Thomas Kron: Reflexiver Terrorismus
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Frindte, 11.01.2016

Thomas Kron: Reflexiver Terrorismus. Velbrück GmbH Bücher & Medien (Weilerswist) 2015. 510 Seiten. ISBN 978-3-95832-055-0. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR, CH: 66,90 sFr.
Thema
Islamistische Terroristen haben am 13. November 2015 in Paris mehrere Veranstaltungen und Vergnügungsorte angegriffen und weit mehr als einhundert Menschen getötet. „Was sich gestern ereignet hat, ist ein Kriegsakt“, sagte der französische Präsident François Hollande einen Tag nach den terroristischen Angriffen (vgl. auch: Neue Züricher Zeitung – online). Wie auch immer man den Rückgriff auf eine Kriegsrhetorik interpretieren mag, – der französische Politik- und Islamwissenschaftler Olivier Roy hält sie für peinlich (auch: Roy, 2015) – offensichtlich scheint: Die fanatischen Mörder, ob sie Anhänger vom „Islamischen Staat“ sind oder zu Al Qaida, Al Shabab oder Boko Haram gehören, führen Krieg gegen die Wert- und Lebensvorstellungen der demokratischen Gesellschaften. Aber sind diese demokratischen Gesellschaften nicht auch Teil des transnationalen Terrorismus, weil sie diesen quasi an ihrer Brust genährt haben, oder, weniger metaphorisch gefragt: war und ist der transnationale Terrorismus nicht Teil bzw. Gegensatz der globalen Widersprüche, die nicht zuletzt durch die westliche Welt und deren Politik in Bewegung gehalten werden? Globale Risiken, wie die Bedrohungen durch den transnationalen Terrorismus, sind keine Katastrophen, die bereits stattgefunden haben, sondern Inszenierungen und die Vorwegnahme künftigen Unheils. Darauf hat der unvergessene Ulrich Beck (siehe auch: Schnurer, 2007) vor einiger Zeit eindringlich aufmerksam gemacht. Die Inszenierung des Terrorismus zeigt sich nicht nur in spektakulären Gewaltakten oder Videobotschaften der Terroristen. An der Inszenierung des Terrorismus sind die Terroristen, ihre Netzwerke und Sympathisanten ebenso beteiligt wie die politischen Strategen, die wissenschaftlichen Beobachter, die bedrohte Bevölkerung und nicht zuletzt die Medien. Nur so erhält der Terrorismus seine Form und kann seine Wirkung entfalten (vgl. auch Frindte & Haußecker, 2010). Das heißt aber auch, die landläufig in der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit genutzten zweiwertigen Unterscheidungen in „gut“ versus „böse“ oder „der Westen“ versus „der Islam“ funktionieren nicht mehr. Die bipolare Weltordnung (Beck, 2007, S. 82) ist spätestens seit 1989 zusammengebrochen und die bis dato genutzten Sprachspiele werden zwar noch gespielt, sind für die Analyse der komplexen globalen Risikolagen aber ungeeignet.
Das ist auch der Ausgangspunkt des Buches, das an dieser Stelle zu besprechen ist. Sein Autor, Thomas Kron konstatiert in der Mitte des Buches: „Wenn wir Bürger der westlichen Moderne eingestehen müssen, den transnationalen Terrorismus selbst mit verursacht zu haben und sei es mittels transintentionaler Geschehen, dann ist vieles von dem in Frage gestellt, was die sozialkulturell verankerten Deutungs- und Bewertungsmuster westlich-moderner Gesellschaften ausmacht“ (S. 221). Wie die neuen, u.U. passfähigeren Interpretationsmuster aussehen könnten, wird im vorliegenden Buch umfangreich geprüft und dargestellt.
Autor
Auf Wikipedia (der Rezensent vertraut der Quelle) ist zu u.a. zu lesen: Thomas Kron studierte von 1992 bis 1997 Soziologie, Politologie und Medienwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und war anschließend Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Im Jahre 2000 promovierte Thomas Kron an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und 2005 habilitierte er an der Fernuniversität Hagen. Seit 2007 lehrt er an RWTH Aachen als ordentlicher Professor für Soziologie. Eines seiner Spezialgebiete ist die fuzzy-logische Modellierung der Systemtheorie von Niklas Luhmann. Mit der soziologischen Interpretation des transnationalen Terrorismus beschäftigt sich Kron seit 2005 (siehe auch Kron & Reddig, 2007; Rezension).
Vorwort, Einleitung und Aufbau
Das Buch startet mit einem Vorwort von Ulrich Beck, das er nach der Lektüre des Buchmanuskripts im Jahre 2013 geschrieben hat. Beck lobt das Buch vor allem auch deshalb, weil Thomas Kron die Becksche Idee von der Weltrisikogesellschaft und dem methodologischen Kosmopolitismus als konzeptionellen Rahmen für die Analyse des reflexiven Terrorismus nutzt und erweitert. Übrigens: Leserinnen und Leser, die eine nachvollziehbare Erklärung für den Titel des Buches suchen, benötigen einen langen Atem bzw. ein gehöriges Maß an Lesegeduld. Erst auf Seite 300 liefert Thomas Kron eine solche Erklärung, die der Rezensent bereits an dieser Stelle und ausführlich zitiert, da sich daraus sowohl die Beckschen Kernideen (s.o.) und die Luhmannschen Grundgedanken (der doppelten Kontingenz) als auch die komplexe Dialektik (so nennt es zumindest der Rezensent) erschließen, auf deren Basis der Autor seine Theoriearbeit betreibt: „Die Antizipation möglicher Risiken terroristischer Anschläge vor allem in den westlichen Staaten und die Antizipation der Risiken durch die ‚Staatsterroristen‘ in der Perspektive der selbsternannten Freiheitskämpfer, die wir Terroristen nennen, setzt auf beiden Seiten Aktionen in Gang, auf welche die andere Seite wiederum reflexiv reagiert. Die Reaktionen selbst werden als Risiken antizipierbar. Hier ist eine Hauptthese dieses Buches angelegt: Der doppeltkontingente Prozess von Antizipation, Reaktionen, Lernen und wiederum Antizipation führt unter komplexen Bedingungen zu einer wechselseitigen Anpassung der handlungsleitenden Strategien aneinander“ (S. 300, im Original hervorgehoben).
Nach dem Vorwort folgt eine kurze Einleitung, die es in sich hat. Thomas Kron behauptet zunächst, dass die in der Soziologie und in den Sozialwissenschaften generell verwendete Logik der Theorien zu nicht befriedigenden bzw. gar falschen Erkenntnissen über den transnationalen Terrorismus führe (S. 13). Das Grundproblem dieser Theorielogik bestehe in der dichotomen Unterscheidung eines Entweder-Oder. Notwendig sei hingegen eine Sowohl-als-auch-Anschauung als basale Theorielogik. „Diese Behauptung, die herkömmliche Sichtapparatur genüge nicht zur Analyse des transnationalen Terrorismus, zwingt dazu, eine logische Alternative in Anschlag (zu) bringen“ (S.13). Diese etwas „wehrsportliche“ Formulierung (Leserinnen und Leser mögen bitte nachsichtig mit der Wortwahl des Rezensenten sein) zeigt, was Thomas Kron beabsichtigen könnte: „eine soziologische Kulturrevolution“ (S. 14).
Die Methodologie eines solchen Versuches gründet auf dem methodologischen Kosmopolitismus im Sinne von Ulrich Beck und wird im Teil A des vorliegenden Buches sehr ausführlich entfaltet. Im Teil B finden Leserinnen und Leser dann die theoretischen Argumente, auf die sich der Titel des Buches bezieht und derentwegen der Rezensent erpicht war, das Buch zu besprechen.
Zu Teil A
Nun also zuerst zum Teil A des Buches, der knapp 200 Seiten umfasst und in dem Leserinnen und Leser nur sehr wenig über den transnationalen Terrorismus erfahren. Stattdessen wird in drei Kapiteln eine Methodologie zur sozialwissenschaftlichen Beobachtung komplexer, unscharfer, chaotischer, hybrider und letztlich widersprüchlicher sozialer Systeme entwickelt. Nach Ulrich Beck geht es bei einer solchen Methodologie nicht um exklusives, sondern um inklusives Unterscheiden. Das heißt, die Welt und in diesem Falle soziale Systeme werden nicht mit Hilfe von Gegensatzpaaren beobachtet (z.B. „der Westen“ versus „der Islam“; vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Beobachtung sozialer Beschaffenheiten unscharf ist und sein muss und soziale Bedeutungen zugleich auch ihr Gegenteil implizieren können.
Das Kapitel 1 („Methodologische Überlegungen“) dürfte für sozialwissenschaftliche Komplexitätsforscher/innen und Luhmannianer ein Highlight und von besonderem Interesse sein. Nicht nur die Komplexität des Sozialen wird verhandelt, es geht auch um eine „selbstorganisiert-kritikale Weltrisikogesellschaft“. Darunter versteht Thomas Kron in Erweiterung der Ideen von Ulrich Beck nicht nur die Globalisierung der selbsterzeugten Großrisiken, sondern ein globales und offenes System, das ohne exogene Intervention „immer wieder in den kritikalen Zustand“ S. 35; Hervorh. im Original) zurückfällt. Das heißt, die Weltgesellschaft erzeugt nicht nur selbst ihre globalen Risiken, sondern rangiert sich durch ihre globale Dynamik immer wieder in systemkritische und -bedrohliche Zustände. Derartig komplexe Systeme, die nicht nur im globalen Maßstab zu beobachten sind, sind hybrid (S. 65), was wiederum heißt, dass sie sich dichotomer Beobachtungskategorien entziehen. Allerdings, und auch das zeigt Thomas Kron an verschiedenen Beispielen, scheinen die Sozialwissenschaften hybride Beschaffenheiten in sozialen Systemen meist ausgeblendet und in dichotome (exklusive) Unterscheidungen gepresst zu haben.
Im Kapitel 2 („Methodologische Konsequenzen der selbstorganisiert-kritikalen Weltrisikogesellschaft“) zeigt Kron aber auch, dass sich die Soziologie zwar „schwer tut, fließende Grenzen zwischen Ordnung und Chaos zu modellieren“ (S. 115), den soziologischen Klassikern, wie etwa Georg Simmel oder Max Weber, die Problematik nicht unbekannt war (von Luhmann ganz zu schweigen). Aber: „Das Erbe der Soziologie ist ein dichotomes Denken“ (S. 162). Der Rezensent liest das betroffen, fühlt sich als Sozialpsychologe hingegen nicht getroffen und ist neugierig auf etwaige Reaktionen aus der soziologischen Community. Um Niklas Luhmann, geht es u.a. auch im Kapitel 3 („Zur Logik inklusiver Unterscheidungen“). Die Kritik der Luhmannschen Formtheorie nutzt Thomas Kron, um für ein fuzzy-logisches Unterscheiden und Interpretieren zu plädieren: „Eine derart fuzzy-logisch verstandene kultur- bzw. praxistheoretische Betrachtung scheint nun endlich den Hinweis zu erlauben, dass diese ebenfalls dem Phänomen des Terrorismus angemessen ist“ (S. 210). Das wird wohl so sein, auch wenn der Rezensent zwei Bedenken zu äußern sich erlaubt: Zum einen erscheinen ihm die vorgebrachten Argumente für eine fuzzy-logische Beobachtung des Terrorismus zwar durchaus dem Phänomen angemessen, aber bei weitem noch nicht operationalisierbar genug zu sein, wenn das Plädoyer für die Fuzzy-Logik sich nur darin erschöpfen sollte, „…graduelle Zugehörigkeiten, Vagheiten, Ambivalenzen, Ambiguitäten etc…“ in die Beobachtungen einzubeziehen. Zum zweiten musste der Rezensent an die vor vielen Jahren vom klugen Peter Ruben [1] vorgelegte und damals höchst umstrittene Definition eines dialektischen Widerspruchs denken: „Der dialektische Widerspruch ist die Eigenschaft jedes Konkretums K, bzw.: Für alle Konkreta K gilt: K ist (K und Nicht-K)“ (Ruben, 1980, S, 304). Mit anderen Worten – und dies war der Anreiz für die Erinnerung – im dialektischen Denken sieht der (nun ja, an Hegel und Marx geschulte) Rezensent eine wichtige Grundlage für die mit der Fuzzy-Logik verbundene und auf Unschärfen eingestellte Beobachtungsapparatur. Warum also nicht erst einmal den Terrorismus dialektisch betrachten und interpretieren?
Zu Teil B
Auch Teil B des Buches umfasst drei Kapitel, in denen es nun explizit um den Terrorismus als Teil der Weltrisikogesellschaft und um die Akteure im Risikogeschäft geht.
Das erste Kapitel in diesem Teil (Kapitel 4: „Terrorismus als Element der Weltrisikogesellschaft“) orientiert sich u.a. an den Stichworten und Vorgaben von Ulrich Beck (2007), von denen auch der Rezensent schon profitiert hat (z.B. Frindte, 2015); z.B.: „Inszenierter Terrorismus“ (S. 215ff.), „Terror als Antizipation“ (S. 219ff.) etc. Auch die „Komplexität des transnationalen Terrorismus“ (Unterkapitel 4.2.) ist bereits vielfach analysiert worden (vgl. z.B. Schneckener, 2007, der auch im Buch mehrfach gewürdigt wird). Thomas Kron gelingt es aber, sein im ersten Teil des Buches geschärftes Beobachtungsinstrumentarium passfähig und nachvollziehbar einzusetzen. Und das Ergebnis dieses Einsatzes soll noch einmal mit einem ausführlichen Zitat gewürdigt werden: „In einem ist der transnationale Terrorismus vom Typ Al-Qaida nicht nur strukturell, sondern auch prozessual ein komplexes, soziales Phänomen, welches genau jene Eigenschaften aufweist, die im ersten Teil dieses Buches als Merkmale komplexer Phänomene (Selbstähnlichkeit, Fraktalität, Skalenfreiheit, Pfadabhängigkeit, Nicht-Linearität usw.) herausgearbeitet wurden. Generell sind Akteure in derartig komplexen (Um-)Welten zur wechselseitigen Anpassung aneinander gezwungen. Geht man davon aus, dass diese Anpassung vor allem stressorisch erzwungen wird, dann wird eine Analyse der Strategie-Entwicklungen der relevanten Akteure notwendig. Im Falle des transnationalen Terrorismus liegt nahe, dass Al-Qaida als ein relevanter Akteur maximalem, Anpassungs- und Evolutionsvorgänge triggerndem Stress ausgesetzt ist, während der andere relevante Akteur, die USA, sich in einem Zustand erschöpfendem Dauerstress befinden“ (S. 303). Also es lohnt sich schon, die auf den vorangegangenen Seiten dargestellten Analyseschritte ausführlich zu lesen, die dann zu diesem Fazit führen. Drei kleine Anmerkungen kann sich der Rezensent, um seiner Rolle zu entsprechen, aber nicht verkneifen: Anmerkung 3: In der Fußnote auf Seite 230 heißt es u.a.: „Eine kaum noch überschaubare Menge an Literatur bezieht sich auf psychologische Analysen von Terroristen. So wurde etwa versucht, gemeinsame psychologische Dispositionen verschiedener Terroristen in verschiedenen Kontexten herauszufiltern, sozusagen das Profil einer spezifisch terroristischen Persönlichkeit zu entwickeln“. Die Menge an Literatur, die Thomas Kron meint, muss erheblich älteren Datums sein. In der internationalen (psychologischen) Wissenschaftlergemeinschaft hat sich spätestens seit 9/11 die Auffassung durchgesetzt, wonach individuelle Dispositionen keine hinreichende Bedingung für terroristische Handlungsmuster darstellen (vgl. auch Kruglanski et al., 2009). Anmerkung 2: Auf Seite 245 wird von Einnahmen der PLO in Höhe von 8-14 Millionen Dollar geschrieben; gemeint sind aber wohl Milliarden. Anmerkung 3: Auf Seite 258 wird das „Sykes-Picot-Abkommen“ [2] von 1916 erwähnt, „in dem England und Frankreich ihre Einflussbereiche im Nahen Osten nach dem Zweiten Weltkrieg aushandelten“ (S. 258). Sorry, Kollege Kron, es war nach dem Ersten Weltkrieg. Und der Rezensent denkt an die guten alten Zeiten, in denen es noch fleißige, kluge und gewissenhafte Lektorinnen und Lektoren gab.
Im vorletzten Kapitel (Kapitel 5: „Strategieevolutionen“) analysiert Thomas Kron, wie sich der transnationale Terrorismus (hier Al-Qaida) und der Westen (hier prototypisch die USA, womit „eine zeitgenössische Anschauung der politischen US-amerikanischen Führung“, S. 320, gemeint ist) als füreinander relevante Umwelten in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten aufeinander einstellen. Die Analysen folgen einem einsichtigen Strategieverständnis, in dem vier Strategieelemente unterschieden werden (S. 311ff.): Maxime (als übergreifender normativer Rahmen, z.B. im Sinne einer Kriegsphilosophie), Vision (die langfristigen globalen Wirkungen der Politik, z.B. als Geopolitik), Plan (Ziele und Mittel der Politik, z.B. im Kontext eines konkreten Krieges) und Taktik (die lokalen Vorhaben zur Realisierung von Gefechten oder Anschlägen). Deutlich wird dabei – ohne auf die von Thomas Kron hervorragend aufgeführten Teilbefunde ausführlich eingehen zu können, dass und wie die gegensätzlichen Akteure (Al-Quaida und die USA) aufeinander angewiesen sind, sich mit ihren Strategien wechselseitig anpassen, um den Widerspruch (Terrorismus und Anti-Terrorismus) in Bewegung zu halten [3] und auf diese Weise die Weltrisiken verschärfen. Die damit angedeutete politische Positionierung, mit der Thomas Kron auch seine Kritik am sogenannten Anti-Terror-Kampf des Westens (respektive der USA) verbindet, ist dem Rezensenten sehr sympathisch.
Deutlich wird diese Haltung auch im letzten Kapitel (Kapitel 6: Ausblick), in dem Kron u.a. fragt, „ob der Westen Mittel und Wege findet, sich dieser Gewaltspirale und -eskalation zu erwehren“ (S. 458). Die Antwort des Autors lautet eindeutig „ja“. Aber, so fügt er etwas später hinzu, nur dann, wenn sich der Westen von einer dichotomen Betrachtung des Phänomens (wenn man den Terrorismus so nennen kann) verabschiedet und auch jene Schattierungen und Graustufen ins Kalkül zieht, die „möglicherweise Friedenschancen eröffnen“ (S. 464). Im, schon erwähnten, methodologischen Kosmopolitismus – sensu Ulrich Beck - sieht Thomas Kron die neue und notwendige Beobachtungsperspektive.
Fazit
Wie gesagt, Leserinnen und Leser brauchen einen langen Atem bzw. genügend Lesegeduld, um den Titel des Buches zu verstehen. Am Ende sind zwar noch immer viele Fragen offen, aber der lange Atem und die Geduld zahlen sich aus. Auch den Nicht-Luhmannianern und mit der Fuzzy-Logik nur mäßig vertrauten Leserinnen und Lesern geht am Ende ein Licht auf und sie verstehen, warum Thomas Kron im ersten Teil seines Buches so ausführlich die Methodologie seiner Analyse vorstellen musste. Der zweite Teil des Buches ist eine Bereicherung für die sozialwissenschaftliche Forschung des transnationalen Terrorismus und wird vom Rezensenten unbedingt als Lektüre empfohlen.
Zitierte Literatur
- Beck, U. (2007). Weltrisikogesellschaft: Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Frankfurt a. Main.: Suhrkamp.
- Frindte, W. & Haußecker, N. (Hrsg.). (2010). Inszenierter Terrorismus. Mediale Konstruktionen und individuelle Interpretationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Frindte, W. (2015). „Das Risiko sind immer die anderen„: mediale Inszenierungen interkultureller Risiken. In: P. Zoche, S. Kaufmann & H. Arnold (Hrsg.), Sichere Zeiten? Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung. Berlin: LIT.
- Kron, T. & Reddig, M. (2007). Analysen des transnationalen Terrorismus. Soziologische Perspektiven. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Kruglanski, A. W. (2001). That „Vision Thing“. The State of Theory in Social and Personality Psychology at the Edge of the New Millennium. Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 80, No. 6, 871-875.
- Kruglanski, A. W., Chen, X., Dechesne, M., Fishman, S., & Orehek, E. (2009). Fully committed: Suicide bombers´ motivation and the quest for personal significance. Political Psychology, 30(3), 331-357.
- Neue Züricher Zeitung – online. Quelle: http://www.nzz.ch/international/terroranschlaege-in-paris/moeglicher-komplize-der-terroristen-verhaftet-1.18646435; aufgerufen am 13.12.2015.
- Roy, O. (2015). Quelle: https://de.qantara.de/content/islamforscher-olivier-roy-islamischer-staat-folgt-logik-der-eskalation; aufgerufen am 25.11.2015.
- Ruben, P. (1980). Lenins Dialektik-Konzept und die materialistische Widerspruchslehre. Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 28, 3, S. 291-304.
- Schneckener, U. (2006). Transnationaler Terrorismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Schnurer, J. (2007). Rezension zu: Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Suhrkamp Verlag (Frankfurt/M) 2007). Quelle: www.socialnet.de/rezensionen/4820.php; aufgerufen am 20.12.2015.
[1] Peter Ruben habilitierte sich mit dem Thema „Widerspruch und Naturdialektik“ und arbeitete von 1975 bis 1981 am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1981 erhielt er wegen „dissidentischer Vorstellungen“ ein Lehrverbot und konnte nur noch eingeschränkt publizieren. 1990 wurde er rehabilitiert, zum Professor ernannt und zum Direktor des Zentralinstituts für Philosophie gewählt, das später abgewickelt wurde. Von 1994 bis 1996 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Frankfurt/Oder.
[2] Das „Sykes-Picot-Abkommen“ wurde kürzlich von Terroristen des „Islamischen Staates“ für nicht erklärt.
[3] Diese Formulierung ist ein Hommage an Karl Marx, der gelegentlich vermerkte, die Methode, wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen, bestehe im Schaffen einer Form, worin sie sich bewegen könnten (Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW, Bd. 23, S. 118).
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Frindte
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Kommunikationswissenschaft - Abteilung Kommunikationspsychologie
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Zitiervorschlag
Wolfgang Frindte. Rezension vom 11.01.2016 zu:
Thomas Kron: Reflexiver Terrorismus. Velbrück GmbH Bücher & Medien
(Weilerswist) 2015.
ISBN 978-3-95832-055-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19384.php, Datum des Zugriffs 01.04.2023.
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