Peter Gaymann, Thomas Klie (Hrsg.): Demensch (Umgang mit Demenz)
Rezensiert von Dipl.-Soz.Arb./Soz.Päd. (FH) Oliver König, 21.03.2016

Peter Gaymann, Thomas Klie (Hrsg.): Demensch. Texte und Zeichnungen. Für einen menschenfreundlichen Umgang mit Demenz. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2015. 96 Seiten. ISBN 978-3-86216-224-6. 19,99 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Seit 2013 veröffentlicht der bekannte Zeichner Peter Gaymann den Jahreskalender Demensch. Für jeden Monat gibt es darin einen Cartoon, in dem auf humorvolle Art eine Szene aus dem Leben eines Menschen mit Demenz dargestellt wird. Drei Beispiele:
- Zwei ältere Männer unterhalten sich. Sagt der eine: „Mein Lieblingsbeatle war und bleibt Keith Richards“. Darauf der andere: „Einen besseren Drummer hat es nie gegeben.“
- Eine alte Frau steht vor einem Wegkreuz mit einer Jesusfigur. „Du verzeihst immer alles. Ich vergess´ immer alles. – Letztendlich kommt´s ja auf´s gleiche raus“.
- Zwei Männer unterwegs mit ihren Rollatoren. Sagt der eine: „Lust auf ein Wettrennen? Wer zuerst beim Supermarkt ist“. Darauf der andere: „Spannender wäre: Wer findet zurück.“
Eine Auswahl dieser Cartoons sind nun im Buch Demensch. Texte und Zeichnungen veröffentlicht worden, gemeinsam mit kurzen Texten von Prominenten und Experten, die sich über die Themen Demenz, Erinnerung und Humor ihre Gedanken machen.
Vorstellung der Autoren/Herausgeber
- Peter Gaymann,Jahrgang 1950, gehört zu den erfolgreichsten Cartoonisten in Deutschland. Nach dem Abschluss seines Sozialpädagogik-Studiums machte er sich 1976 als humoristischer Zeichner selbständig. Seitdem wurden über 70 Bücher von und mit ihm veröffentlicht, viele davon wurden Bestseller. Seine Markenzeichen wurden die Hühner, die mit dem Kürzel P. GAY in Zeitungen und Zeitschriften, auf Postkarten, Kalendern, Poster und Radierungen der breiten Öffentlichkeit bekannt wurden.
- Prof. Dr. Thomas Klie,Jahrgang 1955, unterrichtet öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft an der Evangelischen Hochschule Freiburg und Gerontologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Er ist Mitglied der 6. und 7. Altenberichtskommission und Vorsitzender der 2. Engagementberichtskommission der Bundesregierung.
Aufbau und Inhalte
In diesem Buch wechseln sich jeweils ein bis zwei Cartoons und Texte mit einer Länge von 1,5-3-Seiten ab.
Nach dem Vorwort der Herausgeber, in dem sie einen kurzen Einblick in die Frage geben, ob sich das Thema Demenz und Humor nicht eigentlich ausschließen (eindeutig nein) und ob es denn legitim ist, Menschen mit Demenz und die Auswirkungen der Erkrankung zum Gegenstand von Cartoons zu machen (eindeutig ja, solange es sich um einen menschenfreundlichen, zugewandten, offenen Humor handelt in Abgrenzung zu den abwertenden Alzheimerwitzen, die immer noch kursieren), führt Helga Rohra in ihrem Geleitwort in das Buch ein. Sie ist an Lewy-Body-Demenz erkrankt und setzt sich in zahlreichen Organisationen und als Autorin für die Belange von Menschen mit Demenz ein. Auch sie betont die Bedeutung von Humor – auch im Leben von Menschen mit Demenz.
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, erinnert sich in ihrem Beitrag an die Begegnung mit einer Frau mit Demenz, die ihr ihre „Kruschtelschublade“ mit lauter persönlichen kleinen Schätzen gezeigt hat und versteht dies als einen Appell, dass jeder Mensch in jeder Lebenssituation ein Anrecht auf Individualität und Selbstbestimmung – eben auf seine eigene Kruschtelschublade – hat.
Im Anschluss berichtet Ulrich Fey, Journalist, Buchautor und als Clown Albert in Einrichtungen vor allem bei Menschen mit Demenz tätig, aus seiner Arbeit und die besondere Wirkung des surrealen, verschrobenen Clowns auf Menschen, die ebenfalls in ihrer eigenen Welt leben.
Der Kunsttherapeut Michael Ganß schildert in seinem Beitrag, wie Kunst und kreatives Tun Menschen mit Demenz Freiraum geben kann, nachlassende kognitive Fähigkeiten durch etwas anderes zu kompensieren.
Der Soziologe Reimer Gronemeyer beschreibt den „Berg der Erinnerungen“: Alles was vergessen wird, verschwindet nicht, sondern häuft sich an. Es verrottet nicht, sondern wartet vergeblich darauf, wieder abgeholt zu werden. Für ihn hat das auch etwas tröstliches, denn die Erinnerungen sind zwar nicht mehr herholbar, aber gleichwohl trotzdem nicht verloren, sondern werden irgendwo aufbewahrt.
Michael Hagedorn, der sich als Fotograf auf die Arbeit mit Menschen mit Demenz fokussiert hat, sieht Parallelen zwischen der schier unglaublichen Flut von Fotos, die die heutige Technik möglich macht. Milliarden Bilder liegen – mehr oder weniger unsortiert – auf Festplatten und in Clouds, sind oft nicht mehr auffindbar und ähneln damit den Vorgängen im Gehirn eines Menschen mit Demenz.
Der Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen betont in seinem Beitrag die heilsame Wirkung von Humor in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Gerade Clowns können hier ein Gegengewicht zur industrialisierten Medizin sein, als Eisbrecher, die außerhalb der Hierarchie stehen, die ohne Zeitdruck Zuwendung geben können. Gleichzeitig betont er die große Bedeutung der Pflegekräfte für das Wohlergehen der betreuten Menschen – auch hier hilft eine Portion Humor, ein ehrliches Lächeln, ein inneres Strahlen, den Alltag für beide Seiten positiver zu gestalten.
Der Schweizer Gerontologe Urs Kalbermatten geht in seinem Beitrag der Überlegung nach, dass „Begeisterung“ (in dem ja das Wort „Geist“ steckt) bei Demenz (Latein für „Weg vom Geist“, geistlos) eine große Rolle spielt. Bedeutsamkeit, Sinnfindung, Mitmachen und Anerkennung sind Schlüsselwörter für das Auslösen von Begeisterung. Gelingt es, einen Menschen mit Demenz zu begeistern, ihm also ein positives Erlebnis zu verschaffen, erleichtert und bereichert das das Leben aller Beteiligten.
Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende von Alzheimer Europe, schildert die Situation, in der betreuende und pflegende Angehöriger tagtäglich stehen. Zu sehen, wie ein nahestehender Mensch immer mehr seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten verliert mache es schwer, gelassen zu sein geschweige denn, die Geschehnisse humorvoll zu nehmen. Gleichwohl appelliert sie, genauer hin zu sehen und zu hören. Oftmals stecke hinter vermeintlich skurrilen Begebenheiten durchaus eine große Portion Humor. Dies zu sehen könne manches erleichtern und verhindern, sich nicht gänzlich von der Sorge auffressen zu lassen.
Der Künstler und Leiter von Kunstgruppen für Menschen mit Demenz, Oliver Schultz beschreibt in seinem Text das fruchtbare Wechselspiel von Eigensinn und Leichtsinn in der Kunst, dem Spiel der Wandlungen und davon, dass der Realitätssinn vom Möglichkeitssinn ausgehebelt wird. All das komme Menschen mit Demenz entgegen.
Weitere Beiträge im Buch stammen von Holger Göpel, Redaktionsleiter Altenhilfe in einem Verlag, der Theologin Margot Käßmann, Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie Heidelberg, Margit Ott, Leiterin der gerontopsychiatrischen Ambulanz der Uni Freiburg, dem Autor und Regisseur Bernd Schroeder, den Politikerinnen Elisabeth Scharfenberg, Manuela Schwesig, Barbara Steffens, Christa Stewens, der Freiburger Ethikerin Verena Wetzstein, Peter Wißmann von Demenz Support Stuttgart und dem Schauspieler Ron Zimmering.
Den Abschluss des Buches bildet das Essay „Humor und die Kraft zum Leben mit Demenz“ von Herausgeber Thomas Klie. Er betont, dass bei aller Schwere einer Demenzerkrankung, allem Schrecken für den Betroffenen und sein Umfeld immer auch Momente des kleinen Glücks bestehen, besondere Momente und heitere Begebenheiten ein Leben auch mit einer Demenz lebenswert machen. Dazu gehört, dass Menschen mit Demenz auch angenommen werden von der Gesellschaft als so, wie sie sind. Humor, so Klie, kann dazu beitragen, die Herausforderungen eines menschenfreundlichen, sorgsamen Umgangs mit Menschen mit Demenz zu meistern.
Beim Thema Demenz gelte es, den Blickwinkel zu ändern, wahrzunehmen, was noch ist, aber auch, was vielleicht neu dazugekommen ist statt nur auf den Verlust, die Defizite zu starren – den Moment zu achten statt zu planen und alles im Griff zu haben. Das bewahrt den Menschen ihre Würde und gibt die Chance auf ein wenig heitere Gelassenheit – von der letztendlich alle – Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen, Pflegekräfte wie auch die Gesellschaft profitieren.
Diskussion
Cartoons über Demenz? Witze über eine schwere Erkrankung? Schmunzeln, gar lachen über Menschen mit Alzheimer und die Folgen ihrer Erkrankung? Undenkbar, unmöglich, unmoralisch? Ja, wenn es darum geht, Menschen mit Demenz bloßzustellen, lächerlich zu machen, sich auf ihre Kosten zu amüsieren. Definitiv nein, wenn man es so angeht wie der Zeichner Peter Gaymann. Ihm gelingt es, seine Demenschen nie zum Gegenstand von Hohn und Spott oder – als anderes Extrem – zu Objekten des Mitleids werden zu lassen. Im Gegenteil: Er schafft es, seine Protagonisten mit all ihren Einschränkungen, Problemen und Skurrilitäten immer die Würde zu belassen, liebenswert und mit einem Augenzwinkern. Gaymann nimmt so ein wenig Druck aus diesem Thema, gegen die vielen Schreckensbilder und -schlagzeilen landauf landab in den Medien („Horror Demenz“, „Alzheimer-Drama“…).
Dabei geht es in keinem Fall darum, das Thema Demenz zu verharmlosen oder gar zu beschönigen und der pflegenden Ehefrau, die seit Jahren ihren alzheimerkranken Mann pflegt und selbst kurz davor steht, auf Grund dessen zum Pflegefall zu werden, wird mit der meist etwas verschrobenen Situationskomik des Buches auch kaum ein Lächeln zu entlocken sein. Für alle anderen aber kann eben genau diese Verschrobenheit, die doch in diesem Moment so normal daherkommt, einen erhellenden, relativierenden Effekt haben.
Übrigens: Nicht zuletzt kann sich in der Handlung von manchem Cartoon auch ein Mensch ohne Demenz gut wiederfinden.
Die Texte im Buch haben in Teilen doch einige Schwächen, was nicht ausbleibt bei einem Mix von 21 Beiträgen von in der Regel mehr oder weniger Prominenten sowie einiger Experten. Während manche Artikel sehr interessant, im Ansatz in die Tiefe gehen und vor allem Lust machen, mehr über den behandelten Aspekt, den Gedanken, die Idee zu erfahren, bleiben andere doch ziemlich an der Oberfläche und wirken wie das, was sie im Endeffekt auch sind: Standardstatements von Politikern und anderen Funktionären, garniert mit einer etwas persönlicheren Einfärbung. Der Verzicht auf solche Beiträge und dafür eine Vertiefung anderer Texte im Buch wäre sicher effektiver gewesen.
Lesenswert ist das Essay von Thomas Klie, in dem er gut strukturiert und in klaren Worten ein Plädoyer für einen würdevollen Umgang mit und eine wirkliche Teilhabe von Menschen mit Demenz in unserer Gesellschaft hält – bei aller Schwere des Themas mit einer heiteren Gelassenheit.
Fazit
Peter Gaymann behandelt ein schwieriges Thema mit viel Empathie, Fingerspitzengefühl, Zuwendung und Sympathie für seine Protagonisten. Mit einem Augenzwinkern skizziert er Momentaufnahmen aus deren Leben, die den Betrachtenden durchaus zum Schmunzeln – und nicht zum Auslachen – bringt. Flankierend geben manche Texte Denkanstöße gerade für einen etwas gelasseneren Umgang mit dem Thema Demenz.
Rezension von
Dipl.-Soz.Arb./Soz.Päd. (FH) Oliver König
Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg e.V.| Selbsthilfe Demenz
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