Serge Latouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn
Rezensiert von Prof. Dr. Uwe Helmert, 11.09.2015
Serge Latouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn. oekom Verlag (München) 2015. 208 Seiten. ISBN 978-3-86581-707-5. D: 14,95 EUR, A: 15,40 EUR, CH: 21,90 sFr.
Thema
Werbung, um Bedürfnisse zu wecken, Kredite, um ihre Befriedigung zu finanzieren, geplante Obsoleszenz, um den Bedarf anzukurbeln: Für Serge Latouche sind es vor allem diese drei Aspekte unseres Wirtschaftens, welche die Konsumgesellschaft befeuern. Doch was können wir tun? Wie lässt sich unsere wachstumsbesessene Welt kurieren? In dem Buch legt Frankreichs Gallionsfigur des wachstumskritischen Aufbegehrens (Niko Paech) nicht nur eine schonungslose Abrechnung mit der „Religion der Ökonomie“ vor. Das Buch präsentiert ein politisches Rahmenprogramm für eine Welt jenseits des Wachstums.
Autor
Serge Latouche ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Süd (Orsay). Der Ökonom und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Vordenker des französischen Konzepts der Wachstumsrücknahme (décroissance).
Aufbau
Das Buch ist in die folgenden vier Kapitel gegliedert
- Im Reich von Degrowth
- Degrowth – eine konkrete Utopie
- Degrowth – ein politisches Programm
- Schlussbetrachtung: Ist Degrowth ein humanistisches Projekt?
Zu Kapitel 1
„Degrowth“ oder Wachstumsrücknahme ist ein politisches Schlagwort mit theoretischen Implikationen. Unter diesem Banner versammeln sich die radikalen Kritiker der Wachstumspolitik. Degrowth bedeutet für den Autor etwas anderes als negatives Wachstum. Die schlichte Verlangsamung des Wachstums könnte die Säulen unserer Gesellschaft ins Wanken bringen, die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe treiben und die Auflösung von Sozial-, Gesundheits-, Erziehungs-, Kultur- und Umweltprogrammen nach sich ziehen, die uns ein unverzichtbares Mindestmaß an Lebensqualität sichern.
Drei Dinge sind nötig, um den Teufelskreis der Konsumgesellschaft komplett zumachen:
- Werbung, die das Bedürfnis für den Konsum erst schafft: Die Werbung lässt uns begehren, was wir noch nicht haben, und macht uns madig, was wir schon genießen. Laut einer Umfrage unter den größten amerikanischen Unternehmen räumen 90 Prozent ein, ohne Werbekampagne kein neues Produkt verkaufen zu können; 85 Prozent erklären, dass Werbung „häufig“ Menschen dazu bewegt, Dinge zu kaufen, die sie gar nicht benötigen; und 51 Prozent sagen, dass Werbung die Menschen dazu bringt, Dinge zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht haben wollen. Es geht nicht mehr um die Güter des Grundbedarfs. Die Nachfrage richtet sich nicht mehr auf Nützliches, sondern auf Nutzloses. Die Ausgaben für Werbung weltweit stehen gleich hinter denen des Militärs an zweiter Stelle, und ihre Gier ist unersättlich: 148,5 Milliarden Euro in den Vereinigten Staaten und weltweit 441,6 Milliarden Euro pro Jahr.
- Kredit, der den Konsum ermöglicht: Kredite sind unerlässlich, damit auch jene konsumieren können, deren Einkommen nicht ausreicht, und damit auch Unternehmen, die nicht genug Kapital haben, investieren können. Die Kredite haben im Norden eine mächtige Diktatur des Wachstums errichtet, diese wirkt sich aber im Süden noch viel zerstörerischer aus. Die neuen Helden unserer Zeit sind die „cost killers“, jene Manager verstehen es bestens, Lasten auf andere abzuwälzen, auf ihre Angestellten und Kunden, auf Subunternehmer, auf die Länder des Südens, den Staat und den Steuerzahler, auf die zukünftigen Generationen und vor allem auf die Natur, die Lieferant von Rohstoffen und Müllhalde zugleich ist.
- beschleunigte und geplante Obsoleszenz der Produkte, die den Bedarf ankurbelt: Mit der geplanten Obsoleszens gibt die Wachstumsgesellschaft dem Konsumismus die perfekte Waffe an die Hand. In immer kürzeren Abständen gehen unsere Maschinen und Gerätschaften kaputt, weil irgendeine Kleinigkeit daraus ausgelegt ist zu versagen. Jedes Jahr werden 37 Millionen Tonnen Elektromüll zum Ausschlachten in die Dritte Welt verfrachtet, die Schwermetalle und andere Giftstoffe enthalten.
Zu Kapitel 2
Bei der zum Aufbau einer autonomem Degrowth-Gesellschaft notwendigen Aufwärtsspirale handelt es sich um einen Prozess der echten, dem Leben zugewandten und nachhaltigen Abkehr vom Wachstum. Diese neue Dynamik besteht aus einem Ensemble von zusammenhängenden und sich gegenseitig verstärkenden Schritten, die der Autor als die sieben „großen R“ bezeichnet:
- Reevaluation: Unsere Gesellschaften beruhen auf alten bürgerlichen Werten und Einrichtungen: Ehrlichkeit, Staatsdienst, Weitergabe von Wissen, Stolz auf gute Arbeit etc. Aber diese Werte sind inzwischen lächerlich geworden. Es zählen nur noch die Geldmenge, die man, egal wie, eingestrichen hat, und die Auftritte im Fernsehen. Altruismus müsste Vorrang vor Egoismus haben, Kooperation vor zügelloser Konkurrenz, Freizeitgenuss vor der Arbeitssucht, Sozialleben vor unbegrenztem Konsum, das Lokale vor dem Globalen, Selbstbestimmung vor Fremdbestimmung, die Freude an guter Arbeit vor Produktionseffizienz, das Zwischenmenschliche vor dem Materiellen etc.
- Rekonzeptualisierung: Dies bedeutet, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen und somit die Realität anders wahrzunehmen. Beispielsweise im Hinblick auf unsere Vorstellungen von Armut und Reichtum oder bei dem heimtückischen Begriffspaar, das eine der Säulen der Wachstumsideologie bildet und dringend dekonstruiert werden muss: Knappheit und Überfluss.
- Restrukturierung: Restrukturieren bedeutet, das Produktionssystem dem Wertewandel hin zu einer Degrowth-Gesellschaft anzupassen.
- Redistribution: Die Neugestaltung der sozialen Beziehungen ist an sich schon eine Form der Redistribution, oder Umverteilung, nämlich der Reichtümer und des Zugangs zu unserem Naturerbe, von den Ländern des Nordens in die des Süden, sowie innerhalb der Gesellschaften zwischen Schichten und Generationen. Diese Umverteilung wird eine zweifache positive Wirkung auf die Verminderung des Konsums haben. Eine unmittelbare, indem die Macht und die Mittel der weltumspannenden Konsumelite und insbesondere von Macht und Reichtum der großen „Abzockeroligarchie“ beschnitten werden. Und eine indirekt, in dem der Anreiz zum Konsums um des Image willen abnehmen. Die Umverteilung zwischen dem Norden und den Ländern des Südens wirft enorme Probleme auf. Wir haben gegenüber dem Süden eine riesige „ökologische Schuld“ aufgehäuft. Diese zu begleichen, indem wir die Natur weniger ausbeuten, wäre nur gerecht. Dabei handelt es sich weniger darum, etwas zu geben, sondern eher darum, weniger zu nehmen.
- Relokalisierung: Damit ist natürlich gemeint, dass vorwiegend auf lokaler Ebene produziert werden soll. Die meisten Produkte zur Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung könnten in verbrauchernahen Fabriken produziert werden, die durch genossenschaftliche Ersparnisse finanziert werden. Auch Politik, Kultur und der Sinn des Lebens müssen wieder auf ihre lokalen Wurzeln zurückgeführt werden.
- Reduzieren: Reduzieren bedeutet zunächst einmal, eine Produktions- und Konsumptionsweise zu entwickeln, die sich weniger schädlich auf die Biosphäre auswirkt. Dabei geht es vor allem darum, unseren Überkonsum zu beschränken und unsere Wegwerfmentalität abzulegen: 80% der auf den Markt gelangenden Güter werden, wenn überhaupt, nur ein einziges Mal benutzt, bevor sie direkt in den Mülleimer geworfen werden! Die Arbeitszeit zu reduzieren ist von entscheidender Bedeutung. Selbstverständlich geht es darum, die Arbeit so aufzuteilen, dass alle, die arbeiten wollen, eine Beschäftigung finden. Die Verkürzung der Arbeitszeit müsste mit der Möglichkeit verbunden sein, die Tätigkeit je nach Konjunktur oder eigener Lebensphase zu wechseln. Vor allem müssen wir uns aber von der „Sucht“ nach Arbeit entwöhnen, einem wichtigen Element im Drama des Produktivismus. Wir werden keine echte Degrowth-Gesellschaft aufbauen können, wenn wir nicht die unterdrückten Dimensionen des Lebens wiederentdecken: die Muße, seine Aufgaben als Bürger zu erfüllen, die Freude an frei gewählten, etwa künstlerischen oder handwerklichen Tätigkeiten, wieder Zeit fürs Spiel, für Kontemplation und Gespräche zu haben – kurz, ganz einfach das Leben zu genießen.
- Recycling: Kein vernünftig denkender Mensch bestreitet die Notwendigkeit, die hemmungslose Vergeudung einzudämmen, die geplante Obsoleszens bei Geräten zu bekämpfen und nicht direkt wiederverwendbare Abfälle zu recyceln. Die Möglichkeiten sind zahlreich, und viele wurden in kleinem Maßstab bereits positiv getestet. Allerdings fehlen noch stärkere Anreize, die Unternehmer und Konsumenten auf den „rechten“ Weg zu führen. Dabei wäre es ein leichtes, solche Anreize zu schaffen. Es fehlt nur am entsprechenden politischen Willen.
Alle „großen R“ sind von gleicher Wichtigkeit. Dreien von ihnen scheint jedoch eine „strategische“ Bedeutung zuzukommen: der Reevaluierung, der Reduktion und der Relokalisierung, weil sie den Alltag und die Arbeit von Millionen Menschen betrifft.
Paradoxerweise ist die Idee des Degrowth im Süden entstanden, genauer gesagt in Afrika. Das Projekt einer autonomen und sparsamen Gesellschaft kam dort im Zuge der Entwicklungskritik auf. Seit vielen Jahren gibt es eine kleine Anti- oder Postentwicklungs-„Internationale“, die schädliche Auswirkungen der Entwicklungspolitik in Afrika, von Boumediennes (Algerien) bis hin zu Nyereres (Tansania), analysiert und anprangert. Es ist weder nötig noch sinnvoll, Afrikas ökologischen Fingerabdruck (oder sein BIP) zu reduzieren. Doch das heißt nicht, das hier stattdessen eine Wachstumsgesellschaft aufgebaut werden sollte. Doch eins ist klar, Degrowth im Norden ist die Vorbedingung für eine komplett alternative Form der Selbstentfaltung im Süden. Solange Äthiopien und Somalia dazu verdammt werden, Tierfutter für unsere heimische Viehwirtschaft zu exportieren, während dort die Menschen hungern, und solange wir unser Vieh mit Soja mästen, das durch Brandrodung des Regenwalds im Amazonasgebiet gewonnen wird, ersticken wir jede echte Alternativen des Südens zur Autonomie im Kern.
Zu Kapitel 3
Alternativen zum Produktivismus gibt es auf allen Ebenen: auf der individuellen, der lokalen, der regionalen, der nationalen und der globalen. Da aber die Tyrannei der „neuen Herren der Welt“ vor allem auf der höheren Ebene stattfindet, müssen die passenden Ansätze gefunden werden, um konzentriert und einander ergänzend handeln zu können. Um die Aufwärtsspiralen der Wachstumswende in Gang zu setzen, sind ganz einfache und scheinbar banale Maßnahmen geeignet. Man kann die Wende zur Degrowth-Gesellschaft mit einer Art Wahlprogramm zusammenfassen, das an bestimmten Punkten mit „gesundem Menschenverstand“ entsprechende Konsequenzen aus der oben beschriebenen Diagnose zieht:
- Rückkehr zu einem ökologischen Fußabdruck, der dem einen Planeten entspricht oder sogar noch darunter liegt, das heißt, wenn alles andere gleich bleibt, Rückkehr zu einer Produktion wie in den Jahren 1960 bis 1970.
- Einführung einer Umweltsteuer für den Transport/Verkehr entsprechend dem Grad der jeweils verursachten Umweltverschmutzung.
- Relokalisierung der Aktivitäten. Angesichts des Schadens für die Umwelt muss insbesondere die Notwendigkeit infrage gestellt werden, eine beträchtliche Zahl von Menschen und Waren auf dem Planeten hin und her zu transportieren.
- Wiedereinführung einer bäuerlichen Landwirtschaft, das heißt Förderung einer möglichst lokalen, saisonalen, natürlichen und traditionellen Produktion.
- Verwendung der Gewinne aus der Produktivität für eine Senkung der Arbeitszeit und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.
- Die „Produktion“ von zwischenmenschlichen „Gütern“ anregen wie Freundschaft oder gute Nachbarschaft, deren „Konsum“ nicht die „Vorräte“ vermindert, sondern das Gegenteil bewirkt.
- Verminderung der Energieverschwendung um den Faktor 4.
- Schwere Strafen für Werbeausgaben. Wir müssen die Möglichkeit prüfen, nach und nach jegliche Werbung in Kindersendungen zu verbieten, insbesondere Botschaften, in denen gesundheitsschädliche Produkte angepriesen werden.
- Ein Moratorium für technowissenschaftliche Innovationen, eine zuverlässige Bilanz und die Ausrichtung wissenschaftlicher Forschung und Technik auf die neuen Ziele.
Im Zentrum des Programms steht die Internalisierung von externen ökonomischen Fehlsteuerungen (Schäden, die Akteure anrichten und deren Kosten auf die Gemeinschaft umwälzen).
Die schärfste Kritik „von links“ am Degrowth-Konzept zielt auf die angebliche Verabschiedung vom Ziel der Vollbeschäftigung. Welche Lösungen haben nun die Wachstumsverweigerer, diese „Kinder reicher Eltern“, wie ein Journalist des Le Monde sie titulierte, für das Problem der Arbeitslosigkeit anzubieten, wenn sie „zu realistischem Denken“ ermahnt werden? Da für Wachstumsverweigerer eine Ankurbelung der Wirtschaft durch Konsum und damit Wachstum nicht infrage kommt, ist eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit eine notwendige Voraussetzung, wenn wir uns von einem auf Arbeit beruhenden Modell des Wachstums verabschieden und trotzdem für alle einen befriedigenden Arbeitsplatz bereitstellen wollen. Im Übrigen gilt: Ganz gleich, was unsere Gegner sagen, in eine ökologische Politik lässt sich auch Sozialpolitik mühelos integrieren. Sie ist sogar die Voraussetzung für einen Wandel, der sich nicht bloß mit kosmetischen Veränderungen des Systems begnügt.
Eine drastische Senkung der Arbeitszeit ist der beste Weg Schutz vor Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. Mindestlöhne in vernünftiger Höhe sind vonnöten, um die falsche Theorie mancher Ökonomen von der freiwilligen Arbeitslosigkeit auszuhebeln. Im Jahr 1946 konnte ein zwanzigjähriger Lohnempfänger damit rechnen, ein Drittel seiner Lebenszeit mit Arbeit zu verbringen, im Jahr 1975 waren es nur noch ein Viertel, heute ist es weniger als ein Fünftel. Haben die Menschen aber das Gefühl, von der Arbeit befreit zu sein? Wahrscheinlich weniger denn je. Die Angestellten erleben keineswegs das Ende der Arbeit, wie es die sinkenden Wochenarbeitszeiten vermuten lassen, sondern vielmehr Arbeit ohne Ende, Arbeitslosigkeit, Isolation, Stress, Angst und die Ungewissheit, ihren Arbeitsplatz behalten zu können. Die Reduktion der Arbeitszeit und die Veränderung ihres Inhalts sind vor allem Entscheidungen der Gesellschaft und im Rahmen einer durch die Wachstumsrücknahme eingeleiteten kulturellen Revolution zu sehen. Die entscheidende Frage ist also nicht die genaue Zahl der nötigen Arbeitsstunden, sondern die Bedeutung der Arbeit als „Wert“ in unserer Gesellschaft.
Lehrreich ist in diesem Kontext auch, sich genauer anzuschauen, warum das Grundsatzprogramm der SPD aus dem Jahr 1989 nicht umgesetzt wurde. Es zielte auf die „Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden an fünf Tagen, die Einführung des Rechts auf ein Sabbatjahr und zusätzlicher bezahlter Urlaub für Eltern und Menschen, die pflegebedürftige Personen versorgen“. Es verschrieb sich außerdem dem Ziel der Wachstumsrücknahme: Was die natürlichen Grundlagen des Lebens gefährdet, muss reduziert und beseitigt werden. Dazu zählte man Atomkraftwerke und ansatzweise auch den privaten Automobilverkehr. Das damalige Programm folgte der Idee, ökologische und ökonomische (also kapitalistische) Rationalität zu einer Win-win-Strategie zusammenzuschließen. Wenn wir uns rechtzeitig für die ökologische Modernisierung engagieren, verbessern wir unsere Chancen, die Märkte von morgen zu erobern, und steigern die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Der Grund des Scheitern des SPD-Grundsatzprogramms lag ohne Zweifel darin, dass man sich nicht traute, die kapitalistische Logik infrage zu stellen. Nach André Gorz (1991) wäre es illusorisch zu glauben und töricht zu hoffen, dass die Ausrichtung an ökologischer Vernunft die Wachstumsrücknahme und die Umwandlung der klassischen Industrien in eine „Umweltökonomie“ ausgleichen und alle Arbeitskräfte und alles zuvor eingesetzte Kapital aufnehmen könnte.
Diskussion
Die Forderung, „der Sinn des Lebens muss wieder auf ihre lokalen Wurzeln zurückgeführt werden“ (Seite 63) klingt etwas provinziell. In einer globalisierten Welt erscheint es etwas merkwürdig, selbst den Sinn des Lebens gemäß der lokalen Wurzeln zu suchen. Ein angemessener Sinn des Lebens sollte sicherlich auch sein, den individuellen Horizont zu erweitern, indem man über den Tellerrand hinaus schaut. Darüber hinaus wäre im Hinblick auf die Parole „Lokal handeln und global denken“ die Perspektive der lokalen Verwurzelung eher hinderlich.
Die „Rückkehr zu einer Produktion wie in den Jahren 1960 bis 1970“, wie es auf Seite 109 gefordert wird, mutet auf den ersten Blick sehr anachronistisch an. Auf Seite 139 heißt es dann aber: „Unser Konzept einer Degrowth-Gesellschaft besteht weder in der unmöglichen Rückkehr zu vergangenen Zuständen noch in einem Kompromiss mit dem Kapitalismus“.
Zielgruppen
Alle politisch aufgeschlossenen LeserInnen, die sich für die aktuelle Debatte um Wachstum und Wachstumsrückführung (Degrowth) interessieren. Das Buch ist ein Arbeitswerkzeug für alle, die sich in der Umweltpolitik oder als politischer Aktivist engagieren, vor allem auf lokaler oder regionaler Ebene.
Fazit
In dem Buch legt Frankreichs Gallionsfigur des wachstumskritischen Aufbegehrens nicht nur eine schonungslose Abrechnung mit der „Religion der Ökonomie“ vor. Das Buch ist damit viel mehr als das, „was sie schon immer über das Thema Degrowth wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten“. Das Buch ist nicht nur wegen der inhaltlichen Substanz von Bedeutung, sondern auch weil es die deutsche Wachstumsdebatte um erhellende Einblicke in die französische Debatte zu demselben Thema bereichert. Theoretische und empirische, weit über den Tellerrand einzelner Disziplinen hinausreichende Befunde, werden in einer verständlichen, nicht selten sogar humorvollen Sprache dargestellt.
Rezension von
Prof. Dr. Uwe Helmert
Sozialepidemiologe
Es gibt 101 Rezensionen von Uwe Helmert.
Zitiervorschlag
Uwe Helmert. Rezension vom 11.09.2015 zu:
Serge Latouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn. oekom Verlag
(München) 2015.
ISBN 978-3-86581-707-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19390.php, Datum des Zugriffs 20.01.2025.
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