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Gabriele Kawamura-Reindl, Sabine Schneider: Lehrbuch Soziale Arbeit mit Straffälligen

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 08.01.2016

Cover Gabriele Kawamura-Reindl, Sabine Schneider: Lehrbuch Soziale Arbeit mit Straffälligen ISBN 978-3-7799-3078-5

Gabriele Kawamura-Reindl, Sabine Schneider: Lehrbuch Soziale Arbeit mit Straffälligen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2015. 340 Seiten. ISBN 978-3-7799-3078-5. 29,95 EUR.

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Thema

Das Lehrbuch führt in die Grundlagen und zentralen Aufgaben Sozialer Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen ein und vermittelt dazu die notwendigen Wissensbestände aus den Bereichen Kriminologie, Justiz, Lebenslagen, Hilfesystemen und Methodik. Es erfasst die wichtigsten Praxisfelder der Straffälligenhilfe und bietet damit eine kompakte Einführung für Studium und Berufseinstieg.

Autorinnen

  • Gabriele Kawamura-Reindl ist Diplom-Kriminologin und Diplom-Sozialarbeiterin und lehrt als Professorin an der Fakultät Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm mit den Schwerpunkten Resozialisierung, Kriminologie, Methoden Sozialer Arbeit, Coaching und Mediation.
  • Sabine Schneider, Dr. rer. Soc., Diplom-Pädagogin ist Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, mit den Schwerpunkten Professionalität Sozialer Arbeit, Beratung, Soziale Arbeit mit Straffälligen, Soziale Arbeit im Gesundheitswesen und Qualitative Sozialforschung.

Aufbau und Inhalt

Nach einem Vorwort erfasst das Lehrbuch in 14 Kapiteln Erscheinungsformen und gesellschaftliche Reaktionen auf Straffälligkeit, Ansätze kriminalpräventiver Maßnahmen, Fragen der Professionalität Sozialer Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen, Methoden Sozialer Arbeit in der Straffälligenhilfe.

Sieben Kapitel fokussieren auf spezielle Arbeitsbereiche:

  • Jugendgerichtshilfe,
  • Neue Ambulante Maßnahmen,
  • Gerichts- und Bewährungshilfe,
  • Führungsaufsicht,
  • Täter-Opfer-Ausgleich,
  • Soziale Arbeit in Jugendstrafvollzug und Strafvollzug,
  • sowie Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln.

Weitere drei Kapitel befassen sich mit dem Übergangsmanagement, den Hilfen für Angehörige Inhaftierter und aktuellen kriminalpolitischen Aspekten und für die Soziale Arbeit relevanten Strategien.

Allgemeine Grundlagen

Das einleitende Kapitel erfasst zunächst die Erscheinungsformen von Kriminalität, den bekannt gewordenen Fällen und den nicht angezeigten Fällen im Dunkelfeld, die Darstellung von Kriminalität in den Medien und bietet verschiedene kriminologische Erklärungsansätze für Kriminalität. Der zweite Schwerpunkt liegt auf dem gesellschaftlichen Umgang mit Kriminalität, den strafrechtlichen Rahmenbedingungen und Maßnahmen (Strafverfahren, Strafformen) und den Hilfeangeboten für straffällig gewordene Menschen, deren Angebotsspektrum und Institutionsformen (Freie und staatliche Straffälligenhilfe) dargestellt werden.

Kriminalprävention

Ausgehend von unterschiedlichen Straftheorien welche systematisch erfasst werden, den unterschiedlichen Zielrichtungen von Strafen (Individual- und Generalprävention), liegt der Schwerpunkt des Kapitels in der Darstellung individueller Persönlichkeitsmerkmale (Risiko- und Schutzfaktoren) und bei den unterschiedlichen Dimensionen von Kriminalprävention, deren Methoden, Zielgruppen und zeitlichen Abfolgen (Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention). Die Angebote der sozialpädagogischen Straffälligenhilfe (Förderung von Ressourcen und Schutzfaktoren, Bearbeitung kriminalitätsfördernder Problemlagen) und deren Beitrag zur (individuellen) Prävention von (erneuten) Straftaten werden in einem speziellen Unterkapitel umrissen.

Professionalität

Das folgende Kapitel skizziert in Grundzügen Soziale Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen, definiert den Grundbegriff der Resozialisierung und bietet eine Auseinandersetzung mit dem doppelten Mandat (Hilfe und Kontrolle) Sozialer Arbeit in diesem Feld. Professionalität fußt auf Wissen, Subjekt- und Gesellschaftsbezug, sowie fachlicher Reflexivität und gründet immer in einer Hinwendung an den Menschen. Fachbezogen bezieht sich professionelle Soziale Arbeit (auch) im Arbeitsfeld der Straffälligenhilfe auf ein theoretisch fundiertes Fallverstehen (es werden u. a. das Konzept der Lebensweltorientierung nach Thiersch, der Bewältigungsansatz nach Böhnisch, genderdifferenzierte Perspektiven und Ansätze einer systemischen Sozialen Arbeit vorgestellt) auf dessen Grundlage konkrete Unterstützungsleistungen (als Beiträge zur Erziehung und Resozialisierung) initiiert werden. Zentrale Arbeitsgegenstände (Wohnen, Finanzen, psychische Gesundheit, Rollenzuschreibungen und Stigmatisierung) werden skizzenhaft aufgegriffen. Die Autorinnen betonen dabei „… das(s) die Probleme straffällig gewordener Menschen nicht auf kriminogene Faktoren reduziert“ (86) werden dürfen, sondern als Bestandteil alltäglicher Bewältigungsprobleme zu verstehen seien, auch im Wechselspiel gesellschaftlicher Einflüsse und individueller biographischer Bedingungen.

Methoden

Nach einer allgemeinen Einführung zum methodischen Arbeiten in der Sozialen Arbeit und schematischen Übersicht direkt und indirekt interventionsbezogener, sowie struktur- und organisationsbezogener Methoden erfolgt die Darstellung ausgewählter Methoden für das Arbeitsfeld Straffälligenhilfe: Beratung, Motivierende Gesprächsführung, Krisenintervention, Case-Management, Mediation, Soziale Trainings, Anti-Aggressionstrainings, Öffentlichkeitsarbeit und Freiwilligenmanagement. Die räumlich knappen Erläuterungen bieten einen Überblick der jeweiligen Ansätze und explizieren zu typischen Situationen in der Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen.

Arbeitsfelder

Die Darstellung der wichtigsten Handlungsfelder erfolgt in den Kapiteln fünf bis zwölf. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Organisation und dem konkreten Vorgehen, der Anwendung fachlicher Methoden in konkreten Handlungsbezügen. Dies erfolgt für die Felder Jugendgerichtshilfe, Neue Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG), Ambulante Soziale Dienste der Justiz (Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht), Täter-Opfer-Ausgleich, Soziale Arbeit im Jugendstrafvollzug und -arrest, Soziale Arbeit im Strafvollzug, Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln und Soziale Arbeit im Übergang zwischen Strafvollzug und Wiedereingliederung. Die einzelnen Kapitel umfassen die Darstellung der (rechtlichen) Rahmenbedingungen, Organisations- und Institutionsformen, die Aufgaben Sozialer Arbeit im jeweiligen Handlungsfeld, methodische Schwerpunkte, sowie spezielle Aspekte und Probleme in den einzelnen Handlungsfeldern. Die Abschnitte beinhalten, ebenso wie die Kapitel zu allgemeinen Fragen, jeweils Übungsfragen und weiterführende Literaturangaben.

Angehörige Inhaftierter

In einem eigenen Kapitel gehen die Autorinnen auf die Hilfemöglichkeiten für Angehörige Inhaftierter ein. Die Inhaftierung eines Menschen betrifft meist unmittelbar seine Rolle als Familienangehöriger, als z. B. als Eltern, Partner oder Partnerin oder als Kind. Aus diesem Zusammenhang können sich umfangreiche Belastungen ergeben, z. B. den Verlust ökonomischer Ressourcen, Wegfall sozialer Kontakte, Verlust wichtiger Bezugspersonen. Belegt sind auch psychische und allgemein gesundheitliche Belastungen, die durch die krisenhafte Veränderung der Inhaftierung eines Familienangehörigen ausgelöst werden können. Ausgehend von diesen Problemlagen werden Hilfeangebote für Angehörige vorgestellt: Beratung, Familienseminare, Onlinehilfen, spezielle Angebote zur Unterstützung der Kinder von Inhaftierten und Ansätze zur Gestaltung eines familienfreundlicheren Klimas in den Vollzugsanstalten.

Ergänzungsthemen

Im letzten Kapitel gehen die Autorinnen auf aktuelle Diskussionsbereiche innerhalb der Straffälligenhilfe ein: das Konzept der gemeinnützigen Arbeit („Arbeit statt Strafe“), die Elektronische Aufenthaltsüberwachung von Straffälligen (Elektronische Fußfessel) und die mittlerweile grundlegend eingeführte risiko-orientierte Haltung und Vorgehensweise der Sozialen Arbeit im Feld der Arbeit straffällig gewordenen Menschen, welche Sicherheitsaspekte betont und allgemeine Perspektiven und Theorien Sozialer Arbeit (z. B. Netzwerkorientierung, Ressourcenorientierung) außer Acht zu lassen scheint.

Zielgruppe

Das Lehrbuch ist konzipiert als Einführung in das Arbeitsfeld Straffälligenhilfe und richtet sich entsprechend an Studierende der Sozialen Arbeit und BerufeinsteigerInnen die mit straffällig gewordenen Menschen Arbeiten.

Diskussion

Die Soziale Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen verfügt über eine lange Tradition, benötigt seit jeher ein umfangreiches Wissen zu den Entstehungsbedingungen der Kriminalität und deren Erscheinungsformen, zu kriminologischen Erklärungsansätzen, rechtlichen Rahmenbedingungen, den Lebenslagen der Klienten, den Hilfesystemen und schließlich auch zu den spezifischen Methoden Sozialer Arbeit in den wesentlichen Praxisfeldern. Ein solcher systematischer Überblick, der auch auf die methodischen Aspekte eingeht und die Voraussetzung für Aus- und Fortbildung verfügt, lag bislang nicht vor. Gabriele Kawamura-Reindl und Sabine Schneider treten mit diesem Lehrbuch an, diese Lücke zu füllen und präsentieren ein Grundlagenwerk, das eine gründliche Einführung in den Themenbereich und einen gleichermaßen umfangreichen und strukturierten Überblick über das Arbeitsfeld der Straffälligenhilfe bieten möchte. Soviel vorweg: dieser Anspruch wird mit dem jetzt veröffentlichten Lehrbuch nicht nur erfüllt. Die systematische Darstellung der Einzelaspekte und die didaktische Gestaltung des Lehrbuchs markieren den Anspruch, den eine moderne Straffälligenhilfe beansprucht, weit über reine Ausbildungszwecke in grundlegenden Studiengängen hinaus.

Was bietet das Lehrbuch? In vier Kapiteln einführende und für alle Bereiche geltende Grundlagen, Definitionen und Erscheinungsformen von Kriminalität sowie Skizzierungen entsprechender sozialpädagogischer, strafjustizieller und gesellschaftlicher Reaktionen auf Straffälligkeit, sowie Ansätze kriminalpräventiver Arbeit. Darauf aufbauend werden grundlegende, auf das professionelle Handeln Sozialer Arbeit abzielende Handlungsmethoden und -ansätze dargestellt, u. a. Beratung, Motivationsförderung, Krisenintervention und Öffentlichkeitsarbeit.

In weiteren acht Kapiteln werden unterschiedliche Handlungsfelder der Straffälligenhilfe thematisiert: Jugendgerichtshilfe, Neue Ambulante Maßnahmen nach dem JGG, Gerichts- und Bewährungshilfe, Täter-Opfer-Ausgleich, Soziale Arbeit in Straf- und Maßregelvollzug, sowie das Übergangsmanagement zwischen Strafvollzug und (Wieder-)eingliederung. Die Darstellung der Handlungsfelder wird ergänzt durch ein Kapitel zur Arbeit mit Angehörigen inhaftierter Straffälliger und einem Kapitel zu ausgewählten Ergänzungsthemen, in dem die Autorinnen auf aktuelle kriminalpolitische Phänomene und für die Soziale Arbeit relevante Aspekte (z. B. elektronische Fußfessel, Risikoorientierung in der Straffälligenhilfe) eingehen. Entsprechend dem Konzept der Reihe „Studienmodule Soziale Arbeit“ bieten die einzelnen Kapitel eine kompakte Einführung in die jeweilige Thematik, welche durch ergänzende Übungsfragen, Vorschlägen für das Selbststudium und weiterführende Literaturhinweise ergänzt werden.

Das Lehrbuch Soziale Arbeit mit Straffälligen erweist sich damit als großer Wurf. Die Darstellung der Thematik erfolgt klar strukturiert, in erfreulich leicht zu erschließender Sprache, dabei durchgehend beeindruckender Tiefe der bearbeiteten Themen. Als Grundlagenwerk für die Ausbildung wird sich das Buch als hervorragend einsetzbar erweisen, da neben der Darstellung der Rahmenbedingungen in den einzelnen Arbeitsfeldern jeweils die damit verknüpften Aufgaben Sozialer Arbeit erfasst und vermittelt werden. Anders als andere für die Arbeit mit straffälligen Menschen relevanten Standardwerken, liegt das Hauptaugenmerk dieses Lehrbuchs neben der Vermittlung kriminologischer und strafjustizieller Aspekte vor allem auf Fragen der praktischen Umsetzung und Organisation, konkreter Handlungsweisen und Methoden in der Sozialen Arbeit in diesem Feld. Damit hat das Lehrbuch vorerst ein Alleinstellungsmerkmal, da entsprechend konzipierte Werke bislang nicht vorliegen. Entsprechend wird das Buch auch Anregungen für die Gestaltung von Seminarreihen und Lehrveranstaltungen geben und dort nicht nur Impulse setzen, sondern auch einen Mindeststandard für entsprechende Studienschwerpunkte und Querschnittsmodule in der Hochschulausbildung anregen.

Fazit

Das Lehrbuch bietet eine Einführung in die Grundlagen Sozialer Arbeit im Feld der Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen, stellt die zentralen Handlungsfelder und deren Relevanz für Fachkräfte Sozialer Arbeit, die dort einsetzbaren Methoden vor und benennt abschließend aktuelle Fragen und Perspektiven Sozialer Arbeit in diesem Bereich. Der klar strukturierte Aufbau der einzelnen Kapitel, die sehr gut verständliche Darstellung (auch komplexer) Inhalte, die didaktische Gestaltung mit Übungsaufgaben und Hinweisen zu weiterführender Literatur und Vertiefungsmöglichkeiten werden dem Buch den Rang eines Standardwerks in der Ausbildung von Fachkräften Sozialer Arbeit mit Straffälligen verschaffen. Entsprechend ist dem Lehrbuch eine aufmerksame Beachtung und weite Verbreitung zu wünschen.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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ISSN 2190-9245