Anja Reuss: Kontinuitäten der Stigmatisierung
Rezensiert von Mag. Tobias Neuburger, 01.06.2016

Anja Reuss: Kontinuitäten der Stigmatisierung. Sinti und Roma in der deutschen Nachkriegszeit. Metropol-Verlag (Berlin) 2015. 251 Seiten. ISBN 978-3-86331-240-4. D: 19,00 EUR, A: 19,60 EUR, CH: 27,50 sFr.
Thema und Autorin
In dieser Arbeit über das Fortleben des Antiziganismus im postnazistischen Deutschland untersucht Anja Reuss nicht nur Kontinuitäten behördlicher Diskriminierung und polizeilicher Repression, sondern beleuchtet zudem deren Auswirkung auf Lebensrealität und Alltag der Überlebenden Sinti und Roma und das Zusammenleben von Minderheit und Mehrheit.
Die Studie, die auf einer 2013 an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichten Magisterarbeit basiert, konzentriert sich schwerpunktmäßig auf die unmittelbare Nachkriegsphase alliierter Militärverwaltung von 1945 bis 1949.
Aufbau
Neben der für akademische Abschlussarbeiten obligatorischen Einführung in Forschungsstand und Klärung zentraler Begrifflichkeiten, gliedert sich das Buch in zwei große Abschnitte.
- In Kapitel 1 wird die Vorgeschichte des modernen Antiziganismus, die in der planmäßigen Vernichtung der europäischen Sinti und Roma und anderer als „Zigeuner“ verfolgter Gruppen kulminierte, dargestellt.
- Das umfangreiche und zentrale Kapitel 2 widmet sich dann den Kontinuitäten und Brüchen der Stigmatisierung nach 1945. Reuss untersucht hier die psychologischen und traumatischen Folgen der NS-Verfolgung, die rechtliche Situation und die Lebensrealitäten der Überlebenden, das Verhältnis von Mehrheitsgesellschaft und Minderheit sowie das Fortleben von Diskriminierung und Repression durch polizeiliche und kommunalpolitische Akteure.
Zu Kapitel 1
In Kapitel 1, das die historiografischen Grundlagen der Studie beleuchtet, weist Reuss einführend auf den zentralen Sachverhalt hin, dass das hegemoniale ‚Zigeuner‘-Bild stets Konstruktionscharakter aufweist. Sie betont, dass dieses „eine Fülle von Stereotypen, Bildern und Motiven“ umfasst, „die sich in der Ambivalenz von Aggression und Faszination, Grauen und Schönheit bewegen“ (S. 32).
Die Radikalisierung antiziganistischer Diskriminierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht nach Reuss, wie für die meisten Vertreter_innen der zeitgenössischen Antiziganismusforschung, in Zusammenhang mit „dem Aufkommen der europäischen Nationalbewegungen“, in deren Zuge Sinti und Roma „zum Gegenpol der eigenen Identität und als solche zum Ordnungs- und Sicherheitsproblem“ (S. 38) stilisiert wurden. Reuss skizziert hier in groben Zügen die ‚Zigeunerpolitik‘ von Kaiserreich und Weimarer Republik, die sich allmählich durch gesetzgeberische Maßnahmen gegen Sinti, Roma und weiterer als ‚Zigeuner‘ stigmatisierter Gruppen und durch Systematisierungsversuche polizeilicher Maßnahmen radikalisierte. (vgl. S. 38-47)
Auf wenigen Seiten (vgl. S. 47-62) stellt Reuss die zentralen Wegmarken der NS-Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Sinti und Roma exemplarisch dar und unterstreicht den rassistischen Charakter der Verfolgung und des Genozids, der nicht nur in den politischen und juristischen Debatten der deutschen Nachkriegsgesellschaft lange geleugnet wurde, sondern insbesondere in der Forschung bis heute kontrovers diskutiert wird.
Zu Kapitel 2
In Kapitel 2, dem zentralen 150 Seiten starken Kapitel der Studie, beschreibt Reuss zunächst die Ausgangssituation für die Überlebenden nach der militärischen Befreiung durch die Alliierten und ergänzt in ihrer Darstellung „die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse durch Erinnerungsberichte von Überlebenden“ (S. 63). Diese Erweiterung durch biographische Zeugnisse bindet die zeithistorischen Erkenntnissen an konkrete Personen zurück und lässt die Situation mit der die Überblenden nach ihrer Befreiung konfrontiert waren, besser greifbar werden.
Emotionen wie Angst und Skepsis – auch vor den (uniformierten) Befreiern – waren beherrschende Gefühlszustände für die befreiten Sinti und Roma. Gerade die Angst, abermals der Freiheit beraubt zu werden, trieb viele Überlebende dazu an, aus den DP-Camps und Auffanglagern der Alliierten zu flüchten. (vgl. S. 65-72) Nach der Rückkehr in die Heimatorte sah sich der Großteil der Überlebenden um ihr Eigentum gebracht und stand vor dem Nichts. (vgl. S. 72-80) Anhand biografischer Zeugnisse illustriert Reuss die physischen und psychischen (Spät-) Folgen der Verfolgung: neben körperlichen Schäden erlitten die Überlebenden insbesondere Traumatisierungen und psychische Folgeerkrankungen. Schwerwiegend wirkten sich zudem die massenhaft durchgeführten Zwangssterilisationen und Menschenversuche auf die körperliche und psychische Gesundheit aus. (vgl. S. 80-87)
Um in der Nachkriegsphase an überlebensnotwendige Dinge, wie Lebensmittelkarten, Wohnungen oder Bezugsscheine zu gelangen, benötigten die befreiten Häftlinge und Zwangsarbeiter Dokumente, die ihnen von den Alliierten ausgestellt wurden. Obwohl in diesen sog. „KZ-Ausweisen“ für Sinti und Roma häufig die Nationalität „deutsch“ angegeben wurde, zeigte sich „die deutsche Verwaltung voreingenommen und abweisend“ und „stellte strenge, kaum zu erfüllende Anforderungen“ (S. 88), um den Nachweis der deutschen Staatsbürgerschaft zu führen. Vielfach weigerten sich die deutschen Behörden, die deutsche Staatsbürgerschaft an Sinti und Roma wieder zu vergeben, die per Gesetz 1943 annulliert worden war. Mitunter entzogen sie gar Identifikationspapiere, die von den Alliierten ausgestellt worden waren und machten sie damit zu Staatenlosen. Keine Identitätspapiere zu besitzen bedeutete, stets Gefahr zu laufen, einfach ins Ausland abgeschoben zu werden. Nicht über die notwendigen Dokumente und Papiere zu verfügen, zog zudem mit fast schon zwangsläufiger Konsequenz die Übertretung von Gesetzen – und damit fortgesetzter Stigmatisierung und Diskriminierung – nach sich. (S. 88-99)
In dem Unterkapitel „Lebensverhältnisse nach 1945“ widmet sich Reuss Fragen nach staatlicher Unterstützungs- und Fürsorgeleistung, die „eng mit der politischen Anerkennung als NS-Verfolgte verknüpft“ (S.99) war. Zudem beleuchtet sie die konkrete Wohn-, Arbeits- und Familiensituation der überlebenden Sinti und Roma. Finanzielle Unterstützung durch die kommunalen KZ-Betreuungsstellen wurde Sinti und Roma nur widerwillig zuteil. Da sie nicht als ‚wahre‘ Verfolgte betrachtet wurden, fielen entsprechend auch Fürsorgeleistungen und Hilfszahlungen geringer aus oder wurden gar ganz abgewiesen. (vgl. S. 101) Zuständige Behörden, so Reuss, entzogen sich in aller Regel ihrer Verantwortung. Die Entschädigungsverfahren glichen einer „entwürdigen Prozedur“ (S. 106) und geltend gemachte Ansprüche wurden teilweise mit offen „rassistischen, biologistschen und diskriminierenden Argumentationen“ (S.107-108) zurükgewiesen. „[E]chte Hilfe“ fanden die Überlebenden fast ausschließlich „untereinander und innerhalb des Solidarsystems Familie“ (S. 111).
Im Gegensatz zu anderen Opfergruppen verfügten Sinti und Roma über keine vergleichbaren Verfolgten- und Interessenverbände, die die Anerkennung als NS-Verfolgte erfolgreich hätten durchsetzen können. (vgl. S. 111-113) In den kommunalen Hilfsausschüssen der „Ämter für Wiedergutmachung“ der Westzone, die hauptsächlich mit ehemals politischen und jüdischen Häftlingen besetzt wurden, waren Sinti und Roma – wie auch sog. „Asoziale“, „Kriminelle“ oder auch Homosexuelle – nicht vertreten. (vgl. S. 114) Nicht nur bei den deutschen Nachkriegsbehörden, sondern auch innerhalb der Verfolgtenverbände lebten antiziganistische Vorurteile fort. Dies illustriert Reuss anhand bezeichnender Stellungsnahmen durch VVN-Vertreter, die Sinti und Roma, unter Rückgriff auf tradierte antiziganistische Topoi, asoziale und kriminelle Wesenszüge unterstellten. (vgl. S. 115) Auch wenn für die Alliierten die Verfolgungspraxis gegenüber Sinti und Roma eindeutig von einem rassistischen Charakter geprägt war, „vertraten die deutschen Behörden, wie auch viele ehemalige politische Gefangene, die Ansicht, es handele sich bei den Sinti und Roma nicht um gleichberechtigte Opfer.“ (S. 116) Viele Überlebende resignierten vor dem Fortleben des Antiziganismus in den deutschen Amtsstuben und der Tatsache, dass sie auch nach 1945 wie „Menschen zweiter Klasse“ (S. 128) behandelt wurden.
Wohnungen, Häuser oder Wohnwagen – letztlich ihr gesamtes Eigentum – wurde den Angehörigen der Minderheit im Nationalsozialismus geraubt. Entsprechend prekär und schlecht waren die Wohnverhältnisse nach der Befreiung. Die Vermittlung einer Unterkunft, auf die ehemalige KZ-Häftlinge Anspruch hatten, führte im Fall der Sinti und Roma selten zur tatsächlichen Vermittlung einer Wohnung (vgl. S. 129) – wobei Reuss darauf hinweist, dass „[d]ie wohnungspolitische Praxis in verschiedenen deutschen Städten und Gemeinden […] kein eindeutiges Schema erkennen“ (S. 131) lässt. Viele Kommunen und Städte verfolgten jedoch die Praxis, „die Lebensbedingungen […] so weit zu verschlechtern, dass die unliebsamen Bewohner alsbald freiwillig wegziehen würden.“ (S. 133)
Um die ökonomische Situation der Minderheit stand es nach Ende des zweiten Weltkrieges „deutlich schlechter als vor dem Krieg“ (S. 151). Die physischen und psychischen Folgen der Verfolgung verhinderten vielfach die Teilnahme am freien Arbeitsmarkt. Suchten die Überlebenden „ihr Auskommen im selbständigen (Wander-)Gewerbe, wurden sie mit staatlichen Disziplinierungsmaßnahmen überzogen.“ (S. 151) In diesen Fällen wurde auf tradierte antiziganistische Stereotype zurückgegriffen, die „selbständige Erwerbstätigkeit […] als Müßiggang und mangelnde Bereitschaft“ (S. 149) bewertete.
Nach der militärischen Befreiung Deutschlands war das familiäre Gefüge der Sinti und Roma zerstört. Die Gründung neuer Familien stellte für viele Überlebende eine Art „Andenken“ an ermordete Angehörige dar. (vgl. S. 153) Doch eine erneute Familiengründung war den vielen Opfern von Zwangssterilisationen versagt und hatte mitunter zur Folge, dass diese auch mit sozialer Isolation innerhalb der eigenen community zu kämpfen hatten. (vgl. S. 154) Elternschaft, Kinder zu bekommen und die Gründung einer neuer Familie, darauf weist Reuss explizit hin, stellte für viele Überlebende unterschiedlicher Verfolgtengruppen eine Möglichkeit dar, in die „Normalität“ alltäglichen Lebens zurückzukehren und sollte daher nicht monokausal auf angebliche kulturelle Besonderheiten der ohnehin heterogenen Minderheit der Sinti und Roma zurückgeführt werden. (vgl. S. 156)
Das Unterkapitel „Zusammenleben mit der Mehrheitsgesellschaft“ widmet sich sowohl der von Antiziganismus geprägten Haltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft als auch umgekehrt der Haltung der überlebenden Sinti und Roma der deutschen Mehrheitsbevölkerung gegenüber. Letztere waren primär von der eigenen Verfolgungserfahrung und damit zentral von Misstrauen und Skepsis geprägt. (vgl. S. 157) Die Tatsache, dass die Verfolger nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, führten, wie Reuss unter Bezugnahme auf biographische Dokumente zeigt, auch zu Ablehnung und Aggression gegenüber der Mehrheitsbevölkerung. Vereinzelt artikulierten sich auch „Rachegelüste“ und Vergeltungswünsche für das an ihnen begangene Unrecht. (vgl. S 58) Eine häufige Strategie, die Reuss beim Umgang mit der Mehrheitsbevölkerung konstatiert, ist das Verschweigen der eigenen Verfolgung – nicht zuletzt um erneute Diskriminierung zu verhindern und bruchlos dazugehören zu können. (vgl. S. 159-161) Unabhängig davon, welche Verhaltensstrategien die Überlebenden an den Tag legten, sie folgten stets der Logik „Diskriminierung und Ausgrenzung zu verringern.“ (S. 164)
In der nachkriegsdeutschen Öffentlichkeit wurden Sinti und Roma nicht als echte Opfer nationalsozialistischer Verbrechen und Verfolgung wahrgenommen. Tradierte und langlebige Vorurteile spielten auch nach Kriegsende „in der Bewertung ihrer Verfolgungsgeschichte“ (S. 167) eine gewichtige Rolle. Häufig findet sich das Narrativ, das die NS-Maßnahmen gegen Sinti und Roma zu legitimen Maßnahmen polizeilicher Strafverfolgung verklärt – und damit die Verfolgten letztlich selbst Schuld an der eigenen Verfolgung seien. Unter Rückgriff auf das klassische Repertoire antiziganistischer Stereotype, wurde gar behauptet, Sinti und Roma würden sich die Entschädigungsleistungen mit unlauteren und betrügerischen Mitteln erschleichen. Obwohl der Antiziganismus nach 1945 weder radikal in Frage gestellt noch wirksam gesellschaftlich geächtet wurde, bildete sich eine neue Form des Antiziganismus heraus, „die sich direkt auf die Verfolgung während des Nationalsozialismus bezog.“ (S. 174) Zudem kam es „auf kommunikativer sowie gesetzgeberischer Ebene zu einer Reihe von semantischen Verschiebungen“ (S. 171). Belastete Begriffe, die einen unmittelbaren Link zum ideologischen Erbe des Nationalsozialismus herstellten, wurden durch vermeintlich neutrale ersetzt. So wurde die Bezeichnung „Zigeuner“ in Gesetzestexten, Verordnungen oder Urteilen häufig durch „Landfahrer“ ersetzt.
Eine gängige Handlungsform der Mehrheitsbevölkerung gegenüber der Minderheit war die Denunziation. So zeigt Reuss, dass in der Nachkriegszeit häufig anonyme Beschwerden aus der unmittelbaren Nachbarschaft über Sinti und Roma an Behörden gerichtet wurden, die von „Neid, Missgunst und Feindseligkeit“ (S. 184) geprägt waren. Diese Denunziationen zeugen von dem bruchlosen Fortleben eines alltäglichen Antiziganismus. Teilweise gingen die Denunziationen gar von Organisation wie dem Verband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aus, die „einen Schaden für ihre Organisationen und deren Ansehen befürchteten und sich als Widerstandkämpfer von anderen Verfolgtengruppen abheben wollten“ (S. 184). Ein leichtes Ziel für Denunziationen, so vermutet Reuss, waren Sinti und Roma insbesondere aufgrund ihrer marginalisierten gesellschaftlichen Stellung. Die Denunzianten konnten zudem auf Einverständnis mit den Mitarbeitern in Behörden und Verbänden bauen. (vgl. S. 185)
In dem Unterkapitel zur Diskriminierung und zu Verfolgungsmaßnahmen nach 1945 widmet sich Reuss der Darstellung polizeilicher und kommunaler Maßnahmen, die die Minderheit adressierten. Die polizeiliche Arbeit zielte nach 1945 bereits unter alliierter Besatzung darauf ab, Sinti und Roma abermals einer umfassenden Sondererfassung zu unterwerfen. Um sich jedoch nicht des Vorwurfs rassistischer Sondermaßnahmen vonseiten der Alliierten auszusetzen, „gebrauchten die Behörden nun offiziell den Begriff Landfahrer.“ (S. 194) Die Sonderkarteien über Sinti und Roma, die durch die deutschen Polizeibehörden angelegt wurden, basierten nicht selten auf NS-Akten, Deportationsunterlagen, auf Rassegutachten der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) und teilweise sogar auf erkennungsdienstlichen Besonderheiten, wie eintätowierte KZ-Nummern. (vgl. S. 195-196) Noch unter alliierter Militärverwaltung drängte die deutsche Polizei auf eine Zentralisierung der Maßnahmen gegen Sinti und Roma – doch sowohl Zentralisierung als auch Radikalisierung der polizeilichen Praxis und Maßnahmen, „fand erst nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland statt.“ (S. 197)
Auch auf kommunaler Ebene wurde bereits unter alliierter Verwaltung von den Exekutivorganen ein kompromissloser Umgang mit der Minderheit eingefordert. Den kommunalen Behörden waren unter alliierter Besatzung jedoch in vielfacher Hinsicht die Hände gebunden, um eine konsequente Verdrängungs- und Vertreibungspolitik zu betreiben. (vgl. S. 202-203) Dennoch „griffen die Gemeinden im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu verschiedenen diskriminierenden Maßnahmen“ – so entfernten beispielsweise „Meldebehörden Personen, die sich auf Reisen befanden, einfach binnen kürzester Zeit aus dem Einwohnerregister.“ (S. 204) Durch die restriktive Vergabe und Verweigerung von Aufenthaltsgenehmigungen, versuchten die Kommunen die Niederlassung von Sinti und Roma zu verhindern und jene, die bereits ansässig waren, zu vertreiben. (vgl. S. 208) Diese und ähnliche Maßnahmen zur Drangsalierung der Minderheit wurden, nachdem die ersten „Nachkriegswirren“ (S. 201) verflogen waren, intensiviert und forciert. Ziel war stets den Zuzug zu verhindern und ansässige Sinti und Roma zum Wegzug zu bewegen.
Diskussion und Fazit
Reuss´ Studie basiert auf breitem Fundus unterschiedlichster Quellentypen: Neben der Verarbeitung einschlägiger wissenschaftlicher Literatur baut ihre Untersuchung zentral auf autobiogarfischen Quellen sowie „personenebzeogene[n] Akten“ (S. 24) auf. Sie ist nicht zuletzt deshalb ein wertvoller Beitrag zur Erforschung des Nachkriegsantiziganismus, da hier nicht nur einseitig die Diskriminierungspraktiken mehrheitsgesellschaftlicher Subjekte und Akteure in den Blick genommen werden, sondern darüber hinaus auch die unmittelbaren Auswirkungen auf Angehörige der Minderheit in den Fokus genommen werden. Auf diese Weise wird die Verfolgungsgeschichte um die wichtige Dimension einer Subjektgeschichte erweitert, die nicht bei der Betrachtung handelnder Akteure der Diskriminierung stehen bleibt. Damit werden auch jene Subjekte in den Mittelpunkt der Forschung gerückt, gegen die sich die antiziganistische Diskriminierung letztlich richtet. Diese perspektivische Erweiterung ist in der Antiziganismusforschung schon längst überfällig und wird von Reuss überzeugend eingelöst.
Rezension von
Mag. Tobias Neuburger
Stiftung niedersächsische Gedenkstätten
Projekt „Kompetent gegen Antiziganismus/Antiromaismus (KogA) in Geschichte und Gegenwart“
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