Karsten Weber, Debora Frommeld et al. (Hrsg.): Technisierung des Alltags
Rezensiert von Monika Jansen, 18.02.2016

Karsten Weber, Debora Frommeld, Arne Manzeschke, Heiner Fangerau (Hrsg.): Technisierung des Alltags. Beitrag für ein gutes Leben? Franz Steiner Verlag (Stuttgart) 2015. 291 Seiten. ISBN 978-3-515-11004-4. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR, CH: 65,90 sFr.
Thema
Im Rahmen des demografischen Wandels wird der Ruf nach individueller Unterstützung immer lauter. Der Wunsch der Menschen so lange wie möglich in der eigenen Häuslichkeit verbleiben zu können, auch wenn es zu gesundheitlichen Einschränkungen kommt, aber auch wenn die eigenen Kräfte altersbedingt nachlassen. Da diese Unterstützung jedoch durch die eigene Familie oder durch professionelle Unterstützung kaum zu realisieren ist müssen andere Lösungen gefunden werden. Eine diese Lösungen scheint die Unterstützung der Umgebung durch intelligente Technik, auch als „Ambient Intelligence“ bezeichnet, zu sein. Sie soll das Zuhause unkompliziert und bedienerfreundlich gestalten helfen. Soweit die zukunftsweisende Annahme.
Doch führt die Technisierung des Alltags wirklich zu mehr und längerer Lebenszufriedenheit in der eigenen Umgebung?
Mit dieser Frage beschäftigen sich Weber, Frommeld, Manzeschke und Fangerau als Herausgeber dieses Buches.
Aufbau
In einer Zusammenstellung unterschiedlicher Beiträge zum Thema mit unterschiedlichen Denkrichtungen wird versucht eine Annäherung zu ermöglichen.
Nach einer allgemeinen Hinführung zum Thema durch einen Problemaufriss mit historischem Einblick, einer Einführung in den gesellschaftlichen Kontext und Hinweisen zur praktischen Anwendung der beschrieben Technik folgt eine kurze Betrachtung der ethischen Seite des Einsatzes assistierender Technik.
Zum ersten Kapitel
Im ersten Kapitel finden sich drei Aufsätze zum historischen und gesellschaftlichen Kontext des Themas.
Im ersten Beitrag wird das Beispiel des technischen Medikamentenmanagement aus Sicht präventionsmedizinischer Ansätze herangezogen. Es geht dabei um den Einsatz von technischen Hilfen zur Minderung gesundheitlicher Risiken. Kritisch betrachtet wird vor allem das damit die Bedeutung Zwischenmenschlicher Versorgung in den Hintergrund treten könnte.
Der zweite Beitrag widmet sich dem Thema des Rückzugs des Todes durch die Technisierung des Alters. Betrachtet werden hier insbesondere die Aspekte der Geburtenrückgänge, die Steigerung der Lebenserwartung und deren Folgen für die Gesellschaft.
Im dritten Beitrag fällt der Blick auf die geschichtliche Entwicklung von Alter und Technik. Bezug genommen wird auf technische Errungenschaften wie Zahnprothesen, Brillen oder auch Rollstuhl. All diese heute selbstverständlichen Hilfen waren zu ihrer Zeit ebenfalls revolutionär und wurden als technische Wunderwerke betrachtet.
Zum zweiten Kapitel
Im zweiten Kapitel lenken die Herausgeber Weber, Frommeld, Manzeschke und Fangerau den Blick auf den Einsatz von angewandten altersgerechten Assistenzsystemen.
Der erste Beitrag beschäftigt sich mit den Ergebnissen einer empirischen Studie zum Einsatz der Service-Roboter „PARO und Care-O-bot“. Die Erkenntnisse aus der Studie bzgl. der Motivation, den Erwartungen und der Potentiale gegenüber technischen Assistenzen wird über den Einfluss auf die Pflegetätigkeit und die Reaktionen der Pflegemitarbeiter verdeutlicht. Hingewiesen wird auf die psychische und physische Entlastung der Pflegenden und der Attraktivitätssteigerung für die Pflegebedürftigen.
Im zweiten Beitrag wird das Thema Demenz in den Fokus der Überlegungen gerückt. Gegenstand ist dabei die filmische Bearbeitung des Themas über den Spielfilm „ Roboter & Frank – zwei diebische Komplizen“ aus dem Jahr 2012, bezogen auf die ethische Dimension. Vor allem die Mensch-Maschine-Beziehung wird näher beleuchtet und kritisch diskutiert.
Der dritte Beitrag nimmt Stellung zu technischen Assistenzsystemen in der Pflege in Verbindung mit einer pflegewissenschaftlichen Perspektive. Grundlage bilden hier die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung mit den Schwerpunkten der klinisch-ambulanten Versorgung, des Pflegemanagements und der Pflegewissenschaft.
Im vierten Beitrag werden die Themen der Nutzerakzeptanz und der Nutzungssteigerung näher betrachtet. Bezogen wird dies auf ein universelles Design und eine frühe Integration der Nutzer beim Einsatz altersgerechter Assistenzsysteme (AAL). Als Beispiel wird das Forschungsprojekt „WohnSelbst“ vorgestellt und kritisch hinterfragt.
Der fünfte Beitrag beschäftigt sich mit der subjektiven Sicherheit durch die assistierende Technik. Auf der Grundlage telefonisch geführter Expertenbefragungen wird dies reflektiert. Die dabei zentralen Begriffe der Simplifizierung und Selbstbestimmung werden kritisch hinterfragt und bewertet.
Im sechsten Beitrag geht es schließlich um die Autonomie der Einzelnen durch die Nutzung technischer Assistenzsysteme. Grundlegend ist hier der Diskurs zwischen Autonomie auf der einen und Privatheit auf der anderen Seite. Am Beispiel des Projektes „SensFloor®“ werden ethische Herausforderungen mit Anwendung der vier „Prima Facie“ Prinzipien, Achtung der Autonomie, Schadensverminderung, Wohltun und Gerechtigkeit nach T.L. Beauchamp und J.F. Childress spezifiziert.
Zum dritten Kapitel
Das dritte Kapitel widmet sich ausschließlich der ethischen Bewertung altersgerechter Assistenzsysteme.
Der erste Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung zukünftiger Technologien im gesellschaftlichen Kontext und als zielgerichtete Intervention. Über die Begrifflichkeiten demografischer Wandel, Zielgruppenorientierung, Benutzerfreundlichkeit usw. werden technische Assistenzsysteme für den Pflege- und Gesundheitsbereich klassifiziert. Darüber hinaus wird auch die Finanzierung dieser Technik als bedenkenswertem Aspekt der Nutzung beleuchtet.
Der zweite Beitrag beleuchtet kritisch die propagierten Vorteile der Technisierung für den Wohnungsmarkt und den Pflegemarkt. Gegenstand der Betrachtung ist ein Computer mit Touchscreen namens „PAUL“ (Persönlicher Assistent für Unterstütztes Leben) der im Betreuten Wohnen eingesetzt wird. In den Blick genommen werden dessen Vorzüge, aber auch dessen Risiken.
Im dritten Beitrag geht es um Bewertungskriterien für die Information über und den Einsatz von altersgerechter Assistenztechnik. In den Blick genommen werden z.B. Kriterien der Funktionsfähigkeit, der Wirtschaftlichkeit, der Privatheit oder auch der Sicherheit. Die Bewertungen können dann als Entscheidungshilfe für oder gegen den Einsatz technischer Hilfen eingesetzt werden.
Der vierte Beitrag schenkt der ethischen Dimension des Einsatzes dieser Technik im Alltag besondere Aufmerksamkeit. Vorgestellt wird das „MEESTAR – Modell“ zur ethischen Evaluierung sozio-technischer Arrangements im Pflege- und Gesundheitsbereich. Im Vordergrund stehen die Dimensionen Teilhabe und Sicherheit.
Der fünfte Beitrag beschäftigt sich damit, dass Ethik als Fachgebiet gerade für die Entwicklung und die Umsetzung technischer Assistenzsysteme eine besondere Rolle spielen sollte und auch muss. Auch hier stellt das „MEESTAR-Modell“ die Basis der Betrachtung dar. Am Beispiel des Einsatzes des Modells in einem Workshop im Rahmen eines AAL-Kongresses werden die ethischen Dimensionen kritisch reflektiert.
Diskussion
Alle Beiträge dieses Buches sind losgelöst von einander in sich abgeschlossen. Je nach Interessenslage werden hier die historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Dimensionen angesprochen. Durch die Verknüpfung mit dem aktuellen gesellschaftlichen Kontext mit den demografischen Herausforderungen unserer Zeit finden sich auch kritische Reflexionen und konkrete Hinweise für den Einsatz assistierter Technik.
Dem Untertiteltitel des Buches – Beitrag für ein gutes Leben? – werden die Herausgeber Weber, Frommeld, Manzeschke und Fangerau gerecht. Das umstrittene Thema des Technikeinsatzes in die besonders sensiblen Lebensbereiche des Menschen wird durchaus kontrovers aufgegriffen. Am Ende des Buches sind viele fragen beantwortet oder zumindest aufgegriffen. Eine Entscheidung für oder gegen den Einsatz kann und will das Buch dem Leser nicht abnehmen, aber es bietet viele Hinweise für die Beschäftigung mit diesem Thema.
Fazit
Das Buch bietet einen hervorragenden Überblick über die derzeit diskutierten Herausforderungen bzgl. Der Entwicklung und des Einsatzes von assistierter Technik im Alltag. Es werden alle Themenbereich beleuchtet und Impulse für eine kritische Reflexion gegeben. Darüber hinaus findet der Leser hier Anregungen für eine fundierte Beschäftigung mittels verschiedener Modelle der Bewertung. Durch die Vorstellung einiger praxiserprobter Techniken wird der Bogen von der theoretischen Beschäftigung zum realen Einsatz gezogen.
Rezension von
Monika Jansen
Erziehungswissenschaftlerin (M.A.) und Master of Organizational Management (MoM), ist tätig als Referentin für ambulante Dienste, Bereich Wirtschaft und Statistik eines großen Wohlfahrtsverbandes. Langjährige Berufserfahrung in Führungspositionen der unterschiedlichen Arbeitsfelder der Altenhilfe. Herausgeberin der beiden Werke „Pflege & Management“ und Pflegehandbuch des DUZ-Verlages.
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