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Karin Bomke: Wenn der beste Freund geht (Mensch-Hund)

Rezensiert von Matthias Meitzler, 19.01.2016

Cover Karin Bomke: Wenn der beste Freund geht (Mensch-Hund) ISBN 978-3-643-13181-2

Karin Bomke: Wenn der beste Freund geht. Qualitative Studie zur Mensch-Hund-Beziehung. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2015. 168 Seiten. ISBN 978-3-643-13181-2. 29,90 EUR.

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Thema

Man kann es schwerlich leugnen: Als Forschungsthema ist die Beziehung zwischen Mensch und Hund vom soziologischen Mainstream bisher weitgehend ignoriert worden. Statt sie als „gesellige Subjekte“ (Theodor Geiger) ernst zu nehmen, werden Hunde nur allzu oft jenseits des Sozialen verortet. Angesichts der Jahrtausende zurückreichenden Beziehungsgeschichte von Menschen und Hunden, der gesellschaftlichen Omnipräsenz und Multifunktionalität hündischer Zeitgenossen sowie der Tatsache, dass beide Spezies nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander leben, überrascht dies durchaus. Wie Familienmitglieder werden Hunde in menschliche Lebensräume aufgenommen, als „Sozialpartner“ bilden sie einen festen und oft unentbehrlichen Bestandteil der Alltagswelt ihrer Besitzer, und sie prägen deren Lebensstil. Sie können ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erhalten und emotional aufgeladene Positionen besetzen. Längst hat die mit der Hundehaltung verbundene Fürsorge zur Entstehung und Ausdifferenzierung einer eigenen Heimtierindustrie geführt. Der besondere Stellenwert von Hunden wird insbesondere dann evident, wenn das Leben des geliebten Vierbeiners zu Ende geht. Mit dem Hundetod werden spezifische Umgangsweisen in Gang gesetzt, welche nicht selten an die Trauer um einen Menschen erinnern. Die von sozialen Wandlungsprozessen angestoßene Emotionalisierung, Sentimentalisierung und Personalisierung der Beziehung zum Hund forcieren spannende Fragestellungen, denen es auch und gerade aus soziologischer Perspektive nachzugehen lohnt.

Autorin

Karin Bomke promoviert gegenwärtig am Institut für Soziologie an der Fernuniversität in Hagen zum Thema „Reziprozität und Mythos der Freundschaft“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Soziologie der Reziprozitäten, der Praxis und des abweichenden Verhaltens. Überdies ist sie Dozentin für Wirtschaftslehre an der BKK-Akademie Rotenburg/Fulda.

Entstehungshintergrund

Das Buch basiert auf der Masterarbeit der Autorin, die sie 2012 an der Fernuniversität in Hagen vorgelegt hat.

Aufbau

Der Band umfasst etwas mehr als 150 Seiten und ist (exklusive Vorwort und Schlussbetrachtung) in vier Kapitel gegliedert.

Inhalt

Aus handlungstheoretischer Perspektive will die Autorin im ersten Abschnitt ihrer Arbeit zeigen, „dass Mensch und Hund durchaus so zueinander stehen, wie man es für eine soziale Beziehung erwarten kann“ (10). Hunde seien nicht nur zu einer wechselseitigen Beziehung zum Menschen fähig, sondern auch dazu, den sozialen Sinn dieser Beziehung zu verstehen. Als Referenzpunkt ihrer Überlegungen wählt sie die Handlungstypologie von Max Weber (mit besonderer Aufmerksamkeit auf das zweckrationale und das affektuelle Handeln) und bezieht sich ebenfalls auf Aspekte, die Hartmut Esser im Kontext von sozialem Handeln und sozialer Beziehung herausgearbeitet hat (wie doppelte Kontingenz, Rationalitätsprinzip, Streben nach Nutzen und Reziprozität).

Im zweiten Kapitel werden die Rolle des Hundes als Familienhund und die Bedingungen für die Beziehungsqualität näher untersucht. Von anderen Tieren lassen sich Hunde insbesondere durch ihre ausgeprägte Fähigkeit zu Kommunikation(serwiderung), sozialem Lernen und emotionaler Bindung (John Bowlby) unterscheiden. Konstitutiv für die „gemeinsame nonverbale Verständigungsbasis“ (58) zwischen Mensch und Hund sei das wechselseitige Erkennen als Subjekte, was von Theodor Geiger einst als Du-Evidenz bezeichnet wurde.

Kapitel drei setzt an einem Ereignis an, das die reziproke Mensch-Hund-Beziehung mit aller Erbarmungslosigkeit durchtrennt – der Tod des vierbeinigen Gefährten. Welche Formen kann die Trauer um einen Hund annehmen, was zeichnet sie aus und welche Funktionen erfüllt sie? Die Autorin stellt auffällige Analogien zu den Ritualen im Kontext der Trauer um einen Menschen fest. Dass der Trauer um ein Heimtier durch ähnliche Praktiken und Symbole Ausdruck verliehen wird, zeige sich u. a. in den Gestaltungselementen von Hundegräbern auf dem Tierfriedhof. Die Bestattung von Hunden stellt jedoch keine moderne Erfindung dar, vielmehr verfügt sie über eine lange Kulturgeschichte, die auch einige prominente Beispiele kennt. Erwähnt wird z. B. der Hundefreund Friedrich II., der neben seinen geliebten italienischen Windspielen beigesetzt wurde. Die Verfasserin interessiert sich außerdem für die Motive trauernder Halter, ihren Hund auf einem Friedhof beisetzen zu lassen, anstatt aufwandsärmere Optionen wahrzunehmen. Rituale des Trauerns und Erinnerns reichen indes über die Tiernekropole hinaus – nicht zuletzt dank der digitalen Kommunikationskanäle des Internets. Auf spezifischen Webseiten, in Foren und Blogs können Trauernde mittels Text, Bild und/oder Musik ihrer Hunde gedenken und sich mit anderen Menschen austauschen. Dennoch stoße die Trauer um ein Tier nicht überall auf intersubjektives Verständnis, sondern werde von manchen „Außenstehenden“ mit Ablehnung und Spott beantwortet.

Der darauf folgende vierte Abschnitt geht den Zusammenhängen zwischen dem Trauerverhalten und der vormaligen Beziehungsqualität nach. Letztere sei nicht zu vernachlässigen, will man „die beim Tod des Familienhundes beziehungswirksamen Aspekte soziologisch richtig […] verorten“ (109). Für den empirischen Erkenntnisgewinn seien deshalb sowohl die Auskünfte solcher Personen bedeutsam, die einen Heimtierverlust erlebt haben, als auch von Berufsexperten, die in regelmäßigem Kontakt zu Trauernden stehen. Hierzu führte die Autorin insgesamt elf narrative Interviews (mit Trauernden, einem Tierarzt, einem Hundetrainer und einer Tierbestatterin), in deren Vordergrund „die Entwicklung der Beziehung zwischen Mensch und Hund bis zu dessen Tod“ (111) sowie die konkrete Sterbesituation des Hundes stand. Ergänzt werden ihre Daten von teilnehmenden Beobachtungen in einem Tierkrematorium und der Betrachtung von Einträgen auf Trauerportalen im Internet. In ihrem empirischen Material erkennt die Autorin zum einen Hinweise auf die Qualität der Sozialbeziehung und zum anderen auf die hohe emotionale Bindung, die das Zusammenleben von Mensch und Hund gekennzeichnet habe. Während der Tiertod einen Bruch in dieser sozialen Beziehung markiert, helfen Trauerrituale, diesen Bruch „emotional, aber auch kognitiv zu verarbeiten“ (131) und die enge Bindung unter geänderten Vorzeichen aufrechtzuerhalten. Zudem erfährt der Leser etwas darüber, wie der Sterbeverlauf aus Sicht der Betroffenen erfahren und gedeutet wird – was eine besondere Brisanz dadurch erhält, dass die meisten Hundeleben durch Euthanasie in der Tierarztpraxis beendet werden. Eine kurze Schlussbetrachtung betont die zwar vorhandenen, bislang aber noch zu wenig genutzten soziologischen Potenziale dieses Forschungsgebietes.

Diskussion

An erster Stelle ist der Mut der Autorin zu loben, sich in ihrer Examensarbeit einem Thema angenommen zu haben, das von Soziologen bis dato kaum beleuchtet wurde. Damit beschritt sie gewiss keinen einfachen Weg, weil dieser zu eigenständigen Überlegungen und Synthesen zwingt.

Gleich zu Beginn ihres Buches wird darauf hingewiesen, dass es sich nicht nur an soziologische Fachvertreter richtet, „sondern an alle, die sich für die sozialen und emotionalen Aspekte einer über viele Jahrtausende hinweg global gewachsenen Beziehung zwischen zwei verschiedenen Arten interessieren“ (7). Das macht es natürlich schwer, eine konkrete Zielgruppe für diese Lektüre zu definieren. Einer Laienleserschaft dürfte der unprätentiöse Sprachstil und die starke Alltagsnähe der meisten Ausführungen entgegen kommen, derweil sie den Theorieteil vermutlich etwas schneller abgehandelt sehen möchte. Dem sozialwissenschaftlich vorgebildeten Leser könnte hingegen die unscharfe Verwendung mancher Begriffe (vor allem dem der Kommunikation), die vermutlich in erster Linie an das Alltagsverständnis der Autorin anschließen, problematisch erscheinen. Hinzu kommt, dass nicht wenige Argumentationslinien von Allgemeinplätzen, Normativismen, Psychologisierungen, Simplifizierungen sowie einer gewissen „Kausalitätsgläubigkeit“ geprägt sind. Feststellungen wie „Der Mensch vermisst den Hund und der Hund vermisst den Menschen“ (73) muten voreilig apodiktisch an und wären wohl einer noch intensiveren Reflexion zu unterziehen. Dass eine Mensch-Hund-Beziehung „nie aufgrund der Zuschreibung von Eigenschaften durch den Menschen existiert, sondern als aus sich selbst heraus entwickelte wechselseitige Verbindung“ (74), darf wohl ebenfalls hinterfragt werden. Denn hier wird übersehen, dass tierisches Verhalten nicht schlichtweg objektiv gegeben, sondern immerzu ein von Menschen beobachtetes und gedeutetes Verhalten ist. Folglich handelt es sich bei der Annahme, dass zwischen beiden Spezies eine innige Beziehung herrscht, um das Resultat einer menschlichen Interpretation.

Überdies ist anzunehmen, dass nicht jeder Halter in einem so innigen sozialen Verhältnis zu seinem Tier steht, wie manche Ausführungen im Buch vermuten lassen. Gewiss wird dem Tod eines liebgewonnenen Hundes auch nicht in jedem Fall mit aufwändigen Ritualen entgegnet, vielmehr kann er ebenso gut zum Ausgangspunkt pragmatisch-nüchterner Umgangsweisen werden. Hundekremationen, Tierfriedhöfe und virtuelle Gedenkseiten veranschaulichen zwar eine bemerkenswerte Bandbreite heutiger Bewältigungsformen des Heimtiertodes – würde man all das als repräsentatives Zeugnis über das Sozialverhältnis von Hund und Herr in der modernen Gesellschaft begreifen, würde man aber vernachlässigen, was sich jenseits solcher Schauplätze abspielt. Hierin liegt wohl ein generelles Problem der Sozialforschung, die beim Versuch, die gesellschaftliche Wirklichkeit einzufangen, nicht wissen kann, was sie nicht sieht, was also in ihrem blinden Fleck verborgen liegt. Auch die These, wonach Betroffene „ganz ähnlich wie beim Verlust eines geliebten Menschen das starke Bedürfnis [haben], ihren Verlust mitzuteilen, ihn rituell abzuarbeiten sowie ein würdiges Andenken […] zu konservieren (140)“, greift etwas zu kurz, wenn man bedenkt, dass selbst ein so „natürlich“ und „subjektiv“ anmutendes Phänomen wie das der Trauer normativen Ordnungen unterliegt und Rituale nicht lediglich einer Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern sozial erlernt sind. Zudem erscheint in diesem Zusammenhang das Prädikat „würdevoll“ nicht unproblematisch, weil es sich dabei keineswegs um eine fest(geschrieben)e Größe, sondern um eine zeit- und standpunktabhängige Zuschreibung handelt.

Um Genaueres über das methodische Vorgehen der Studie zu erfahren, muss sich der Leser bis zum letzten Kapitel gedulden. Die empirischen Erkenntnisse, mit denen die Autorin aufwartet, sind durchaus aufschlussreich, wenngleich eine nähere Betrachtung diverser Interviewpassagen (die auch einen stärkeren Bezug zu den theoretischen Vorüberlegungen aus dem ersten Kapitel hätten provozieren können) nicht geschadet hätte. Ferner wären Auskünfte über die Akquirierung der Interviewten interessant gewesen; stattdessen erfährt man nur, „dass es nicht sehr einfach war, Interviewpartner zu finden, die bereit waren, mitzuwirken“ (111). Generell ist bei Interviews rund um solche intimen und gleichsam kontrovers diskutierten Angelegenheiten wie die Heimtiertrauer noch die Drittvariable der sozialen Erwünschtheit zu bedenken.

Bei all dem ist es Karin Bomke dennoch gelungen ist, das Interesse an ihrem Thema zu wecken und zu weiterführenden Auseinandersetzungen zu animieren. Das Buch unterstreicht den sozialen Wandel, der sich in diesem Bereich offenkundig vollzieht und deutet an, dass ein Diskurs längst den Bannkreis der Hundehütte verlassen hat und Facetten mit sich bringt, die für die Sozialwissenschaften von näherem Interesse sein können.

Fazit

Auf bisweilen nicht unproblematische Weise wird ein soziologisch noch weitgehend „unmarkiertes Revier“ betreten. Wer erste Einblicke in diese Thematik erhalten und sich zu Anschlussüberlegungen anregen lassen möchte, ist mit der Lektüre gut bedient.

Rezension von
Matthias Meitzler
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Es gibt 14 Rezensionen von Matthias Meitzler.

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ISSN 2190-9245