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Simone Bekk: Theater und Erziehung

Rezensiert von Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel, 20.06.2016

Cover Simone Bekk: Theater und Erziehung ISBN 978-3-631-66169-7

Simone Bekk: Theater und Erziehung. Ein Beitrag zur Theaterpädagogik. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2015. 211 Seiten. ISBN 978-3-631-66169-7. D: 44,95 EUR, A: 46,20 EUR, CH: 51,00 sFr.

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Thema

Ob „das Theater die Familie und die Schule bei ihrer erzieherischen Aufgabe unterstützen kann,“ dieser „Forschungsfrage … geht die Abhandlung … nach“, so Simone Bekk in ihrem vorangestellten „Abstract“ (S. XI).

Autorin

Simone Bekk ist Mitarbeiterin am Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Entstehungshintergrund

„Theater und Erziehung“ wurde „im WS 2014/15 von der Fakultät der Geistes- und Sozialwissenschaften des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als Dissertation angenommen“ (IX). Die Dissertation entstand im Zusammenhang mit einer Reihe von Projekten des Karlsruher Instituts. Einleitend zu ihrer Dissertation „Theater und Erziehung“ stellt Bekk „zur Veranschaulichung“ ein Theaterprojekt der Forschungsstelle Lehrerberufseignung des Karlsruher Instituts (KIT) vor, welches von ihr „geplant, organisiert und wissenschaftlich begleitet wurde“ (6); es wurde realisiert „an einer Werkrealschule“ im „Fächerverbund ‚Musik-Sport-Gestalten’, der wöchentlich fünfstündig in der 5. Klasse der Werkrealschule unterrichtet wird“ (7).

Aufbau

Nach dem einleitenden Kapitel 1 (S. 1 ff) wird in Kapitel 2 (21 ff) „ein geschichtlicher Überblick bezüglich der dem Theater zugeschriebenen Lehr- und/oder Unterhaltungsfunktionen gegeben. … Zudem wird kritisch hinterfragt, inwieweit die Bildungshoffnungen und Erziehungsbestrebungen des Theaters der Manipulation und Indoktrination dienten, im Gegensatz zu pädagogischen Zielsetzungen“ (17).

Im umfangreichsten 3. Kapitel (51 ff) „werden dramen- und theaterpädagogische Konzepte aufgenommen und diese hinsichtlich ihres methodischen und didaktischen Aufbaus und ihrer Bildungsintentionen erläutert.“ (17)

In Kapitel 4 (109 ff) werden „mithilfe der Betrachtung pädagogischer Grundbegriffe die in Kapitel drei dargelegten dramentheoretischen und theaterpädagogischen Konzepte Lessings Brechts, Boals und Schellers, aus pädagogischer Perspektive kritisch hinterfragt.“ „Bei der Auswahl der Konzepte wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Es sollen beispielhaft Konzepte dargestellt werden, welche die Bandbreite des ‚Theater-Sehens’ und des ‚Theater-Spielens’ abdecken und welche die stufenweise Entwicklung vom passiven Zuschauer hin zum aktiven Darsteller sichtbar machen.“ (18)

Im 5. Kapitel (167 ff) „sind der Lehrer und seine (Aus-)Bildung Gegenstand der Betrachtung. Die Konsequenzen für die Lehrer(aus)bildung werden anhand der bisher gewonnenen Forschungsergebnisse erarbeitet.“ (18)

Im abschließenden Fazit, dem 6. Kapitel (181 ff), werden „die wichtigsten Forschungsergebnisse und der argumentative Verlauf der Abhandlung wiedergegeben, um die Leitfrage, inwieweit das Theater die Familie und die Schule bei ihrer erzieherischen Aufgabe unterstützen kann, zu beantworten.“ (18)

Inhalt

Bekk beginnt sehr klar mit einer pädagogischen Grundbestimmung: „‚Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.’ (Art. 6 Abs. 2 GG) … Schule ist für den Unterricht, für die Vermittlung von Wissen, zuständig und kann die Erziehung der Familie zwar ergänzen und fortführen, aber nicht kompensieren (vergl. REKUS 2003, 127 ff)“ (1). Bekk verweist auf den „‚Kinder- und Jugendplan des Bundes: Kulturelle Bildung soll Kinder und Jugendliche befähigen, sich mit Kunst, Kultur und Alltag phantasievoll auseinander zu setzen. Sie soll das gestalterisch-ästhetische Handeln in den Bereichen Bildende Kunst, Film, Fotografie, Literatur, elektronische Medien, Musik, Rhythmik, Spiel, Tanz, Theater, Video u.a. fördern. Kulturelle Bildung soll die Wahrnehmungsfähigkeit für komplexe soziale Zusammenhänge entwickeln, das Urteilsvermögen junger Menschen stärken und sie zur aktiven und verantwortlichen Mitgestaltung der Gesellschaft ermutigen’ (Bundesministerium für Familie, Soziales und Jugend, 2000, 9).“ (3)

„Es scheint einen zunehmenden Konsens darüber zu geben, dass Lehrer, um für die neu auftretenden Herausforderungen der Gesellschaft vorbereitet zu sein, (auch) als ‚Theaterpädagogen’ ausgebildet werden sollten, um mit den Mitteln und Methoden des Theaters den Bildungsprozess des Menschen zu führen und zu unterstützen.“(6)

Unter Hinweis auf das von ihr organisierte und begleitete Theaterprojekt schreibt Bekk: „Auch den Lehrpersonen im Projekt fällt eine bedeutende Aufgabe zu, für die sie hinreichend qualifiziert sein müssen.“ Der „Theaterpädagoge … muss zum einen mit den Methoden des Theaters vertraut sein, unter anderem um die Sprachtechnik [1] zu verbessern sowie die Rollenarbeit anzuleiten.“ Zudem „muss er auch mit den politischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Themen und Rahmenbedingungen vertraut sein, um einen Dialog sachgerecht leiten und bei der Reflexion Hilfestellung geben zu können.“ (14) „Dass ein nicht ausgebildeter Lehrer diese Aufgaben nicht übernehmen kann, sondern durch qualifiziertes Personal unterstützt werden muss, hat das Projekt gezeigt.“ (15)

„Da sich diese Abhandlung an pädagogischen Grundbegriffen – mit anderen Worten an Prinzipien, die a priori bestimmbar sind … – orientiert, kann sich diese als transzendental-kritische Analyse bezeichnen (KANT Kr.d.r.V B 25). … Es können dem Menschen keine ‚Ziele für sein Denken und Handeln verordnet oder aufgezwungen werden’ (DICKOPP 1983, 191), denn der Mensch wird als selbstbestimmtes Wesen gefasst, welches sein Handeln in Eigenverantwortung begründen muss.“ (19)

Bekk behandelt dann Theater „als ergänzende Erziehungsinstanz neben Familie und Schule“,dem „schon immer sowohl eine Unterhaltungs- als auch eine Lehrfunktion zugeschrieben wurde. … Es gilt nun zu untersuchen, inwieweit das Theater durch ein ästhetisches, unterhaltendes oder erziehendes Interesse konstituiert wird und ob dieses bspw. durch Pädagogik, Politik oder Religion motiviert ist. In einem historischen Überblick sollen der Verlauf und die unterschiedlichen Ausprägungen der zugeschriebenen Unterhaltungs- und Lehrfunktionen dargestellt und erläutert werden“ (21). Das wird sehr knapp und kursorisch mit Bezug auf Theaterlexika (Brauneck, Trilse-Finkelstein) durchgeführt, angefangen bei Platon, Aristoteles und Horaz („aut prodesse volunt aut declectare (sic!) poetae“) über Luther (wichtiger wären Melanchthon und Johannes Sturm vom Straßburger Gymnasium), die Puritaner (Cromwell), Lessing, Schiller (sein Vortrag von 1784: „Vom Wirken der Schaubühne auf das Volk“, 28) bis hin zu Laienspiel und Nationalsozialismus.

Dann „standen nach Ende des Krieges wieder soziale Prozesse, Gruppendynamik, Persönlichkeitsbildung und soziale Bildung im Vordergrund des Laienspiels der Schulen“ (31), die freilich den (historischen!) Begriff ‚Laienspiel’ mehr und mehr durch ‚Darstellendes Spiel’ bzw. ‚Schultheater’ ersetzten.

„Anhand der Thematisierung von politischen, religiösen und philosophischen Inhalten“, so resümiert Bekk, „wird offenkundig, dass bei der Darstellung bestimmte Werte und Tugenden behandelt und veranschaulicht wurden“ (23). Und: „Dieser kurze Überblick verdeutlicht zwei Aspekte. Der erste Gesichtspunkt zeigt, dass über alle Epochen hinweg immer zwischen aktiv Spielenden und Zuschauenden unterschieden und dementsprechend unterschiedliche Gewichtungen gesetzt wurden. Der zweite Aspekt ist die Lehrwirkung, welche dem Theater zugesprochen wurde – jedoch in unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Maße“. (33) Keine besonders erhellenden Aspekte!

Nach dem allzu kursorischen Theaterteil formuliert Bekk einen präziser Zwischenteil zu Pädagogikund ihren „Herausforderungen … bezüglich einer Wert-Erziehung“ (34 ff). Sie zitiert Rekus:„‚In pädagogischer Perspektive stellt die Individualisierung für sich genommen noch kein Problem dar, sondern erst die damit einhergehende Pluralisierung der Lebenswelt. Wegen der damit verbundenen Vielfalt an konkurrierenden Werten und Normen ist der eigene Wertfindungsprozess viel schwieriger als früher geworden. Denn es fehlt die für die Erziehung notwendige klare und eindeutige Orientierung’ (REKUS 2000, 96)“. (39)

„Beispielhaft für einen Grundwertekanon“ verweist Bekk auf „BREZINKAS Ausdifferenzierung des allgemeinsten Erziehungsziels, der Lebenstüchtigkeit, in verschiedene Persönlichkeitseigenschaften“ (40). „Aufgaben der Familie sollen in der Schule fortgeführt werden.“ Ihr „käme außerdem die Aufgabe zu, politische und bürgerliche Tugenden zu vermitteln – den Gemeinsinn und den Patriotismus.“ (42)

Klar herausgearbeitet wird „Werten-Lernen als instanzübergreifende Methode der Wert-Erziehung“ (43), denn: „Sowohl Dinge als auch Handlungen tragen keinen bestimmten Wert in sich, sondern ihnen wird von einem Individuum ein Wert zugeschrieben … Das bedeutet, Menschen bewerten eine Sache oder Handlung nach bestimmten Kriterien, wodurch diese Handlung oder dieser Gegenstand für sie mehr oder weniger wertvoll wird. … Unterscheiden lässt sich bei Werten zwischen außermoralischen Werten und moralischen Werten (vergl. LADENTHIN 2008b, 19f). Außermoralische Werte betreffen die Lebensbedingungen und die Qualität der Lebensumstände. Sie beschreiben ein gutes Leben und richten sich nach der Maßgabe der Conditio humana. … Moralische Werte hingegen haben als Maßgabe die Würde des Menschen.“ (44) Dabei „ist es weder möglich, bestimmte Werte generell als wertvoll zu bezeichnen und einen Wertekatalog aufzustellen, der an die Jugend weitergegeben werden soll, noch ist es möglich, spezielle Werte generell als hoch und andere als niedrig einzustufen. Denn Werte können nur situationsbedingt neu bestimmt und gesetzt werden.“ (44 f) Das aber heißt: „Wenn eine Erziehung hin zu bestimmten Werten nicht sinnvoll ist, dann muss die Methode des Wertens erlernt werden (vergl. LADENTHIN 2008b, 23ff). … ‚Wertorientierung heißt also: helfen, auf Grund des Maßstabs der Conditio humana und der Würde des Menschen, Werte zu identifizieren. Und in einem weiteren Schritt heißt es dann, den Wert zu bevorzugen, der am meisten geeignet ist, die Conditio humana zu sichern – oder die Würde des Menschen. Dieser Begründungsakt ist rational’ (LADENTHIN 24).“ (45) Bekk pointiert: „Werte sind somit zeitpunkthaft, situations- und kontextgebunden und nicht erlernbar wie Vorschriften und Regeln. Sie sind Ausdruck des Wollens und zeigen sich in der Haltung eines Subjektes. Beim Handeln muss ein Subjekt selbstbestimmt werten, ob es darum weiß oder nicht.“ „‚Das Ziel kann nur heißen: Wertsicherheit und Werturteilsfähigkeit. In einer offenen und pluralen Gesellschaft muss jeder darüber verfügen, wenn sein Leben darin gelingen soll’ (REKUS 2008, 10).“ (47)

In einer ersten „Synthese“ (48 f) führt Bekk Theater und Pädagogik zusammen: „Der historische Verlauf verdeutlicht, dass … vom Theater immer Bildungsintentionen erhofft, erwünscht oder dem Theater unterstellt wurden, sowohl für den Zuschauer als auch für den Darsteller. … Das wesentliche Problem der Pädagogik ist der entstandene Wertepluralismus, welcher durch eine Aufforderung der Aufklärung ‚Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen’ (KANT 1964a, 53) zum Ausdruck kommt. … ‚Relevant ist hierbei, wie Werte begründet und intersubjektiv kommuniziert werden’ (FEES 2014, 314). Das Werten-Lernen ist somit die einzig legitime Methode einer pädagogischen Wert-Erziehung, auch in der Institution Theater.“ (48 f)

Im dritten Hauptkapitel versucht Bekk eine „Betrachtung von dramentheoretischen und theaterpädagogischen Konzepten“ (51-108). Sie beginnt mit einem Schiller-Zitat: „Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele“ (51) und behandelt dann unter Einbeziehung zeitgenössischer Quellen (Lessings Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai über das Trauerspiel, München 1972) ausführlich und fundiert die Dramentheorie LESSINGS, insbesondere die „Wert-Erziehung des Zuschauers durch Mitleid und Furcht“ (53 ff). Dazu Lessing: „‚… die Fähigkeit der Tragödie ist diese: sie soll unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. Sie soll uns nicht blos lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern sie soll uns so weit fühlbar machen, dass uns der Unglückliche zu allen Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muss. … Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel, das jenes thut, thut auch dieses, oder – es thut jenes, um dieses thun zu können.’ (LESSING 1972, 55)“ (53; z.T. bereits zitiert auf S. 27) – „‚… so wie ohne Zweifel derjenige der beste Mensch ist, der die größte Fertigkeit im Mitleiden hat’ (LESSING 1972, 80)“ (59). Und noch einmal Lessing: „‚Mit Absicht handeln ist das, was den Menschen über geringere Geschöpfe erhebt’ (ebd., S. 179)“ (53).

Anschließend „Das Epische Theater Bertolt BRECHTs“ (60 ff); Bekk versucht, mit Hilfe einer Zitatmontage eine Gesamtdarstellung von Brechts Theater zu geben. Dabei sogleich wieder die Spannung zwischen prodesse und delectare: „Das heißt: Je mehr wir das Publikum zum Mitgehen, Miterleben, Mitfühlen brachten, desto weniger sah es die Zusammenhänge, desto weniger lernte es, und je mehr es zu lernen gab, desto weniger kam der Kunstgenuss zustande“. Trotzdem bleibt Brecht bei seinem Ziel, dass „der unfreie, unwissende, freiheits- und wissensdurstige Mensch unseres Jahrhunderts, der gequälte und heroische, missbrauchte und erfindungsreiche, änderbare und die Welt ändernde Mensch dieses schrecklichen und großen Jahrhunderts sein Theater bekommen (kann), das ihm hilft, sich und die Welt zu meistern“. (61) Noch einmal Brecht: „Wir brauchen Theater, das nicht nur Empfindungen, Einblicke und Impulse ermöglicht, die das jeweilige historische Feld der menschlichen Beziehungen erlaubt, auf dem die Handlungen jeweils stattfinden, sondern das Gedanken und Gefühle verwendet und erzeugt, die bei der Veränderung des Feldes selbst eine Rolle spielen“ (65). Denn: „Alle Künste sollen gemeinsam ‚zur größten aller Künste (beitragen), der Lebenskunst.’“ (69) „‚Das Theater dieser Jahrzehnte soll die Massen unterhalten, belehren und begeistern. … Es soll also der Wahrheit, der Menschlichkeit und der Schönheit dienen’ (BRECHT)“ (72).

Es folgt „Das Theater der Unterdrückten Augusto BOALs“ (72 ff). Bekk übernimmt Boals Argumentation: „Im Gegensatz zum Aristotelischen und dem Epischen Theater setzt das Theater der Unterdrückten sowohl auf der Bewusstseins- als auch auf der Handlungsebene an.“ (75) „Lösungs- und Befreiungsrezepte sollen dabei nicht vorgegeben werden, sondern der Zuschauer soll zum aktiv Handelnden werden und so seine eigenen Haltungen und Einstellungen und die Haltungen und Einstellungen der anderen erkennen“ (87); kritisch anzumerken ist freilich, dass bei Boal nur ein verschwindend kleiner Teil der Zuschauer eigene Vorschläge einbringen und auf der Bühne zu realisieren versuchen kann.

Anders das direkt auf Unterricht bezogene „Szenische Spiel Ingo Schellers“ (89 ff), das ähnlich wie das Amateur- und Schultheater die gesamte Spielgruppe (bzw. Schulklasse) in den Prozess einbezieht, dem Theater der Unterdrückten Boals in Bezug auf Erfahrungslernen also weit voraus ist: „‚Lernen findet in Szenen statt, in die wir mit allen Sinnen eingebunden sind’ (SCHELLER 1998, 17)“ (89). Als Anforderungen an einen erfahrungsbezogenen Unterricht nennt Scheller „(vgl. 1987, 63):

  • Die Gegenstände des Unterrichts sollen Erlebnisse, Erfahrungen und Phantasien der Schüler, d.h. ihre Konflikte, Wünsche, Ängste und Träume sein.
  • Die Unterrichtsgegenstände sollen von den Schülern gewählt und vom Lehrer nicht (im schulischen Sinne) bewertet werden.
  • Die Schüler sollen aktiv, d.h. sinnlich praktisch über Symbole, Handeln lernen und nicht nur auf die Begriffs-Sprache begrenzt bleiben, wie es oftmals in frontalen Unterrichtssituationen der Fall ist.
  • Den Schülern sollen soziale Erfahrungen und solidarische Beziehungen ermöglicht werden, in einem eingeschränkten Personenkreis, respektive begrenzt auf die Klasse.
  • Die Schüler sollen im Klassenraum und der Unterrichtszeit Raum- und Zeiterfahrungen machen, je nach ihren Bedürfnissen.“ (92)

Scheller formuliert direkt auf die Praxis des Unterrichts bezogen; Bekk folgt ihm in ihrer Darstellung: „Um dieses Verhalten und seine sozialen Wirkungen, aber auch um das, was im Spiel anderer und fremder Rollen und Situationen neu entwickelt wird, geht es vor allem, wenn vom Szenischen Spiel als Lernform gesprochen wird. Es geht um die Analyse sozialer Prozesse und um das Wiederentdecken, Erleben und Bewusstmachen dessen, was die Spieler bewusst oder unbewusst ausdrücken, zeigen und zu zeigen in der Lage sind. Und es geht um gelebte und nicht gelebte, lustvolle, aggressive, auch soziale Träume, Wünsche, Gefühle, Lebensentwürfe und Verhaltensweisen, die sie sich in ihrer sozialen Welt angeeignet haben oder die sie vergessen, unterdrücken oder ausgrenzen mussten. … (vergl. 1987, 192 ff).“ (94) Noch einmal Scheller: „‚Die Erfahrungen, die ich mit dem szenischen Spiel in Schule, Hochschule und Weiterbildung gemacht habe, haben … gezeigt, dass es möglich ist, auch und gerade in pädagogischen Institutionen Lern- und Erkenntnisprozesse zu initiieren, die nicht von der Lernsituation und den konkreten Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erfahrungen der Beteiligten abstrahieren, sondern diese und die körperlichen und sprachlichen Ausdrucks- und Verhaltensweisen bewusst aktivieren und als Inhalte und Potenziale in den Erkenntnisprozess mit einbeziehen. Dabei können dann die in Texten, Bildern und Filmen entworfenen Ereignisse, Menschen und soziale Situationen so angeeignet werden, dass auch die eigene Lebenspraxis zum Thema wird, können Geschichte und Geschichten aus unterschiedlichen Epochen, Kulturen und sozialen Schichten vergessene und noch nicht erworbene Verhaltensmuster aktivieren, das eigene Denken und Handeln verfremden und als zeitgeschichtlich Verankertes erfahrbar machen’ (SCHELLER 1998, 13f).“ (102 f)

In einer weiteren „Synthese“ vereint Bekk „Dramentheoretische und Theaterpädagogische Konzepte“ (105f) u.a. tabellarisch. „Gemeinsam“, so Bekk, „ist allen vier Konzepten eine erzieherische Wirkungserwartung entweder durch das ‚Theater-Sehen’ oder durch das ‚Theater-Spielen’.“ (107) Auch hier übernimmt Bekk

die Position Boals: „Das Theater der Unterdrückten geht noch einen Schritt weiter – hin zum aktiven bzw. handelnden Zuschauer“ (107) – hin zu einzelnen (!) aktiven bzw. handelnden Zuschauern.

Das vierte Kapitel „‚Theater-Sehen’ und ‚Theater-Spielen’ als Möglichkeiten zum Werten-Lernen?“ (109 ff) wechselt zunächst wiederum zu einer pädagogischen Fragestellung. Bekk setzt ein mit Kant-Zitaten: „‚der Mensch (sei) das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss … Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht’ (1964 c, 697, 699).“ (109) Und: „‚Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. … Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen’ (1964 a, 53).“ (110) „Bildsamkeit und Aufforderung zur Selbsttätigkeit“ sind demnach „konstitutive Prinzipien, die für pädagogisches Handeln denknotwendig und bestimmend sind“ (112). So auch bei Fichte und Herbart. „Pädagogisches Handeln heißt somit ‚nicht, etwas herstellen, sondern helfen, dass der Edukand selber etwas herstellen kann – nämlich seine Bildung’ (REKUS 2006, 114).“ (113)

„‚Wer die Frage nach den Motiven seines Tuns nicht angeht, handelt aus Motiven, die er nicht selbst bestimmt hat. Er bliebe fremdbestimmt. Er ließe zu, dass andere über sein Leben bestimmen’ (LADENTHIN 2008 b, 28). Somit ist es wichtig, dass der Mensch lernt, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten, indem er (moralische) Werturteile herausbildet und so zu den Gegenständen eine Haltung einnimmt. Dies ist Aufgabe der Erziehung. Erziehung ist, im Gegensatz zum Unterricht, auf Haltung, Einstellung, Handlungsorientierung und Verhaltensdispositionen gerichtet und somit auf die selbstständige und eigenverantwortliche Lebensführung des Menschen. Es wird deutlich, Erziehung und Unterricht sind untrennbar miteinander verbunden. Denn das Individuum muss zu seinem Wissensgegenstand immer ein Werturteil fällen …“ (118). Dazu noch einmal Herbart: „‚Machen, dass der Zögling sich selbst finde, als wählend das Gute, als verwerfend das Böse: dies oder nichts ist Charakterbildung! Diese Erhebung zur selbstbewussten Persönlichkeit soll ohne Zweifel im Gemüte des Zöglings selbst vorgehen und durch dessen eigene Tätigkeit vollzogen werden; es wäre Unsinn, wenn der Erzieher das eigentliche Wesen der Kraft dazu erschaffen und in die Seele eines anderen hineinflößen wollte’ (HERBART 1997,49).“ Dazu ein bissiges Nietzsche-Zitat: „‚Denn die Dressierbarkeit des Menschen ist in diesem demokratischen Europa sehr groß geworden; Menschen, welche leicht lernen, leicht sich fügen, sind die Regel: das Herdentier, sogar höchst intelligent, ist präpariert. Wer befehlen kann, findet die, welche gehorchen müssen’ (NIETZSCHE 1930, 93).“ (121)

In ihrer stringent herleitenden und klug komponierten pädagogischen Analyse (dem Kapitel 4) widmet Bekk einem weiteren Begriff besondere Aufmerksamkeit, dem pädagogischen Takt: „‚Nun schiebt sich aber bey jedem noch so guten Theoretiker, wenn er seine Theorie ausübt, … zwischen die Theorie und die Praxis ganz unwillkürlich ein Mittelglied ein, ein gewisser Tact nämlich, eine schnelle Beurtheilung und Entscheidung’ (HERBART 1989, 285).“ (172) „‚Pädagogischer Takt schließt aus, den Schüler auf seine hier und jetzt vorliegende Seinsweise festzulegen, ihm nicht die Möglichkeiten unvorhersehbarer oder gar nicht berechenbarer Entwicklung abzusprechen, sein Anderswerden können (sic!) zu bestreiten, oder gar in überheblicher Weise vorausbestimmen zu wollen’ (HEITGER 2005, 25f).“ (191) Der pädagogische Takt wird genauer betrachtet „als Grundlage des Lehrer-Schüler-Verhältnisses“ (124 ff), als „Vertrauen in den Schüler“ (129), als „Selbstreflexion“ (131), als „Überschauen der Individuallage“ (133): „‚Unterrichten bedeutet eben nicht die Vermittlung von Einsichten, Fertigkeiten und Werteinstellungen ‚ohne Ansehen der Person’. Wenn Johann Michael Sailer in seinen ‚Regeln vor angehende Lehrer’ prägnant zusammenfasst: ‚Unterrichte den Schüler nie ohne den Schüler!’, dann steckt darin die Einsicht in deren psychische Struktur’ (PÖPPEL 1983, 134).“ (137)

Und schließlich „Pädagogischer Takt“ und „Intuition“, wiederum nahe bei Herbart: „Der pädagogische Takt ist ein Mittelglied zwischen Theorie und Praxis, das bedeutet eine ‚schnelle Beurteilung und Entscheidung’, die in der Praxis vom Lehrer getroffen werden muss. … ‚Jede Planung aber, auch die Planung des Unterrichts, ist immer identisch mit der Vorwegnahme eines zukünftigen Geschehens, das sich in allen Details unmöglich im Vorhinein absehen lässt’ (MUTH 1967, 9).“ (138)

Anschließend greift Bekk ihre Zweiteilung „‚Theater-Sehen’ und ‚Theater-Spielen’ aus pädagogischer Perspektive“ (140 ff) noch einmal auf. Tabellarisch werden zunächst „Konzepte und die Prinzipien von Bildung“ bei Lessing, Brecht, Boal und Scheller zusammengestellt (143), dann „Konzepte und die Regulative des erziehenden Unterrichts“ (144f). „Im Szenischen Spiels SCHELLERS und im Theater der Unterdrückten BOALs“, so Bekk, „können die eigenen Werturteile und Handlungsalternativen ausgetestet werden“; wiederum werden also Behauptungen Boals schlicht übernommen (147). Welcher Zuschauer, so wäre zu fragen, kann bei Boal schon „die eigenen Werturteile und Handlungsalternativen“ austesten? Auf der anderen Seite unterschätzt Bekk die kommunikativen Möglichkeiten des ‚normalen’ Theaters. Für sie fehlt dort „beim Zuschauen die Möglichkeit des interpersonalen Dialogs. Der Zuschauer kann keine Rückfragen stellen … Das Stück läuft, so wie es der Text“ – (die Inszenierung!) – „vorgibt und ist somit unabänderlich und unaufhaltsam.“ (148) Hier verkennt, denke ich, Bekk die kommunikative Kraft des Theaters: Zuschauer gehen selten allein ins Theater; sie reden während der Pause und nach der Aufführung miteinander; es gibt Vorinformationen, Pressekritiken, Gespräche mit dem Publikum … Und vor allem: normalerweise haben die Figuren eines Stücks unterschiedliche Positionen, Pläne, Meinungen, Werthaltungen, die während der Aufführung immer wieder ausagiert werden. Richtig allerdings eine Grundaussage von Bekk: „per se ist das Theater nicht bildend, sondern kann auch zur Manipulation oder Indoktrination genutzt werden.“ (149) Das gilt freilich auch für die Schule! „Das Theater jedoch bietet die Möglichkeit, Wertentscheidungen zu treffen und die Handlungsoptionen auszuprobieren. … Das ‚Theater-Spielen’ ermöglicht, das Handeln in Bezug auf verschiedene Wertsetzung auszuprobieren, das Urteilen zu erproben und die möglichen Konsequenzen fiktional zu erfahren.“ (149)

Im abschließenden 5. Kapitel konzentriert sich Bekk auf das „Werten-Lehren als Aufgabe des Lehrers“ und auf„Theater im Unterricht und in der Lehrer(aus)bildung“ (167 ff). Sie hebt die Möglichkeit des Theaters „hinsichtlich des hypothetischen Handelns“ hervor, „als das Üben von Urteilen und Handlungen ohne reale Verantwortungsübernahme und ohne das Tragen von Konsequenzen für den Darsteller.“ Mit „Konsequenzen“ können hier freilich nur die grob-materiellen gemeint sein; psychologische Auswirkungen von Rollen und Situationen sind dagegen nicht nur als „unterrichtsmethodische und -didaktische Konsequenzen zu beachten.“ (167)

Zudem konstatiert Bekk Auswirkungen des Theaters auch auf den Lehrer; es „bietet sich … (selbstverständlich unter den herausgearbeiteten pädagogischen Gesichtspunkten) geradezu an, einen pädagogischen Takt beim Lehrer auszubilden – vor allen Dingen durch das ‚Theater-Spielen’. So kann der Lehrer sein Handeln austesten, dieses reflektieren, einen verantwortungsvollen Umgang mit der Empathiefähigkeit entwickeln und für den Unterricht in der Realität üben. Dadurch wird ersichtlich, weshalb das Theater für die Lehrerbildung so wichtig ist.“ (175) Bekk unterstreicht diese Aussage noch einmal: „Neben dem bisher an Universitäten und Hochschulen verbreiteten wissenschaftlichen Studium, d.h. der unterrichtlichen Seite der Lehrerbildung, bietet das Theater unbeachtete Möglichkeiten für die erzieherische Seite der Lehrerbildung, um den pädagogischen Takt, im Sinne der Selbstreflexion, dem Überschauen der Individuallage, des verantwortungsvollen Umgangs mit der Empathiefähigkeit und der Intuition zu entwickeln.“ (179)

In ihrem Fazit (181 ff) fasst Bekk mit einigen Zitaten Kennzeichen von Theater und pädagogischem Handeln zusammen: „Pädagogisches Handeln heißt … ‚nicht, etwas her(zu)stellen, sondern (zu) helfen, dass der Edukant selbst etwas herstellen kann, nämlich seine Bildung’ (REKUS 2006,114).“ … „‚So wie die Bildsamkeit im Sinne der Bestimmtheit des Menschen zur Freiheit sich nur entfalten kann, sofern der Heranwachsende zur Selbsttätigkeit aufgefordert wird, so kann umgekehrt nur eine solche Aufforderung zur Selbsttätigkeit auffordern, welche an die Bildsamkeit des Heranwachsenden, an dessen Möglichkeiten zur Mitwirkung anknüpft’ (BENNER 1995, 21f).“ … „‚Wertorientierung heißt also: helfen, auf Grund des Maßstabs der Conditio humana und der Würde des Menschen, Werte zu identifizieren. Und in einem weiteren Schritt heißt es dann, den Wert zu bevorzugen, der am meisten geeignet ist, die Conditio humana zu sichern – oder die Würde des Menschen. Dieser Begründungsakt ist rational’ (LADENTHIN 2008b,24).“ (182)

Dabei bietet das Theater „die Möglichkeit, sowohl das Wesen des Urteils als auch das Wesen des Handelns zu üben, mit einer fiktionalen Verantwortungsübernahme der Konsequenzen. Ein erzieherischer Unterricht mit den Methoden des ‚Theater-Sehens’ und ‚Theater-Spielens ermöglicht einen Schutzraum für die Schüler; im Gegensatz zur Realität. In diesem Schutzraum können sie den Bildungsprozess hinsichtlich der Trias Wissen – Werten – Handeln von Anfang bis Ende durchlaufen …“ (185). Damit greift Bekk wiederum zurück auf ihre bereits einleitend formulierte Motivation: „Die fehlende systematisch-theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Theaterpädagogik und eine Untersuchung der pädagogischen Möglichkeiten des ‚Theater-Sehens’ und ‚Theater-Spielens’ sind die Motivation der folgenden Darlegung.“ (16)

Diskussion

Die von Bekk durchweg genutzte Zweiteilung „Theater-Sehen“ – „Theater-Spielen“ ist unzureichend. Schon beim konventionellen, textbasierten Theater gibt es sehr deutlich drei unterschiedliche Phasen: die Herstellung eines Theatertextes durch einen Autor, das Inszenieren dieses Textes durch eine Gruppe von Schauspielern mit Hilfe eines Regisseurs, die Aufführung als Begegnung der Schauspieler (der Inszenierung) mit dem Publikum (vergl. z.B. Fischer-Lichte); verkürzt ließe sich von Konzeptionsphase, Realisationsphase und Bewährungs- oder Begegnungsphase sprechen, denen bei vielen Gruppen noch eine ausführliche Reflexionsphase folgt (Aufführungsgespräche mit dem Publikum, Nachbesinnung in der Spielgruppe …).

Überdies beginnt gegenwärtiges Theater (auch in der Schule!) häufig ohne einen Theatertext mit einem Thema, mit Situationen, Konstellationen, Ideen zu Raum oder Bühnenbild; Spielleiter (Regisseur) und Spielgruppe (Schauspieler) erarbeiten zugleich und zusammen Inszenierung und Text. All diese durchaus unterschiedlichen Stationen, Tätigkeiten und Erfahrungsräume verbergen sich bei Bekk unter der Bezeichnung „Theater-Spielen“, das, so scheint es vielfach, nur auf die letzte Etappe, das Aufführen bezogen wird. Damit bleiben auch die mit den anderen, ganz unterschiedlichen Arbeitsphasen verbundenen ‚pädagogischen’ Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten unbemerkt und unbehandelt. Denn ob eine Schulgruppe „Unsichtbares Theater“ in der Fußgängerzone der eigenen Stadt, ein „Lehrstück“ von Brecht, Lessings „Minna“ oder Goethes „Satyros“ zur Aufführung bringen will, erfordert durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen, die zudem je nach Gruppe und Spielleiter weiter differenzieren; durch einen zusammenfassenden Terminus wie „Theater-Spielen“ werden sie nicht herausgearbeitet, sondern verdeckt. Hinzu kommt, dass Theater an der Schule häufig mit weiteren Stationen verbunden ist (lokale, regionale oder überregionale, auch internationale Theatertreffen, Begegnungen mit anderen Gruppen, dazu Aufführungsdiskussionen, besondere Werkstätten usw.).

So wird bei Bekk nur in der Darstellung des „Szenischen Spiels“ (Scheller) die reichhaltige Wirklichkeit des Theater-Machens deutlich. Dazu noch einmal ein Zitat: „‚Wir müssen verstehen, was in der Situation mit uns passiert, welche Gefühle durch welche Wahrnehmungen und Handlungen ausgelöst wurden und welche Konsequenzen daraus gezogen wurden’ (SCHELLER 1998,20). Dies geschieht durch eine Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Eigenen. Dieses Fremde soll nicht einfach abgewehrt werden, sondern ‚den Blick auf die eigene Vorstellung und Verhaltensmuster lenken und damit die Möglichkeit eröffnen, diese zu verändern’ (ebd. 19). Das Szenische Spiel bezieht sich dabei auf die innere und äußere Haltung. Mit Haltung ist die Gesamtheit ‚von inneren Einstellungen, Gefühlen, Vorstellungen und sozialen Orientierungen und äußeren körperlichen und sozialen Ausdrucks- und Handlungsweisen, wie es sich in verschiedenen sozialen Situationen realisiert’ (SCHELLER 1987,59) gemeint.“ (187)

Fazit

„Als Ergebnis kann festgehalten werden,“ so die Autorin schon in ihrem „Abstract“, „dass das Theater aufgrund seiner Spezifika prädestiniert ist, die Erziehung eines Menschen hinsichtlich der Methode des Werten-Lernens zu unterstützen. Erste Besonderheit ist, das hypothetische Handeln innerhalb der Trias Wissen-Werten-Handeln zu ermöglichen.“ (XI) Das wird in Beziehung auf Pädagogik und Schule klar und kompetent dargestellt und vielfach in tabellarischen Übersichten noch einmal verdeutlich. Dabei wechselt Bekk mehrfach geschickt zwischen (souveränen) pädagogischen und (häufig verkürzten) theaterpädagogischen Darstellungen und Reflexionen; der theaterpädagogische Teil leidet vor allem an der Verkürzung des Theaters auf entweder „spielen“ oder „zuschauen“. Dass fundamentale Unterschiede bestehen nicht nur zwischen dem „Proben“ von Theater und dem „Aufführen“ einer geprobten Inszenierung bleibt außer Betracht, ganz zu schweigen von den gravierenden Unterschieden zwischen der Erarbeitung eines vorliegenden Theatertextes durch eine Spielgruppe und der Erarbeitung (und Inszenierung!) eines eigenen Textes, zwischen weitgehend festgelegter Inszenierung und improvisierendem Spiel.


[1] Gemeint ist wahrscheinlich Sprechtechnik. Insgesamt allerdings eine recht seltsame Auflistung theaterpädagogischer Aufgaben.

Rezension von
Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel
Institut für Spiel- und Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin
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Es gibt 60 Rezensionen von Hans Wolfgang Nickel.

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Zitiervorschlag
Hans Wolfgang Nickel. Rezension vom 20.06.2016 zu: Simone Bekk: Theater und Erziehung. Ein Beitrag zur Theaterpädagogik. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2015. ISBN 978-3-631-66169-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19505.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.


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