Beatrice Bourcier: Mein Sommer mit den Flüchtlingen
Rezensiert von ao. Univ.Prof. Dr. Gerhard Jost, 02.05.2016

Beatrice Bourcier: Mein Sommer mit den Flüchtlingen. Der bewegende Bericht einer freiwilligen Flüchtlingshelferin. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2015. 172 Seiten. ISBN 978-3-95558-164-0. D: 14,90 EUR, A: 15,40 EUR.
Entstehungshintergrund und Thema
Das vorliegende Buch ist ein Bericht einer Flüchtlingshelferin, die im Sommer 2015 ehrenamtlich im Bereich der Sprachförderung (und der Übersetzung) in einem bayrischen Flüchtlingslager ihres Heimatdorfes tätig war. Der Entschluss für eine Tätigkeit im Helferkreis des Erstaufnahmezentrums war – so die Autorin über sich – zunächst durch Neugier motiviert; ihre Beziehung zu den Flüchtlingen hat sich dann aber zu aufrichtigem Mitgefühl und tiefer Verbundenheit entwickelt.
Das zentrales Anliegen der Autorin mit ihrem Text erscheint am besten in dem Satz wiedergegeben zu sein, dass „wir in Deutschland als Nachfahren von Zuwanderern nicht nur gegen Zuwanderung hetzen, sondern auch fähig sind, eine Willkommenskultur der Taten zu leben“ (Bourcier 2016: S. 16).
Das Buch handelt vom Leben der Flüchtlinge, sowohl – soweit der Kontakt bestand und Kommunikation möglich war – aus lebensgeschichtlicher Perspektive als auch im Erstaufnahmezentrum selbst. Die Autorin führte ein Tagebuch, in dem sie Erfahrungen und Beobachtungen eintrug, sich Notizen über Fluchtursachen und biographischen Erzählungen machte. Einzuordnen ist der Text zwischen Erfahrungsbericht, Sozialreportage und Essay.
Aufbau und Inhalte
Die Autorin beginnt mit einem Vorwort, in dem sie sich und die Umstände der Flüchtlingsaufnahme im Dorf vorstellt. Sie beschreibt ihre Kindheit als „wundervoll“, in einem „beschaulichen, konservativ geprägten Dörfchen“ aufwachsend. Dabei nimmt sie eine „Mittelschicht“-Zuordnung vor, die ein Studium in München und ein Auslandssemester in Paris (Sorbonne) ermöglicht. Ein Jahrzehnt verbringt sie aufgrund eines Jobangebots in Paris, bevor sie wieder – mit zwei Kindern (10 und 14 Jahre) und ihrem Mann – in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Berufstätig ist sie nun selbständig im Sport-Kommunikationsbereich, koordiniert Pressekonferenzen und macht Übersetzungen. Ihr Mann – wie man kurz erfährt – ist Franzose, der „kein Wort deutsch spricht“ und sich gerade auf ein Vorstellungsgespräch einstellt (a.a.O.: S. 10). Ihre Ausführungen über die Flüchtlingsthematik beginnt sie damit, dass im Frühjahr 2015 erstmals von der Einrichtung einer Erstaufnahmestelle in der Turnhalle des Dorfes die Rede war. Sie beschreibt die (mutmaßlich) drei Lager im Hinblick auf die Einstellungen dazu: die „Allesversteher“ und „Weltverbesserer“, das gemäßigte „Mittelfeld“ der Befürworter mit Zweifel sowie die „Neinsager“. In einer Informationsveranstaltung vor dem Sommer erfuhr man wenig, einiges an Gerüchten und Informationen von den Kindern und Dorfbewohnern: es kristallisierte sich heraus, dass das Dorf mit 4.000 Einwohnern 200 Asylsuchenden als Erstaufnahmestelle – für den Zeitraum von 6 Wochen – dienen sollte. Da nun die Flüchtlinge in der Gemeinde waren, wollte sich – so die erste Motivation – die Autorin nicht „wegdrehen“, sondern sich selbst ein Bild machen und helfen. Sie meldete sich und wurde im Helferkreis aufgenommen.
Im „Erstkontakt“ – so der Titel des ersten Kapitels – wird in erzählerischer Form auf die ersten Begegnungen mit den Flüchtlingen eingegangen. Die Sprachkurse beginnen erst zwei Wochen nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge, doch die Autorin möchte bereits Kontakt aufnehmen und helfen, begibt sich daher zur Halle. Still, erschöpft und gespenstisch ruhig – so der Eindruck der Autorin – sitzen die Asylwerber auf verschiedenen Plätzen. Sie setzt sich zu einer Gruppe mit Kindern und begrüßt sie. Es gerät ein afrikanisch aussehender Mann in ihr Blickfeld, dessen gehetzter Blick und traurige Augen ihr auffallen, der einsam und leidvoll wirkt. Schrittweise, zunächst mit stiller Präsenz, Fragen abwartend, entsteht sukzessive Kommunikation. Während im Dorf – scheinbar aufgrund der Gesundheitstests („Erstscreenings“) – noch Gefahren in der Kontaktaufnahme gesehen werden dürften, ist sie stolz darauf, bereits am Nachmittag mit ihren Kindern dort zu sein und keine Berührungsängste zu haben. In diesem Kapitel werden noch die ersten Eindrücke betreffend gesundheitlicher Probleme und Folgen der Flucht sowie fehlender Ressourcen (z.B. Internetanschluss fürs Telefonieren) beschrieben.
Im nächsten Kapitel „Die Macht der sozialen Netzwerke“ schreibt die Autorin über die Welle an Hilfsbereitschaft, die sie ungewollt – aufgrund ihres Facebook-Eintrages über diese ersten Kontakte, das erfahrende Leid und die Defizite der Flüchtlinge – bewirkte. Freunde aus dem Dorf und der Umgebung kamen zu ihr oder zur Halle, brachten Sachen und halfen den Flüchtlingen mit verschiedensten Dingen. Die Erzählung mündete in eine Kritik an ihrer Person durch den Helferkreis des Ortes: der Aufruf wäre unbedacht in ihrer Wirkung gewesen, man müsste die Hilfeleistungen koordinierter handhaben. Die Autorin zeigt sich betroffen von der Kritik des Helferkreises, die Argumentation dafür bleibt nur bedingt nachvollziehbar.
Im Kapitel über „Ahmad und die Bibel“ wird zunächst über die Organisation der Einrichtung berichtet: den Security-Personen, die – großteils selbst Ausländer – für die Sicherheit zuständig sind und den mächtigen „Oberschlümpfen“ (a.a.O., S. 37), die nur tagsüber anwesend sind und mehrere Einrichtungen betreuen. Doch hauptsächlich wird in diesem Abschnitt in dialogischer Weise über das Leben von Ahmed und seiner zwei Töchtern erzählt. Sie trifft man zuverlässig am Abend beim gleichen Baum. Seine Frau ist in der Türkei geblieben: sie erwartet das dritte Kind und es gab Komplikationen, sodass er die Flucht nur mit den beiden Töchtern fortsetzen konnte. Eine seiner Töchter hatte einen Unfall in einem Zug in Ungarn: es wurde ihr die Hand eingequetscht und die Finger schwer verletzt, Die ärztliche Versorgung ist nun in dieser Einrichtung sehr gut, sodass der Zustand besser wird. Die jüngere Tochter der Autorin freundet sich mit einer der Töchter von Ahmad an und sie fahren mit dem Fahrrad auf dem Parkplatz. Ahmad möchte sich gerne integrieren, daher gerne eine Bibel in arabischer Sprache, um die Leute in Deutschland besser zu verstehen.
Im nächsten Kapitel unter dem Titel „Der pakistanische Kochtopf und das afghanische Taxi“ wird zunächst vom weiteren Verlauf der Erstaufnahme berichtet (Untersuchungen, Anzahl und Struktur der in der Erstaufnahme aufgenommenen Asylwerber). Auch werden einzelne Problematiken angesprochen – Entsorgung von Müll und Benützung von Klos und welche Strategien man zur Verbesserung ergriffen hat. Darüber hinaus berichtet die Autorin von einzelnen Kontakten mit Flüchtlingen – wie sich ein 8-jähriger Junge aus Afghanistan freut, sie zu sehen und den Wunsch nach einen Skateboard äußert. Dabei erzählt sie von seiner Familie, die während der Fahrt zu Erstaufnahmezentren mittels Taxis getrennt wurde: ein Taxi fuhr mit einem Teil der Familie in ein Zentrum, das andere in ein anderes. Sie konnte den Kontakt mittels Handys wieder herstellt. Die Hilfeleistungen, die von ihr und anderen erbracht und zur Halle gebracht werden, sind vielfältig: sie berichtet von Besuchen der Dorfbewohner, die Dinge bringen und von Listen, die sie aufgrund der Wünsche der Asylwerber anfertigt und bearbeitet (z.B. Unterwäsche, Wasserkocher, Verlängerungskabel, Haargummis). Ausführlicher geht sie in Form einer Geschichte auf den Wunsch einer pakistanischen Frau ein, die sich im Kontext ihrer Schwangerschaft einen Kochtopf und -löffel wünscht, um für ihr Kind selbst kochen zu können.
Im anschließenden Abschnitt über den „Deutschkurs, der keiner sein darf“ wird vom Beginn und Verlauf der Sprachförderung der Asylwerber berichtet – offizieller Sprachkurs kann erst für anerkannte Asylwerber angeboten werden. Die Autorin hat im Helferkreis die Aufgabe übernommen, die syrischen Familien, eine Gruppe von insgesamt 25 Personen vom Kleinkind bis zu älteren Personen, zu unterrichten: zwei Mal in der Woche zwei Stunden. Sie berichtet von den Problemen, dass der Termin – trotz Vorkehrungen - zunächst überhaupt nicht wahrgenommen wurde und die Flüchtlinge aus ihrem Quartier geholt wurden, dann von wiederholten Fällen der Unpünktlichkeit. Aufgegriffen wird – anlässlich der Verteilung von Unterlagen und Lernmaterialien an die Teilnehmer – die Thematik des Neides zwischen den Flüchtlingsgruppen: Mit (Gleich-)Verteilung an alle wird versucht, diese Problematik zu bewältigen.
Im nächsten Kapitel wird ein mail von einer Tochter an die Autorin („Mail an meine Mutter, von Océane Meloni“) veröffentlicht. Es enthält Erinnerungen an die Treffen mit den Kindern und Jugendlichen sowie an besondere Vorkommnisse, um sie nicht zu vergessen und vielleicht um es für ein Buch zu verwenden. Bedrückende Erfahrungen werden dabei genauso angeführt (z.B. die Verbrennungen bei einem syrischen Mädchen durch eine Bombe) wie das (Volleyball-)Spielen und Spaßhaben trotz der schwierigen sprachlichen Verständigung oder die Probleme beim Entziffern kultureller Elemente (wie z.B. das Tragen der Burka). In diesem mail werden jedoch auch zentrale Botschaften vermittelt: so wird auf im Dorf verbreitete Vorurteile verwiesen, auf Abgrenzungen und Erzählungen „schlimmer Geschichten“; erst wenn man sie kennenlernt, „dann überlegt man sich das nochmal ganz schnell anders“ (a.a.O., S. 72). In einigen der Sätze dieses mails scheinen sich zentrale Sinnstrukturen, die mit dem Buch vermittelt werden sollen, wieder zu spiegeln, z.B.: „Und die Flüchtlinge so herablassend zu behandeln, wie es manche machen, ist unfair und man muss sich für die schämen“ (a.a.O., S. 74). Sie hat die Erfahrung gemacht, dass alle „nette, höfliche Leute“ sind, die ebenfalls einen Anspruch auf ein glückliches Leben hätten; das Statement endet mit: „Uns geht es zu gut“ (a.a.O., S. 75).
Im nächsten Abschnitt wird die Flucht einer „Lieblingsschülerin“ der Autorin erzählt, mit dem Namen Hind („Hind aus Homs“). Sie ist Grundschullehrerin, hat zwei Söhne im Volksschulalter und ist schwanger, als sie aus Syrien flüchten. Ihr Mann ist im syrischen Militär tätig, er desertiert, um nicht an einem Massaker an Zivilisten teilnehmen zu müssen – der Dienstgrad ihres Mannes kann nicht nachvollzogen werden, aber die Kommunikation wird durch das Suchen von Wörter und ihren Bedeutungen über das Handy (und der WLAN-Verbindung der Halle) immer wieder unterstützt. Innerhalb von einer Viertelstunde verlässt die Familie die Wohnung in Homs, während ihr Mann bereits in die Türkei flieht, wo sie sich in einem Flüchtlingslager wieder treffen. Nach einem Jahr und der Geburt eines Kindes verlassen sie das Lager, um mit einem Schlauchboot über Griechenland und Ungarn nach Deutschland zu gelangen. Sie möchte, dass die Autorin ihre Geschichte weitergibt, dass sie dankbar sind für die Hilfe, nichts verbrochen haben und arbeiten bzw. in Sicherheit leben wollen.
Unter dem Titel „Das mit den Smartphones“ wird darüber aufgeklärt, dass sie wichtige Grundbedürfnisse abdecken: sie können damit die Fluchtrouten durch Länder planen, die Familie zusammenhalten, als Dokumentationsarchiv für Erinnerungen und als Wörterbuch benutzen bzw. auch als Speicherplatz für Beweisstücke verwenden, wieso man geflüchtet ist.
Im nächsten Abschnitt wird die Flucht von Anas beschrieben („Anas mit den gelben Haaren“), der in Syrien als Biochemiker tätig war, aber eines Tages für das Militär interessant wurde. Er flüchtete – seine Eltern blieben in Syrien. Die Autorin greift die Fluchterlebnisse sowie die Anschuldigungen gegenüber den Übergriffen in Ländern der Fluchtroute auf – erst in Deutschland wird man gut behandelt und appelliert an die Autorin, die Dankbarkeit dafür weiterzugeben.
Die nächsten Kapitel sind etwas kürzer, behandeln über mehrere Seiten zunächst Problematiken („Das Dorf und der Helferkreis“), die die Legitimität des Status eines Asylwerbers (Reise mit Flugzeug aus Albanien und Syrien) und des Verhaltens betreffen (u.a. Drogenkonsum, kein Interesse an Deutschunterricht). Unter dem Titel „Die Schleuser im McDonalds“ wird die Fluchtgeschichte eines Syrers erzählt, der Sohn begüterter Eltern ist und mit dieser Unterstützung die Gefahrenquellen während der Fluchtroute – gemeinsam mit seiner Schwester und ihrer Familie – deutlich reduzieren konnte. Der Vater überwies immer Geld in die Länder, in denen sie sich aufhielten, sodass u.a. für Taxis und ein gutes Boot bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland bezahlt werden konnte. Im Abschnitt „Vendetta auf Albanisch“ beschäftigt sich die Autorin mit einem albanischen Paar, das keine Einwilligung zur Heirat vom Vater der Frau erhielt, sodass sie nach noch traditionellen Riten im Land verfolgt wurden. Unter der Überschrift „Die Flucht durch die Wüste“ werden von den Verfolgungen zweier Nigerianer erzählt: beide verloren als Christen durch Angriffe aus dem Kreis von Boko Haram einen bzw. beide Elternteile und flüchteten. In einem Fall wird von einem Fußmarsch durch die Wüste nach Libyen berichtet.
In den folgenden beiden Abschnitten wird wieder von syrischen Flüchtlingen berichtet. Unter dem Titel „Hassans Geheimnis“ wird zunächst die Geschichte eines syrischen Fabrikanten angeschnitten, der nach seinen Angaben willkürlich verhaftet und gefoltert wurde: der Auslöser für die Flucht. Auf der Flucht haben sie in Ungarn einen 11-jährigen Jungen kennengelernt, der sich nun auch in diesem Zentrum befand. Er ist sehr zurückgezogen, kann sich auch kaum in einer Fremdsprache artikulieren. Von einem Mitbewohner wird allerdings behauptet, dass er das Geheimnis des verwaisten Jungen kennen würde: er wäre Kindersoldat gewesen. Im Kapitel „Der Küchentisch aus Marmor“ wird von einer syrischen Familie berichtet, die durch den Krieg in besonderer Weise betroffen wurde: ihre damals einjährige Tochter wird durch eine Bombe verletzt, ihre Haut schwer verbrennt. Während der Fahrt ins Spital wird das selbst gebaute Haus gemeinsam mit der Marmorküche vollständig zerstört. Sie flüchten nach Libyen, leben dort drei Jahre lang, bevor sie ohne die anvisierte Operation der Tochter die gefährliche Überfahrt nach Italien vornehmen.
In einem kurzen Kapitel wird in einigen kursorischen Ausführungen auf die Geschichte von Asylwerber aus verschiedenen Ländern hingewiesen und von der Autorin appelliert, nicht auf diese Einzelschicksale zu vergessen.
In einem abschließenden Kapitel werden schließlich noch Risiken und Gefahren angeschnitten. Das Buch schließt damit, dass der erste Zyklus der sechswöchigen „Erstaufnahme“-Zeit endet und die Asylwerber in andere Aufnahmestätten gebracht werden.
Diskussion und Fazit
Das Buch macht auf die Leiden und Schicksale der Flüchtlinge aufmerksam. Behandelt werden aber auch die Erfahrungen und die Beziehungsaspekte, u.a. dass Flüchtlinge nach Reziprozität in den Austauschbeziehungen streben und den Aufnehmenden dankbar sind. In einigen – zum Teil bereits angeführten – Ausführungen werden die (mangelnde) Aufnahmebereitschaft und die Haltungen zur Flüchtlingsfrage in der Bevölkerung kritisiert. Um noch ein Beispiel zu nennen, wird etwa die rhetorische Frage gestellt, ob die „lieben deutschen Bürger und Bürgerinnen“ denken, dass es die „Flüchtlinge toll finden, von ihnen abhängig zu sein“ (a.a.O., S. 94). Die eigene Auffassung zur Aufnahmebereitschaft wird u.U. in einem Absatz durch folgende Meinung deutlicher: „Natürlich ist das zu viel für unser Land auf Dauer. Nur bitte, vergessen wir dabei nicht diese Einzelschicksale“ (S. 161). Auffallend in der Darstellung ist, dass das Organisations- bzw. Aufsichtspersonal des Zentrums – in Folge der getragenen blauen T-Shirts – wenig respektvoll mit „Schlümpfe“, „Blaushirt-Gang“ oder ähnlichen Begriffen bezeichnet wird.
Die Autorin will mit ihrem Buch nicht nur das Schicksal der Flüchtlinge und ihre Erfahrungen als Helferin während mehreren Wochen in einem Erstaufnahmezentrum vermitteln. Sie setzt mit dem Buch einen längerfristigen Beitrag in puncto Hilfsbereitschaft, indem sie die Einnahmen einem syrischen Flüchtlingskind widmet, das in Folge einer Verletzung durch eine Bombe eine Operation benötigt. Die Tätigkeit im Erstaufnahmezentrum und die mit dem Buch initiierte finanzielle Unterstützung sind beachtenswert. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive gibt das Buch aber wenige Aufschlüsse, sei es über Biographien und Verarbeitungsstrategien des Erlebten von Flüchtlingen oder über Integrationsprozesse bzw. Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung. Am ehesten erhält man einen Eindruck und den Blickwinkel einer ehrenamtlichen Flüchtlingshelferin und ihren Erfahrungen. Vertiefende Diagnosen, sei es über Biographien, mögliche Entwicklungen oder gesellschaftliche Folgen, fehlen weitgehend. Durch den Text am Buchdeckel („Lange Zeit spielte sich das Flüchtlingselend für die Deutschen vor allem im Fernsehen ab. Doch seit dem Sommer 2015 ist es hunderttausendfach im eigenen Land angekommen“) werden sich jedenfalls kaum Personen angesprochen fühlen, die wie der Rezensent in einer durch die Flucht der Großmutter und den späteren Nachzug des Vaters betroffenen Familie aufgewachsen sind und Folgen von Flucht und Migration schon frühzeitig(er) nicht nur medial erfahren haben.
Rezension von
ao. Univ.Prof. Dr. Gerhard Jost
Mitarbeiter am Institut für Soziologie und empirische Sozialforschung, WU, Wirtschaftsuniversität Wien, Department für Sozioökonomie.
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Es gibt 21 Rezensionen von Gerhard Jost.
Zitiervorschlag
Gerhard Jost. Rezension vom 02.05.2016 zu:
Beatrice Bourcier: Mein Sommer mit den Flüchtlingen. Der bewegende Bericht einer freiwilligen Flüchtlingshelferin. Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2015.
ISBN 978-3-95558-164-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19757.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.
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