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Dominik Petko: Gesprächsformen und Gesprächsstrategien [...] (SPFH)

Rezensiert von Dr. Anja Frindt, 14.12.2004

Dominik Petko: Gesprächsformen und Gesprächsstrategien im Alltag der sozialpädagogischen Familienhilfe. Cuvillier Verlag (Göttingen) 2004. 320 Seiten. ISBN 978-3-86537-077-8. 32,00 EUR.

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Einführung

Dominik Petko analysiert in seiner Dissertation Gesprächsformen und Gesprächsstrategien, die schweizerische FamilienbegleiterInnen in ihrer alltäglichen Praxis anwenden.

Fachliche Qualifikation des Autors

Der Autor studierte Pädagogik und Theologie in Deutschland, der Schweiz und Brasilien. Im Jahr 2003 reichte er die vorliegende Arbeit als sozialwissenschaftliche Dissertation an der Universität Göttingen ein. Bereits seit 2000 ist Dominik Petko in Forschung und Lehre in der Schweiz tätig.

Hintergrund für die Entstehung des Buches, Vorgeschichte

Bisherige Handlungsempfehlungen zur Interaktion zwischen Fachkräften und Klienten bleiben beim vagen und unscharfen Begriff der "Aushandlung" stehen. Wann bestimmte Verhaltensweisen die Interaktion in der SPFH sinnvoll und hilfreich beeinflussen, ist bisher nicht geklärt und empirisch abgesichert. Anliegen des Buches ist es, dieser Frage nachzugehen. Methodisch benutzt Petko eine Methodentrias aus Audioaufnahmen sozialpädagogischer Familienbesuche, diesbezüglichen Interviews mit den Fachkräften und ergänzenden Fragebögen.

Aufbau, Inhalte, Gliederung

Petkos Dissertation gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil.

Nach der Einführung in Aufbau und Inhalt, stellt er Ansätze der aufsuchenden sozialpädagogischen Arbeit mit Familien in Deutschland, den USA und der Schweiz vor. In der Schweiz gibt es das Angebot der Sozialpädagogischen Familienbegleitung (SPF) seit 1987. Die SPF ist dort weniger verbreitet als in Deutschland. Eine rechtliche Verankerung, wie sie sich in Deutschland im SGB VIII findet, existiert hier nicht. Petko nimmt an, dass schweizerische FamilienbegleiterInnen deutlich weniger Wochenstunden in der Familie verbringen als die deutschen Fachkräfte. Dennoch geht er aufgrund wichtiger gemeinsamer Merkmale von SPF und SPFH (aufsuchende Arbeitsweise im Haushalt bzw. im sozialen Umfeld der Familie, Bearbeitung vielfältiger und diffuser Problemlagen, Hilfs- und Kontrollfunktion) von einer Vergleichbarkeit der Ansätze aus.

Im sich daran anschließenden Kapitel skizziert der Autor die fachliche Theoriebildung zum Arbeiten in aufsuchenden, familienunterstützenden und sozialpädagogischen Hilfen im deutschsprachigen Raum. In Anlehnung an Heiner et al. betrachtet er die Elemente von Handlungstheorien der Sozialpädagogischen Familienhilfe unter den Kategorien Konzeptionen (soziologische, entwicklungspsychologische und systemisch-konstruktivistische Perspektive), Arbeitsprinzipien (Hilfe zur Selbsthilfe, Lebensweltorientierung), Arbeitsformen und Handlungsanweisungen. Als Fazit stellt er auf der Ebene der institutionellen Rahmenbedingungen, der allgemeinen Konzepte und der Handlungsprinzipien eine große Klarheit fest. Auf der Ebene der konkreten Umsetzungen dieser Ansprüche in Gesprächen mit den Familien fehlt diese Klarheit. Von der Erforschung der Interaktion zwischen Familie und Fachkraft erhofft sich Petko deshalb Aufschlüsse über die Formen professionellen Arbeitens und Aushandelns auf der Mikroebene.

Bevor er das methodische Vorgehen seiner Studie beschreibt, widmet er sich in einem eigenen Kapitel ausführlich und sehr gelungen den empirischen Zugängen zur Sozialpädagogischen Familienhilfe. Er stellt sämtliche bekannten Forschungsprojekte zum konkreten Handeln in der SPFH vor und arbeitet die Chancen und Grenzen der jeweiligen Erhebungsmethode heraus. Bei den standardisierten schriftlichen Befragungen stellt er die Studien von Nielsen et al. (1986), Christmann et al. (1986), Elger (1990), Matscha (1991) und Blüml et al. (1994) vor. Bei den Studien, deren Datenbasis sich auf Interviews und Erfahrungsberichte stützt, finden wir Pressel (1981), Richterich (1993), Allert et al. (1994), Blüml et al. (1994), Terbuyken (1998b), Schuster (1997), Woog (1998), Petko (1999) und Weber (2001). Da bislang keine wissenschaftlichen Beobachtungsstudien vorliegen, die elektronisch dokumentiert sind, betritt der Autor mit seiner Studie methodisches Neuland. Um die Gesprächsformen, Gesprächsstrategien und Handlungsorientierungen in der SPF zu erforschen, kombiniert er folgende Methoden:

  • akustische Aufzeichnung der Familienbesuche von schweizerischen SPF - Mitarbeitern
  • Interviews mit den Fachkräften in denen die Aufnahme gemeinsam gehört, von den Fachkräften offen kommentiert und anschließend einer vertieften Reflektion unterworfen wird (selbst-fokussiertes Leitfadeninterview)
  • schriftliche Befragung zu allgemeinen Einschätzungen des Tätigkeitsprofils der Fachkräfte.

Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Verein pro juventute durchgeführt. Fünfundzwanzig Fachkräfte beteiligten sich, die jeweils zwei ihrer Familienbesuche in unterschiedlichen Familien akustisch aufzeichneten. Die Auswahl der Familien wurde den Fachkräften überlassen. Die Aufzeichnungen der Familienbesuche und die Interviews fanden im Zeitraum eines Jahres, von April 2000 bis April 2001 statt. Der Kurzfragebogen wurde etwa ein Jahr später versandt. Ausgewertet wurde das reichhaltige Datenmaterial mit verschiedenen Analyseverfahren. Die Familienbesuche, die auf fallübergreifende Rekonstruktionen der Gesprächsformen zwischen Familien und Fachkräften zielten, mit Hilfe der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, die Auswertung der Interviews erfolgte auf Grundlage der Grounded Theory und die Fragebögen wurden mit statistischen und inhaltsanalytischen Verfahren ausgewertet.

Das umfangreichste Kapitel befasst sich mit der Analyse der Daten und der Darstellung der Ergebnisse. Wichtigstes Ergebnis der Auswertung der Familienbesuche ist die Erkenntnis, dass die Fachkräfte unterschiedliche Handlungsformen anwenden, um familiale Probleme zu besprechen. Petko arbeitet vier Formen des Problemgespräches heraus:

  1. "Probleme bereden und Verständnis zeigen" - Problemerzählungen und ihre Anerkennung
  2. "Kompetenzen hervorlocken und anerkennen" - Problemlöseerzählungen und positives Feedback
  3. "Neue Sichtweisen anbieten" - Bedeutungen erfahren und veränderte Deutungen formulieren
  4. "Praktische Veränderungen anregen" - Rat und Vorschläge mit Bezug zur Klientenpraxis.

Zu allen Formen finden sich Transkripte, die die jeweilige Art des Problemgespräches verdeutlichen sowie mögliche Funktionen, die die jeweiligen Gesprächsformen erfüllen. Anhand der Daten der Familienbesuche arbeitet der Autor auch das Verhalten der FamilienbegleiterInnen in der familialen Alltagsinteraktion, die Zusammenhänge zwischen den Impulsen der Fachkräfte und der Zustimmung der Klienten heraus. Als Ergebnis der Beobachtungsdaten erstellt Petko ein idealtypisches Stufenmodell für Problembesprechungen in der SPF. Die Anteilnahme der Fachkräfte an den Problemen der Familie und die Anerkennung ihrer Leistungen bilden die erste Stufe des Modells und sind damit der Ausgangspunkt für alle weiteren Impulse.

Die Interviews mit den Fachkräften erhellen deren Handlungsstrategien, die sich durch ihre unterschiedlichen Grade von Direktivität voneinander unterscheiden. Petko fand im Datenmaterial drei Strategien der Themenfindung (offene, reaktiv strukturierende und aktiv strukturierende) sowie drei Strategien der Lösungserarbeitung (explorativ, inspirativ - optionale Anregungen und normativ). Das Maß an Direktivität ist dabei abhängig von Kontextmerkmalen wie Einschätzung der Selbsthilfefähigkeiten der Familie, Einschätzung der Stabilität der Arbeitsbeziehung und Einschätzung der Erwartungen der Familie an die Hilfe.

Die Fragebögen, in denen die Familienbegleiter nach ihrem Handlungsprofil und ihren Handlungsprinzipien befragt wurden, verweisen auf einen professionellen Arbeitsstil der Fachkräfte, der weitgehend den Prinzipien der lebensweltorientierten sozialen Arbeit nach Thiersch und neueren Ansätzen der SPFH entspricht. Die anhand der schriftlichen Befragung erzielten Ergebnisse verweisen darauf, dass die Fachkräfte nicht-direktive Handlungsweisen bevorzugen. Aus den Interviews ist aber ersichtlich, dass die Fachkräfte bei ihren Familienbesuchen auch aktiv und direktiv in das Familiengeschehen eingreifen.

Auch in der Zusammenschau der Datenebenen zeigt sich, dass ein gewisses Maß an Direktivität angewandt wird, insbesondere dann, wenn der Vertrauensaufbau bereits stattgefunden hat und die Fachkräfte der Auffassung sind, die Familie dadurch nicht anzugreifen oder zu bevormunden.

In der zusammenfassenden Diskussion der Ergebnisse betont Petko, dass sich das Handeln in der schweizerischen SPF stark auf gesprächsweises Handeln bezieht, in dem unterschiedliche Handlungsformen und Handlungsstrategien zum Einsatz kommen. Handlungstechniken sind nicht an jedem Punkt der Interaktion sinnvoll, sondern sind Schritte innerhalb einer gemeinsam mit der Familie inszenierten Gesprächsform. Diese Gespräche werden eher zwanglos auf der Basis eines gemeinsamen Plauderns inszeniert und nutzen den Übergang vom Alltags- zum Hilfegespräch als besondere Chance.

Zielgruppen

Die Arbeit richtet sich nicht an eine konkret abgrenzbare Zielgruppe. Aufgrund des universitären Hintergrundes des Autors scheint sie jedoch in erster Linie für diejenigen Personen relevant zu sein, die auf dem Gebiet der Familienhilfen wissenschaftlich arbeiten. Die vorliegende Dissertation bietet aber auch für die in der Praxis der aufsuchenden sozialpädagogischen Arbeit mit Familien Tätigen interessante Hintergründe zum Interaktionsverhalten und Anregung, eigene Impulse kritisch zu hinterfragen. Darüber hinaus sind Aushandlung und Interaktion aber nicht nur in der SPF oder SPFH wesentlich, sondern auch in allen anderen Feldern sozialer Arbeit ein spannendes und aktuelles Thema.

Fazit

Petkos Buch "Gesprächsformen und Gesprächsstrategien im Alltag der Sozialpädagogischen Familienhilfe" ist in vielerlei Hinsicht eine beeindruckende Dissertation. Sie ist flüssig geschrieben, übersichtlich aufgebaut, die Gedanken lassen sich gut nachvollziehen. Richtig bemerkenswert ist, dass der Autor sowohl inhaltlich als auch methodisch Neuland betritt. Erstmals wurde eine Studie vorgelegt, deren Fokus auf der Analyse der audiovisuellen Aufzeichnung von Familienbesuchen liegt. Kleiner Wermutstropfen: Die Chancen und Risiken dieses beobachtenden Verfahrens werden zwar in Kapitel 4 besprochen und in Kapitel 5 wird das konkrete Vorgehen während der Studie eingehend beschrieben, aber eine nachträgliche Reflexion des Vorgehens und des möglichen Ertrags der so gewonnenen Daten fehlt. Vermutlich ist der Autor der Auffassung, dass die Ergebnisse für sich sprechen, der hohe Detaillierungsgrad der stattfindenden Interaktionen ist an ihnen deutlich sichtbar. Inhaltlich trägt Petko mit der genauen Analyse der Interaktion zwischen Familie und Familienhelfer zur Klärung des bisher unscharfen Aushandlungsbegriffes bei. Seine Arbeit erscheint mir insgesamt als sehr gelungen und durch die Eröffnung des Feldes der konkreten Interaktionen in der SPFH wertvoll für die weitere Theorieentwicklung. Insbesondere die Ausführungen zu Kontextmerkmalen, die ein direktives Vorgehen der Fachkräfte sinnvoll und erfolgreich erscheinen lassen, bauen auf die Vorarbeiten von E.M. Schuster auf und machen den Weg frei zur weiteren Erforschung der Prozesse in der SPFH.

Rezension von
Dr. Anja Frindt
Dipl. Päd., Dipl. Sozarb./Sozpäd.

Es gibt 7 Rezensionen von Anja Frindt.

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ISSN 2190-9245