Katharina Bennefeld-Kersten, Johannes Lohner et al. (Hrsg.): Frei Tod? Selbst Mord? Bilanz Suizid?
Rezensiert von em o.-Prof. Dr. Gernot Sonneck, Assoc.-Prof. Priv.-Doz.Dr. Thomas Niederkrotenthaler, 24.02.2016

Katharina Bennefeld-Kersten, Johannes Lohner, Willi Pecher (Hrsg.): Frei Tod? Selbst Mord? Bilanz Suizid? Wenn Gefangene sich das Leben nehmen ; Einschätzung und Prävention. Pabst Science Publishers (Lengerich) 2015. 365 Seiten. ISBN 978-3-95853-002-7. D: 35,00 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 46,90 sFr.
Thema
Dieser Sammelband ist eine umfangreiche und gediegene Zusammenstellung zu dem bedeutenden Thema des Suizids im Strafvollzug und in der Behandlung unterschiedlicher Facetten zugleich ein Handbuch. Die Herausgeber sowie die Autoren sind grossteils ausgewiesene Experten, sowohl was ihre praktische Erfahrung als auch ihre theoretische Kenntnis der Suizidologie betrifft. Dies gilt besonders für die Erstherausgeberin und Autorin von acht Beiträgen, die jahrelange Leiterin einer Justizvollzugsanstalt und des Kriminologischen Dienstes in Niedersachsen war.
Aufbau und Inhalt
Das Thema wird von vielen Seiten beleuchtet und in vier Teilen mit insgesamt 28 Kapiteln profund abgehandelt.
Der erste Teil beschreibt den Umfang des Problems, die Entstehung von suizidalen Krisen und die Schwierigkeiten bei der Bewältigung im Gefängnis. Ein kurzes Kapitel schildert beklemmend die Eindrücke eines Neuzugangs. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Datenqualität von Suizidstatistiken auch im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung beschließt diesen ersten allgemeinen Zugang. Ein theologischer Exkurs, ausgehend von Suiziden im Alten Testament und ein philosophischer Traktat führen zur Beschreibung eines Unfalls im Strafvollzug aus der Sicht eines Häftlings und eines Bediensteten. Straf-,disziplinar-und haftungsrechtliche Aspekte beschließen mit instruktiven Beispielen diesen ersten Teil.
Im zweiten Teil geht es primär um praktische Aspekte der Suizidprävention im Strafvollzug. In Kapitel 8 wird der Versuch unternommen, das inhomogene Verhalten von Suizidversuchen aber auch von nichtsuizidaler Selbstbeschädigung zu differenzieren, vorurteilsbehaftete Begriffe kritisch zu hinterfragen und Empfehlungen für die Behandlung zu entwickeln. Die Sicht eines Gefängnisarztes und Präventionsprobleme im Maßregelvollzug erhellen mit eindrucksvollen Fallvignetten den Alltag im Vollzug, gefolgt von einer ausführliche Beschreibung eines suizidalen Patienten mit schizophrener Erkrankung. Besonderheiten und Unterschiede zur Suizidalität von Erwachsenen behandelt ein Abschnitt zur Suizidgefährdung von Jugendlichen. Da die Suizidrate im Frauenvollzug verglichen zur Allgemeinpopulation noch deutlicher erhöht ist als jene der inhaftierten Männer,ist es verdienstvoll dieser Risikogruppe ein eigenes Kapitel zu widmen.Die folgenden Kapitel dieses Teils beschäftigen sich mit den Hinterbliebenen nach Suizid, sowohl mit den Angehörigen und Mitgefangenen als auch mit den Bediensteten. Eine Darstellung der strukturierten Vorgangsweise im österreichischen Strafvollzug erweitert das Spektrum präventiver Arbeit im deutschsprachigen Raum. Mit einem Kapitel zur Abschiedsbriefforschung – Inhaftierte schreiben häufiger Abschiedsbriefe als Suizidenten in der Allgemeinbevölkerung – endet mit zahlreichen Beispielen dieser zweite Teil.
Im dritten Teil werden konkrete Maßnahmen und Projekte der Suizidprävention vorgestellt, beginnend mit baulichen Überlegungen auch hinsichtlich eines Suizidpräventionsraums,über ausführliche Fortbildungen für Bedienstete, Erstellung von hilfreichem Informationsmaterial bis hin zu Ausbildung und Einsatz von Mitgefangenen, sogenannte Listener, die insbesondere Neuzugängen behilflich sind, die Aufnahmskrise zu bewältigen. Ein umfangreiches Kapitel über Screeningverfahren zur raschen standardisierten Einschätzung der Suizidgefährdung beleuchtet die Vorteile aber auch die Probleme dieser Methoden. Von Interesse ist auch das Projekt „Telefonseelsorge für Gefangene“ und der Bericht eines Telefonseelsorgers.
Der abschließende vierte Teil besteht aus dem letzten Kapitel, in dem viele frühere Beiträge zu einer Synopsis zusammengefasst werden und in ein Modell einer gefängnisspezifischen integrierten Suizidprävention fließen, ohne die Möglichkeiten der Umsetzung außer Acht zu lassen.
Diskussion
Dieses Buch zeichnet sich durch umfassende und fundierte Behandlung dieses schwierigen Themas aus und erfüllt sowohl wissenschaftliche Ansprüche als es auch durch vertiefende Beispiele und Darstellungen dem Bedürfnis nach Praxisrelevanz Rechnung trägt. Wie bei vielen Sammelbänden sind Wiederholungen z.B. der Epidemiologie und der Prävention unvermeidlich, wenn jedes Kapitel weitgehend in sich abgeschlossen sein soll. Es ist das erste deutschsprachige Kompendium zur Suizidalität im Strafvollzug.
Fazit
Es ist der Anspruch dieses Buches das multifaktorielle Geschehen, das zu Suizidalität führen kann, von vielen Seiten zu beleuchten und daraus möglichst evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen abzuleiten, die in den spezifischen Rahmen einer Justizvollzugsanstalt implementiert werden können. Diesem Anspruch wird dieses Buch in allen Abschnitten gerecht. Es besticht durch wissenschaftliche Prägnanz und Aktualität sowie wohltuende Praxisnähe.
Rezension von
em o.-Prof. Dr. Gernot Sonneck
Kriseninterventionszentrum Wien & Wiener Werkstätte für Suizidforschung
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Assoc.-Prof. Priv.-Doz.Dr. Thomas Niederkrotenthaler
Medizinische Universität Wien, Zentrum für Public health , Institut für Sozialmedizin, Unit Suizidforschung & Wiener Werkstätte für Suizidforschung
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