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Nicholas D. Kristof, Sheryl WuDunn: Ein Pfad entsteht

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 02.02.2016

Cover Nicholas D. Kristof, Sheryl WuDunn: Ein Pfad entsteht ISBN 978-3-406-68311-4

Nicholas D. Kristof, Sheryl WuDunn: Ein Pfad entsteht. Chancen eröffnen, Leben verändern. Verlag C.H. Beck (München) 2015. 384 Seiten. ISBN 978-3-406-68311-4. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 30,50 sFr.

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Dennoch! Ein Appell zum positiven Denken!

Sowohl im individuellen Denken und Handeln, als auch im kollektiven steht der Mensch auf dem Grad, auf dessen einen Seite Optimismus und Zuversicht lockt, und auf der anderen Pessimismus und fatalistische Einstellungen drohen. Es gilt, den Balanceakt zu leben, um sich weder in gefährliche Euphorie zu stürzen, noch in lähmende Passivität zu verfallen. Der anthrôpos ist, nach der anthropologischen Betrachtung, ein Lebewesen, das in der Lage ist, seinen Verstand zu gebrauchen. Durch die Fähigkeit, Gut von Böse zu unterscheiden, und durch die Einsicht, dass der Mensch auf ein friedliches und gerechtes, also humanes Zusammenleben mit den Mitmenschen angewiesen ist, kann es ihm gelingen, ein gutes, gelingendes Leben anzustreben. Diese intellektuelle Kompetenz sollte ihm (eigentlich) dazu bringen, die globale Ethik zu leben, wie sie in der Präambel der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt: Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt. Der Sehnsucht danach stehen allerdings die Süchte des Egoismus, Ethnozentrismus, der Höherwertigkeitsvorstellungen und des Rassismus gegenüber. Positiv denken und handeln gilt im humanen Diskurs deshalb als eine natürliche, menschliche Eigenschaft!

Aus dem selbstverschuldeten Egoismus ausbrechen

Mit dem Zuspruch „Sei du selbst!“, und mit der Aufforderung, den „aufrechten Gang“, als Symbol der eigenen, verantwortlichen Denkfähigkeit einzuüben, wird die Lebenslehre verbunden, im individuellen und kollektiven Denken und Handeln einen Perspektivenwechsel zu vollziehen, hin zu mehr Empathie und Menschlichkeit (Joanna Macy / Norbert Gabler, Fünf Geschichten, die die Welt verändern. Einladung zu einer neuen Sicht der Welt, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/14441.php). Der US-amerikanische Journalist, Autor und Kolumnist Nicholas D. Kristof und seine Frau, die Journalistin Sheryl WuDunn, sind für ihre journalistische Arbeit mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und mit mehreren weiteren Anerkennungen bedacht worden. Ihre hautnahen Berichte über Kamalitäten, Konflikte, Karambolagen, Kollusionen, Konspirationen, Kolportagen, Komplotte, Konfusionen, Korruptionen und kriminelle Machenschaften zugunsten von Machthaben und zum Ungunsten von Ohnmächtigen vermitteln ein Bild von den Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten in der Welt. Sie bleiben aber nicht bei einem Lamento stehen, sondern verweisen in ihren Berichten immer wieder darauf, dass es lohnt, Menschen in ihren oft miserablen und scheinbar perspektivlosen Lebensbedingungen Chancen aufzuzeigen und zu ermöglichen, sich selbst zu helfen. Es kommt darauf an zu erkennen, dass „jeder von uns auch mit einfachen Mitteln zwar die Welt nicht retten, aber Unglaubliches bewirken und anderen den Weg zu einem besseren Leben ebnen kann“. Auf einen besonders farblich hervorgehobenen, augenscheinlichen Hab-Acht-Streifen auf dem Schutzumschlag gibt der Ökonom von der Oxford-Universität, Paul Collier, der sich ebenfalls zu Fragen von Ungerechtigkeiten in der Welt zu Wort gemeldet hat (Paul Collier, Der hungrige Planet. Wie können wir Wohlstand mehren, ohne die Erde auszuplündern, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/13125.php), den Leserinnen und Lesern den Rat: „Wenn Sie mit ihrem Leben weitermachen wollen wie bisher, ignorieren Sie dieses Buch“. Er verweist damit auf die Chance, unser Leben durch empathische Zuwendung zu anderen, hilfsbedürftigen Menschen zu ändern und mit den je eigenen Möglichkeiten und Mitteln teilen zu lernen. Die Tugend „Hilfsbereitschaft“ hat ja in unserer Denke einen unterschiedlichen Klang. Da ist zum einen die weltanschauliche Aufforderung zur Barmherzigkeit, wie sie sich im Christentum in der Caritas und dem Beispiel vom barmherzigen Samariter äußert; im Islam als Almosen geben zeigt; und im Buddhismus als Mitgefühl artikuliert; zum anderen stellt die Bereitschaft zu Teilen auch eine Herausforderung zur „globalen Solidarität“ dar, was die Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften Elenor Ostrom als „Was mehr wird, wenn wir teilen“ bezeichnet (Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11224.php). Es ist das Bild von einem in einen undurchdringlichen Urwald oder einem Dickicht mühsam, aufwändig und manchmal auch gefährlich geschlagenen Pfad, der, wenn er öfter und von vielen Menschen benutzt wird., zu einem gangbaren Weg und zu einer Zielrichtung werden kann, wie es von einem chinesischen Schriftsteller anschaulich gezeichnet wird, das für das Autorenteam als Zeichen der Hoffnung benutzt wird, um mehr Chancengerechtigkeit in die Welt zu bringen.

Aufbau und Inhalt

Das Journalistenehepaar Kristof / WuDunn haben zahlreiche Beispiele in aller Welt gesammelt, mit denen sie deutlich machen wollen, „dass es nicht deprimierend sein muss, den Problemen der Welt ins Auge zu sehen, sondern dass es vielmehr eine Inspirationsquelle sein kann, weil Krisen, die den Menschen innewohnende Hilfsbereitschaft zum Leben erwecken“; sich im Geben und Nehmen Humanität zeigt und Hoffnung wächst. Sie plädieren für eine „Kultur des Altruismus und der Empathie“, weisen jede Form von sentimentaler und frömmlerischer Betulichkeit zurück und sind überzeugt, dass gesellschaftliches Engagement… unsere seelische und körperliche Gesundheit fördert und uns eine höhere Lebenserwartung beschert“, weil Egoismus, Egozentrismus und Gier nicht nur einsam und unzufrieden, sondern auch krank machen: „Dem Altruismus wohnt …eine mächtige Auftriebskraft inne, sowohl für unsere Gesundheit, als auch für unser Lebensglück“. So wird empathische und intellektuelle Hilfsbereitschaft egoistisch im guten Sinn des Auf-sich-Bezogen-Seins mit dem Bewusstsein des Kollektiv-Seins der Menschheit verbunden und setzt sich ab von einer egozentrierten, übersteigerten Selbstbezogenheit.

Die Sammlung von inspirierenden guten, altruistischen Geschichten gliedern die Autoren in drei Teile. Im ersten Teil berichten sie von Projekten, die „Auftrieb für neue Lebenschancen“ bieten; im zweiten diskutieren sie Beispiele über „eine Reform der Kunst des Helfens“; und im dritten subsumieren sie mit dem Titel „Geben, bekommen, leben“ die Motive und Konsequenzen von gutem Denken und Tun. Es sind Tragödien, die mit humanitären Mitteln, die uns Menschen zur Verfügung stehen, zwar nicht verhindern, aber „gerichtet“ werden können, wie etwa die Geburt eines Kindes mit einem Klumpfuß, der Bekämpfung von Epidemien und Krankheiten; es sind Erzählungen über Initiativen von Einzelnen und Gruppen, die mit einer kleinen, anfangs unscheinbaren und wenig aussichtsreichen Aktivität angefangen und sich entwickeln zu für viele Menschen wirksamer Hilfe zur Selbsthilfe. Es sind Berichte, die von den Autoren getitelt werden mit „Von der Anekdote zum Beweis“, in denen von der Hartnäckigkeit, Beständigkeit und Überzeugtheit die Rede ist, dass (auch) Einzelne etwas ändern können, um Einzelnen und Vielen irgendwo in der Welt zu helfen, damit sie sich selbst, den Familien und im Kollektiv selbst ernähren und zu einem guten, gelingenden Leben kommen können. Es sind Berichte, mit denen deutlich wird, dass Armut, Elend und Aussichtslosigkeit nicht nur in den so genannten Entwicklungsländern und den „Least Developed Countries“ im Süden der Erde herrschen, sondern auch in den „Worst States“ in den so genannten entwickelten, wohlhabenden Ländern. Wussten Sie, dass ein Kind aus einer Akademikerfamilie mit Vollendung seines vierten Lebensjahres durchschnittlich 32 Millionen mehr Wörter hört als ein Kind aus einer prekären Familie? Um diese Diskrepanz zu ändern, gibt es zahlreiche Initiativen, die davon überzeugt sind, dass „Bildung alles ist“. Natürlich kommt in den Erzählungen auch der Marshmallow-Test ins Spiel, dessen Ergebnisse aufweisen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Art und Weise, wie Kleinkinder mit Situationen umgehen, Auswirkungen auf ihre spätere, schulische und berufliche Entwicklung haben: „Die Fähigkeit zum selbsterlegten Aufschub einer Belohnung ist ein wichtiger Teil der Reifung unserer Persönlichkeit“ (siehe dazu auch: Walter Mischel, Der Marshmallow-Test. Willensstärke, Belohnungsaufschub und die Entwicklung der Persönlichkeit,2015, www.socialnet.de/rezensionen/18473.php).

Fazit

Die zahlreichen Beispiele, in denen altruistisches Denken und Tun sowohl als individuelle, als auch kollektive, zufällig begonnene bis wissenschaftlich initiierte, begleitete und analysierte Projekte aufgezeigt und diskutiert werden, haben nicht zum Ziel, besonders bemerkenswerte und herausgehobene gute Taten bekannt zu machen und zu loben; vielmehr kommt es Nicholas D. Kristof und Sheryl WuDunn darauf an deutlich zu machen, dass „es Mittel und Wege (gibt), das Geben so in unser tägliches Leben einzubinden, dass es kein Opfer ist, sondern wir es als Chance und etwas Erhebendes empfinden“. Mit dieser Aufforderung gehen die Autoren gegen die oftmals lähmenden Einstellungen an, dass man als Einzelner sowieso nichts machen könne, angesichts des zunehmenden Chaos, von Armut und Hoffnungslosigkeit auf der einen und der ebenfalls wachsenden Entwicklung, dass die Armen in der Welt immer ärmer und die bereits Wohlhabenden immer reicher werden.

Mit ihrem „Kodex des Gebens“ fordern die Erzähler die Leser auf, sich diesem Pessimismus und Fatalismus nicht hinzugeben, sondern mit kleinen Schritten sofort bei sich selbst anzufangen, für mehr Chancengerechtigkeit lokal und global einzutreten. Sie ermuntern die Leser, in den nächsten sechs Minuten sechs Schritte anzugehen, mit denen nicht nur deutlich werden kann, dass es möglich ist, etwas Gutes, Hilfreiches und Lebensrettendes für andere Menschen zu tun, sondern auch für sich selbst. In einer Liste führen sie in alphabetischer Reihenfolge ausgewählte Adressen von amerikanischen und internationalen Organisationen auf, die sie selbst kennen und kontaktiert haben.

Für deutsche Leserinnen und Leser wäre es sicher hilfreich, auch Kontakthinweise auf deutsche und europäische Solidaritäts- und Hilfsorganisationen zu geben und so den Gedanken und die Herausforderungen zu befördern, dass eine gerechtere, friedlichere und humane Welt möglich ist. Um zum Schluss noch einmal auf Paul Colliers in der New York Times abgedruckte Empfehlung zurück zu kommen: „Wenn Sie mit ihrem Leben weitermachen wollen wie bisher, ignorieren Sie dieses Buch“. Es ist die Mahnung, ja nicht so weiter zu machen wie bisher, wie dies die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ bereits vor mehr als 20 Jahren verdeutlicht hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden (Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt, 2., erweit. Ausgabe, Bonn 1997, S. 18), und es ist der Protest: „Wie zum Teufel können wir weiterleben, obwohl wir wissen, dass diese Dinge geschehen?“, wie ihn der argentinisch-US-amerikanische Schriftsteller und Journalist Martin Caparrós mit seinem Buch „Hunger“ (Martín Caparrós, Der Hunger, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/20252.php) zum Ausdruck bringt und damit deutlich macht, dass jeder Mensch, wo er auch lebt, tagtäglich die Verantwortung für ein gegenwärtiges und zukünftiges, gerechtes Leben aller Menschen auf der Erde mit sich trägt!

Als Anhängsel wie als Fußnote für eine „Kultur des Altruismus und der Empathie“ können auch die Aktivitäten (und Provokationen) verstanden werden, wie sie vom Berliner „Zentrum für politische Schönheit“ durchgeführt und mit der richtigen Aufforderung artikuliert werden: „Wenn nicht wir, wer dann?“ (Philipp Ruch, „Wenn nicht wir, wer dann?“. Ein politisches Manifest, 2015, 207 S.).

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245