschung lange Zeit vorherrschend waren, aufgelockert wird“ (41).

Der zweite große Abschnitt beschäftigt sich mit den Methodischen Grundlagen einer Soziologie der Praxis. Zur empirischen Rekonstruktion sozialer Praxis dient der Verweis auf Bourdieus Herangehensweise, die sich aus seinen empirischen Studien und den methodologischen Reflektionen übernehmen oder ableiten lassen. Dabei soll deutlich gemacht werden, „was aus Bourdieu´scher Perspektive gute von schlechter Forschungspraxis trennt“ (61). Die teilnehmende Beobachtung erlangt über die Fokussierung auf die Praxis in der Soziologie zu größerer Beachtung, wie es weiter für die gesamte ethnomethodologische Forschung zutrifft, folgt man dem Beitrag von Meyer zur ‚Neopraxiology‘. Die Akteur-Netzwerk-Theorie bietet ebenfalls Anschlussmöglichkeiten, wenn es um die Möglichkeiten empirischer Sozialforschung geht, im Speziellen in der Konfliktforschung, das methodische Instrumentarium zu erweitern.

Hauptteil des Bandes machen Neue methodische Zugänge und Anwendungen einer Soziologie der Praxis aus. Die Ethnografischen Erkenntnisstrategien zur Erforschung sozialer Praktiken

Stellt die Forschungspraxis Bourdieus selbst eine Praxis dar, würde eine verkürzte Darstellung dieser nicht einen Bruch mit dem angestrebten holistischen Ziel der Beschreibung von Praxis darstellen? Lengersdorf eröffnet den dritten Teil mit einer Diskussion der Ethnografischen Erkenntnisstrategien zur Erforschung sozialer Praktiken. Zu Beginn liest man methodologische Zusammenfassungen zur Ethnomethodologie, zu Diskursanalyse und der Habitustheorie. Die Ethnomethodologie bspw. „ist aufschlussreich, um Praktiken als eine Abfolge von Aktivitäten zu fassen“ (179), bietet jedoch mehr Grenzen als Möglichkeiten, um der Praxissoziologie methodologischen Grundlage zu bieten, wenn die Dauerhaftigkeit nicht abstrahiert und auf eine soziale Regel gebracht werden kann – Themengebiete, die zum Basiswissen gehören, beschäftigt man sich auch nur beiläufig mit Praxistheorie. Dann allerdings schreibt Langersdorf über Ethnografie und da wird es spannend. Neben Begriffen wie ‚cultural turn‘ und ‚teilnehmende Beobachtung‘, führt sie sogar ‚going native‘ an. All dies sind Begriffe, an denen sich die Ethnologie bereits seit Jahrzehnten abarbeitet. Wo die Praxistheorie Dichotomien überwinden soll, verschließt sie hier die Augen vor den Grenzen ihrer eigenen Disziplin. Bourdieu, dessen Zugänge in Algerien vielmehr ethnologisch als soziologisch geprägt waren, legte den Grundstein seiner Theorie der Praxis mit den Methoden der Kultur- und Sozialforschung. Die Arbeiten Malinowskis waren ihm bekannt und der ‚nativ point of view‘ kann als das angesehen werden, wonach die praxeologische Forschung strebt: den in der Praxis materialisierten Sinn. Verweise auf Arbeiten, die fast 100 Jahre alt sind und sich mit der Datenerhebung und dem Verständnis vom Anderen beschäftigen, sucht man hier leider vergeblich. Es werden Bohnsack und Geertz berücksichtigt – die methodologischen Errungenschaften der Ethnologie, wenn es um die Datenerhebung und die Fähigkeit geht ‚Sinn‘ in der Praxis anderer verstehend zu deuten, werden in dieser (deutschen) Soziologie weitgehend ausgeklammert. (Das gilt für die soziologischen Arbeiten in der Ethnologie allerdings auch.)

Auch die weiteren Beiträge drehen sich im wesentlichen darum, Forschungsmethoden auf die Brauchbarkeit für die praxistheoretische Sozialforschung nutzbar zu machen. Dieser Zusammenhang blieb bei Boths Kartografie von Praktiken völlig im Unklaren. Schließlich ist der Autor abschließend selbst gespannt, ob die praxistheoretisch relevanten „Elemente […] operationalisiert werden können“ (212).

Fazit

Letztlich bleibt der Rezensent mit der Überzeugung zurück, dass die Soziologie der Praxis steht und fällt mit der Überwindung der eigenen Grenzen und der Nutzbarmachung (und nicht Neuerfindung) ethnologischer Forschungsmethoden. Die Verbindung dieser zwei Disziplinen birgt vielleicht das größte Potential einer Soziologie der Praxis. Ein Anfang wäre getan, würde bspw. Andreas Wimmer und seinem Verständnis von Kultur als Prozess berücksichtigt.

Rezension von
Dr. Maurice Schulze
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Es gibt 15 Rezensionen von Maurice Schulze.

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ISSN 2190-9245