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Brian Milne: Rights of the Child

Rezensiert von Prof. Dr. Manfred Liebel, 20.10.2015

Cover Brian Milne: Rights of the Child ISBN 978-3-319-18783-9

Brian Milne: Rights of the Child. 25 Years After the Adoption of the UN Convention. Springer International Publishing AG (Cham/Heidelberg/New York/Dordrecht/London) 2015. 225 Seiten. ISBN 978-3-319-18783-9. 106,99 EUR.

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Thema

Seit Annahme der Konvention über die Rechte des Kindes durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1989 sind zahlreiche Schriften entstanden, die sich mit Kinderrechten befassen. Darunter befinden sich einerseits Publikationen, die die Kinderrechtskonvention einem breiteren Publikum, zum Teil auch Kindern selbst, näher zu bringen versuchen. In diesen Schriften wird die wichtigste Herausforderung darin gesehen, die Grundgedanken der Kinderrechte in Gesellschaft und Politik zu verankern und ihre Umsetzung im täglichen Handeln zu befördern. Eine andere, eher wissenschaftliche Art von Publikationen setzt sich mit dem Entstehungsprozess der UN-Kinderrechtskonvention, den dabei wirksam gewordenen Einflüssen, ihrem Universalanspruch und ihrer Bedeutung als Teil des internationalen Systems der Menschenrechte auseinander. Neben Untersuchungen aus juristischer Perspektive, die sich z.B. mit der rechtlichen Interpretation und nationalstaatlichen Geltung der Konvention oder einzelner Artikel befassen, finden sich Studien, die die Konvention und die darauf sich berufende oder davon stimulierte Praxis von Staaten und nicht-staatlichen Akteuren aus soziologischer, philosophischer, ethischer oder historischer Perspektive beleuchten.

Was bisher unzureichend konzipiert bleibt, ist eine interdisziplinäre Kinderrechtsforschung, die alle Aspekte der Kinderrechte mit der konkreten Lebenssituation von Kindern in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen verbindet. Das hier zu rezensierende Buch lässt sich als Herausforderung für eine solche Forschung verstehen.

Entstehungshintergrund

Das Buch ist die persönlich gehaltene Bilanz eines Autors, der seit den 1980er-Jahren in den Entstehungsprozess der Kinderrechtskonvention involviert war und sich seitdem immer wieder an den Kinderrechtsdebatten in verschiedenen Teilen der Welt beteiligt hat. Brian Milne hatte kurz vor Annahme der Konvention gemeinsam mit Judith Ennew ein Buch mit dem Titel „The Next Generation. Lives of Third World Children“ veröffentlicht, in dem ein damals ungewöhnliches Bild von Kindern in der „Dritten Welt“ gezeichnet worden war. Statt Mitleid einzufordern oder die Rettung dieser Kinder zu beschwören, wurde gefordert, ihnen mit Respekt zu begegnen und eine Sichtweise zu überwinden, die in den Kindern nur defizitäre und hilflose Wesen sieht. (Eine gekürzte Fassung des Buches war 1991 auch in deutscher Übersetzung erschienen, allerdings war der vom Verlag gewählte Titel „Kinder, die nicht Kind sein dürfen“ der mit dem Buch verfolgten Absicht alles andere als angemessen.) Um einen solchen Wandel zu fördern, plädierten Ennew und Milne für eine Perspektive, die die Kinder als Subjekte eigener Rechte anerkennt und ihnen Möglichkeiten eröffnet, an der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse aktiv mitzuwirken. Die Notwendigkeit einer solchen Perspektive hatten sie mit konkreten Fallstudien aus 12 Ländern untermalt.

Im dem nun erschienenen Buch wird dargestellt, was aus diesen Erwartungen und Hoffnungen geworden ist und inwieweit die UN-Kinderrechtskonvention dazu beigetragen hat. Es war als gemeinsame Bilanz der Entwicklung der Kinderrechte seit dem Erscheinen des früheren Buches konzipiert worden, doch der unerwartete Tod von Judith Ennew im Oktober 2013 zwang Brian Milne, es allein zum Abschluss zu bringen. Mit dem Buch will der Autor auch an das Leben und die Verdienste seiner Kollegin und früheren Lebensgefährtin als Forscherin und Kinderrechtsaktivistin erinnern. Judith Ennew hatte sich in ihren letzten Lebensjahren insbesondere für Kinder unterdrückter Minderheiten in Südostasien eingesetzt und hierzu die Kinderrechtsorganisation „Knowing Children“ gegründet.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht aus neun Kapiteln.

Im einleitenden ersten Kapitel stellt Brian Milne die Entstehungsgeschichte des Buches dar und erläutert, wie er und Judith Ennew die 25 Jahre seit Annahme der UN-Kinderrechtskonvention erlebt und wahrgenommen haben.

Im zweiten Kapitel („Signed, Ratified but Not Understood“) konstatiert der Autor, dass die UN-Kinderrechtskonvention vielfach nur selektiv aufgegriffen und insbesondere die den Kindern in dieser Konvention erstmals zugebilligten Partizipationsrechte unzureichend beachtet und umgesetzt worden seien. Die „Bewegung“ von einer Perspektive, die den Kindern „helfen“ will, zu einer Perspektive, die die Rechte der Kinder achtet, sei „unvollendet“ geblieben. Insbesondere eigenständige soziale Bewegungen von Kindern, die er am Beispiel der Bewegungen arbeitender Kinder veranschaulicht, seien in ihrer Bedeutung nicht genügend verstanden und kaum gehört und gefördert worden.

Im dritten Kapitel („Signed, Ratified but Not Implemented“) kritisiert der Autor, bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention sei meist von einem Kindheitsbild ausgegangen worden, das die Kinder als noch nicht ausreichend entwickelte Wesen betrachte und ihrer „Wohlfahrt“ und ihrem „Schutz“ mehr Beachtung schenke als ihrem Handlungsvermögen (Agency). Dabei seien zu wenig die konkreten Lebensverhältnisse der Kinder und die kulturspezifischen Eigenheiten kindlicher Entwicklung beachtet worden, die manche der „im Westen“ als „normal“ vorgestellte Entwicklungswege obsolet erscheinen lasse.

Im vierten Kapitel („‚It´s a Lie. They Didn´t Ask Us‘“) erinnert der Autor daran, dass die Kinderrechtskonvention ohne Beteiligung von Kindern zustande gekommen sei. Zwar würden inzwischen oft die „Stimmen der Kinder“ beschworen und es gäbe auch mehr Events, bei denen Kinder zugegen seien, aber ihren Stimmen seien meist bloße Dekoration und sie hätten keine erkennbaren praktischen Auswirkungen auf die Entscheidungen der Erwachsenen.

Im fünften Kapitel („Hijacked Agendas“) setzt sich der Autor damit auseinander, dass Kinder oft mit bestimmten Ausdrücken bezeichnet werden, die den Eindruck erwecken, die Kinder würden sich in ihrem Wesen von anderen Kindern unterscheiden. Dies führe zu Abstempelungen mit diskriminierenden Folgen. Judith Ennew hatte in diesem Zusammenhang von „children out of place“ gesprochen. Milne nennt als Beispiele die Rede von „Straßenkindern“ und „Kindersoldaten“. Ihre Konstruktion zu Kindern „jenseits der Normalität“ widerspreche dem Geist der Kinderrechtskonvention.

Im sechsten Kapitel („Meaningless Phrases“) beklagt der Autor, die mit der Kinderrechtskonvention entstandene „neue Sprache von Kinderrechten“ sei inzwischen weitgehend zu leeren Formeln erstarrt. Sie ließen Kinderrechte als etwas erscheinen, das nur „top down“ gehandhabt werden könne. Es gehe kaum noch darum, die Rechte mit dem Leben der Kinder zu verbinden, sondern ihr Leben an vermeintlich fraglosen Normen zu messen. Dies habe unter anderem zur Folge, dass die Kinderrechte den Kindern fremd bleiben und von ihnen nicht in Anspruch genommen werden.

Im siebten Kapitel („There Is No Such Thing As Children´s Rights“) bezweifelt der Autor, ob sich seit der Genfer Erklärung der Rechte des Kindes aus dem Jahr 1924 wirklich ein Verständnis von Kinderrechten als Rechte, die Kinder selbst in Anspruch nehmen können, durchgesetzt habe. Zwar würden in der UN-Konvention von 1989 die Kinderrechte nicht nur als Verpflichtungen von Staaten oder erwachsenen Menschen verstanden, sondern auch als subjektive Rechte der Kinder, doch in der Praxis sei es weitgehend dabei geblieben, Rechte als etwas zu verstehen, das Erwachsene zugunsten der Kinder handhaben. Es würde auch zu wenig beachtet, dass Kinderrechte nicht Sonderrechte für Kinder, sondern Menschenrechte seien, die auch und im Besonderen für Kinder gelten.

Im achten Kapitel („Childhoods Past“) greift der Autor die Fallstudien aus dem mehr als 25 Jahre zuvor entstandenen Buch auf und fragt, was sich in den seinerzeit untersuchten Ländern inzwischen geändert habe. Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Manches im Leben der Kinder sei besser geworden, aber dies bleibe weit hinter den Hoffnungen und Erwartungen zurück, die er und Judith Ennew damals gehabt hätten, und es sei ungewiss, ob die Verbesserungen dauerhaft seien.

Das neunte Kapitel („Are Children´s Rights Worth Pursuing?“) besteht mehr aus Fragen als aus Antworten und es soll ausdrücklich auch kein „Schlusswort“ (conclusion) sein. Der Autor hält es für absolut notwendig, das Projekt der Menschenrechte von Kindern weiter zu verfolgen, aber sie müssten stärker als solche Rechte verstanden und ausgeweitet werden, die aus Kindern vollwertige und gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger werden ließen („citizenship rights“). Außerdem müsse sich eine Forschung entwickeln, die sich an dem Recht der Kinder orientiere, mitzubestimmen, was und wie erforscht werden soll.

Im Anhang werden einige wichtige Kinderrechtsdokumente abgedruckt, neben den Kinderrechtsdeklarationen und -konventionen des Völkerbunds und der Vereinten Nationen samt Zusatzprotokollen auch eine Zusammenstellung der von Janusz Korczak in den 1920er-Jahren formulierten Rechte und die 1990 beschlossene Afrikanische Charta der Rechte und Wohlfahrt des Kindes.

Diskussion

Das Buch ist aus einer sehr persönlichen Perspektive geschrieben. Es ist aber nicht nur die subjektive Meinungsäußerung eines Autors, der sich mal eine Last von der Seele schreiben wollte, sondern basiert auf sehr genauen Kenntnissen der Kinderrechtsdiskussion und -praxis von mehr als 30 Jahren. Angesichts der Fülle an Einzelinformationen ist es nicht immer leicht, dem Autor zu folgen und den roten Faden des Buches im Auge zu behalten, aber dieser Nachteil wird mehr als wettgemacht durch eine sehr lebendige Darstellungsweise und scharfsinnige Argumentation.

Einige Kritikpunkte seien angemerkt. Das achte Kapitel, in dem der Autor die früheren Fallstudien aktualisiert, bleibt im Vergleich zu den anderen Kapiteln eigentümlich blass und ist wohl nur dem Bemühen geschuldet, den Faden zum früheren Buch nicht abreißen zu lassen. Auch hätte ich mir gewünscht, dass der Autor genauer die Debatte um „objektive“ und „subjektive“ oder „Wohlfahrts-“ und „Handlungsrechte“ der Kinder aufgegriffen und kommentiert hätte. Schließlich finde ich es bedauerlich, dass der Autor die Geschichte der Kinderrechte erst mit der Genfer Deklaration beginnen lässt und nur kurz andere historische Beiträge streift, in denen schon früher ein klares Verständnis von Kinderrechten als subjektiv in Anspruch zu nehmenden Menschenrechten formuliert wurde. Es ist gewiss verdienstvoll, in der Dokumentation die von Korczak konzipierten Kinderrechte aufgenommen zu haben, aber es ist misslich, dass andere gleichermaßen wichtige Beiträge nicht einmal erwähnt werden. Dazu rechne ich insbesondere die Moskauer Deklaration der Rechte des Kindes, die zu Beginn der Russischen Revolution in den Jahren 1917/18 entstanden war. Sie hat zwar ebenso wenig wie Korczaks Kinderrechte „Rechtskraft“ erlangt und ist bald im Keller der Geschichte verschwunden, aber sie lässt ein Verständnis von Kinderrechten sichtbar werden, dass weit über all die Rechte hinausgeht, die in „offiziellen“ Dokumenten seitdem verankert worden sind.

Demgegenüber möchte ich ausdrücklich hervorheben, dass das Buch zahlreiche Einblicke in wenig bekannte Details der Kinderrechtsdebatte der letzten 25 Jahre vermittelt, z.B. die sich wandelnde Rolle von UNICEF, des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, oder interne Kontroversen in den UN-Gremien um die Beteiligung von Kindern. Dem Buch ist deutlich anzumerken, dass der Autor über einen reichen Schatz von Erfahrungen in dem von ihm behandelten Gebiet besitzt. In ihm kommt ein Mensch zum Vorschein, der die vergangenen 30 Jahre als einen intensiven Lernprozess erfahren hat, an dem er die Leserinnen und Leser nun über das Buch teilhaben lässt.

Fazit

Eine lebendige, aus persönlicher Perspektive geschriebene Bilanz der Kinderrechtsdebatten der vergangenen 25 Jahre, die dazu anregt, sich Gedanken über die weitere Ausgestaltung der Menschenrechte von Kindern zu machen.

Rezension von
Prof. Dr. Manfred Liebel
Master of Arts Childhood Studies and Children’s Rights (MACR) an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften
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Es gibt 104 Rezensionen von Manfred Liebel.

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Zitiervorschlag
Manfred Liebel. Rezension vom 20.10.2015 zu: Brian Milne: Rights of the Child. 25 Years After the Adoption of the UN Convention. Springer International Publishing AG (Cham/Heidelberg/New York/Dordrecht/London) 2015. ISBN 978-3-319-18783-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19365.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.


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