Hans Prömper, Robert Richter (Hrsg.): Werkbuch neue Altersbildung
Rezensiert von Dr. Alexander Brandenburg, 14.03.2016
Hans Prömper, Robert Richter (Hrsg.): Werkbuch neue Altersbildung. Praxis und Theorie der Bildungsarbeit zwischen Beruf und Ruhestand. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2015. 331 Seiten. ISBN 978-3-7639-5332-5. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 37,82 sFr.
Thema
Scherzhaft sprach ein Arbeitskollege von mir immer von der „hartnäckigen“ Langlebigkeit der Menschen und wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es wohl besser und anständiger wäre, nach dem Arbeitsleben direkt und sofort abzutreten, um die gesellschaftliche Alterslast zu mindern und den volkswirtschaftlichen Nutzen zu mehren. Das war Ironie, aber mit Wahrheitsanteilen. Heute hat sich die Situation insofern geändert, als die dem Ende des Berufslebens Zusteuernden aus demografischen Gründen angehalten werden, möglichst lang beruflich, zumindest in Teilzeit, tätig zu bleiben, in Positionen des Ehrenamtes zu streben oder doch nur sich lebenslang fortzubilden und zu aktivieren. Auch das produktive Alter spart Kosten und bringt gesellschaftlichen Nutzen.
Abgesehen von allem Nutzen und allen gesellschaftlichen Erwägungen bleibt es jedoch unbestritten die humanere Variante des Älterwerdens, wenn man sich auch im Alter weiter bildet und geistig, seelisch und körperlich aktiviert. Dafür plädieren nicht nur die Herausgeber dieses Buches, sondern alle Menschenfreunde.
Herausgeber
- Dr. Hans Prömper war Bildungsreferent und Lehrbeauftragter der Fachhochschule Frankfurt; seit 1999 ist er Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung- Bildungswerk Frankfurt.
- Dr. Robert Richter war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Marburg und arbeitet heute als Bildungsreferent und Berater.
In ihrem einleitenden Beitrag beschreiben sie programmatisch ihr Verständnis der neuen Altersbildung: „Der demografische Wandel bietet die Chance, den Bildungsbegriff von seiner Engführung auf Jugend und Aufwachsen, auf berufliche Bildung und Qualifizierung zu lösen und ihn im vollen Sinn der Erwachsenenbildung breiter zu entwickeln als ganzheitliches, am Lebensverlauf und Lebensvollzug in seiner ganzen Spanne orientierte Lernen.“
Entstehungshintergrund
Ausgangspunkt für die Entstehung des Buches war 2012 ein Projekt „Altersbildung im demografischen Wandel“, das die katholische Erwachsenenbildung Frankfurt durchführte; es richtete sich gegen die in den Bildungsinstitutionen vorherrschende Dominanz einer vor allem auf berufliche Kompetenzvermittlung zielenden Wissensvermittlung. Auf Fachtagungen und in Workshops wurde über ein neues Altersbild diskutiert, und es wurden Wege einer neuen Altersbildung recherchiert und erprobt, denen man in diesem Buch nachgehen kann.
Angemerkt sei noch, dass der für diese Publikation verantwortliche W. Bertelsmann Verlag in Bielefeld ein eigentümergeführtes und unabhängiges Unternehmen ist und nicht mit dem C. Bertelsmann Verlag in Gütersloh verwechselt werden sollte, der zum großen weltweit tätigen Bertelsmann-Konzern gehört, dessen politische Ausrichtung ja für viele durchaus diskussionswürdig ist.
Aufbau und Inhalt
Zu Beginn geben die Herausgeber eine Einleitung und einen Überblick über das Werkbuch.
Ein erster Teil beschäftigt sich mit Hintergründen und Reflexionen über den wachsenden Bereich der Altersbildung:
- Edelstahl statt altes Eisen
- Wenn noch so viel Leben vor uns liegt…
- Übergang in den Ruhestand und Bildung im Alter
- Alter(n), Ehrenamt und Erwachsenenbildung- Zugänge und Reflexionen
- Altersbildung in katholischer Trägerschaft
Es folgt ein zweiter Teil, der die Mehrzahl der Beiträge umfasst und in dem thematische und methodische Anregungen für die Praxis der Altersbildung gegeben werden. Er unterteilt sich in folgende Abschnitte, die jeweils hier nicht gesondert genannte thematische Schwerpunkte haben:
Übergänge in den Ruhestand – Neuorientierung für das 3. Lebensalte. Stichpunkte:
- Unternehmerische Verantwortung und Interessen,
- Zeit für Neues, Kreativität und Gefühle,
- Selbstorganisation,
- Methodenkoffer,
- Neuorientierung.
Intergenerationelles Engagement. Stichpunkte:
- Oma-Opa-Vermittlung,
- Vorlesen und Erzählen,
- Lesepaten.
Kulturell-historisches Engagement. Stichpunkte:
- Laienhistoriker und Stadtgeschichte,
- Kirchenbegehung.
Interkulturelles Engagement. Stichpunkte:
- Wegbegleiter,
- Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens.
Selbsterfahrung und Selbstsorge – für ehrenamtlich Engagierte. Stichpunkte:
- Selbsterfahrung,
- spirituelles Angebot.
Spezifische Fortbildungskonzepte. Stichpunkte:
- Kreativität in der Begleitung demenzkranker Menschen,
- Gruppenarbeit.
Arbeit mit der (eigenen) Biografie. Stichpunkte:
- Entschlüsselung von Lebensmustern,
- Sturm- und Drangzeit des Ruhestandes,
- Biografiearbeit.
Leben im sozialen Nahraum. Stichpunkte:
- Zwischen Ruhestand und Arbeit (ZWAR),
- Wohnkonzepte.
Partnerschaft und Sexualität im Alter(n). Stichpunkt:
- Flirtkurse.
Akademisches Lernen. Stichpunkt:
- Universität und Studieren.
Der dritte Teil thematisiert die Männer als neue Zielgruppe der Altersbildung. Deren Frühsterblichkeit im Verhältnis zu den Frauen wird als Herausforderung gesehen, in besonderem Maße auf ein gutes Leben zu achten.
Diskussion
Sokrates lehrt: Die Jungen sollen lernen, die Männer wirken, die Alten sich zur Ruhe setzen, keine Pflichten mehr übernehmen und über ihre Lebensführung selbst entscheiden. Anstrengungen der Altersbildung müssen sich der Gefahr bewusst sein, dass sie durch Vermittlung eines bestimmten Altersbildes ungewollt zur Gängelung und Bevormundung der Älteren und Alten beitragen können und damit deren Selbstbestimmung beschneiden. Die Ermöglichung und Respektierung der selbstbewussten Entscheidung über die eigene Art und Weise der Lebensführung bleibt wichtigstes Kriterium jeder Arbeit mit alten Menschen.
In einem der reflexiven Beiträge des ersten Teiles findet man den Befund, dass die Generation der 68er einer verwöhnten Generation angehöre. Es gab das Glück des Aufstiegs von ganz unten nach ganz oben. Es gab keine Erschütterungen und Infragestellungen für diese Generation. Und weiter: „Die von den 68ern im Umgang mit ihrer angeschlagenen und historisch diskreditierten Elterngeneration trainierte Stärke konnte im Umgang mit den nachfolgenden Generationen angewendet werden. Deren Forderungen wurden ausgebremst, werden es bis heute.“
Ich weiß nicht, woher ein solches mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmendes Generationsbild kommt und woher der Autor sein Wissen bezogen hat. Er weiß wohl nicht, dass es auch Eltern gab, die mit den Nazis keine gemeinsame Sache gemacht hatten, er weiß nicht, wie schwierig es in den 70er Jahren war, einen Arbeitsplatz zu finden. Er weiß nicht, wie die große Politik über den Vietnamkrieg, über die Notstandsgesetzgebung etc. zu individuellen Erschütterungen und Infragestellungen geführt hat. Er benennt auch nicht, worin das Ausbremsen der folgenden Generation (der Kinder der 68er) bestanden hätte.
Das ist eigentlich alles nicht so schlimm, wenn es nicht auf eine mangelnde Sensibilität in Sachen der Generationsfrage hinweisen würde. Mit solcher Weltgerichtsattitüde lässt sich Altersbildung kaum erfolgreich umsetzen. Altersbildung ist auch individuelle Biografiearbeit und lässt Pauschalierungen nur bedingt zu.
Fazit
Die Herausgeber haben ein Werkbuch vorgelegt, in dem jeder in der Altenarbeit Tätige auf der Grundlage eines neuen Verständnisses von Altersbildung sinnvolle Anregungen und exemplarische Beispiele für die Erprobung eigener zeitgerechter Bildungsangebote finden kann. Es wäre nicht schlecht, wenn das Werkbuch Eingang in möglichst viele Bibliotheken von Bildungseinrichtungen fände.
Rezension von
Dr. Alexander Brandenburg
Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung bei der Stadt Herne
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Zitiervorschlag
Alexander Brandenburg. Rezension vom 14.03.2016 zu:
Hans Prömper, Robert Richter (Hrsg.): Werkbuch neue Altersbildung. Praxis und Theorie der Bildungsarbeit zwischen Beruf und Ruhestand. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2015.
ISBN 978-3-7639-5332-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19776.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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