Autorengruppe Fachdidaktik: Was ist gute politische Bildung?
Rezensiert von Dr. Rolf Frankenberger, 07.07.2016

Autorengruppe Fachdidaktik: Was ist gute politische Bildung? Leitfaden für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2015. 232 Seiten. ISBN 978-3-7344-0165-7. D: 22,80 EUR, A: 23,50 EUR, CH: 32,90 sFr.
Thema
Was ist politische Bildung, wie soll sie gestaltet werden und was sind Kriterien für gute politische Bildung? Dies ist in der Forschung zur Didaktik der Politik durchaus umstritten, wie eine schon länger geführte Kontroverse zwischen verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern des Faches zeigt. So stellten etwa Georg Weißeno und andere im Jahr 2009 ein an den Grundkonzepten Ordnung, Entscheidung und Gemeinwohl ausgerichtetes Kompetenzmodell der Politik vor [1], mit dem sie ein Basiscurriculum von Inhalten, Umfang und Lehrmethoden für politische Bildung an Schulen definieren. Dieses wiederum wurde in zahlreichen Rezensionen und Publikationen, unter anderem von der Autorengruppe Fachdidaktik in einer Streitschrift von 2011 [2], heftig kritisiert und kontrovers diskutiert. Der artikulierten Kritik wiederum begegneten die ursprünglich kritisierten Autorinnen und Autoren in einer „Antwort auf die Kritikergruppe“ [3].
Mit dem vorliegenden Band wird der Diskussion um gute politische Bildung ein weiterer – stark praxis- und problemorientierter – Baustein hinzugefügt.
AutorInnen
Die Autorengruppe Fachdidaktik besteht aus acht Professorinnen und Professoren für Didaktik der politischen Bildung, der Sozialwissenschaften und der Sozialkunde: Anja Besand lehrt Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden.
- Tilman Grammes lehrt Erziehungswissenschaft/Didaktik sozialwissenschaftlicher Fächer an der Universität Hamburg.
- Reinhold Hedtke ist Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften und Wirtschaftssoziologie an der Universität Bielefeld.
- Der kürzlich verstorbene Peter Henkenborg war Professor für Didaktik der Politischen Bildung an der Philipps-Universität Marburg,
- Dirk Lange lehrt Didaktik der politischen Bildung an der Leibniz Universität Hannover.
- Andreas Petrik ist Professor für Didaktik der Sozialkunde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, an der
- Sybille Reinhardt emeritierte Professorin für Didaktik der Sozialkunde ist.
- Wolfgang Sander ist Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Justus-Liebig Universität Gießen.
Aufbau und Inhalt
Der vorliegende Band ist nach der Einleitung zur Frage nach Kriterien für gute politische Bildung (S.7-9) in sieben thematische Blöcke mit insgesamt siebzehn Kapiteln gegliedert. Diese adressieren jeweils eine zentrale Frage der politischen Bildung:
Politische Bildung: warum und wozu?
- Wie fördere ich Mündigkeit in der politischen Bildung? (S.13-22)
- Wie politisch darf mein Unterricht sein? (S.23-33)
- Warum und wie plane ich Unterricht? (S.34-46)
Lehrer- und Schülerperspektiven: Wer?
- Wie gestalte ich Lehrer-Schüler-Beziehungen? (S.49-60)
- Wie gehe ich auf Schülervorstellungen ein? (S.61-68)
- Wie unterrichte ich heterogene Lerngruppen? (S.69-76)
Inhalte: Was?
- Wie gehe ich mit verschiedenen sozialwissenschaftlichen Denkweisen um? (S.79-90)
- Was müssen Schüler wissen? (S.91-105)
- Wie entwickle ich Themen? (S.106-118)
Methoden und Unterrichtsprozesse: Wie?
- Wie wecke ich Interesse für meinen Unterricht? (S.121-131)
- Wie begründe ich Methoden? (S.132-142)
- Wie unterrichte ich kompetenzorientiert? (S.143-152)
Medien und Aufgaben: Womit?
- Wie wähle ich Medien aus? (S.155-164)
- Wie entwickle ich Lernaufgaben? (S.165-174)
Lernprozese: Wohin?
- Wie entwickelt sich politisches Lernen? (S.S.179-191)
Lernkontexte: Wo?
- Wie fördere ich politische Bildung in meinem anderen Fach? (S.195-204)
- Warum und wie plane ich Unterricht? (S.205-218)
Ein Gesamtliteraturverzeichnis (S.219-235) und Hinweise zu den AutorInnen (S.235) schließen den Band ab.
Jedes der einzelnen inhaltlichen Kapitel folgt einem stringenten und zielführenden Muster, das beispielhaft für die Frage „Wie unterrichte ich kompetenzorientiert?“ dargestellt wird:
Zunächst erfolgt eine Problemdefinition. Hier wird gezeigt, dass Kompetenzorientierung den Versuch darstellt, „politische Bildungsziele wie Emanzipation, Mündigkeit und Politisierung herunter zu brechen auf spezifische Fähigkeiten“ (S.143), die Jugendlichen ermöglichen sollen politische Anforderungssituationen zu bewältigen und die gleichzeitig die Formulierung überprüfbarer Lernziele ermöglichen sollen. Das Kernproblem bestehe nun darin, wie sich „aus der Bearbeitung spezifischer Anforderungssituationen ein Kompetenzset ableiten“ (S.143f) lasse.
In einem zweiten Schritt werden didaktische Minima und Definitionen vorgestellt. Als die drei zentralen Kompetenzen für politische Bildung werden sozialwissenschaftliches Analysieren, politische Urteilsbildung und politische Handlungskompetenz vorgestellt. Sozialwissenschaftliches Analysieren wird dabei etwa definiert als „Fähigkeit, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Probleme, Fälle und Konflikte mithilfe sozialwissenschaftlicher Instrumente (Methoden, Kategorien, Modelle, Theorien) auf ihre Inhalte, Strukturen und Prozesse zu untersuchen, um ein sachlich begründetes Urteil abzugeben“ (S.145).
In einem weiteren Abschnitt werden relevante Kontroversen vorgestellt. Im Falle der Kompetenzen wird etwa aufgezeigt, dass beispielsweise die Fähigkeiten zur Perspektivübernahme und der Konfliktfähigkeit unterschiedlich zugeschnitten sein können. Auch wird der beispielsweise in der eingangs erwähnten Kontroverse diskutierte Gegensatz zwischen Wissensorientierung und methodischem Umgang mit Wissen, Urteilen und Handeln thematisiert und die unterschiedlichen Positionen knapp dargestellt.
Die Konkretisierung an einem Unterrichtsbeispiel erfolgt unter Verwendung einer Konfliktanalyse zum Libyen-Konflikt, in der die einzelnen Schritte des Kompetenzerwerbs herausgearbeitet werden, so etwa „Konfliktursachen herausarbeiten und präsentieren (Analysekompetenz)“ (S.150) oder „ein eigenes Urteil zum Krieg als Mittel zur Friedensschaffung entwickeln und begründen, Chancen und Gefahren der gegenwärtigen Maßnahmen und Gegenvorschläge abschätzen, prüfen und abwägen (Urteilskompetenz)“ (S.150).
Eine Selbstüberprüfung, Tipps zum Weiterlesen und ein Literaturverzeichnis runden die Kapitel jeweils ab.
Diskussion
Gerade der systematische Aufbau der einzelnen Kapitel, die an konkreten Problemstellungen aus dem Unterricht orientierte Aufarbeitung und die ganz im Sinne des Beutelsbacher Konsens offengelegten Kontroversen um einzelne Konzepte, sowie die Illustration anhand praktischer Unterrichtsbeispiele zeichnen diesen Band aus. Trotz aller Kürze können Leser konkrete Antworten auf die aufgeworfenen Fragen finden, die sie unmittelbar in der Praxis anwenden und anhand der vorgeschlagenen Literatur vertiefen können.
Fazit
Ein gerade für die Praktikerinnen und Praktiker der politischen Bildung an Schulen und anderswo sehr hilfreicher Band, der Grundfragen der politischen Bildung bearbeitet und so einen Leitfaden für den sozialwissenschaftlichen Unterricht darstellt, der konzise Lösungsperspektiven für stets wiederkehrende Probleme in der politischen Bildungsarbeit aufzeigt.
[1] Georg Weißeno, Joachim Detjen, Ingo Juchler, Peter Massing, Dagmar Richter: Konzepte der Politik. Ein Kompetenzmodell. Wochenschau Verlag (Schwalbach/ TS.) 2009
[2] Autorengruppe Fachdidaktik: Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift. Wochenschau Verlag (Schwalbach / TS.) 2011)
[3] Peter Massing, Dagmar Richter, Joachim Detjen, Georg Weißeno, Ingo Juchler: „Konzepte der Politik – Eine Antwort auf die Kritikergruppe“. In: Politische Bildung 3 /2011, S.134-143.
Rezension von
Dr. Rolf Frankenberger
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Zitiervorschlag
Rolf Frankenberger. Rezension vom 07.07.2016 zu:
Autorengruppe Fachdidaktik: Was ist gute politische Bildung? Leitfaden für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2015.
ISBN 978-3-7344-0165-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19810.php, Datum des Zugriffs 29.03.2023.
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