Karl-Heinz Meier-Braun: Die 101 wichtigsten Fragen. Einwanderung und Asyl
Rezensiert von Prof. Dr. Holger Hoffmann, 07.03.2016
Karl-Heinz Meier-Braun: Die 101 wichtigsten Fragen. Einwanderung und Asyl. Verlag C.H. Beck (München) 2015. 160 Seiten. ISBN 978-3-406-68355-8. D: 10,95 EUR, A: 11,30 EUR, CH: 17,50 sFr.
Autor
Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun ist Integrationsbeauftragter des Südwestfunks, Honorarprofessor für Politikwissenschaft der Universität Tübingen und Vorstandsmitglied im Rat für Migration. Seiner Homepage entnahm ich, er verknüpfe Praxis und Theorie, gründete die Fachredaktion für Migrationsfragen „SWR International“ des Südwestrundfunks in Stuttgart.
- 1979 Promotion über Freiwillige Rotation – Ausländerpolitik am Beispiel der baden-württembergischen Landesregierung.
- Mitglied des Landesbeirates für Migration und Integration der Landesregierung Rheinland-Pfalz. Landesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN).
- Mitglied im Beirat für Weltbevölkerung der DGVN, des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) und beim „Forum der Kulturen“ Stuttgart.
- Redaktionsbeirat der „Zeitschrift für Kulturaustausch“ des Instituts für Auslandsbeziehungen Stuttgart und stellvertretender Vorsitzender des Rats für Migration (RfM).
- 2002 gründete er das „Wissenschaftsforum Migration und Integration Baden-Württemberg“ mit dem Integrationsbeauftragten der Landesregierung von Baden-Württemberg, aus dem das heutige „Netzwerk Integrationsforschung Baden-Württemberg“ hervorgegangen ist.
- Verschiedene Auszeichnungen, u.a. den Preis der Schaderstiftung für Gesellschaftswissenschaften mit Praxisbezug (1995). Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun war Mitglied in der Arbeitsgruppe 3 „Wirtschaft und Medien als Brücke“ der Deutschen Islam Konferenz (DIK). Außerdem ist er Mitglied im Beirat des Landesstiftungsprojektes „Mit Zivilcourage gegen Extremismus“ in Baden-Württemberg.
Thema
Einwanderung und Asyl – die 101 wichtigsten Fragen – das klingt zunächst interessant, zumal wenn das Buch preisgünstig zu erwerben ist.
Deswegen hat sicher auch die Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg Vorpommern sogar eine Sonderausgabe (kostenpflichtig, Abgabe nur für Interessierte mit Wohnsitz in MV) aufgelegt. Und im „Portal für Politikwissenschaft“ referiert Dr. Sven Leunig, Politologe, Akademischer Rat, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena: „Auf knapp 150 Seiten werden, thematisch geordnet, tatsächlich die wohl 101 meistgestellten Fragen zum Thema Zuwanderung beantwortet, in sowohl für den Laien als auch den Politikwissenschaftler interessanter und kenntnisreicher Weise.“ Und der Helferkreis Greifenberg am Ammersee rubriziert auf seiner Internetseite unter „Der Buchtipp“: „Das brandaktuelle Taschenbuch …beantwortet auf knappen 160 Seiten kompetent alle übergreifenden und gesellschaftspolitisch wichtigen Fragen zur Flüchtlingspolitik. Fragen, die wir uns selbst als Helfer gerade stellen oder die an uns von Außen herangetragen werden und auf die wir Antworten geben können.“
Was stellen sich die Helfer dieses Arbeitskreises denn für Fragen? Meine erste Frage an alle Genannten ist: Haben sie das Buch gelesen? Und sich nicht gewundert?
Es beantworte „kompetent alle übergreifenden und gesellschaftspolitisch wichtigen Fragen zur Flüchtlingspolitik.“ Wie wurde denn wohl ermittelt, was diese Fragen sind. Empirisch? Nach Zeitungsüberschriften? Aus dem Zettelkasten? Was sind denn – nach Auffassung des Autors – diese 101 wichtigsten, nach Leunig „meistgestellten“ Fragen? Jedenfalls gehören offenbar folgende zehn dazu:
- Nr. 8: Hatte Goethe türkische Vorfahren?
- Nr. 9: Wie erging es den deutschen Auswanderern in Amerika?
- Nr. 10: Wäre Deutsch beinahe zur Amtssprache in den USA geworden?
- Nr. 13: Was wurde aus dem einmillionsten Gastarbeiter und seinem Moped?
- Nr. 21: Was wäre Deutschland ohne Ausländer?
- Nr. 34: Sind die Flüchtlinge, die nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland Schutz fanden, keine Migranten?
- Nr. 35: Sind Italiener „Deutsche“?
- Nr. 38: Gibt es überhaupt noch Portugiesen in Deutschland?
- Nr. 97: Was ist „diversity management“?
- Nr.100: Ist die Zeit reif für ein Migrationsmuseum bzw. ein Denkmal für die Gastarbeiter?
Und so weiter und so weiter … Doch, auf diese Fragen und Antworten haben wir lange gewartet, dafür brennt jeder, der sich mit der Materie befasst. Und von hoher Aktualität sind sie zudem, insbesondere die nach dem Moped (Es steht jetzt im „Haus der Geschichte“ in Bonn).
Aufbau und Inhalt
Nach seiner Selbstdarstellung und dem Klappentext müsste der Autor einer sein, der sich mit diesem Thema auskennt – denkt man. Leider weitgehend falsch gedacht.
Das Beste ist noch die Gliederung: In einem Vorwort und neun Kapitel werden die 101 Fragen sortiert:
- Statistik(13 -23);
- Geschichtliches (24-32);
- Grundlagen und Begriffe (33- 52);
- Gruppen von Einwanderern (53- 73);
- Mittelmeerflüchtlinge (74 – 84);
- Flüchtlinge: Recht und Aufenthalt (85 – 102);
- Arbeitsmigration: Recht und Aufenthalt (103 – 115);
- Kontroversen und Konflikte iin Politik und Gesellschaft;
- Zukunftsperspektiven von Einwanderung und Asyl (147 – 157).
Dem folgt sozusagen Frage 102: Wo kann man sich an Besten über Einwanderung und Asyl informieren (159-160)- einige Hinweise auf verschiedene Links und Bücher zum Thema.
Abschnitt IV, in dem über die verschiedenen Einwanderungsgruppen informiert wird, hat eher einen statistisch deskriptiven Charakter. Im Zentrum wird die Zuwanderungsgeschichte der Bundesrepublik vor und nach 1990 oberflächlich durchblättert.
Zugegeben: Einige Antworten enthalten auch einige sinnvolle Informationen, etwa Nr 76 (Einwanderung in die Sozialsysteme?) oder die Kapitel VI und VII zu den Aufenthaltsrechten von Flüchtlingen und zur Arbeitsmigration. Man merkt schon, dass der Autor es gut meint und für eine größerer Offenheit und einen vorurteilsfreieren Umgang mit der Thematik plädiert.
Aber das Buch leidet insgesamt an einem Systemfehler, der gerade hier anschaulich werden mag: Dort, wo zentrale Rechtsfragen angesprochen werden, wird auf drei Seiten oberflächlich abgehandelt, was im Zuwanderungsgesetz steht (Nr 65) – ohne Zitierung auch nur einer Norm dieses Gesetzes, etwa des programmatischen § 1, oder ohne Zitat auch nur einer Bestimmung aus europäischen Richtlinien, wenn es um Familiennachzug (Nr 72) geht.
Oder: Fragen des Arbeitsmarktzugangs („Wer erhält Arbeit in Deutschland?“) sind „kompliziert und selbst für Fachleute teilweise schwer zu durchschauen“, so der Autor. Ah ja, so. So eine Antwort ist schon hilfreich. Und dann folgt im Text nicht etwa eine Darstellung der einschlägigen Normen des Gesetzes und der zugehörigen Verordnung. Vielmehr wird nur ein wenig Historie erzählt. Das, was dort sich zur Aktualität findet (Flüchtlinge dürfen nach drei Monaten arbeiten – S.107 – Frage 68) war schon falsch in dem Monat, in dem das Buch erschien.
Diskussion
„Wer Vieles bringt, wird Manchem etwas bringen“ – so lautet die uralte Devise von Unterhaltungskünstlern – und offenbar manchmal auch von Journalisten. Fragt sich: Ist, was da gebracht wird, hilfreich und nützlich – wenigstens für Laien und als erste Orientierung? Klare Antwort: Nein. Dabei ist zuzugeben: In einigen seiner Antworten insbesondere im VIII. Kapitel bemüht der Autor sich um beruhigende Antworten zu aufgeregten Diskussionen (Nr. 85: Ist die Integration gescheitert? Nr. 86 Ist die multikulturelle Gesellschaft tot?). Aber sonst? Wo Fragen zu Recht und Aufenthalt gestellt werden, wird keine einzige Norm etwa des Zuwanderungsgesetzes wenigstens mit der Ziffer zitiert (das wäre in Fußnoten möglich gewesen, wenn schon der Lesefluss des Textes nicht unterbrochen werden sollte). Oder: Frage Nr 82: Worum geht es beim Kopftuchstreit? Zutreffend angesprochen wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 2003 und 2015- aber keine Fundstelle benannt, obwohl die Entscheidungen alle auf der Homepage des Gerichts zu finden sind, wenn man Aktenzeichen und Entscheidungsdatum kennt.
Manches ist schlicht falsch: Zu Frage 44 („Was ist Frontex“) wird breit zu der rein italienischen und eben gerade nicht von Frontex getragenen Aktion „Mare Nostrum“ aus dem Jahr 2013/14 referiert. Wie Frontex tatsächlich funktioniert und wie stark dies Funktionieren abhängt von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten, Personal, Material und Logistik zur Verfügung zu stellen – nichts.
Weiter: Fragen zu Sozialleistungen für Flüchtlinge und Migranten werden auch nicht ansatzweise abgehandelt, also: Asylbewerberleistungsgesetz, Ansprüche auf Kindergeld, Krankenkassenleistungen etc – ja, das ist sehr kompliziert. Also lässt man es in so einem Buch besser weg – und belässt es bei einer oberflächlichen Antwort auf Frage 76: „Sind die meisten Einwanderer Wirtschaftsflüchtlinge“, „findet eine Einwanderung in die Sozialsysteme statt?“ zitiert dazu Strauß von 1985 und Seehofer von 2011. Ergebnis: Entgegen deren Aussagen tut sie´s nicht, stellt der Autor fest. Das ist beruhigend.
Die Duldung sei ein Aufenthaltstitel (S.84)? Ist sie eben nicht, sondern nur, nachdem gerade kein Aufenthaltstitel mehr besteht, die Aussetzung des Vollzugsaktes „Abschiebung“ – was jeder weiß, der irgendwann einmal sich mit der Materie befasst hat. Auch der Autor sollte es wissen. Oder sein Lektor. Aber der hat offenbar ebenso geschludert.
Man mag es ja kaum sagen, aber die „Schätzung“ bezüglich der illegal in Deutschland sich aufhaltenden Ausländer („In Deutschland rechnet man mit bis zu einer halben Million“- S. 134) ist pure Kaffeesatzleserei. Die genannte Zahl wurde 2002 kolportiert – damals schon mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass eben niemand weiß, wieviele es waren und heute sind. So „aktuell“ sind die Auskünfte des Buches.
Fazit
Kann man gegen einen Autoren, mit dessen Buch man nur Zeit vergeudet, Schadensersatz wegen Zeitdiebstahls geltend machen? Kann man nicht und das weiß der Autor. Und offenbar auch der eigentlich doch seriöse C.H.Beck Verlag. Wie konnte es dazu kommen, dass da einer seinen Zettelkasten und einige Internetseiten geöffnet hat und – schwupps – ist etwas zusammen amalgamiert und verkauft sich sogar, befürchte ich. Weil es ja so viele aktuelle Fragen beantwortet. Ach, es ist unsäglich. Meine Empfehlung: statt dieses Buch zu kaufen, sich über die Seiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kostenfrei und aktuell zu informieren. Und das eingesparte Geld einer Flüchtlingsinitiative zu spenden.
Ja, ich habe etwas gegen diese Buch. Nicht nur wegen seines reißerischen Titels, der Erwartungen weckt, die kaum ansatzweise eingelöst werden. Ich halte es für überflüssig. Im Vorwort schreibt der Autor, es handele sich um ein Experiment. Nun wie es manchmal mit Experimenten so ist, das scheint grundlegend gescheitert. Wahrscheinlich wird es sich dennoch gut verkaufen. So ist der Markt. Irre. Ich rate dringend ab.
Rezension von
Prof. Dr. Holger Hoffmann
Pensionierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen
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Zitiervorschlag
Holger Hoffmann. Rezension vom 07.03.2016 zu:
Karl-Heinz Meier-Braun: Die 101 wichtigsten Fragen. Einwanderung und Asyl. Verlag C.H. Beck
(München) 2015.
ISBN 978-3-406-68355-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19733.php, Datum des Zugriffs 05.11.2024.
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