Verena Begemann, Sabine Seidel: Nachhaltige Qualifizierung des Ehrenamtes
Rezensiert von Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike, 12.02.2016
Verena Begemann, Sabine Seidel: Nachhaltige Qualifizierung des Ehrenamtes. In der ambulanten Hospizarbeit und Palliativversorgung in Niedersachsen. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG (Ludwigsburg) 2015. 164 Seiten. ISBN 978-3-941251-86-1. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,90 sFr.
Thema
In vorliegendem Buch werden die Erkenntnisse einer Forschungskooperation zwischen der Hospiz Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Niedersachsen und der Hochschule Hannover dargestellt. Die Studie will beispielhaft zeigen, wie Wissenschaft und Praxis zusammenarbeiten können und einen Beitrag zur Diskussion um die Professionalisierung des Ehrenamtes in der Hospizarbeit leisten. Die Erkenntnisse aus dem Projekt sollen eine „wissenschaftliche Ermutigung“ für die Ehrenamtlichen darstellen, ihr gesellschaftliches Engagement selbstbewusst zu vertreten.
Autorinnen und Herausgeberin
- Prof. Dr. phil. Verena Begemann ist diplomierte Sozialarbeiterin und lehrt Ethik, Disziplin und Profession der sozialen Arbeit an der Hochschule Hannover.
- Sabine Seidel ist Forschungsreferentin und Geschäftsführerin des Instituts für angewandte Gesundheits-, Bildungs- und Sozialforschung an der Hochschule Hannover.
Herausgeberin des Bandes ist die Hospiz LAG Niedersachsen, in der sich Hospizinitiativen, -einrichtungen sowie Palliativstationen und überregionale Institutionen zusammengeschlossen haben.
Aufbau und Inhalt
Auf eine Einleitung, die Darstellung der Hospizarbeit in Niedersachsen sowie die Zielsetzung und das Forschungsdesign der Studie folgen Ausführungen zu Methode und Ergebnissen der quantitativen und qualitativen Erhebungen im Rahmen des Projekts. Es schließen sich daraus abgeleitete Impulse für die Praxis sowie die Zusammenfassungen von vier Foren an, die im Rahmen eines Fachtages zum Thema durchgeführt wurden.
1. Einleitung. Für die Studie wurden Ehrenamtliche in der Hospizarbeit in Niedersachsen zu Inhalten und konkreten Auswirkungen ihrer Befähigungs- und Vorbereitungskurse befragt. Ziel der Erhebung war dabei nicht die Standardisierung von Hospizkursen, sondern die Erarbeitung von Impulsen und Hinweisen für die Verbesserung und Nachhaltigkeit der Qualifizierung Ehrenamtlicher in der Hospizarbeit.
2. Struktur der Hospizarbeit in Niedersachsen. In diesem Kapitel werden kurz die Hospiz LAG Niedersachsen und ihre Aufgaben vorgestellt. Außerdem wird auf die Heterogenität der Hospizgruppen im Land eingegangen, von denen ca. 60% eine Förderung für die Qualifizierung der Ehrenamtlichen nach § 39a SGB V erhalten, während die übrigen 40% keine entsprechenden Leistungen beziehen. Für alle Hospizgruppen sind aber die „Qualitätsanforderungen zur Vorbereitung Ehrenamtlicher in der Hospizarbeit“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz aus dem Jahre 2005 maßgeblich.
3. Zielsetzung und Forschungsdesign. Die Studie zielt auf die Schärfung des Profils Ehrenamtlicher in der Hospiz- und Palliativversorgung ab. Diese wird aufgrund der zunehmenden Professionalisierung und Spezialisierung (z.B. Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV)), als notwendig erachtet, um stärker als gleichberechtigter Dialogpartner im interdisziplinären Versorgungssystem wahrgenommen zu werden. Geschaffen werden soll durch die Studie eine forschungsgestützte Grundlage für die Steuerung der ehrenamtlichen Hospizarbeit und eine Basis für die Systematisierung der Vorbereitungskurse. Dazu wurden anhand einer quantitativen Fragebogenerhebung zunächst demografische Charakteristika ehrenamtlich in der Hospizarbeit Tätiger, ihre subjektiv wahrgenommene Kompetenzen und ihre Lebenshaltungen beleuchtet. Im zweiten Studienteil wurden mittels qualitativer Interviews einzelne Themen wie schwierige Begleitsituationen vertieft.
4. Quantitative Erhebung. Anhand bestehender Veröffentlichungen, Vereinbarungen und Erfahrungen der Studienleitung wurden für die Zielsetzung der Studie relevante Themen in einem Fragebogen abgebildet. Dazu gehören z.B. der eigene Umgang mit Trauer, Kontakt und Kommunikation oder Helferpersönlichkeit. Die Verteilung der Fragebögen an die Ehrenamtlichen fand von Juni bis August 2013 über die KoordinatorInnen der niedersächsischen Hospizdienste statt. So konnten insgesamt 1.063 ehrenamtlich Tätige befragt werden, die knapp ein Viertel der in Niedersachsen tätigen SterbebegleiterInnen darstellen. Neben Daten zum Alter der Ehrenamtlichen, ihrem Einsatzort oder der Dauer ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit wurden auch Selbsteinschätzungen der Kompetenz abgefragt. Wichtige Themen waren dabei etwa die Selbstreflexion der eigenen Biografie, die Kenntnis des Hospizkonzepts oder der Umgang mit Sterbenden, deren Freunden und Angehörigen. Auch auf die Arbeit im multidisziplinären Team, die eigene Rolle, Spiritualität und Religiosität sowie die Vorbereitung auf bzw. die Betreuung während der ehrenamtlichen Tätigkeit wurde eingegangen.
5. Qualitative Erhebung. Der qualitative Studienteil fand im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Hochschule Hannover statt. Dazu wurden in der Hospizarbeit ehrenamtlich Tätige aus Nordrhein-Westfalen für einen Austausch mit den StudentInnen eingeladen, ein Interviewleitfaden erstellt, Gesprächsführung geübt und die 25 daraufhin durchgeführten Interviews qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet. Kernaussagen wurden in Kategorien zusammengefasst und auf Übereinstimmung mit dem DPHV-Leitbild der Arbeitsgruppe Ehrenamt überprüft. Wichtige Themen dabei waren
- Motivationen,
- Inhalte der Vorbereitungskurse,
- schwierige Situationen in Begleitungen,
- Fortbildung, professionelle Unterstützung und Begleitung
- Selbstverständnis und Position von Ehrenamtlichen
- Persönliche Veränderungen
6. Impulse für die Praxis. Aus den erhobenen Daten wurden 10 Impulse für die praktische Arbeit abgeleitet z.B. dazu, welche Themen in den Vorbereitungskursen vertiefter behandelt werden sollten oder welche Zusatzveranstaltungen und Fortbildungen als sinnvoll erachtet werden. Das Einüben von Schweigen, Stille und Passivität wurde dabei als besonders relevant hervorgehoben. Generell wird eine Stärkung des Selbstbewusstseins für das bürgerschaftliche Engagement als entscheidend gesehen, um das Profil des Ehrenamtes zu schärfen und zu kommunizieren.
7. Fachtag: Qualifizierung des Ehrenamtes in der Hospiz- und Palliativversorgung in Niedersachsen. Die hier dargestellten vier Foren des Fachtages beschäftigten sich mit den Themen Hospiz zwischen Pionierarbeit und Qualitätsmanagement, Stellung im interdisziplinären Team, Wahrnehmung der Ehrenamtlichen von Sterbenden und Angehörigen sowie dem Aushalten als Schlüsselkompetenz des Ehrenamtes und die Vorbereitung darauf. Dargestellt werden neben der Diskussion über die genannten Themen in den Foren auch mögliche Ansätze im Umgang mit diesbezüglichen Herausforderungen.
Diskussion
Vorliegender Band stellt die Ergebnisse eines praxisnahen Forschungsprojektes dar. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden durch einzelne Beiträge von Studierenden und Ehrenamtlichen sowie durch die Fachtagprotokolle ergänzt. Unter anderem dadurch werden starke Praxisbezüge zum Forschungsfeld hergestellt.
Das Ziel des Buches, einen Beitrag zur Positionierung des Ehrenamtes im sich differenzierenden multiprofessionellen Versorgungssetting zu leisten, wird dabei sehr deutlich. Hierin spiegelt sich die aktuelle Diskussion um die Entwicklung der Hospizarbeit, die auch die Frage beinhaltet, wie die Qualifikation und Begleitung des Ehrenamtes gestaltet sein muss, um das bürgerschaftliche Engagement nicht übermäßig zu regulieren und gleichzeitig eine qualitativ hochwertige Hospizarbeit sowie eine adäquate Anerkennung der Ehrenamtlichen zu gewährleisten.
Fazit
Das Buch leistet einen Beitrag zur Diskussion um die Professionalisierung und Positionierung des Ehrenamtes. Die Realisierung des dargestellten Forschungsprojekts ist dabei durch eine enge Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis gekennzeichnet. Damit ist vorliegendes Werk sowohl für Leser interessant, die an der Umsetzung praxisnaher Forschung interessiert sind als auch für an der Entwicklung des hospizlichen Ehrenamtes und dessen Selbstverständnis Interessierte.
Rezension von
Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Zentrum für Palliativmedizin
Universitätsklinikum Köln (AöR)
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Es gibt 24 Rezensionen von Kerstin Kremeike.
Zitiervorschlag
Kerstin Kremeike. Rezension vom 12.02.2016 zu:
Verena Begemann, Sabine Seidel: Nachhaltige Qualifizierung des Ehrenamtes. In der ambulanten Hospizarbeit und Palliativversorgung in Niedersachsen. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG
(Ludwigsburg) 2015.
ISBN 978-3-941251-86-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19516.php, Datum des Zugriffs 07.12.2024.
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