William R. Miller, Stephen Rollnick: Motivierende Gesprächsführung
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos, 19.02.2016

William R. Miller, Stephen Rollnick: Motivierende Gesprächsführung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2015. 4. Vollständige Übersetzung der 3. amerikanischen Auflage. 484 Seiten. ISBN 978-3-7841-2545-9. 39,90 EUR.
Thema
Das vorliegende Buch ist die 3. Auflage des einschlägig bekannten Werkes der Autoren zur motivierenden Gesprächsführung, oder -englisch- zum Motivational Interviewing (MI). Diese beschäftigt sich eingehend mit der Frage, wie aus einer besonderen Gesprächsführung Motivation und Veränderungsbereitschaft beim Klienten erzeugt, aufrechterhalten und schließlich zur faktischen Veränderung genutzt werden kann. Verdeutlicht wird dies für verschiedene Beratungskontexte, auch anhand vieler Transkripte.
Autoren
- William R. Miller ist promovierter Psychologe, emeritierter Professor für Psychologie und Psychiatrie.
- Stephen Rollnick, ebenfalls promovierter Klinischer Psychologe, ist emeritierter Professor für Health Care Communication.
Entstehungshintergrund
1991 erschien die 1. Auflage des vorliegenden Buches- 2002 die zweite, schon damals deutlich erweiterte Auflage. Nunmehr liegt die zu 90% neue Version des Buches vor- es sei an der Zeit gewesen, die reichhaltigen Erkenntnisse in der Anwendung von MI (die Autoren sprechen von mittlerweile mehr als 25000 Artikeln und Studien zu diesem Verfahren) auf den neusten Stand zu bringen. Wie der Übersetzer Demmel im Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt, ist das Verfahren „eleganter, ausgeklügelter und besser begründet“ worden. Die Autoren selbst verdeutlichen das Verfahren in einer ersten Definition als einen kooperativen Gesprächsstil, mit dem ein Mensch in seiner Motivation und seinem Engagement zur Veränderung gestärkt werden soll. Hierbei seien vier allgemeine Grundprozesse wesentlich: Beziehungsaufbau, Fokussierung, Evokation und Planung.
Aufbau
Das umfassende Werk ist sachlogisch nach Vorworten in sieben Teile eingeteilt (jeder Teil wird knapp eingeleitet mit einer Inhaltsübersicht), die ihrerseits differenziert in insgesamt 28 Kapitel untergliedert sind- ein Glossar, einige Literaturangaben mit Hinweis auf ein im Internet zugängliches ausführlicheres Literaturverzeichnis sowie Anmerkungen zu den Autoren schließen das 482 seitige Buch ab.
Inhalt
MI ist aus der Erfahrung und Erkenntnis geboren, dass Veränderung beim Menschen mit dessen Motivation und Selbststeuerungsfähigkeit steht und fällt- und dass viele therapeutische Interaktionen eben gerade daran scheitern, dies nicht hinreichend genug zu beachten und zu bearbeiten. Das vorliegende Werk macht schrittweise und erzählerisch den Prozess der Motivationsentwicklung und -unterstützung über die vier Prozesse – Beziehungsaufbau, Fokussierung, Evokation und Planung deutlich.
Teil I setzt sich in drei Kapiteln mit der Frage „Was ist MI?“ auseinander, mit der inhaltlichen Beschreibung und -wichtiger- mit der diese Methode tragenden Haltung und dem korrespondierenden Menschenbild, welches durch Partnerschaftlichkeit, Akzeptanz, Autonomie und Wertschätzung sowie Mitgefühl umschrieben wird und sich deutlich an Vorstellungen der Humanistischen Psychologie orientiert. Anschließend werden die genannten vier Prozesse ausgeführt: nach Beziehungsaufbau und dessen ständiger Aufrechterhaltung, geht es um die Zieldefinitionen und die Einigung zwischen Berater und Klient auf solche Ziele, danach um die Evokation von Selbstmotivation gerade durch die Entwicklung von Argumenten für eine Veränderungen beim und durch den Klienten selbst und schließlich um die Selbstverpflichtung und das Engagement zur Veränderung.
Teil II beschäftigt sich dann ausführlich mit dem Beziehungsaufbau- hier sind insbesondere (Kapitel 6) die grundlegenden Kommunikationsstrategien (offene Fragen, Würdigung, Reflexion und Resümee) wesentlich. Schön, dass die Autoren wie überhaupt in allen Kapiteln ausführlich und bewusst sich wiederholend darstellen und an Transkripten die Strategien erläutern und verdeutlichen, sowie auch auf Schwierigkeiten hierbei eingehen.
Teil III beschäftigt sich mit dem 2. Veränderungsprozesse, der Fokussierung. Hierbei geht es um einen gemeinsamen Klärungsprozess, der dem Klienten helfen soll, sich darüber klar zu werden, ob, wann, warum und wie er/sie sich ändern kann und wird. Natürlich spielen hierbei die Wechselwirkungen zwischen Klient, Setting und Fachkompetenz beim Berater eine Rolle- die Autoren stellen auch dies detailliert mit Beispielen dar. Sie gehen auch darauf ein, wie mit Situationen umzugehen ist, wenn die Ziele sich zwischen Klient/ Therapeut unterscheiden (Kapitel 10) und wie ein mögliches oder prinzipielles Informationsgefälle zwischen den Akteuren gestaltet und genutzt werden kann ( Kapitel 11).
Teil IV beschäftigt sich mit dem 3. Prozess des MI: der Evokation, der Hervorrufung und Stärkung von Veränderungsmotivation. Wesentlich ist hierbei die Praktizierung von „Change Talk“ vs. „Sustain Talk“. Hiermit meinen die Autoren die Ambivalenz auf Seiten des Klienten: sich Ändern vs beim Gewohnten bleiben, als Ausdruck einer Veränderungsscheu. Change Talk ist jede vom Klienten selbst kommende sprachliche Äußerung, die ein Argument für Veränderung darstellt, Sustain Talk sind Klientenaussagen, die den Status- Quo bestätigend thematisieren. Wunsch, Fähigkeit, Motive, Veränderungsnotwendigkeit werden herausgearbeitet, wobei wie im MI insgesamt der Therapeut eher der Provokateur und Bestätiger (hier über die Strategien der Reflexion und des Resümees), denn der Entwickler von Veränderungsideen ist. Das hierbei auch Hoffnung und Selbstvertrauen beim Klienten Beachtung finden müssen, wird im 16. Kapitel verdeutlicht und (Kapitel 17) auch hierbei ist im Sinne des handlungsleitenden Menschenbildes und notwendiger therapeutische Neutralität gefordert.
Teil V widmet sich dem 4. Prozess- der Planung, also insbesondere dem Aushandeln eines Veränderungs-Planes im Sinne des MI und um die Selbstverpflichtung (Kapitel 21) und die Unterstützung bei schrittweisen Veränderungen (Kapitel 22).
Teil VI nennen die Autoren „MI in der alltäglichen Praxis“. Sie fassen hier einige Erfahrungen in der Umsetzung der Methode und in deren Vermittlung in Fortbildungskontexten und supervisorischen Unterstützung zusammen. Der Fokus ist dabei mehr beim anwendenden Berater und angesprochen werden Kompetenzen wie beispielweise Achtsamkeit, Zeitdruck, Überforderung, klarer Kopf u.a.
Der abschließende Teil VII beschäftigt sich mit einigen Ergebnissen zur Effizienz der Methode- neben Studien, die dies belegen, verweisen die Autoren auch auf die Schwierigkeit der „sachgerechten“ Umsetzung der Methode und deren Kontrolle bis hin zu der Überlegung zum Einsatz von Manualen zur Optimierung und Qualitätssicherung. Auch wenn nicht explizit angesprochen spielen hier natürlich Überlegungen zur Finanzierung evidenzbasierter Methoden und die damit verbundene Notwendigkeit des Effektivitätsnachweises auch für die MI als psychotherapeutische Methode eine Rolle.
Eine knappe deutschsprachige Literatur betreffende Bibliographie (ausführlicher als PDF-Download unter www.lambertus.de) und Hinweise zu den Autoren/ dem Übersetzer schließen das Buch ab.
Diskussion
Zunächst ist festzustellen, dass die Autoren eine umfassende, gründliche und fachlich fundierte Darstellung der Methode des MI vorlegen. Sie sind dabei in ihrer Darstellung sachlogisch im Vorgehen, wenn die einzelnen Teile des Buches weitgehend mit dem 4 Prozessen wie genannt übereinstimmen – sie sind dabei auch durchaus bewusst redundant und erzählerisch-anschaulich und versehen die Ausführungen mit reichlich Beispielen aus ihrer Praxis. Dennoch ist das Buch nicht als Selbstlern-Manual zu verstehen - ohne Umsetzung und Erprobung in die eigene Interaktionspraxis wird die Generierung einer passenden Haltung und eines entsprechenden Gesprächsverhalten nicht erreichbar sein. Gut dass dies die Autoren mehrfach verdeutlichen und Lern- und Übungsgruppen unter Supervision anregen. Gleichwohl macht die Lektüre des Buches zwischen Darstellung theoretischer Aspekte und ihrer unmittelbaren Verdeutlichung durch Praxisbeispiele Freude.
Fazit
Eine sachlich-fachlich sehr gute Darstellung, die Grundlagen, Theorien und Methoden von Motivierender Gesprächsführung erläutert und diskutiert.
Allen Berufs- und Ausbildungsgruppen, die mit Patienteninteraktionen zu tun haben, bietet sich ein reicher Fundus an hilfreichen Strategien und Methoden – vom Studierenden bis hin zum Praktiker, der/ die die eigene Beratungspraxis und deren Erfolge/Misserfolge reflektiert sei dieses Buch gerne empfohlen und wegen seiner angesprochen Menschenbild-Haltung auch ans Herz gelegt.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos
Hochschullehrer Hochschule Fulda, Fachbereich Sozialwesen, seit 31.8.2011 pensioniert
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