Benedikt Sturzenhecker, Ulrike Voigtsberger (Hrsg.): Das Qualitätskonzept der Hamburger Eltern-Kind-Zentren
Rezensiert von Prof. Dr. Hiltrud von Spiegel, 27.11.2015
Benedikt Sturzenhecker, Ulrike Voigtsberger (Hrsg.): Das Qualitätskonzept der Hamburger Eltern-Kind-Zentren.
Eigenverlag
2015.
http://www.hamburg.de/contentblob/4461816/data/qualitaetskonzept-ekiz.pdf.
Entstehungshintergrund
Dieses Konzept wurde im März 2015 als Handreichung für die Mitarbeiter/innen der etwa 40 Hamburger Eltern-Kind-Zentren veröffentlicht, aber auch für interessierte Nutzer, für die Politik und nicht zuletzt für Fachkräfte ähnlicher Einrichtungen in ganz Deutschland, denen an der Weiterentwicklung ihrer eigenen fachlichen Arbeit gelegen ist. Das Handbuch ist ein hervorragendes Beispiel für eine konsequent zielorientierte Konzeptionsentwicklung und Qualitätssicherung und gleichzeitig eines für die partizipative Erarbeitung aller Arbeitsschritte, die hierfür nötig sind.
Entwicklungsgeschichte und Inhalte
Doch von vorn: Das Konzept für die relativ neue Angebotsform der Eltern-Kind-Zentren in Hamburg (Implementierung seit 2007) entstand in einem ca. anderthalbjährigen Arbeits- und Diskussionsprozess mit Fachkräften, Nutzer/innen und Politik, der durch Lehrende und Studierende der Universität Hamburg (Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker) und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (Prof. Dr. Ulrike Voigtsberger) begleitet wurde. Es dokumentiert den "State of the Art", indem es eine überschaubare Zahl von "Wirkungszielen" (Was soll bei den Kindern und ihren Eltern bewirkt werden?) benennt. Mit Blick auf diese Wirkungsziele wurden "Handlungsziele" formuliert. Handlungsziele bezeichnen Arbeitsweisen, von denen anzunehmen ist, dass sie das Erreichen der Wirkungsziele wahrscheinlicher machen.
Die Wirkungsziele wurden bereits partizipativ vereinbart: als erster Schritt wurden die Fachkräfte in den Einrichtungen befragt, welche Ziele für ihre Arbeit am wichtigsten wären, dann haben Behörde (also das Ministerium), wissenschaftliche Begleitung und TrägervertreterInnen diese Ergebnisse diskutiert und auf deren Basis über eine gemeinsame Zielformulierung entschieden. So begann der partizipativen Prozess der Entwicklung des Qualitätskonzepts. Kern dieser Arbeit war ein Qualitätszirkel von 10 Fachkräften aus Eltern-Kind-Zentren, die unter Begleitung von Prof. Dr. Ulrike Voigtsberger den ersten detaillierten Vorschlag des Konzeptes entwickelten. Die anderen Fachkräfte wurden durch ein Newsletter auf dem Laufenden gehalten und hatten immer wieder Gelegenheit, Vorlagen des Qualitätszirkels zu prüfen, korrigierend einzugreifen und eigene Vorschläge zu machen. Die wissenschaftlichen BegleiterInnen haben aus Sicht der Fachdebatte ebenfalls die Vorlagen des Qualitätszirkels geprüft und unter Umständen Ergänzungsvorschläge gemacht. Am Ende haben fünf bundesweit anerkannte Expertinnen zur Fachlichkeit von Familien bzw. Eltern-Kind-Zentren das gesamte Qualitätskonzept im Blick auf seine Erfüllung fachlicher Ansprüche geprüft und es für gut befunden.
Im Prozess der Konzeptentwicklung wurden die den Wirkungszielen zugeordneten Handlungsziele in dreifacher Weise operationalisiert: Mit der prozessbezogenen Operationalisierung entstanden (mit Bezug wissenschaftliche Fachdiskussion) klare Vorgaben für das berufliche Handeln der Fachkräfte in Eltern-Kind-Zentren. Daraus erwuchs ein anschauliches, für alle Interessierten verständliches Bild von qualitativ "guter" sozialpädagogischer Arbeit, an dem man die eigene Arbeit orientieren und sie selbstkritisch reflektieren kann. Die strukturbezogene Operationalisierung konzentrierte sich auf die Beschreibung von Rahmenbedingungen (Zeit, Räume, Personal, Material usw.), um die Prozessschritte wirklich realisieren zu können, denn öfter einmal scheitern gute Pläne an fehlenden materiellen Voraussetzungen. Hinzu kam die ergebnisbezogene Operationalisierung in Form von durchgängig ausgearbeiteten Indikatoren, an denen man nachvollziehbar erkennen kann, dass die Handlungsziele der Fachkräfte erreicht wurden.
Damit wird gleichzeitig mit dem Gesamtkonzept auch die Grundlage für eine systematische Selbstevaluation einer Einrichtung gelegt. Das bislang als "sperrig" geltende und somit für einzelne Fachkräfte schwer zu realisierende Vorgehen der Selbstevaluation wandelt sich mithilfe der Indikatorenlisten zu einem handhabbaren Instrument, das auch ohne ausführliche Anleitung praktiziert werden kann. Es gibt Kopiervorlagen mit Fragen zu jedem Indikator, die nicht mit "ja/nein", sondern mit Beispielen (für gelungene/nicht gelungene) Umsetzung beantwortet werden sollen. Ungeübte Fachkräfte können sich auf die Listen beziehen; Erfahrenere haben auch die Möglichkeit, eigenständigen Fragestellungen nachzugehen.
Im Gegensatz zu bisherigen Modellen der Qualitätssicherung (Macsenaire und Tornow z.B.) bietet dieses wegen seiner Orientierung an Zielen und der Kombination von Konzeptentwicklung und Selbstevaluation ein ideales und einfach handhabbares Instrumentarium der Qualitätssicherung. Das Vorgehen wurde von Hamburger Einrichtungen erprobt und ist mit einem für die Praxis zumutbaren Zeitbedarf realisierbar. Das verwendete Begriffsinventar ist überschaubar (Beschränkung auf Wirkungsziele, Handlungsziele und Indikatoren) und gut erklärt. Lediglich die Gleichsetzung von Qualitätsstandards und Handlungszielen finde ich "mutig", wenngleich einiges dafür spricht. Denn Handlungsziele und ihre Operationalisierung sind ja nichts weiter als Beschreibungen "guter" Arbeit; möglicherweise hätte an dieser Stelle in Qualitätshandbuch ein erklärender Satz geholfen.
Didaktisch ist das Handbuch sehr gut aufgebaut. Die AutorInnen beschränken sich auf die notwendigsten Definitionen, ohne dass man etwas vermisst; die Diskussion um die verschiedenen theoretischen Ansätze wurde über Jahre wortreich geführt. Die gewählte Sprache ist klar und verständlich; die grafische Gestaltung komfortabel und anregend. Lediglich das Blättern wird schnell zum Ärgernis, weil die Mechanik des verwendeten Ordners nichts taugt. So verhaken sich die einzelnen Seiten ständig, wodurch die Gefahr der Beschädigung des Materials wächst. Das ist bei einem Werk, das voraussichtlich häufig benutzt wird, nicht tolerabel.
Wahrscheinlich kommen jedoch nicht allzu viele Interessierte in den Genuss des vorgefertigten Handbuchs, denn es ist ja in erster Linie für die Hamburger Fachkräfte in EKiZ und nicht für den Verkauf bestimmt. Weitere Interessierte müssen die Unterlagen als Download im Internet aufstöbern, wo es sich unter anderen Dokumenten unter dem Stichwort (www.hamburg.de/eltern-kind-zentren/) versteckt. Für den Ausdruck der insgesamt 236 Seiten benötigt man allerdings eine größere Menge farbigen Toner. Natürlich kann man das Ganze auch schwarz-weiß gestalten, aber auch das ist wegen der großzügig eingesetzten farbigen Gestaltung tonermäßig aufwändig. So gesehen wäre es schon hilfreich, wenn man den kompletten Ordner ausgedruckt beziehen könnte.
Diskussion
Das Handbuch bildet ein anschauliches Beispiel für die Anwendung des Konzeptes für methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (2004), das seit Beginn der 1990er Jahre von Hiltrud von Spiegel grundgelegt und immer wieder weiterentwickelt wurde. Die letzte, noch einmal gründlich überarbeitete und vereinfachte Fassung des Lehrbuchs erschien 2013; die hier vorgelegte Konkretisierung macht die Arbeit mit diesem allgemeinen Modell der Erarbeitung von Qualitätskonzepten noch praktikabler.
Fazit
Meines Erachtens ist das Qualitätshandbuch der Hamburger Eltern-Kind-Zentren eine anschauliche Vorlage für die Entwicklung jedweder anderen Konzeption und ihrer Evaluation. Konzeptionsentwicklung sollte wenn irgend möglich, als partizipativer Prozess angelegt sein und vor Ort zusammen mit den Fachkräften durchgeführt werden. Das Hamburger Qualitätskonzept zeigt, dass selbst in größeren lokalen Systemen der Sozialen Arbeit ein breiter Diskurs über fachliche Ansprüche und die Gestaltung von Selbstevaluation möglich ist und gemeinsam über Standards guter Arbeit und ihrer selbstkritischen Reflexion entschieden werden kann. Als Beispiel dafür, wie Ergebnisse solcher Prozesse aussehen und wozu sie nutzen können, ist dieses Qualitätshandbuch für MultiplikatorInnen von unschätzbarem Wert. Aber auch inhaltlich zeigt es für die deutsche fachliche Debatte um die Gestaltung von Familien- bzw. Eltern-Kind-Zentren, wie komplex die sozialpädagogische Arbeit hier aufgestellt sein muss. Es wird für die lokalen Fachkräfte auch über Hamburg hinaus deutlich, wie anspruchsvoll, aber auch wie leistungsstark die Arbeit in Eltern-Kind-Zentren ist.
Rezension von
Prof. Dr. Hiltrud von Spiegel
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