Juliane Sagebiel, Ana Muntean u.a. (Hrsg.): Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 15.01.2016

Juliane Sagebiel, Ana Muntean, Bettina Sagebiel (Hrsg.): Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit. Herausforderungen und Perspektiven an die Arbeit im Gemeinwesen in Rumänien und Deutschland. AG SPAK Bücher (Neu Ulm) 2015. 313 Seiten. ISBN 978-3-940865-88-5. 28,00 EUR.
Pressure – Transformation – Kooperation
Auf der Grundlage der Menschenrechte und sozialen Gerechtigkeit fördert soziale Arbeit den sozialen Wandel, so formuliert es die International Federation of Social Workers (IFSW). Die Aufgabenbereiche derjenigen, die in diesem wichtigen, sozialpolitischen Feld tätig sind, finden sich demnach in den individuellen und gesellschaftlichen Ansprüchen des Innovierens, des Interventionierens, des Begleitens und des Helfens von Menschen bei ihrem Zusammenleben mit Mitmenschen in der jeweiligen Gemeinschaft wie in globalen Zusammenhängen. Chancen wie Dilemmata werden dabei sofort deutlich, macht man sich bewusst, dass der anthrôpos, der Mensch, im Sinne des philosophischen und ethischen Denkens ein vernunftbegabtes und als zôon politikon auf Gemeinschaftlichkeit und Sozietät angewiesenes Lebewesen ist (Aristoteles); gleichzeitig aber als „Mängelwesen“ (Arnold Gehlen) ein irrendes, fehlgeleitetes, manipulierbares und sozialschädliches Verhalten zeigen kann. Das hat zur Folge, das Soziale Arbeit sowohl die jeweilige gesellschaftliche Situation spiegelt, als auch auf sie reagiert (Bernd Dollinger/ Fabian Kessl / Sascha Neumann / Philipp Sandermann, Hrsg., Gesellschaftsbilder sozialer Arbeit. Eine Bestandsaufnahme, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13483.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Im Rahmen des Verständnisses darüber, „dass ein … geeintes Europa auf (dem) Weg der Zivilisation, des Fortschritts und des Wohlstands zum Wohl all seiner Bewohner, auch der Schwächsten und der Ärmsten, weiter voranschreiten will, dass es ein Kontinent bleiben will, der offen ist für Kultur, Wissen und sozialen Fortschritt, dass es Demokratie und Transparenz stärken und auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt hinwirken will“, wie es im Entwurf der bisher nicht verabschiedeten Europäischen Verfassung heißt, kommt es darauf an, eine europäische und globale Solidarität zu erreichen. Und am heutigen Tag der Menschenrechte (10. 12. 2015) ist angezeigt, sich daran zu erinnern, dass „Jedermann ( ) das Recht auf einen für die Gesundheit und das Wohlergehen von sich und seiner Familie angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen (hat)“, wie dies in Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte postuliert wird.
Eine so aufgeforderte Solidarität und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit wird seit mehreren Jahren zwischen der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München und der rumänischen Universitatea de Vest in Timişoara im Rahmen des europäischen Erasmus-Programms praktiziert. Im November 2013 haben die Partner in Timişoara eine Konferenz zum Thema „Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit – Herausforderungen und Perspektiven“ durchgeführt. Die Münchner Sozialwissenschaftlerin Juliane Sagebiel, die rumänische Professorin für Soziale Arbeit, Ana Muntean, und die Münchner Soziologin Bettina Sagebiel geben den Tagungsband heraus. Insgesamt 17 Referentinnen und Referenten kommen darin zu Wort, mit dem Ziel, „die Rolle der Sozialen Arbeit im Prozess historischer wie aktueller gesellschaftlicher Umbrüche aus wissenschaftlicher Perspektive sowie aus der Perspektive der beruflichen Praxis beider Länder zu diskutieren“. Der Diskurs sollte auch dazu beitragen, „Rumänien aus dem Schatten eines aus deutscher Perspektive hilfebedürftigen und rückständigen Landes (zu) lösen und die Blickrichtung (zu) erweitern auf ein Land, in dem professionelle Soziale Arbeit und Forschung stattfindet“, sowie auch Start sein für ein deutsch-rumänisches Expertennetzwerk, das die Entwicklung des Gemeinwesens in beiden Ländern in den Fokus ihrer Kooperationen nimmt.
Aufbau und Inhalt
Das Herausgeberteam gliedert den Sammelband in vier Teile. Im ersten Teil werden Beiträge zur „Entwicklung der Zivilgesellschaft in Deutschland und Rumänien“ thematisiert; im zweiten Teil geht es um „Sozialpolitik in Deutschland und Rumänien“; im dritten Teil werden „Herausforderungen an die Soziale Arbeit“ diskutiert; und im vierten Teil werden Beiträge zur „Ausbildung in Sozialer Arbeit in Rumänien und Deutschland“ abgedruckt.
Der Münchner Sozialwissenschaftler Peter Hammerschmidt setzt sich mit seinem Beitrag „Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit in Geschichte und Gegenwart in Deutschland“ auseinander. Mit dem historischen Aufriss über Entstehung, Veränderungsprozesse und Entwicklung der Sozialgesetzgebung und Reformbewegungen zeigt er die Verläufe, Wege, Um- und Irrwege auf. Der Autor diskutiert die Spannweite von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Initiativen und Aktivitäten und bewertet diese differerenziert; etwa indem er auf „die Rücknahme sozialstaatlicher Sicherungsgarantien“ verweist und den Abbau von Sozialstaatlichkeit, und damit auch von staatsbürgerlichen Rechten bedauert. Am Beispiel der Entwicklung der Einrichtung von Tafeln zeigt er unreflektierte, zweckorientierte Tendenzen dazu auf.
Der Soziologe von der „Alexandru Ioan Cuza“ – Universität in Iassy/Iaşi, Stefan Cojocaru, thematisiert mit seinem Beitrag „Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit gestern und heute“ die Entwicklung der Implikation der Zivilgesellschaft im Bereich der sozialen Dienste in Rumänien. Nach 1990 waren es insbesondere internationale Nichtregierungsorganisationen und nichtstaatliche Organisationen, die in die rumänische Gesellschaft hinein wirkten und den Boden für zivilgesellschaftliches Denken und Handeln bereiteten. Seit dem Beitritt Rumäniens zur EU sind es mehr öffentlich-private Kooperationen, die neben einer sozialen Ausrichtung in den Bereichen Umwelt, Kultur und ehrenamtliches Engagement tätig sind. Am Beispiel des Kinderschutzes werden die Phasen der Innovationen, wie auch die Defizite erläutert: „Für die Zukunft ist von Bedeutung, dass die privaten Organisationen in Barometer der sozialen Probleme sind…, indem sie immer bereit sind, im Dienste der Gesellschaft und zur Unterstützung der Behörden einzuschreiten“.
Der Soziologe von der Lucian Blaga Universität in Hermannstadt/Sibiu, Horaţiu Rusu, stellt mit seinem Beitrag „Soziale Solidarität in Rumänien – über Solidaritätshandlungen“ seine empirischen Untersuchungen und Forschungsergebnisse über die Einfluss- und Wirkungsfaktoren vor, die solidarische Verhaltensweisen beeinflussen. Er stellt fest, dass in den letzten Jahren „drei von vier Rumänen wenigstens eine Solidaritätshandlung … durchgeführt haben“. Damit kommt er zu einer überraschenden Aussage, die das öffentliche (außengeleitete) Bild zurecht rückt. Bei der Profilbeschreibung von Menschen mit hoher und geringer Bereitschaft für Solidaritätshandlungen zeigen sich ähnliche, aber auch durchaus andere Merkmale, wie wir sie auch in Deutschland vorfinden: Höherer Lebensstandard, Lebenszufriedenheit, starke nationale Identifikation, Erwerbstätigkeit, wie auch materialistische, egoistische Vorstellungen, Arbeitslosigkeit. Aufschlussreich ist auch das Ergebnis, dass Rumänen, die in öffentlichen Bereichen tätig sind, aktivere Solidaritätshandlungen zeigen als solche in der Privatwirtschaft.
Die Soziologin und Gründerin des Kasseler Archivs der deutschen Frauenbewegung, Sabine Hering, beginnt den zweiten Teil mit ihrem Beitrag „Traditionen, Utopien, Dekonstruktionen – die Sozialstaatskonzepte des ‚Ostblocks‘ (1945 – 1990)“. Bei ihrer historiographischen Betrachtung über die wohlfahrtsstaatlichen Strukturen beim „Staatssozialismus“ filtert die Autorin die einheitlichen, staatsdominanten Strukturen heraus, bei denen eher von „Sozialstaatskonzepten“ als von „Sozialer Arbeit“ gesprochen werden kann. Diese (ideologischen) Festlegungen bestimmten auch die Formen der Sozialversicherung, die Einwirkungen auf Arbeitsmoral und -erziehung, wie auch die Egalisierungsinstrumente, wie sie in der Bildung von Massenorganisationen zustande kamen. „Die Umdeutung der allumfassenden Wohlfahrtsstaatsidee zugunsten der Hegemonie eines Staates, der das Recht auf soziale Sicherheit verkündet, aber nur unter der Prämisse absoluter politischer Loyalität und der Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen und sozialen Gruppierungen verkündet“, macht die Schwierigkeiten deutlich, die sich bei der Re- und Dekonstruktion der Systeme ergeben.
Mit dem weiteren Beitrag über „Sozialpolitik und weibliche Problemlagen in Osteuropa“ reagiert Sabine Hering auf die Herausforderungen, wie sie sich unter den Aspekten von „Sozialismus“, „Feminismus“ und „Neoliberalismus“ ergeben. Es ist ein Warnruf vor einer „Feminisierung der Armut“, einer geschlechtsspezifischen Segregation von Arbeit (und nicht zuletzt einer „Entfamilialisierung“ der Gesellschaft). „Die Frauen in Osteuropa sind in einen Neoliberalismus hineingeworfen worden, der ihnen bisher fast ausschließlich die negativen Seiten beschert hat – die Vorteile lukrativer Einkommensverhältnisse sind nur für einen Teil der weiblichen Bevölkerung zugänglich“.
Der Sozial- und Kommunikationswissenschaftler von der Transilvania Universität in Kronstadt/Braşov, Silviu Coposescu, referiert über „Rationalität und Legitimität der rumänischen Sozialpolitik“. Er analysiert die Entwicklung, wie sie sich seit der Dezemberrevolution von 1989 ereignet. Dabei kommt er zu unterschiedlichen Einschätzungen und Prämissen über die Art und Weise, wie die traditionellen und sozialistischen Erfahrungen, Wohlbefindlichkeiten und Unbehaglichkeiten eingebettet wie herausgerissen werden aus dem Bett, das „Väterchen Staat“ eingerichtet hatte. Die Transformationsprozesse zwischen „Arbeit oder finanzielles Engineering“. Er stellt das Fehlen einer glaubhaften und wirksamen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Sozialpolitik und „einer kohärenten Verbindung zwischen Sozialpolitik (soziale Sicherung und Versorgung) und der Arbeit“ fest. Mit der Frage, ob die staatlichen Interventionen „wirklich das Ziel der Förderung des sozialen Wohlstandes (verfolgen) oder nicht vielmehr das der sozialen Kontrolle zum Zweck der Machtfestigung?“, beschließt der Autor seine Analyse eher pessimistisch.
Die Münchner Soziologin und Mitinitiatorin des Care-Manifests (www.care-macht-mehr.com). Maria S. Rerrich, beginnt den dritten Teil mit der Frage: „Die im Schatten sieht man nicht?“, indem sie über internationale Arbeitsteilung im Bereich Care und die Rolle der Sozialen Arbeit reflektiert. Sie macht darauf aufmerksam, dass „der Zusammenhalt unserer Gesellschaft, der über wechselseitige Sorge (Care) gewährleistet wird, gefährdet (ist)“ und verdeutlicht dies anhand von migrantischer Care-Arbeit bei Tätigkeiten und Diensten, wie „Fürsorge, Erziehung, Pflege und Unterstützung, bezahlt und unbezahlt, in Einrichtungen und in privaten Lebenszusammenhängen, bezogen auf Gesundheit, Erziehung, Betreuung“. Auf diese teilweise unbefriedigende, ungerechte und ausbeuterische Entwicklung reagiert die Autorin, indem sie Vorschläge unterbreitet, wie Soziale Arbeit auf diese transnationalen Situationen agieren und reagieren kann.
Die Ärztin in einem Gesundheits- und Sozialzentrum für ältere Menschen in der Region Timi oara in Rumänien, Venera Margareta Bucur, und der Soziologe und Leiter eines Notfall- und Krisendienstes für obdachlose Menschen, Eugen Bucur, verweisen mit ihrer Fallstudie „Die Notwendigkeit sozialer Dienste für ältere Menschen im ländlichen Rumänien“ auf die zunehmende Entwicklung von Altersarmut von vor allem auf dem Land lebender Bevölkerung. Sie zeigen auf, dass „der nationale Notstand an medizinischen und pflegerischen Fachkräften ( ) nicht auf eine mangelhafte Ausbildung zurückzuführen (ist), sondern vielmehr auf die geringe monetäre Anerkennung für diese Care-Leistungen“. Da sind die Verlockungen nur allzu verständlich, die durch Anwerbeaktionen aus anderen Ländern erfolgen.
Die Münchner Landschaftsplanerin und Sozialwissenschaftlerin Annegret Boos-Krüger geht mit ihrem Beitrag „Gemeinwesenarbeit als Arbeits- und Handlungsprinzip der Sozialen Arbeit“ darauf ein, wie sich in der 120jährigen Tradition und Geschichte der Gemeinwesenarbeit die Arbeits- und Anwendungsbereiche von sozialen Dienstleistungen entwickelt und verändert haben und „wo Chancen und Risiken der Gemeinwesenarbeit in der heutigen Zeit liegen, insbesondere im Kontext von Integrationspolitik und integrativer Stadtentwicklung“.
Der Soziologe und Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts für regionale Entwicklung SIREG in Mangolding/Bayern, Klaus Zeitler, informiert mit dem Text „LEADER-Prinzip und Gemeinwesenarbeit“ über Theorie und Praxis des europäischen LEADER-Gedankens. Mit der von der EU geförderten Initiative „Liaison entre actions de deveoloppement de l´économie rurale“ (Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft) soll bürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement angeregt werden. An zwei Beispielen aus Deutschland und Rumänien verdeutlicht der Autor positive und negative Aktionsformen und zeigt auf, dass das LEADER-Konzept geeignet ist, in einen gebietsbezogenen, integrierten Ansatz unterschiedliche Akteure zusammen zu bringen, der „die Betroffenen zu Beteiligten macht und neue (bauliche und soziale) Infrastrukturen schafft“.
Juliane Sagebiel und Ana Muntean berichten mit dem Beitrag „PIN – schlägt eine Brücke zwischen den Generationen in einer rumänischen Gemeinde“ über ein gemeinwesenorientiertes Praxisforschungsprojekt (PIN = Punti intergenerationale Nadrag), das sie in einer kleinen rumänischen Gemeinde am Rande der Westkarpaten durchgeführt haben. Ziel war es, „durch die intergenerative Vernetzung zwischen alten und jungen Menschen unter Einbindung kommunaler Akteure und Studierenden der Sozialen Arbeit der Universität Timişoara eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen, um nachhaltige Unterstützungsstrukturen zu schaffen, wo fehlende familiäre Strukturen und eine mangelhafte staatliche Versorgung eine empfindliche Lücke hinterlassen“. Angesichts der im Land und in den Köpfen der Menschen bestehenden, sich in der Vergangenheit entwickelten und wirkmächtigen, autoritären und hierarchischen Mentalitäten, Lebensbedingungen und -„Gewissheiten“, ist es nicht verwunderlich, dass die Initiatorinnen dieses einjährigen, viel zu kurzen Projektes keine nachhaltige Erfolgsmeldung verkünden können. Es bleibt jedoch die Hoffnung, dass die bei der Forschungsarbeit gewonnenen Erfahrungen bei allen Beteiligten wirksam werden: „Vielleicht haben wir die Sehnsucht der Menschen geweckt, dass anderes möglich ist und dass es Hoffnung für eine bessere Zukunft gibt“.
Ana Muntean und Juliane Sagebiel stellen in der weiteren Studie „Ländliche Gemeinden in Rumänien im Sog sozialer Dynamiken“ die familiären und gesellschaftlichen Situationen dar, die sich durch die massiven, ökonomischen und migrationsbedingten Veränderungsprozesse vor allem bei Eltern, Kindern und Senioren ergeben. Es werden de Auswirkungen von Arbeitsmigration in einer rumänischen Landgemeinde auf die ältere Bevölkerung sowie auf die Gemeinde untersucht. Die in Befragungen, Interviews und anderen Erhebungsformen ermittelten Aussagen über Motive, Hoffnungen, Wünsche, Erwartungshaltungen, Erfolge und Misserfolge von (Arbeits-)MigrantInnen und den Daheimgebliebenen sind Zeugnisse und Informationen für die Soziale Arbeit sowohl in Rumänien, als auch für die Einwanderungsländer.
Mit der repräsentativen, englischsprachigen Studie „The Analyses of the Social Work System from Romania and the Requirements of the Local Communities“ informiert der Soziologe George Neamţu (der im Autorenverzeichnis nicht aufgeführt wird) über die Situation der Ausbildung zur Profession der Sozialen Arbeit an rumänischen Hochschulen. Er stellt eine Diskrepanz zwischen der Vermittlung von theoriebezogenen Inhalten und von zu frühzeitigen einseitigen Spezialisierungen auf der einen, und der Vernachlässigung des Trainings von Methoden der Sozialen Arbeit und der Einübung von praktischen Kompetenzen andererseits fest. Er plädiert „für eine Soziale Arbeit als eine autonome Profession, für eine stärkere Orientierung der Ausbildung an den Bedarfen des Marktes und einer gleichen Wertigkeit von Theorie und Praxis“.
Die Soziologin Trancă Loredana Marcela von der Universität in Timişoara (auch sie ist im Autorenverzeichnis nicht erwähnt) referiert über „Die professionelle Ausbildung von Sozialarbeitern in Rumänien“. Mit den Methoden der objektiven wissenschaftlichen Geschichtsanalyse vermittelt sie einen Überblick über die Entwicklung der Ausbildung für Soziale Arbeit in den letzten 85 Jahren. Von der Einrichtung für Höhere Schulen für Soziale Arbeit in den 1920er Jahren, bis zur „institutionellen Wiedergeburt der Sozialen Arbeit an den rumänischen Universitäten“ ab 1990 und mit den Anpassungsbemühungen an den europäischen Bologna-Prozess haben sich Innovationen gebildet, die in der Tendenz die Richtung für die zukünftige Ausbildung in der Sozialen Arbeit aufzeigen, die bisherigen Defizite aufweisen und hoffnungsvolle Aspekte für die Zukunft versprechen.
Die Sozialwissenschaftlerinnen von der Universität Babes-Bolyai/Klausenburg, Maria Roth und Christina Baciu, setzen sich mit ihrem Beitrag „Ausbildung von Sozialarbeitern für die Arbeit in armen Roma-Gemeinschaften“ mit der Situation auseinander, dass in Rumänien der größte, europäische Anteil des Roma-Volkes lebt. „Sie leben am unteren Ende der sozialen Rangordnung und leiden an materiellen Defiziten, an Arbeitslosigkeit, mangelnder Bildung, an Diskriminierung und Stigmatisierung durch die Mehrheitsgesellschaft und befinden sich in einem Armutskreislauf“. Die Autorinnen zeigen die soziale Lage der Minderheit auf, diskutieren die nationalen Strategien zur Integration der Roma in Rumänien, bewerten die verschiedenen von der EU initiierten Maßnahmen und stellen die verschiedenen Angebote zur Ausbildung und Einbindung von Sozialarbeitsstudierenden in die Lebenswelt von armutsgeprägten Roma-Gemeinschaften vor.
Den Schlussbeitrag „Soziale Arbeit und Ausbildung“ liefert der Münchner Leiter der Landesarbeitsgemeinschaft der Lehrenden SozialarbeiterInnen, Norbert Schindler. Er blickt zurück auf die Entwicklung des Akademisierungsprozesses der SozialarbeiterInnen im letzten halben Jahrhundert, diskutiert die Erfolge in der Hochschulausbildung, verweist auf die steigenden Anforderungen an eine theoriebasierte, praktische Ausbildung und plädiert für den Auf- und Ausbau von Praxisstellen und Praxisbegleitung bei der Professionalisierung von Sozialer Arbeit.
Fazit
Außer einigen Sprach- (Übersetzungs-?)Schnitzern und herausgeberischen Versäumnissen, wie etwa beim unvollständigen Autorenverzeichnis und der vom Rezensenten nicht nachvollziehbaren Ausdifferenzierung bei der Gliederung des Inhaltsschemas, kann der Tagungsband „Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit“ als vorbildliche Vergleichs- und Forschungsinitiative für eine wissenschaftliche Kooperation zur Gemeinwesenarbeit in Rumänien und Deutschland betrachtet werden. Beeindruckend und exemplarisch stellt sich dabei das Bemühen dar, auf „Augenhöhe“ im forschenden Dialog zu treten. Wie sich zivilgesellschaftliche, demokratische Strukturen entwickeln, hängt entscheidend davon ab, wie selbstbestimmte Individuen ihr Wissen, ihre Kompetenzen, Wünsche und Visionen in den gleichberechtigten, gesellschaftlichen Prozess einbringen und in der Lage sind, offen, fair und human mit dem Ziel hin zu einer nationalen und internationalen Zivilgesellschaft zu wirken. Die in einem interkulturellen Dialog und einer transkulturellen Zusammenarbeit gewonnenen Erfahrungen vermögen dazu anregen, lokal und global die Standards für eine Globale Ethik zu erstreben, wie sie sich als unverzichtbare und nichtrelativierbare Menschenrechte in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 artikulieren!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 15.01.2016 zu:
Juliane Sagebiel, Ana Muntean, Bettina Sagebiel (Hrsg.): Zivilgesellschaft und Soziale Arbeit. Herausforderungen und Perspektiven an die Arbeit im Gemeinwesen in Rumänien und Deutschland. AG SPAK Bücher
(Neu Ulm) 2015.
ISBN 978-3-940865-88-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19644.php, Datum des Zugriffs 09.06.2023.
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