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Günther G. Goth, Lutz Galiläer et al. (Hrsg.): Berufliche Ausbildung junger Menschen mit Behinderung ..

Rezensiert von Dipl.-Hdl. Dr. phil. Klaus Halfpap, 18.11.2015

Cover Günther G. Goth, Lutz Galiläer et al. (Hrsg.): Berufliche Ausbildung junger Menschen mit Behinderung .. ISBN 978-3-7639-5531-2

Günther G. Goth, Lutz Galiläer, Eckart Severing (Hrsg.): Berufliche Ausbildung junger Menschen mit Behinderung - Inklusion verwirklichen. Strategien, Instrumente, Erfahrungen. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2015. 275 Seiten. ISBN 978-3-7639-5531-2. D: 31,90 EUR, A: 32,80 EUR, CH: 34,57 sFr.

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Thema

Bis 2015 wurden fast 400 Jugendliche mit Behinderung in ca. 265 Betrieben im Rahmen des vom Bund geförderten Projektes TrialNet (von 2009 bis 2015) mit neuen berufspädagogischen Konzepten insbesondere durch modulare Ausbildungsbausteine ausgebildet. Damit sollte ein Weg erprobt werden, den nach der UN-Behindertenrechtskonvention (seit 2009 auch in Deutschland geltend) geforderten gleichberechtigten Zugang zur Bildung aller Menschen auch bei der betrieblichen Ausbildung zu erleichtern und eine erfolgreiche Inklusion zu ermöglichen. In den Erprobungsregionen und -berufen konnten vielfältige Erfolge bereits wertvolle Impulse für eine diesbezügliche generelle Weiterentwicklung der berufspädagogischen Konzepte aufgegriffen werden: so z. B. zur Ausbildung jugendlicher Rehabilitanden/innen, zum „Lernort“ Betrieb dabei, zur handlungsorientierten Leistungsfeststellung und deren Zertifizierung. Darüber wird in diesem Buch umfassend berichtet.

Autoren/innen

Sie sind oder waren tätig am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (die beiden „Hauptautoren“ Lutz Galiläer und Bernhard Ufholz) bzw. am Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg, am Beruflichen Forschungszentrum der Bayerischen Wirtschaft, in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke, an der Fortbildungsakademie der Wirtschaft, am Berufsbildungswerk Neumünster bzw. Abensberg, an der Direktion für Berufsbildung Rheinland-Pfalz.

Entstehungshintergrund

ist das beim „Thema“ erwähnte kooperative TrialNet-Projekt, bei dem neben dem Berufsschulunterricht ein Teil der Ausbildung (und Umschulung) in Betrieben durchgeführt und von Bildungsträgern begleitet wurde.

Aufbau

Nach einer Einleitung durch Lutz Galiläer (5 ff.) und vor dem Autorenverzeichnis (275) sind die Beiträge folgenden Abschnitten zugeordnet:

  1. Berufliche Erstausbildung für junge Menschen mit Behinderung (9 ff.)
  2. Lernort Betrieb (83 ff.)
  3. Neue konzeptionelle Ansätze in der beruflichen Ausbildung (157 ff.)

Zu Abschnitt A

Im Beitrag „1 Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung – von der Eingliederung auf Sonderwegen zur Inklusion?“ (11 ff.) werden von Galiläer die aktuellen Erkenntnisse und Daten dargestellt und erläutert, „welche institutionellen und fachlich-pädagogischen Veränderungen die Forderung nach Inklusion in der beruflichen Ausbildung einschließt“ (6). Diese auch in der Fachwissenschaft diskutierten aktuellen „Übergänge mit Handicaps“ für behinderte Jugendliche (18 ff.) ist erschreckend, wenn auch hinterfragbar hinsichtlich ihres Vorbereitungsgrades. Denn ist die Förderschule mit Wocken (2005) tatsächlich zu verallgemeinern als „eine Schule der Armen, der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger“ (20)?! Der abschließenden Feststellung, dass zur Inklusion weitere Veränderungen im Schul- und Berufsbildungssystem sowie „auch im Beschäftigungssystem erforderlich“ sind (35), ist zuzustimmen.

Die Autoren von Beitrag „2 Inklusion in der beruflichen Bildung – der Beitrag der Berufsbildungswerke“ (45 ff.) heben einführend hervor, dass es mit Wansing (2013) empfehlenswert sei, den Begriff Inklusion mit dem der „Teilhabe“ als komplementäre Perspektive zu betrachten, weil dadurch der Blick stärker „auf gesellschaftliche Verhältnisse und individuelle Verwirklichungschancen“ (48) gerichtet wird. In der Regel (ca. 75 %) ist einem Berufsbildungswerk eine Berufsschule unmittelbar als Ersatzschule angegliedert; anderenfalls erfolgt eine enge Kooperation mit der Regelberufsschule (61 f.). Die Prüfungsergebnisse bei den Berufsabschlüssen (62) und die Eingliederungserfolge der Berufsbildungswerke sind wirklich „beachtlich“ (66), was dargelegt wird.

Zu Abschnitt B

Abschnitt B beginnt mit dem Beitrag „3 Lernort Betrieb in der ambulanten beruflichen Rehabilitation – das Projekt TrialNet in der kooperativen betrieblichen Ausbildung“ (85 ff.). Nach Schilderung der aktuellen Ausbildungssituation behinderter junger Menschen sowie der Vorteile der ambulanten Teilhabeleistung zur beruflichen Rehabilitation werden ausführlich das Konzept, die Durchführung und Ergebnisse der kooperativen Ausbildung in diesem Projekt dargestellt.

Der nächste Beitrag stellt noch einmal besonders „4 Die Rolle des Lernorts Betrieb in der rehaspezifischen Ausbildung“ (101 ff.) in das Zentrum der Betrachtung. Dabei geht es nicht um den betrieblichen Teil im dualen System beruflicher Erstausbildung generell im dualen System (dem „tragenden Bestandteil der deutschen Wirtschaftskraft“), sondern darum, „ den Betrieb als zusätzlichen Lernort in der Ausbildung und Umschulung behinderter Menschen“ (102) zu stellen. Bei diesem trialen System ist neben dem Betrieb und der Berufsschule ein Bildungsträger beteiligt, der für die Auswahl geeigneter Jugendlicher (sorgt) und „den gesamten Ausbildungsprozess von der Einstimmung bis zur Prüfungsvorbereitung“ koordiniert (106). Dies wird ausführlich – auch kritisch – erläutert und anregend reflektiert: so z. B. die seit langem bekannte Erkenntnis, „dass auch die Entwicklung der Fachkompetenz durchaus von der Förderung von Selbst- und Sozialkompetenz profitiert“ (118).

Der 5. Beitrag stellt Ergebnisse des Projekts dar: „Ausbildung jugendlicher Rehabilitanden in und mit Betrieben – Erfahrungen aus dem Projekt TrialNet“ (127 ff.). Die „Ergebnisse und Erfahrungen bieten Material für die Beantwortung der Fragen (1) nach der Eignung des Lernorts Betrieb für Jugendliche mit Behinderung und (2) nach den Bedingungen dafür, mehr Betriebe für die Zielgruppe zu gewinnen und bei der Ausbildung wirksam zu unterstützen“ (151). Vor allem Letzteres ist auch weiterhin dringend erforderlich.

Zu Abschnitt C

Im 6. Beitrag werden „Ausbildungsbausteine und Kompetenzorientierung in der Ausbildung jugendlicher Rehabilitanden – Qualitätsverbesserungen im Rahmen etablierter Strukturen“ (159 ff.) bearbeitet. Nach der Darstellung des Reformkonzepts „Modularisierung“ und der Erfahrungen mit bausteinförmiger Qualifizierung werden dann ausführlich das Bausteinkonzept und die Erkenntnisse geschildert, die bei der Umsetzung dieses Konzepts auf der Basis des Erwerbs von Teilqualifikationen gewonnen wurden, und zwar in allen Phasen der Durchführung.

„Die Konzeption handlungsorientierter Leistungsfeststellungen und die Zertifizierung der Ergebnisse stehen im Mittelpunkt“ des Beitrages: „7 Zertifizierung von Teilqualifikationen – Erfahrungen aus dem Projekt TrialNet“ (219 ff.), der gleichsam eine Vertiefung und Erweiterung des 6. Beitrages ist. Nach Ansicht der Autoren ist die Wirkung des Paradigmenwechsels vom Qualifikationsbegriff (Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten) zum Kompetenzbegriff erkennbar, „der die personengebundene und prozessorientierte Bewältigung von unterschiedlichen Handlungssituationen betont“ (219). Der dazu notwendige Reformbedarf bei der Kompetenzfeststellung in Prüfungen und Zertifizierungen in der beruflichen Bildung sollte im Projekt TrialNet erprobt werden. Dies wird ausführlich und fundiert mit den gewonnen Erkenntnissen dargestellt. Die letzte gezogene Schlussfolgerung ist: „Die Entscheidung für prozess- und kompetenzorientierte Leistungsfeststellungen setzt ordnungspolitische Weichenstellungen voraus“ (247).

Eine entscheidende Wegbereitung dazu ist der bildungsgangübergreifende Deutsche Qualifikationsrahmen vom 22.03.2011, der in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren Grundlage war, den Ausbildungsberuf „Hauswirtschafter/in“ zu reformieren. Weiterhin wird beispielhaft im Beitrag „8 Die Bedeutung des Deutschen Qualifikationsrahmens für die künftige Qualifizierung von Rehabilitanden“ (251 ff.) herausgearbeitet. Darüber hinaus wird auch eine grundsätzliche Einführung in den DQR gegeben (255 ff.). Die Autorin beendet ihren Beitrag mit folgendem Ausblick: „Die Ergebnisse des Projektes TrialNet werden außerdem dazu dienen, den Anspruch an die Inklusion in der beruflichen Bildung weiterzuverfolgen und Lösungswege für alle Beteiligten zu finden“ (266).

Diskussion

„Die Berufsschule leistet weiterhin die fachtheoretische Durchdringung sowie die Ergänzung der Allgemeinbildung“ (106). Dieses Verständnis und die an mehreren stellen des Buches gespiegelten Erfahrungen lassen aus handlungstheoretischer Sicht (Verzahnung von Theorie und Praxis) fragen: Was kann die „allgemeine“ Pädagogik und auch generell die Berufspädagogik daraus lernen, den Unterricht in Schulen in diesem Sinne reformiert zu gestalten (die allgemeinbildenden Schulen tun dies zunehmend durch „Lernbüros“)?

Fazit

Hilfs-, später Sonder-, dann Förderschulen gehören seit Ende des 19. Jahrhunderts zum deutschen Schul- und damit Bildungswesen. Behinderte Kinder und Jugendliche wurden zunehmend „ausgeschlossen“ aus dem auch weiter differenzierter werdenden Teil für Nichtbehinderte. Nunmehr sollen seit 2009 durch die UN-Behindertenrechtskonvention möglichst viele Behinderte „eingeschlossen“ werden in den Teil für Nichtbehinderte bzw. mit diesem zusammengeführt und damit über die jeweiligen Bildungsphasen und Abschlüsse „gleichberechtigt“ werden. Mit dem Projekt TrialNet wurden neue berufspädagogische Konzepte für die gemeinsame Ausbildung von Jugendlichen mit und ohne Behinderung in einem vernetzten System der Lernorte entwickelt und erprobt. Darüber wird in diesem sehr informativen Buch umfassend und fundiert berichtet.

Rezension von
Dipl.-Hdl. Dr. phil. Klaus Halfpap
Ltd. Regierungsschuldirektor a. D.

Es gibt 51 Rezensionen von Klaus Halfpap.

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ISSN 2190-9245