Günter Ropohl: Besorgnisgesellschaft (Tabakbekämpfung)
Rezensiert von Prof. Dr. Uwe Helmert, 14.12.2015
Günter Ropohl: Besorgnisgesellschaft. Hintergründe der Tabakbekämpfung. Parodos Verlag (Berlin) 2014. 153 Seiten. ISBN 978-3-938880-67-8. D: 13,90 EUR, A: 14,30 EUR, CH: 20,50 sFr.
Thema
Viele Ängste treiben die Menschen heute um: Angst um ihre Sicherheit, Angst um die natürliche Umwelt, Angst um ihre Gesundheit. Die wirklichen Gefahren sind so gering wie nie zuvor, aber die Sorge ist über die Maßen gewachsen. Bewachen, behüten und bewahren: Das sind die Losungen der neuen Besorgnisgesellschaft. Sie hat Sicherheit, Gesundheit und Umwelt zu ihren höchsten Gütern erkoren, und sie schreckt nicht davor zurück, die Einzelnen zu ihrem eigenen Wohl nach Kräften zu bevormunden.
Autor
Günter Ropohl, Jahrgang 1939, ist Ingenieur und Philosoph, und war bis 2004 Professor für Allgemeine Technologie an der Universität Frankfurt am Main
Aufbau
Das Buch ist in die folgenden Kapitel unterteilt:
- Neue Zwänge
- Wertwandel
- Gesundheitskult
- Ambivalenz des Tabakrauchs
- Exkurs über Todesanzeigen
- Organisierte Tabakbekämpfung
- Passivrauchen
- Geheime Nutznießer
- Soziale Ausgrenzung
- Gesundheitsdiktatur
Im Folgenden werden einige Kapitel exemplarisch vorgestellt.
Zu Kapitel 1 und 2
Der Autor konstatiert zunächst, dass sich in den letzten vierzig Jahren ein Wertewandel sondergleichen vollzogen hat. Seit den 1970er Jahren glauben einige Beobachter besonders in westlichen Ländern einen gesellschaftlichen Wertwandel erkennen zu können. Früher vorherrschende „materialistische Werte“ treten hinter neue „postmaterialistische Werte“ zurück. Seit den 1990er Jahren scheint dem Autor nun ein neuerlicher Wertewandel eingetreten zu sein. Ein Wandel von den Selbständigkeits- und Entfaltungswerten hin zu den Besorgniswerten. Letztere sind in erster Linie Sicherheit, Gesundheit und Natur. Das erscheint dem Autor paradox zu sein, weil sich die Sicherheit der Bürger objektiv gesehen deutlich verbessert habe: weniger Unfälle am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr, die Gewaltkriminalität hält sich in engen Grenzen, Bedrohungen durch äußere und innere Feinde sind äußerst gering, und Gefährdungen durch Naturkatastrophen spielen in unseren Breiten keine besondere Rolle.
Zu Kapitel 3
Gesundheit ist in der „Besorgnisgesellschaft“ zu einem überragenden Wert geworden. Tatsächlich aber sind die Menschen in Deutschland nie gesünder gewesen als heute. In dem Unterkapitel „Die Irrwege der Epidemiologie“ geht er mit dieser Wissenschaftsdisziplin scharf in Gericht: „Allerdings haben sich manche Gesundheitsforscher in der Erkenntnis, dass Kausalerklärungen oft wenig hilfreich sind, der statistischen Methode verschrieben und damit der sogenannten Epidemiologie zur Blüte verholfen. … Unter der Hand wird der festgestellte statistische Zusammenhang zur Kausalverknüpfung umgedeutet“ (Seite 43).
Zu Kapitel 4
In diesem Kapitel beschäftigt sich der Autor zunächst mit den gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen in Zigaretten. Er bestätigt, dass viele dieser Substanzen schädlich für den menschlichen Körper sein können, verweist dann aber darauf, dass keine vernünftige Risikoabwägung den Nutzen vernachlässigen darf, der dem möglichen Schaden gegenübersteht. Am Schluss des Kapitels schildert er dann blumig seinen persönlichen und die allgemeinen positiven Auswirkungen des Rauchens: den wohligen Genuss, den guter Geschmack und das gesellschaftliche Wohlbefinden.
Zu Kapitel 5
In dem Exkurs über Todesanzeigen geht es um die gesetzlich vorgeschrieben gesundheitsbezogen Warnhinweisen auf den Zigarettenschachteln. Er gelangt dabei zu folgendem Fazit: „Die Todesanzeigen haben durchgängig dasselbe Muster. Alle gesundheitlichen Widrigkeiten, die den Menschen widerfahren können, werden einseitig und ausschließlich dem Rauchen angelastet. So erwecken die Tabakbekämpfer den widersinnigen Eindruck, wer nur auf das Rauchen verzichte, dem könnten sie ein ewiges glückliches Leben in Aussicht stellen. … Schon in ihren Wurzeln ist die Tabakbekämpfung eine puritanische Erlösungsbewegung gewesen, und die Agitations- und Propagandaumtriebe, die sie heute unter dem Deckmantel europäischer Bürokraten und auf den Kosten der Tabakproduzenten und -konsumenten vollführt, bestätigt den Verdacht auf das Hässlichste: Die Tabakbekämpfung ist eine asketisch-aggressive Afterreligion.“ (Seite 68)
Zu Kapitel 6
Nun werden die Akteure der Anti-Tabak-Bewegung an den Pranger gestellt. Sie haben dafür die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit den 1960er Jahren zur Vorkämpferin gefunden. Insbesondere kritisiert wird in diesem Kontext die ehemalige Direktorin der WHO Gro Harlem Brundtland, „jener wackeren Weltverbesserin, der man überdies das Plastikwort der nachhaltigen Entwicklung zu verdanken hat“, weil sie federführend mitentschieden hat, dass die Bekämpfung der Tabakepidemie 1998 zu einem der drei Schwerpunkte der WHO-Aktivitäten gemacht wurde. Am Schluss des Kapitels gelangt Ropohl dann zu der Einschätzung, dass „die undemokratischen und inhumanen Umtriebe der (WHO)-Tabakbekämpfung durchaus den Eindruck einer Verschwörung erwecken“. (Seite 81)
Zu Kapitel 7
Ihre größte Wirkung haben die Tabakgegner mit der Behauptung erzielt, nichtrauchende Menschen würden gesundheitlich ernsthaft geschädigt, wenn sie unfreiwillig den Tabakrauch einatmen, den Raucher in ihrer Umgebung freisetzen. Der Autor benennt in diesem Kapitel eine Fülle von Studien in sehr komprimierter Form und gelangt schließlich zu folgendem Fazit: Da die Studien zum Thema Passivrauchen alle mit verschiedenen Problemen behaftet sind, gibt es für totale Rauchverbote keinerlei wissenschaftliche Grundlage. Der Nichtraucherschutz könnte sich darauf beschränken, für die Minderheit besonders empfindlicher Nichtraucher abgeteilte Schutzzonen einzurichten und für eine bessere Klimatisierung von Innenräumen zu sorgen.
Zu Kapitel 8
Zu den Verlierern im „Tabakkrieg“ gehören eindeutig die Gastronomie, all die Gaststätten, Lokale und Kaffeehäuser, „wo früher nichtrauchende und rauchende Menschen einträchtig beisammen saßen, um den Genuss von Speis, Trank und Geselligkeit mit kleinen ´Rauchopfern´ krönen zu können.“ Eindeutige Profiteure sind dagegen die Fluggesellschaften, weil sie viel Geld sparen, seit das Rauchen in Flugzeugen generell verboten ist. Mitleid äußert der Autor in diesem Kontext mit rauchenden Urlaubern, die die „schönsten Wochen des Jahres“ mit den „unschönsten Stunden des Tages“ beginnen müssen.
Zu Kapitel 9
Das Unterkapitel „Raucher raus“ beginnt folgendermaßen: „Den Rauchern wird allenthalben das Recht auf selbstbestimmte Lebensführung vorenthalten. Wer gerne raucht, sucht vergeblich nach einem Arbeitsplatz, kann kein Restaurant betreten, darf nicht Bahn fahren, nicht das Flugzeug benutzen, muss auf kulturelle Veranstaltungen verzichten, kann nicht an politischen Veranstaltungen teilnehmen, und wehe den Rauchern, die einen Klinik- oder Sanatoriumsaufenthalt nicht umgehen können – denn denen droht ein Zwangsentzug.“ Diese strukturelle Gewalt verletzt demokratische Freiheit und Gerechtigkeit. „Es bleibt abzuwarten,ob sich die Anhänger der Tabakkultur die Verbannung in die ´Apartheit´ gefallen lassen oder ob sie mit zivilem Ungehorsam die Mehrheit dazu drängen werden, die berechtigten Forderungen der Minderheit anzuerkennen“. (Seite 124)
Diskussion
Dem Nachwort ist zu entnehmen, dass ein gewisser Dr. Joseph Kuhn, Mitarbeiter im Bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, folgendes in seinem „Science Blog“ im Internet im Sommer 2013 hinsichtlich Prof. Günter Ropohl geschrieben hat: „Ropohls technikphilosophische Bücher sind lohnende Lektüre. Beim Thema Tabak hatte er halt einen mentalen Aussetzer“.
Der Rezensent schließt sich der Meinung von Joseph Kuhn an, und verzichtet an dieser Stelle auf eine weitere Diskussion des Buches.
Fazit und Zielgruppen
Der Autor nimmt in seinem Buch die Auswirkungen der Besorgnisgesellschaft am Beispiel der Tabakdiskussion aufs Korn: Gesundheitsmissionare, die das Rauchen verbannen wollen, haben den Menschen eine massive Bedrohung durch das Passivrauchen eingeredet. Die Nichtraucher würden durch Tabakrauch auch in geringen Spuren ernsthaft erkranken und müssen unbedingt davor geschützt werden, heißt es. Die Tabakbekämpfung erscheint somit Ropohl zufolge als neuer Klassenkampf von oben nach unten, der Millionen von Menschen in der Freiheit ihres persönlichen Lebensstils einschränkt. Neben den Rauchern droht demnächst auch den Fleischliebhabern, den Freunden alkoholischer Getränke und den Vollschlanken eine Gesundheitsdiktatur und staatliche Bevormundung.
Dieses Buch ist nicht empfehlenswert, weder für Raucher noch für Nichtraucher, und hat daher auch keine Zielgruppe.
Rezension von
Prof. Dr. Uwe Helmert
Sozialepidemiologe
Es gibt 101 Rezensionen von Uwe Helmert.
Zitiervorschlag
Uwe Helmert. Rezension vom 14.12.2015 zu:
Günter Ropohl: Besorgnisgesellschaft. Hintergründe der Tabakbekämpfung. Parodos Verlag
(Berlin) 2014.
ISBN 978-3-938880-67-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19895.php, Datum des Zugriffs 14.09.2024.
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