Andreas Hechler, Olaf Stuve (Hrsg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts
Rezensiert von Prof. Dr. Gudrun Ehlert, 17.02.2016

Andreas Hechler, Olaf Stuve (Hrsg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2015. 390 Seiten. ISBN 978-3-8474-0695-2. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 35,50 sFr.
Herausgeber
- Andreas Hechler, Magisterstudium der Europäischen Ethnologie und Gender Studies
- Olaf Stuwe, Diplomsoziologe
Beide Herausgeber arbeiten als Bildungsreferenten der Jugend- und Erwachsenenbildung und wissenschaftliche Mitarbeiter bei Dissens – Institut für Bildung und Forschung, Berlin
Entstehungshintergrund
Mit der Publikation wird das Fortbildungsprojekt Geschlechterreflektierte Neonazismusprävention abgeschlossen, dass von Dissens – Institut für Bildung und Forschung, Berlin seit 2013 durchgeführt wird. Zielgruppe dieses Projekts sind Pädagog_innen in der außerschulischen Arbeit in fünf Bundesländern. Zusätzlich zu den Projektergebnissen werden weitere Expertisen aus Projekten von Dissens in die Veröffentlichung aufgenommen.
Aufbau und Einleitung
Die Veröffentlichung besteht neben der umfassenden Einleitung der Herausgeber aus zwei Teilen:
- Unter der Überschrift „Pädagogische Praxen“ versammeln sich neun Beiträge und drei zusätzliche Beiträge, in denen Methoden der Bildungsarbeit vorgestellt werden. In diesem ersten Teil stehen Erfahrungen und Konzepte pädagogischer und beratender Praxis im Mittelpunkt.
- Sieben weitere Beiträge zu „Theoretischen Praxen“ und ein abschließendes Plädoyer für utopische Momente runden die Publikation ab.
Einen besonderen ‚roten Faden‘ machen Fotos von Zauberwürfeln in unterschiedlichen Konstellationen aus, beginnend mit dem Cover, finden sich Fotos auf verschiedenen Seiten der Publikation. Die Bilder der Zauberwürfel stehen für Vielfalt und eröffnen auf kreative Weise einen Zugang zu den Themen des Buchs.
In der Einleitung betonen die Herausgeber Andreas Hechler und Olaf Stuve, dass für das Projekt der geschlechterreflektierten Neonazismusprävention drei Aspekte zentral seien:
- Geschlecht und Sexualität werden als zentrale Kategorien für die Analyse rechter Einstellungen und Verhaltensweisen berücksichtigt.
- Die Neonazismusprävention wird durch eine geschlechterreflektierte Perspektive ergänzt.
- Geschlecht und Sexualität werden in der Verschränkung mit anderen Ungleichheitskategorien in einer intersektionalen Perspektive verstanden.
Zu Teil 1
Im ersten Beitrag der „Pädagogischen Praxen“ stellen Andreas Hechler und Olaf Stuve unter der Überschrift „Weder ‚normal‘ noch ‚richtig‘“ grundlegende Überlegungen einer geschlechterreflektierten Neonazismusprävention vor, die in den letzten Jahren im Rahmen der verschiedenen Projekte von Dissens entwickelt wurden. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Geschlecht und Sexualität immer auch eine Prävention von Neonazismus ist, da dieser bestimmte Weiblichkeiten und Männlichkeiten favorisiert. So lautet die zentrale These der Verfasser, „dass eine Vervielfältigung von Männlichkeiten und Weiblichkeiten, eine Entlastung von Geschlechteranforderungen und eine auf gleichberechtigte geschlechtliche und sexuelle Vielfalt ausgerichtete Pädagogik der Prävention neonazistischer Einstellungen und Handlungsmuster förderlich ist“ (Hechler/Stuve 2015, S.46). Die Verfasser machen deutlich, dass Neonazismusprävention Teil eines gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsprozesses ist. Sie plädieren für langfristige Konzepte und Projekte, die früh beginnen, sich an alle Kinder, Jugendliche und Erwachsene wenden und die ausreichend finanziert werden.
Katharina Debus betont in ihrem Beitrag „Du Mädchen! Funktionalität von Sexismus, Post- und Antifeminismus als Ausgangspunkt pädagogischen Handelns“, dass sowohl in der Rechtsextremismusforschung als auch in der -prävention Sexismus häufig vernachlässigt wird. In Anlehnung an die Kritische Psychologie untersucht sie die Funktionalität sexistischer, anti- und postfeministischer Aussagen und Verhaltensweisen und plädiert für die Förderung erweiterter Handlungsfähigkeit und die Herstellung utopischer Momente.
Der Beitrag „Rechtsextremismus als Herausforderung für frühkindliche Pädagogik – Analysen und Handlungsempfehlungen“ von Heike Radvan und Esther Lehnert fokussiert rechtsextreme Erscheinungsformen in verschiedenen Bereichen im Kontext der Arbeit von Kindertagesstätten und anderen Einrichtungen frühkindlicher Pädagogik: in den Herausforderungen für die Elternarbeit, in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern sowie im Umgang mit rechtsextrem orientierten Erzieher_innen.
Ergänzend zu den Beiträgen werden in diesem ersten Teil des Bandes drei ausgewählte Methoden aus der Bildungsarbeit vorgestellt: „Praxissituationen entgeschlechtlichen“ von Bernhard Könnecke, Vivien Laumann und Andreas Hechler, „Der große Preis“ von Katharina Debus und Andreas Hechler sowie „Begriffe diskutieren“ von Chiara Bothe, Katharina Debus und Olaf Struve. In allen drei Beispielen werden sehr anwendungsbezogen und strukturiert Themen und Ziele, Rahmenbedingungen, Anleitungen, Inhaltliche Vertiefungen, Praxisbeispiele und Varianten, Grenzen der Anwendung sowie Kommentare, Erfahrungen und Risiken der jeweiligen Methoden dargestellt.
Zu Teil 2
Im Zentrum des zweiten Teils des Bandes „Theoretische Praxen“ stehen Analysen der Diskurse der Neuen Rechten, wie die „Reformulierungen radikalisierter Männlichkeit in rechten Diskursen“ von Gabriele Kämper.
David Nax und Florian Schmitt arbeiten heraus, „Wie ein neo-homophober Diskurs funktioniert: Neue rechtskonservative Kämpfe gegen die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“. Sie zeigen, wie simplifiziert in den rechtspopulistischen Diskursen mit Begriffen umgegangen wird und machen deutlich, wie mit neo-homophoben Strategien versucht wird, den „heterosexuellen Normalzustand“ (Nax/ Schmitt, S. 267) aufrechtzuerhalten.
Katarina Obens fasst in ihrem Beitrag „Täterinnenbilder: Geschlecht und Emotion in der Rezeption von Zeitzeug_innen-Erzählungen“ Ergebnisse aus ihrer Dissertation zusammen, in der sie historische Sinnbildungen von Schüler_innen nach Zeitzeug_innengesprächen im Hinblick auf das Zusammenspiel kognitiver und emotionaler Prozesse untersucht hat.
Unter der Überschrift „Überdeterminiert und reichlich komplex. Überlegungen zu Politischer Bildung im Kontext von Postkolonialismus“ plädiert María do Mar Castro Varela dafür Geschichtsvermittlung und politische Bildung globaler und queerer zu denken.
Diskussion und Fazit
Die Publikation macht den Stellenwert von geschlechterreflektierter Neonazismusprävention deutlich und einleuchtend. Die verschiedenen Beiträge leisten wichtige Einblicke in die praktische (Bildungs-)Arbeit und sie dienen der Reflektion und Analyse von Präventions- und Bildungsarbeit, sowohl für die Berufspraxis als auch für die Fort- und Weiterbildung sowie die Lehre an Hochschulen und Universitäten. Die Veröffentlichung ist somit für Berufspraktiker_innen, Studierende, Lehrende, Bildungsarbeiter_innen und politische Akteure gleichermaßen wichtig.
Rezension von
Prof. Dr. Gudrun Ehlert
Professorin für Sozialarbeitswissenschaft an der Fakultät Soziale Arbeit
der Hochschule Mittweida
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Es gibt 30 Rezensionen von Gudrun Ehlert.
Zitiervorschlag
Gudrun Ehlert. Rezension vom 17.02.2016 zu:
Andreas Hechler, Olaf Stuve (Hrsg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2015.
ISBN 978-3-8474-0695-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19750.php, Datum des Zugriffs 31.03.2023.
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