Melanie Gräßer, Eike Hovermann jun.: Ressourcenübungen für Kinder und Jugendliche
Rezensiert von Matthias Weber, 19.10.2015

Melanie Gräßer, Eike Hovermann jun.: Ressourcenübungen für Kinder und Jugendliche.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2015.
ISBN 978-3-621-28266-6.
D: 26,95 EUR,
A: 27,70 EUR,
CH: 37,10 sFr.
Kartenset mit 60 Bildkartei. Mit 12-seitigem Booklet.
AutorInnen und Illustratorin
Das vorliegende Kartenset inklusive Begleitheft wurde von Melanie Gräßer und Eike Hovermann entwickelt und von Annika Botved illustriert.
- Melanie Gräßer ist Verhaltenstherapeutin in eigener Praxis und arbeitet zudem als Supervisorin, Seminarleiterin, Autorin und Entwicklerin therapeutischer Spiele.
- Eike Hovermann ist in der Geschäftsführung verschiedener Akademien und einer privat gegründeten Stiftung aus den Bereichen Wirtschaft sowie kindlicher Bildung tätig, berufsbegleitend studiert er Psychologie.
- Annika Botved arbeitet nach Ausbildungen und Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen als selbständige Illustratorin.
Entstehungshintergrund
Der auf der Kartenbox abgedruckte Klappentext verspricht Übungen, um „Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen“ bei der Erschliessung und Nutzung individueller Ressourcen unterstützen zu können, damit diese „mit Ressourcenkarten zu mehr Sicherheit, Gelassenheit und Zufriedenheit!“ gelangen können. (Alle in Anführungszeichen gesetzten Stellen sind Zitate aus Texten des Begleithefts bzw. der Kartenbox.)
Texte und Materialien
Der stabile Pappkarton im handlichen Format enthält neben einem ca. 10seitigen Begleitheft 60 Ressourcenkarten.
Zum Begleitheft
Die verschiedenen Textabschnitte des Begleitheftes führen alltagssprachlich und ohne theoretische und/oder methodische Verweise in einige Grundideen des ressourcenorientierten Arbeitens ein, erläutern die Arbeit mit den Ressourcenkarten, skizzieren im sprachlichen Duktus von Tipps grundlegende Elemente eines beraterischen bzw. therapeutischen Arbeitsbündnisses und weisen auf die Notwendigkeit der Hinzuziehung von ExpertInnen (z.B. PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen) in „problematischen Situationen“ oder gar Notfällen, die im Zusammenhang mit der Arbeit mit den Karten auftreten könnten, hin. Im weiteren Verlauf des Begleitheftes folgt eine Kurzbeschreibung der einzelnen Übungen, die der AnwenderIn auf doppelseitig bedruckten Karten an die Hand gegeben werden. Die Ressourcenkarten „sind ein Fundus, der aus jahrelanger Erfahrung“ der AutorInnen entstanden ist. Ein Gutteil der kurzen Schrift stellt zum Schluss recht ausführlich die AutorInnen sowie die Illustratorin vor.
Zu den Ressourcenkarten
Die 60 Karten zur Ressourcenarbeit wurden von den AutorInnen für die „therapeutische Arbeit“ mit Kindern und Jugendlichen konzipiert. Auf jeder dieser Karten wird eine konkrete Übung zur Bewusstmachung, Einübung oder Reflexion einer alltagstauglichen Strategie zur Bewältigung von Krisen und Herausforderungen vorgestellt. Die AutorInnen schlagen vor, diese sowohl in der gemeinsamen Arbeit von AnwenderIn und Kind bzw. Jugendlicher einzusetzen sowie den jungen PatientInnen als Hausaufgabe mitzugegeben. Darüber verfolgen sie über die Ressourcenkarten die Idee, mit Kindern und Jugendlichen deren vorhandenen Ressourcen zur Bewältigung von Krisen erkennen und aktiv nutzen bzw. neue erschliessen zu können. Zudem sollen die Karten hilfreich sein, einen Therapieprozess mittels der „kindgerechten Karten“ anregend und abwechslungsreich zu gestalten.
Bei den Karten wird über die farbig illustrierte Vorderseite die auf der Rückseite schriftlich erläuterte Übung sowohl für die AnwenderIn als auch das Kind bzw. die Jugendliche visuell eingeführt. Die Illustrationen sollen den Einstieg in die einzelnen Übungen zur Bewältigung von „Krisen“ und „Herausforderungen“ „spielend leicht“ machen.
Im Folgenden werden einige „innere Helfer, Achtsamkeitsübungen oder Notfallpläne“ auf den Ressourcenkarten kurz vorgestellt.
- „Bergbild“: Bei dieser Übung geht es darum, eigene Probleme als einen riesengrossen Berg mit verschiedenen Wege auf diesen hinauf zu imaginieren. Die unterschiedlichen Wege auf einen Berg sollen in deren Erscheinung und inhärenten Anforderungen von dem Kind bzw. der Jugendlichen differenziert beschrieben und bezüglich deren Vor- und Nachteile bedacht werden – eine kurze aber riskante Kletterroute könnte hierbei z.B. mit einem längeren aber einfacheren Wanderweg verglichen werden. Abgeschlossen wird diese Übung mit einem Ratschlag: „Genau wie bei dem Berg ist es mit deinem Problem. Es gibt mehrere unterschiedliche Lösungswege zu deinem Ziel. Es spricht also nichts dagegen, dich jetzt auf den gemütlichen Wanderweg zu machen. Habe dabei nur noch deinen Wanderweg im Blick und du wirst sehen, dass du Schritt für Schritt dein Ziel erreichst!“
- „Boxen“: Bei dieser Übung wird vorgeschlagen, nicht über Belastendes zu sprechen sondern mittels Dampfablassen „negative Gedanken und Gefühle in positive Energie umzuwandeln“, Das Bearbeiten eines Box-Sackes oder eines dicken Kissens sowie ein das Darauf-Hauen verstärkendes Schreien könnten dabei helfen. Dabei soll das Kind bzw. die Jugendliche darauf achten, sich selbst oder andere nicht zu verletzen. Sollte diese Übung häufiger nötig werden, wird das Kind bzw. die Jugendliche auf die Möglichkeit von entsprechendem Sportangeboten in einem Verein hingewiesen.
- „Malen“: Hierbei sollen in der Zukunft liegende erwünschte Zustände oder Ereignisse gezeichnet bzw. gemalt werden, bei Bedarf bzw. Wunsch können mehrere Zeitpunkte abgebildet werden. Das Bild bzw. die Bilder sollen von dem Kind bzw. der Jugendlichen dann so im Alltag platziert werden, dass die darauf zu sehenden Ziele immer vor Augen geführt werden um so den Glauben, diese zu erreichen, zu stärken.
- „Dein Superheldenanzug“: Es geht bei dieser Übung weniger darum, ein Superheldenkostüm zu imaginieren sondern sich bewusst zu machen, ob ein bestimmtes Kleidungsstück ein gutes Gefühl oder eine besondere Stärke vermittelt und bei gefühlter Schwäche übergezogen werden kann.
- „Stopp-Technik“: Zu negativen Gedanken und Gefühlen kann Stopp gesagt werden – wie dieses Schild für das Kind bzw. die Jugendliche konkret aussieht soll aufgemalt und anschliessend aufgehängt werden. Wie dieses Stopp-Schild im Alltag hilfreich eingesetzt werden kann, z.B. in dem vertraute und in die Technik eingeweihte Personen eine entsprechende Geste machen oder in dem aus dem Sport vertraute Zeichen (z.B. rote Karten) eingesetzt werden, wird über konkrete Vorschläge erläutert.
- „Leere Karte“: Die letzte und 60ste Karte ist die leere „Karte für eigene Ideen“. Diese kann dazu genutzt werden, eigene weitere Ressourcen festzuhalten.
Diskussion
Grundsätzlich vermittelt die vorgelegte Box auf den ersten Blick den Eindruck, ein quasi universell einsetzbares Set an konkreten Möglichkeiten, um mit Kindern und Jugendlichen an deren vorhandenen oder zu entwickelnden Bewältigungsmöglichkeiten von Lebensherausforderungen zu arbeiten in Händen zu halten. Nicht zuletzt auch deshalb, weil hierfür keinerlei weitere Hilfsmittel von Nöten sind und die Übungen scheinbar auch von psychotherapeutischen bzw. beraterischen Laien problemlos angewendet werden können. Eben diese scheinbare fachliche Vorbehaltlosigkeit der Karten sollte gerade im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen in offensichtlichen bzw. möglichen Krisen zur Vorsicht mahnen. Denn die auf den Karten vorgeschlagenen Übungen ermuntern Kinder und Jugendliche immer wieder, sich ihren Ängsten, Erfahrungen, Träumen, Erlebnissen, Wünschen und Bedürfnissen zu stellen. Unschwer vorstellbar, dass dies, wenn auch in bester Absicht und den Anweisungen der Karten folgend, zu möglicherweise ernstzunehmenden Auswirkungen, bis z.B. hin zu sekundären Traumatisierungen, führen könnte. Vor allem dann, wenn die Karten in fachlich nicht intendierter Art und Weise bei Kindern und Jugendlichen angewendet werden.
Zudem ist mit denen auf der Box sowie im Begleitheft ausgeführten Textteilen weder die Zielgruppe der AnwenderInnen, noch die der PatientInnen schlussendlich eindeutig zu bestimmen. Hält man/frau die Box in der Hand entsteht der Eindruck, die Übungen seien etwas, das alle interessierte Personen „sofort einsetzen können“, damit „sich Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen schnell auf ihre eigenen Ressourcen besinnen und gelassener an Herausforderungen herangehen können“. Im beigelegten Begleitheft werden dann zu Beginn offensichtlich interessierte Laien adressiert, für sie dürfte das allzu kleine Einmaleins des Ressourcenbegriffs bzw. der Ressourcenarbeit gedacht sein. Im Weiteren werden sodann TherapeutInnen als Zielgruppe der Karten angesprochen. Jedoch dürften sich diese mit der folgenden Kurzeinführung in „Die Arbeit mit den Ressourcenkarten“ als Professionelle wenig ernst genommen fühlen, ist diese doch in sehr einfachen Worten gehalten und eher an Laien, z.B. engagierte Eltern, gerichtet. „Der therapeutische Umgang mit den Karten“ wird daran anschliessend, und die AdressatInnenverwirrung komplettierend, an VertreterInnen verschiedener Berufsgruppen (TherapeutInnen, PädagogInnen oder BeraterInnen) sowie auch an Eltern adressiert und skizziert kurz bzw. verkürzt die Grundzüge eines beraterischen bzw. therapeutischen Settings, um dann auf „problematische Situationen“, wie z.B. Suizidalität, hinzuweisen, die „in jedem Fall professionelle Unterstützung“ erfordern.
Durch diese eher konfuse Ansprache unterschiedlichster potentieller AnwenderInnen bleibt unklar, wer denn nun von den AutorInnen mit den Ressourcenkarten schlussendlich konzeptionell angesprochen werden soll.
Auch für welche Altersgruppe von Kindern und Jugendlichen denn nun genau das Kartenset geeignet sein soll wird von den AutorInnen den potentiellen AnwenderInnen überlassen, allein der Verweis auf Kinder und Jugendliche scheint ob der riesigen Entwicklungsbandbreite in diesen beiden Lebensphasen fachlich zu unbestimmt. Die meisten der Übungen scheinen dabei doch eher im Jugendalter anzusetzen, erfordern sie doch durchaus anspruchsvolle kognitive Operationen und teils spezifisches Wissen. Zudem verlangen die Erläuterungen der Übungen teils mehrmaliges Lesen. Grundsätzlich ist diese Anwendungsoffenheit in der Anwendung durch ExpertInnen nicht als Problem zu sehen, es kann allerdings dann zu einem werden, wenn die Karten von interessierten Laien angewendet werden und so z.B. Überforderungssituationen für die Kinder und Jugendlichen allein schon durch deren nicht altersadäquaten Einsatz entstehen.
Fraglich bleibt für den Rezensenten, inwieweit die vorgeschlagenen Übungen für Kinder und Jugendlich grundsätzlich von diesen, wie von den AutorInnen vorgeschlagen, in Eigenregie gemacht werden können und nicht vielmehr, trotz ihrer teils offensichtlichen Einfachheit, überfordernd sein könnten. Dies zum einen durch die teils komplexen Anleitungstexte und nicht ohne Geübtheit in der Verbalisierung von Emotionen auskommenden Übungen. Zum anderen durch die Aufforderung an die Kinder bzw. Jugendlichen, sich mit durchaus herausfordernden Aspekten (z.B. Angst, ungute Erfahrungen) eines nicht immer gelingenden und sich gut anfühlenden Lebens alleine auseinander zu setzen. So scheinen die Karten eher in einer dialogischen Auseinandersetzung zwischen ExpertIn und Kind bzw. Jugendlicher angemessen und ihre intendierte Wirkung entfaltend einzusetzen zu sein. Oder aber es wäre bei einzelnen Übungen gar zu überlegen, ob diese nicht ob ihrer inhärenten Beschreibungs-, Deutungs- und Handlungskomplexität nicht unbedingt und ausschliesslich innerhalb eines therapeutischen Face-to-face-Settings anzuwenden sind, um die Übung einerseits vor einer möglichen Banalisierung und andererseits vor allem das Kind bzw. die Jugendliche vor einer nicht intendierten unangemessenen Wirkung zu schützen.
Innerhalb der einzelnen Karten machen die AutorInnen den Kindern immer wieder konkrete (Lösungs-)Vorschläge, wie sie mit bestimmten Empfindungen umgehen oder wie konkrete Bewältigungsstrategien aussehen könnten. Inwieweit damit der Anspruch der AutorInnen, die „eigenen Ressourcen“ der Kinder und Jugendlichen herauszuarbeiten eingelöst werden kann, bleibt fraglich. Gleichwohl erhalten Erwachsene, Kinder und Jugendliche konkret anwendbare Ideen zur Entwicklung und Erweiterung ihres jeweiligen Ressourcenwerkzeugkoffers.
Fazit
Die Ressourcenkarten sind ein theoretisch und methodisch nicht eingeordnetes Sammelsurium von konkreten Ratschlägen bis hin zu „ganz einfachen Tricks“ (Karte 4) zur Auseinandersetzung mit Ressourcen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Es bleibt zu hoffen, dass interessierte Laien diese Karten allenfalls sehr spielerisch und eher zur Unterstützung einer gelingenden kindlichen Entwicklung innerhalb vertrauensvoller Beziehungen einsetzen. Therapeutisch ausgebildete und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erfahrene ExpertInnen werden in den Ressourcenkarten möglicherweise keine für sie neuen Erkenntnisse und allzu innovativen Übungen vorfinden. Sie könnten allerdings die handlichen und durchaus geschmackvoll illustrierten Ressourcenkarten für den alltäglichen Einsatz in ihrer Praxis schätzen lernen.
Rezension von
Matthias Weber
Sozialwissenschaftler (M.A.), Dipl.-Sozialpädagoge (FH), tätig als Dozent am Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Gallen (Schweiz)
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Zitiervorschlag
Matthias Weber. Rezension vom 19.10.2015 zu:
Melanie Gräßer, Eike Hovermann jun.: Ressourcenübungen für Kinder und Jugendliche. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2015.
ISBN 978-3-621-28266-6.
Kartenset mit 60 Bildkartei. Mit 12-seitigem Booklet.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19336.php, Datum des Zugriffs 04.12.2023.
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