Gregor Thüsing: Mit Arbeit spielt man nicht!
Rezensiert von Prof. Dr. Frank Wießner, 17.12.2015
Gregor Thüsing: Mit Arbeit spielt man nicht! Plädoyer für eine gerechte Ordnung des Arbeitsmarkts. Verlag C.H. Beck (München) 2015. 192 Seiten. ISBN 978-3-406-67759-5. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR, CH: 30,50 sFr.
Thema
Über die Wertschätzung und gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit besteht ein breiter Konsens. Man kann die „Plage der Arbeitslosigkeit“ durchaus als eine permanente Verletzung der Menschenwürde ansehen, denn ohne Arbeit landet man schnell am Rand der Erwerbsgesellschaft. Wenn die Kräfte des Marktes allein keinen gerechten und akzeptablen Ausgleich herstellen können, ist es nur naheliegend, an die verfassungsgemäße Aufgabe des Staates zu erinnern, zumindest geeignete Rahmenbedingungen guter Arbeit zu gewährleisten und Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Titel liefert eine Reihe von Anregungen, diesem Ziel näherzukommen.
Autor
Gregor Thüsing ist Professor für Arbeitsrecht und leitet seit 2003 das Institut für Arbeitsrecht an der Universität Bonn. Er beriet in den letzten Jahren mehrere Bundesministerien und trat im Zuge der Verabschiedung neuer Gesetze als Sachverständiger bei Anhörungen verschiedener Ausschüsse des Bundstages auf.
Entstehungshintergrund
Der Mainstream der Debatte rund um den Arbeitsmarkt wird klar von ökonomischen Argumenten dominiert. Mit deutlichem Abstand dahinter kommen die Sozialwissenschaften ins Spiel, insbesondere dann, wenn es um Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe oder Armut geht. Mit Gregor Thüsing meldet sich hier ein Arbeitsrechtler zu Wort. Besonders bemerkenswert: Der Jurist beschränkt sich nicht allein auf eine Darstellung des objektiven Rechts und wie der Gesetzgeber dieses möglichst sinnvoll ausgestalten sollte. Er nimmt darüber hinaus Anleihen bei der christlichen Soziallehre und erinnert in der allzu oft utilitaristisch geführten Arbeitsmarktdiskussion daran, um welche gesellschaftlichen Normen und Werte es sich letztendlich handelt, die als kodifiziertes System unser (Arbeits-)Recht konstituieren. Man muss dabei keineswegs ausdrücklich einem christlich-konservativen Weltbild verpflichtet sein, um diese Denkanstöße aufzunehmen.
Aufbau und Inhalt
Die Überlegungen zu einer besseren Arbeitsmarktordung berühren die unterschiedlichsten Bereiche des menschlichen (Arbeits-)Lebens: Im ersten Kapitel ist „Von der Bedeutung der Arbeit in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung“ die Rede. Der faire Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen setzt dieser Freiheit Grenzen. „Flexicurity“ als gangbarer Mittelweg schafft die Balance zwischen Schutz und Freiraum, darf dabei aber die Beschäftigungschancen für diejenigen, die keine Arbeit haben, nicht aus dem Blick verlieren.
Freiheit und ihre Grenzen stehen auch im Mittelpunkt des zweiten Kapitels „Das Arbeitsrecht als Schutz der Vertragsfreiheit“, wo klargemacht wird, dass selbst Freiheitsrechte von Verfassungsrang ihre Grenzen finden, wenn etwa ein paternalistischer Sozialstaat Mindeststandards setzen muss, um Arbeitnehmer vor sich selbst zu schützen. Die Unabdingbarkeit von Schutznormen leitet über zum fairen Ausgleich.
Im dritten Kapitel geht es um „Gerechtigkeit durch Mindestlohn“. Die grundlegende Frage, ob der Mindestlohn die Existenz des Arbeitnehmers sichern oder lediglich dessen Ausbeutung verhindern soll, leistet einen hilfreichen Beitrag zur Versachlichung einer Debatte, die mitunter hitzig, aber allzu selten mit überzeugenden Argumenten und empirischer Evidenz geführt wird.
Missstände, Benachteiligungen und Diskriminierung sind die Themen der nachfolgenden Kapitel. Sei es die „Herausforderung Leiharbeit und Scheinwerkverträge“ (Kapitel 4), die „Herausforderung Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ (Kapitel 5) oder der „Diskriminierungsschutz in einer pluralistischen Gesellschaft“ (Kapitel 7). Die skizzierten Ungleichbehandlungen und Ungerechtigkeiten laufen nicht nur Gerechtigkeitsnormen und Vorstellungen „guter Arbeit“ zuwider, sondern führen trotz scheinbar ökonomischer Logik auch immer wieder zu ineffizienten Ergebnissen.
Gesamtgesellschaftliche Veränderungen stehen im Fokus von Kapitel 6 „Herausforderung Demographie“. Weitere gesellschaftliche Megatrends wie Individualisierung und Internationalisierung bilden den Hintergrund des achten Kapitels „Kollektive Interessensvertretung in einer individualisierten Gesellschaft“. Komplettiert wird dieser Abschnitt mit Überlegungen zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie „Datenschutz und Persönlichkeitsschutz“ in einer digitalisierten Arbeitswelt (Kapitel 9).
Abschließend ruft Gregor Thüsing „Die soziale Dimension Europas“ (Kapitel 10) als eine tragende Säule der Europäischen Union in Erinnerung und weitet damit den Blick vom nationalen zum europäischen Kontext. Wo nationalstaatliche Regelungen zunehmend an Bedeutung verlieren, bedarf es in einem vereinten Europa auch der sozialen Einheit, um die soziale Dimension zum Motor anstatt zur Bremse künftiger Entwicklung zu machen.
Das Schlusskapitel „Gute Arbeit durch ein besseres Arbeitsrecht“ macht noch einmal unmissverständlich klar, was zu tun ist: Während die inhaltliche Ausgestaltung fraglos alle gesellschaftlichen Kräfte angeht, bleibt das „gute Arbeitsrecht“ in formaler Hinsicht zuallererst „gutes Handwerk“ des Gesetzgebers.
Diskussion
„Mit Arbeit spielt man nicht!“ Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen in Zeiten, in denen zur Maximierung des Shareholder Value auch profitable Betriebe geschlossen oder ins Niedriglohn-Ausland verlagert werden. Dieses titelgebende Papstwort von Franziskus und weitere Hinweise auf die christliche Soziallehre sollten uns daran erinnern, dass es um weit mehr geht als um ein „Wirtschaftsthema“, nämlich unsere gesamte Gesellschaftsordnung. Ebenso grundlegende wie einfache ökonomische Wahrheiten, die im hektischen Tagesgeschäft der Märkte und auch der Politik allzu leicht in Vergessenheit geraten, werden zu Recht wieder in Erinnerung gerufen. Eine Arbeit ergibt nur dann Sinn, wenn man davon auch leben kann. Mit scharfem Blick deckt der Autor auf, wo das institutionelle Normengefüge seinen Beitrag zu einem gerechten Arbeitsmarkt leistet und wo es fehlt. Der Blick hinter die Kulissen der Gesetzgebung zeigt, wie wichtig gerade auch die „handwerklichen“ Aspekte der Gesetzgebung sind. Beispiele für „good practice“ aus anderen Ländern zeigen, wie es besser gehen könnte.
Fazit
„Arbeitsrecht muss ein Beschäftigungsrecht sein“ lautet das zentrale Anliegen des Autors. Ein zukunftsfähiges Arbeitsrecht muss der Wirtschaft ein Gesicht geben und letztendlich „gute Arbeit“ gewährleisten. Die soziale Balance als Mittelweg zwischen Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Gemeininteressen muss immer wieder neu gesucht werden. Gregor Thüsing macht unmissverständlich klar, dass dies kein leichter Weg ist. Immerhin deutet der mahnende Zeigefinger nicht nur auf Probleme, sondern auch dorthin, wo Lösungen zu finden sind.
Rezension von
Prof. Dr. Frank Wießner
Professor für Soziologie
Fakultät für Soziale Arbeit
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
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Zitiervorschlag
Frank Wießner. Rezension vom 17.12.2015 zu:
Gregor Thüsing: Mit Arbeit spielt man nicht! Plädoyer für eine gerechte Ordnung des Arbeitsmarkts. Verlag C.H. Beck
(München) 2015.
ISBN 978-3-406-67759-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19335.php, Datum des Zugriffs 13.10.2024.
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