Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger (Hrsg.): Kulturell und religiös sensibel?
Rezensiert von Prof. Dr. Renate Zitt, 08.02.2016
Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger (Hrsg.): Kulturell und religiös sensibel? Interreligiöse und interkulturelle Kompetenz in der Ausbildung für den Elementarbereich.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2015.
174 Seiten.
ISBN 978-3-8309-3259-8.
D: 27,90 EUR,
A: 28,70 EUR,
CH: 38,50 sFr.
Interreligiöse und interkulturelle Bildung im Kindesalter, Bd. 5.
Thema
Im Fokus des Herausgeberbandes von Friedrich Schweitzer und Albert Biesinger „Kulturell und religiös sensibel?“ steht die Dokumentation von lokalen und internationalen Forschungsergebnissen sowie weiterführenden Perspektiven zur interreligiösen und interkulturellen Kompetenz in der Ausbildung bzw. im Studium für den Elementarbereich. „Die Verbindung zwischen Interkulturalität und Interreligiosität wird dabei so verstanden, dass Kultur und Religion unauflöslich zusammengehören.“ (10)
Herausgeber und AutorInnen
Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Albert Biesinger ist Professor für Religionspädagogik, Kerygmatik und Erwachsenenbildung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Die Reihe „Interreligiöse und Interkulturelle Bildung im Kindesalter“, in der der vorliegende 5. Band die Ausbildungsperspektive in den Mittelpunkt stellt, wird von den beiden o.g. Herausgebern sowie von Anke Engelbrock und Helga Kohler-Spiegel verantwortet.
Die 19 Autorinnen und Autoren und ihre jeweiligen Themen behandeln deutsche (mit Schwerpunkt Baden-Württemberg), dänische, norwegische, finnische und österreichische Kontexte sowie evangelische, katholische, islamische und jüdischen Perspektiven. Die Herausgeber betonen dabei, „dass die Autoren in erster Linie für sich selber sprechen und nicht einfach für eine Religion oder für eine Religionsgemeinschaft.“ (13)
Entstehungshintergrund
„Während der vorliegende Band damit einem weiteren Horizont der aktuellen Diskussion über Ausbildung und Fortbildung für den Elementarbereich zuzuordnen ist, steht er zugleich in einem engen Zusammenhang mit den Forschungsprojekten, die in der Tübinger evangelischen und katholischen Religionspädagogik in den letzten Jahren kooperativ durchgeführt werden konnten, insbesondere mit der Stiftung Ravensburger Verlag.“ (11) Publiziert wurden in diesem Zusammenhang verschiedene Bände zur interkulturellen und interreligiösen Bildung in Kindertagesstätten, u.a. eine Repräsentativbefragung von ErzieherInnen und Erziehern in Deutschland, Untersuchungen zur religiösen Differenzwahrnehmung im Kindesalter, eine Elternbefragung, Best-Practice Beispiele sowie ein Lehr- und Praxisbuch für die Ausbildung. (vgl. S. 11f.) Die Beiträge des vorliegenden Bandes wurden in einer ersten Form bei einem Tübinger Symposium im September 2014 vorgestellt. (vgl. S. 14)
Aufbau
Eingeleitet wird der Band durch ein Geleitwort von Dorothee Hess-Maier für die Stiftung Ravensburger Verlag. Die Einleitung der beiden Herausgeber ordnet den Band mit seiner Thematik in seinen Forschungs- und Entstehungskontext ein und konturiert seinen inhaltlichen Aufbau.
Gegliedert ist der Band in drei Teile, wobei der 3. Teil „Erziehungswissenschaftliche Perspektiven“ aus dem Beitrag von Karin Amos besteht und als eine „Response“ gestaltet ist.
Teil 1 „Untersuchungen zu Bildungsplänen, Expertenbefragung, Einblicke in die Praxis der Ausbildung“ umfasst fünf Beiträge, wobei hier der Schwerpunkt – neben einem Überblick über ausgewählte Bundesländer – auf der Situation in Baden-Württemberg liegt.
Teil 2 „Interreligiöse und internationale Perspektiven“ umfasst ebenfalls fünf Beiträge. Sie stehen für exemplarische muslimische, jüdische und christliche Perspektiven, sowie ausgewählte Kontexte in Baden-Württemberg, Österreich, Dänemark, Norwegen und Finnland.
Zu Teil 1
Tobias Tanner und Christina Tonnier bieten zu Beginn des 1. Teils einen instruktiven Überblick über „interreligiöse Bildung in der Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher“ sowie eine „Analyse von Bildungsplänen in ausgewählten Bundesländern“. „Fast alle Bildungspläne erwähnen in irgendeiner Weise interreligiöse Bildung, große Unterschiede gibt es aber in Stellenwert, Inhalten und Umfang.“ (49) „Entwicklungspsychologische Voraussetzungen für interreligiöses Lernen und „religiöse Differenzwahrnehmung“ im Kindesalter finden sich kaum in den Bildungsplänen“ (50).
Friederike Strohm und Anna Jürgens präsentieren „explorative Erkenntnisse aus einer Expertenbefragung“ zur interreligiösen und interkulturellen Kompetenz in der Praxis der Ausbildung für den Elementarbereich in Baden-Württemberg. Die Befunde werden in Thesen gebündelt (vgl. 53f.). Hervorgehoben sei hier der doppelte Ansatz: „Interreligiöse Kompetenz von Erzieherinnen muss eigene Fachkompetenz sowie pädagogische (Vermittlung-) kompetenz enthalten“ (53).
Birgit Deiss-Niethammer und Gabriele Beier stellen anhand der „Fachschulen des Vereins evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik Stuttgart“ die „Entwicklung interreligiöser und interkultureller Kompetenz in der Ausbildung“ dar. Betont wird als didaktisches Prinzip, mit der Pluralität der Lerngruppen zu arbeiten und diese „bewusst wahrzunehmen und zu gestalten“ (66) mit dem Ziel der „Ausbildung von Ambiguitätstoleranz“ (69). Beispiele sind „gemeinsame Geschichten in Bibel und Koran“ (67), „mit Kindern (deren) Feste feiern“ (68) und „Puppen mit Persönlichkeit“ (69).
Einblicke in die „religiöse Bildung und Erziehung“ in der Praxis der Ausbildung „an der katholischen Fachschule für Sozialpädagogik St. Loreto in Schwäbisch Gmünd“ gibt Gerold Braig. Er stellt exemplarische Bausteine vor (Religiöse Projekttage Schöpfung/Natur; Tradition und Moderne; Feste und Feiern; Kirchenraumpädagogik/Heilige Orte; Werte/Wertevermittlung; religiöse und biblische Geschichten erzählen; Sterben und Tod; Beten; Fachtage zur interreligiösen Erziehung) und betont als wichtigen Kontext von „heterogenen Lerngruppen“, das „Prinzip der Achtung, Wertschätzung und Anerkennung der Kultur und Religion des anderen.“(73) Erreicht werden soll ein „umfassendes Grundwissen“, „Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl“ in der „religiösen und religionspädagogischen Selbstfindung“ (74) der Studierenden.
Diesen ersten Teil beschließt Hildegard Rothenhäusler mit einer Beschreibung der Kompetenzen in den Rahmenordnungen sowie einem Plädoyer für die steigende Bedeutung der interreligiösen und interkulturellen Bildung in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern in Baden-Württemberg.
Zu Teil 2
Die interreligiösen und internationalen Perspektiven des 2. Teils werden eröffnet von Ednan Aslan und der Frage nach interreligiöser und interkultureller Kompetenz in Einrichtungen des Elementarbereichs unter Berücksichtigung von muslimischen (Eltern-)Perspektiven in Österreich und Wien. In pluralen Gesellschaften, in denen „Kinder ihre ersten Erfahrungen mit anderen Religionen und Kulturen im Elementarbereich“ machen, brauchen „nicht nur Kinder, sondern auch die Eltern eine professionelle erzieherische Hilfe“ (95).
Daniel Krochmalnik skizziert die „intra- und interreligiöse Kompetenz im Jüdischen Religionsunterricht“ in Baden-Württemberg mit den Kompetenzdimensionen: Fragekompetenz, Lernkompetenz, Orientierungskompetenz, Bewertungs- und Urteilskompetenz, Dialogkompetenz sowie Gestaltungs- und Handlungskompetenz, als Ausgangspunkt für ein mögliches Weiterdenken für den Elementarbereich. Er betont: „Jüdisches Lernen ist vom frühesten Elementarunterricht bis zur höchsten Gelehrsamkeit nachfrage- und problemorientiert“ (99). „Insbesondere die fragende Ritualpädagogik lässt sich schon im ältesten jüdischen Kinderbuch, der Haggada von Pessach, nachweisen“(107). Die drei folgenden Beiträge aus dänischer, norwegischer und finnischer Perspektive sind in Englisch verfasst.
Der Artikel von Jorgen Boelskov fokussiert: „this article is about the religious activities within the teaching of culture – not the teaching of the interreligious“ (110). Dabei zeigt er: „Religion as a subjekt in the Danish training of social educators does not exist! There is a total radio silence about religion in the syllabus and curriculum“ (111). Einen breiten Raum nimmt dagegen „cultural expressions and values“ (112) ein. Er zeigt, dass dennoch religiöse Bildung stattfindet, „it might be taught in an amateur way, and some of the important parts may be included in the activities but not in an explicit way.“ (120)
Sturla Sagberg beschreibt norwegische Perspektiven auf „interreligious and intercultural competence in early childhood education“ im Kontext der Geschichte des Wohlfahrtsstaates mit seiner „vision of an egalitarian society“ (131). Wichtige hermeneutische Aspekte sind hier die Verhältnisbestimmungen von individuellen oder kollektiven Werten, religiösen Wurzeln von Werten sowie von privater und organisierter Religion. „In any country, the fact of cultural diversity in terms of religion and education calls for a systematic approach to intercultural and interreligious competence as well as an individual approach.“ (141)
Arniika Kuusisto, Elina Kuusisto, Inkeri Rissanen und Silja Lamminmäki-Varta nähern sich finnischen Perspektiven, wie interreligiöse und interkulturelle Sensibilität in „kindergarten teacher education“ unterstützt werden kann. Fünf Kategorien zwischen „ethno/religiocentric“ und „ethno/religiorelativistic orientations“ kommen hier in den Blick „(1) Denial, (2) Defence, (3) Minimisation, (4) Acceptance, and (5) Adaption“ (153). Selbstreflexion wird als ein wichtiges Instrument gesehen, außerdem methodische Kompetenz sowie „content knowledge and sufficient knowledge about the various cultures and religions encountered in the kindergarten communitiy.“(155) Teachers need „to be aware of their personal religious identitiy as well as be mature enough to discuss different worldviews with their pupils.“ (159)
Zu Teil 3
Im 3. Teil beschließt Karin Amos den Band mit einer „Response aus erziehungswissenschaftlicher Sicht“. „Die Thematisierung religiöser Differenz kann ganz unabhängig von religiöser Bildung erfolgen, und in der Interkulturellen Bildung spielt die explizite Relationierung von Religion und Kultur keine Rolle.“ (163) Zentral ist: „Jedes reale Kind ist eigen und darf erwarten, in seiner Eigenheit auch wahrgenommen zu werden.“(165) Im Mittelpunkt steht „das individuelle Kind, das Subjekt werden soll“ (170). Voraussetzung ist also „ein sich Einlassen auf das Gegenüber, ein Anknüpfen an die kindliche Erfahrungswelt“(170). Im Feld von Werten, Bindung und Bildung „ist ein vertrauensvoller und vertrauter Umgang eine wichtige Voraussetzung.“ (172)
Fazit
Der instruktive und lesenswerte Band „Kulturell und religiös sensibel? Interreligiöse und interkulturelle Kompetenz in der Ausbildung für den Elementarbereich“, hg. v. Friedrich Schweitzer und Albert Biesinger, vereint forschungs-, theorie- und praxisbasierte Perspektiven verschiedener Ebenen und Kontexte für die Hochschulbildung und Ausbildung im Elementarbereich im Hinblick auf interreligiöse und interkulturelle Kompetenzbildung. Die Weite der lokalen, internationalen, interreligiösen und interdisziplinären Blicke mit verschiedenen Tiefenbohrungen machen sowohl die Lektüre der einzelnen Beiträge, wie auch die Lektüre aller Beiträge in ihrer Multiperspektivität zu einem großen Gewinn. Man merkt dem solide gearbeiteten Band und den Einzelbeiträgen die Einbettung in einen soliden und jahrelang aufgebauten Forschungskontext und Forschungszusammenhang an.
Rezension von
Prof. Dr. Renate Zitt
Professorin für Religions- und Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Darmstadt
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Zitiervorschlag
Renate Zitt. Rezension vom 08.02.2016 zu:
Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger (Hrsg.): Kulturell und religiös sensibel? Interreligiöse und interkulturelle Kompetenz in der Ausbildung für den Elementarbereich. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2015.
ISBN 978-3-8309-3259-8.
Interreligiöse und interkulturelle Bildung im Kindesalter, Bd. 5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19401.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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