Kai-Uwe Hugger, Angela Tillmann et al. (Hrsg.): Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur
Rezensiert von Dr. André Czauderna, 26.04.2016
Kai-Uwe Hugger, Angela Tillmann, Stefan Iske, Johannes Fromme, Petra Grell, Theo Hug (Hrsg.): Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur. Springer VS (Wiesbaden) 2015. 148 Seiten. ISBN 978-3-658-09808-7. D: 34,99 EUR, A: 35,97 EUR, CH: 37,00 sFr.
Thema
Das zwölfte Jahrbuch Medienpädagogik umfasst sieben Beiträge, die sich aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive mit dem Themenkomplex „Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur“ beschäftigen, wobei empirische Ansätze überwiegen: vier der sieben Beiträge präsentieren Ergebnisse empirischer Studien; drei Beiträge stellen sich forschungsmethodischen oder theoretischen Fragen.
Ausgangspunkt des Bandes ist die Feststellung, dass „immer mehr Formen und Orte der Kommunikation und des Handelns (…) von Medien durchdrungen“ sind und Einfluss nehmen „auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern, die generationale Ordnung und die Familiengestaltung sowie das Familienerleben“ (S. 7). Dabei gehen die AutorInnen davon aus, dass „die zunehmende Portabilität sowie erweiterte konvergente Medienstrukturen, -technologien und -nutzungsformen“ (ebd.), die „neue Raumerfahrungen und -bezüge, Spielorte und -settings sowie soziale Begegnungen“ (ebd.) ermöglichen, eine besondere Rolle spielen.
HerausgeberInnen
Das Jahrbuch wird herausgegeben von den folgenden ProfessorInnen, von denen die drei erstgenannten auch als AutorInnen der Einleitung und/oder eines eigenen Beitrages in Erscheinung treten:
- Dr. Kai-Uwe Hugger (Universität zu Köln)
- Dr. Angela Tillmann (Technische Hochschule Köln)
- Dr. Stefan Iske (Goethe-Universität Frankfurt/Main)
- Dr. Johannes Fromme (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)
- Dr. Petra Grell (Universität Darmstadt)
- Dr. Theo Hug (Universität Innsbruck)
Entstehungshintergrund
Alle Beiträge des vorliegenden Jahrbuches basieren auf Vorträgen, die auf der Herbsttagung der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft im November 2013 mit dem Titel „Mediatisierte Kindheit – Herausforderungen einer digitalen Kultur für die medienpädagogische Forschung“ gehalten wurden.
Aufbau und Inhalt
Nach einer kurzen Einleitung mit dem Titel „Kinder und Kindheit in der digitalen Medienkultur“ (Kai-Uwe Hugger, Angela Tillmann und Stefan Iske) werden in den ersten vier Beiträgen jeweils eigene empirische Studien der jeweiligen AutorInnen vorgestellt. Diese Studien beschäftigen sich mit den folgenden Themen:
- „Medienerziehung in der Familie unter den Bedingungen von Mediatisierung“ (Ulrike Wagner und Christa Gebel),
- „Erklärstrukturen in selbsterstellten Erklärvideos von Kindern“ (Karsten D. Wolf und Verena Kratzer),
- „Mobiles digitales Spielen von Kindern: Angebot, Nutzung und Bewertung des Mobilspielens durch Kinder und Eltern“ (Kai-Uwe Hugger und Angela Tillmann) sowie
- „Zusammenhänge zwischen deviantem und risikoreichem Onlineverhalten 12- bis 13-jähriger Kinder aus drei Ländern“ (Sebastian Wachs und Karsten D. Wolf).
Im Anschluss folgt ein forschungsmethodischer Beitrag mit dem Titel „Zum Problem der Herstellung von Selbstläufigkeit in Gruppendiskussionen mit Kindern“, in dem sich Michael Viertel auf Grundlage von Literatur aus dem Feld der Kindheitsforschung sowie eigenen Erfahrungen, die er im Rahmen einer Studie zu Hörbüchern und Hörspielen gewinnen konnte, mit dem methodischen Problem auseinandersetzt, „unter welchen Prämissen und mit welchen Strategien eine Initiierung von selbstläufigen Diskursen über Medien in Gruppengesprächen mit Kindern erzeugt werden kann“ (S. 100).
Schließlich beschäftigen sich die beiden letzten – thematisch sehr unterschiedlichen – Beiträge des Bandes theoretisch mit dem
- Einfluss der Digitalisierung auf die Bildungsdokumentation in Kindertageseinrichtungen („Smart Documentation. Mediatisierung professionellen pädagogischen Handelns in Kindertageseinrichtungen“ von Helen Knauf) sowie der
- Rolle von sozialen Netzwerken bei der Entwicklung eines Wertebewusstseins bei Kindern („Gemeinschaft und Sympathie als Wert?“ von Tobias Hölterhof).
Diskussion
Der Wert des vorliegenden Jahrbuches liegt meines Erachtens darin, den Blick auf die in einigen Teilbereichen der Medienpädagogik vernachlässigte Gruppe der Kinder gerichtet zu haben. Damit stimme ich den AutorInnen zu, die in ihren Beiträgen selbst auf diesen Umstand verweisen:
- „Die zentrale Motivation für diesen Beitrag war für uns die Frage, ob das Format der Eigenerstellung von Erklärvideos, welches in unserer Arbeitsgruppe in zahlreichen medienpädagogischen Praxis- und Forschungsprojekten erfolgreich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen umgesetzt worden ist, auch für die aktive Medienarbeit mit Kindern nutzbar ist.“ (Beitrag „Erklärstrukturen in selbsterstellten Erklärvideos von Kindern“, S. 30 f.)
- „Auch viele andere Studien konzentrieren sich bei der Erforschung devianten und risikoreichen Onlineverhaltens in erster Linie auf Jugendliche, nicht auf Kinder“ (Beitrag „Zusammenhänge zwischen deviantem und risikoreichem Onlineverhalten 12- bis 13-jähriger Kinder aus drei Ländern“, S. 71)
- „Allerdings bleibt, obwohl das Potenzial des Verfahrens (der Gruppendiskussion nach Bohnsack) für einen Zugang zur Perspektive von Kindern in der Vergangenheit vielfach betont wurde (…), die Zahl der Studien, in denen es bisher mit Kindern durchgeführt wurde, noch sehr überschaubar.“ (Beitrag „Zum Problem der Herstellung von Selbstläufigkeit in Gruppendiskussionen mit Kindern“, S. 100).
Von großem Interesse sollte das Jahrbuch vor allem für WissenschaftlerInnen sowie Studierende der Pädagogik und ihrer Nachbardisziplinen sein, die sich entweder einen schnellen Überblick über aktuelle erziehungswissenschaftliche Forschungen zum Themenkomplex „Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur“ verschaffen wollen und/oder zu einem der vielfältigen im Jahrbuch behandelten Spezialgebiete arbeiten. Für viele PraktikerInnen hingegen dürfte der Band weniger passend sein, da er in seinen Einzelbeiträgen relativ spezielle Fragestellungen aus ausgewählten Blickwinkeln behandelt und insgesamt eher wenig Wert auf einen roten Faden legt – wenngleich auch der eine oder andere Angehörige dieser Zielgruppe, wenn er auf der Suche nach speziellen Informationen ist (wie z.B. der digitalen Bildungsdokumentation), fündig werden könnte.
Persönlich hätte ich mir in einigen Beiträgen eine weitreichendere Berücksichtigung des englischsprachigen Diskurses sowie eine noch stärkere Integration von Arbeiten, die sich explizit mit den Implikationen der digitalen Kultur für Lern- und Bildungsprozesse von Kindern in informellen, non-formalen und formalen Kontexten auseinandersetzen, gewünscht.
Fazit
Das zwölfte Jahrbuch Medienpädagogik bietet vielfältige und interessante Einblicke in aktuelle erziehungswissenschaftliche Arbeiten zum Forschungsfeld „Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur“ mit einem Schwerpunkt auf empirischen Ansätzen, ohne Anspruch auf eine systematische und vollständige Repräsentation des Forschungsfeldes. Die Lektüre des Bandes dürfte für WissenschaftlerInnen sowie Studierende der Medienpädagogik interessanter als für PraktikerInnen sein.
Rezension von
Dr. André Czauderna
M.A.
Technische Hochschule Köln
Cologne Game Lab
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Es gibt 3 Rezensionen von André Czauderna.
Zitiervorschlag
André Czauderna. Rezension vom 26.04.2016 zu:
Kai-Uwe Hugger, Angela Tillmann, Stefan Iske, Johannes Fromme, Petra Grell, Theo Hug (Hrsg.): Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur. Springer VS
(Wiesbaden) 2015.
ISBN 978-3-658-09808-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19922.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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