Heinz-Hermann Krüger, Heinz Sünker et al. (Hrsg.): Forschung als Herausforderung
Rezensiert von Prof. Dr. Erika Steinert, 28.04.2016

Heinz-Hermann Krüger, Heinz Sünker, Werner Thole (Hrsg.): Forschung als Herausforderung. Methodologische Ansprüche und Praxis in erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Projekten. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2015. 292 Seiten. ISBN 978-3-8474-0667-9. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 34,60 sFr.
Thema
Stipendiat*innen der Hans-Böckler-Stiftung berichten über ihre – teilweise länger zurückliegenden – Dissertationsprojekte.
Herausgeber
- Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger ist Hochschullehrer für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg;
- Prof. Dr. Heinz Sünker lehrt Sozialpädagogik/Sozialpolitik an der Bergischen Universität Wuppertal und
- Prof. Dr. Werner Thole Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit und außerschulische Bildung an der Universität Kassel
Entstehungshintergrund
Mit der vorliegenden Buchpublikation statten Herausgeber und – ehemalige – Stipendiat*innen der Hans-Böckler-Stiftung dem aus Altersgründen ausscheidenden langjährigen Leiter des Referats Promotionsförderung, Werner Fiedler, ihren Dank für die Begleitung, Förderung und persönliche Betreuung ihres Dissertationsprojektes ab.
Aufbau und Einleitung
Das Buch beinhaltet vier nach unterschiedlichen forschungsmethodischen Ansätzen geordnete Kapitel, denen die Dissertationsberichte zugeordnet sind:
- „Geschichte im Fokus der Forschung – Historische Rekonstruktionen“,
- „Lebensläufe und familiale Wege – Biografisch narrative Zugänge“,
- „Herstellung und Deutungen von Welt und Erfahrungen – Multidimensionale Verfahren“,
- „Kindheit und Jugend – Mixed Methods“.
- Im letzten Kapitel „Krisen, Evaluation und Standards der Promotionsphase“ wird abschließend von den Herausgebern Krüger und Thole ein Überblick über Standards und Qualität von Forschungs- und Promotionskollegs sowie Qualitätsstandards von Promotionen gegeben.
Mit der Vita der Autor*innen wird die Buchpublikation abgeschlossen.
Im einleitenden Kapitel gehen Heinz-Hermann Krüger und Werner Thole auf aktuelle methodische Entwicklungen in der erziehungswissenschaftlichen und soziologischen Forschung ein, den Stand der Promotionsförderung in diesen Disziplinen, weisen auf Herausforderungen in der Bearbeitung eines Dissertationsprojekts hin und skizzieren wesentliche Qualitätsstandards, an denen eine Dissertation gemessen wird. Der allgemein gehaltene Buchtitel „Forschung als Herausforderung“ erscheint an dieser Stelle noch als nachvollziehbar, wird dann aber in der Folge eingegrenzt auf Berichte von Dissertationen, die ausschließlich von der Promotionsförderung der Hans-Böckler-Stiftung profitiert haben.
Wie die geförderten Promovend*innen die sich mit ihrem jeweiligen Projekt verbundenen Herausforderungen gemeistert haben, stellen sie selbst in den folgenden Beiträgen dar. Sie waren gebeten, die zentrale Fragestellung, die theoretischen Bezüge und wichtige Ergebnisse vorzustellen und dabei insbesondere die methodologischen Probleme zu diskutieren.
Die insgesamt zwanzig Berichte repräsentieren die thematische Breite der geförderten Projekte ebenso wie unterschiedliche forschungsmethodische Zugänge.
In den Berichten stellen manche Autor*innen den Arbeitsprozess mit seinen Schwierigkeiten und wie sie gemeistert wurden, in den Mittelpunkt, während andere stärker Inhalt und Ergebnisse fokussieren.
Ausgewählte Inhalte
Exemplarisch seien im Folgenden drei Beiträge skizziert.
Im Kapitel „Lebensläufe und familiale Wege – Biografisch narrative Zugänge“ fasst Karin Bock ihre Dissertationsschrift unter dem Titel „Politische Sozialisation in der Drei-Generationen Familie“ (S. 85-96) zusammen. Ihrer Vorbemerkung kann der Entstehungshintergrund der Dissertation – das erste Promotionskolleg der Hans-Böckler-Stiftung, 1994 zum Thema „Umbruch in Ostdeutschland“ ins Leben gerufen - entnommen werden, ferner wird die Architektur des Artikels kurz skizziert: Ausgangspunkt und Fragestellung, methodische Herausforderungen und forschungsmethodische Konsequenzen sowie die wichtigsten Befunde sollen dargestellt werden. Die von den Herausgebern geforderten Desiderata für die Darstellungsweise werden von dieser Autorin mithin eingelöst.
Zum Ausgangspunkt bzw. Anliegen der Dissertation schreibt Karin Bock, sie wollte „die biographischen Erfahrungen erforschen, die Menschen im Verlauf ihres Lebens mit historischen Ereignissen und politischen Systemen machen – und mit den Wirkungen, die diese Erfahrungen auf die politischen Orientierungen der Menschen haben“ (S. 85). Als theoretischer Hintergrund dienen die politische Sozialisationsforschung, die interaktions- und handlungstheoretischen Ansätze, die historische und soziologische Familienforschung und generationstheoretische Ansätze (S. 87). Methodische Herausforderungen wurden pragmatisch gelöst, galt es doch, über fünf Jahre hinweg erhobene narrative 75 Lebensgeschichten (sic!) sowie Leitfadeninterviews mittels einer damals zur Verfügung stehenden „Dinosauriertechnik“ zu verschriftlichen und auszuwerten. Die Ausführungen der Interviewten wurden thematisch zusammengefasst und – weitaus schwieriger – der familiale Drei-Generationen-Zusammenhang durch minimale und maximale Fallvergleiche sensu Fritz Schütze typologisch rekonstruiert und dargestellt. Plastisch werden die Schwierigkeiten deutlich, die komplexe Fragestellung der politischen Sozialisation über drei Generationen empirisch gehaltvoll im familialen, inter- und intragenerativen Vergleich differenziert zu beantworten. Die Ergebnisse sind stringent auf Fragestellung, Interviewmaterial und Auswertungstechniken bezogen. Wer sich über Typologiebildung am praktischen Beispiel orientieren möchte, findet hier gute Anregungen!
Als beispielhaft für die Einlösung der Vorgaben, insbesondere für eine gehaltvolle Theoriereflexion, kann Nora Friedericke Hoffmanns Beitrag (S. 181-194) gelten. Er ist im Kapitel „Herstellung und Deutungen von Welt und Erfahrungen – Multidimensionale Verfahren“ zu finden und mit der Überschrift „Szene und soziale Ungleichheit – Freud und Leid der Promotion“ versehen. Die Promotionsphase begann 2009 und ist daher noch gut erinnerlich. Mit dem Beitrag sollen die Krisen im Promotionsprozess, ihre Bedeutung und Wege heraus deutlich werden. Anfangs wird das Forschungsprojekt skizziert, danach die Datenerhebung und –auswertung dargestellt, die Grundbegriffe werden „geschärft“ (S. 182), die Relevanz der Arbeit diskutiert, und abschließend werden zentrale Ergebnisse dargelegt.
Ziel des Projektes war es, soziale Ungleichheit „wieder“ in einen Zusammenhang mit der Jugendkulturforschung zu bringen. Untersucht wurde, „inwiefern sich die spezifischen Ausdrucksformen Jugendlicher und junger Erwachsener derselben Szene voneinander unterscheiden, wenn sie sich durch unterschiedliche Platzierungen im Gefüge sozialer Ungleichheiten auszeichnen“ (S. 182). Erhebungsinstrumente waren die Gruppendiskussion und die Gruppenfotografie, ausgewertet mit der Dokumentarischen Methode.
Der Promotionsprozess wird nach Fiedler und Hebecker (2012) in seinen problematischen Phasen der „Materialkrise“, der Relevanzkrise und der Abschlusskrise analysiert und beschrieben, wie die jeweilige Krise konstruktiv gelöst werden konnte.
Forschungspraktisch erfolgt eine „sinngenetische“ Typenbildung zur Verdeutlichung „habitueller Stile“ ergänzt durch eine „soziogenetische“ Typenbildung (S. 189). Mut machend ist, dass das „Leid“ der Promotion in „Freude“ (S. 191) verwandelt werden konnte. Wie? Indem Ansprüche reduziert wurden und die Einsicht zugelassen wurde, dass ein Schlussstrich gesetzt werden muss, da eine Verlängerung der Bearbeitungszeit nicht unbedingt zu mehr Zufriedenheit mit dem Ergebnis führt.
Isabel Carquevilles Beitrag „Schulwege in den beiden deutschen Staaten. Kinder- und Jugendkulturen zwischen Elternhaus und Schule“ (S. 47-56) ist dem Kapitel „Geschichte im Fokus der Forschung – Historische Rekonstruktionen“ zugordnet. Bearbeitet wurden aus historischer Perspektive sozial- und kulturwissenschaftlich die Fragen: „Wie konstituierten sich Kinder- und Jugendkulturen auf Schulwegen? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen den beiden deutschen Staaten ausmachen“ (S. 47). 15 Themenzentrierte Interviews, auf dem ehemaligen Schulweg durchgeführt, wurden mit Hilfe der Dokumentarischen Methode ausgewertet und das methodische Vorgehen im Artikel differenziert reflektiert. Zwei Aspekte werden abschließend als Befunde hervorgehoben: die Bedeutung der Peers und, damit zusammenhängend, die Raumaneignung als Möglichkeit, eigene Spielräume innerhalb der Erwachsenenwelt zu schaffen (S. 52 f.).
Diskussion
Der Buchtitel ist irreführend, ein Blick auf die einzelnen Forschungsberichte macht erst deutlich, um was es geht: Ehemalige Stipendiat*innen der Hans-Böckler-Stiftung berichten über ihre Dissertationsprojekte. Damit wird der thematisch weit angelegte Buchtitel „Forschung als Herausforderung“ überraschend eingegrenzt. Der im Vorwort der Herausgeber formulierte Anspruch, ein Handbuch für Promovend*innen zu sein, kann nicht eigentlich eingelöst werden, da es sich nicht um die geordnete Zusammenstellung eines Wissensgebietes handelt, das als Nachschlagewerk dienen könnte.
Das vorgegebene Präsentationsraster stellt eine grobe Orientierung dar, die von den einzelnen Autor*innen mehr oder weniger beachtet wurde.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass manche Texte hinsichtlich Grammatik und Rechtschreibung etwas salopp daherkommen, auffallend ist ebenso, dass geschlechtergerechte Sprache nicht durchgängig zu den Standards der einzelnen Texte gehört.
Neben den genannten Mängeln ist das zentrale Anliegen der Publikation, Einblicke in individuell verlaufende Prozesse forschungsmethodisch unterschiedlicher Promotionsprojekte zu geben, im „O-Ton“ von dabei auftretenden Problemen und Bearbeitungsprozeduren, von Höhen und Tiefen zu erfahren, positiv zu bewerten.
Fazit
Das Buch kann für Promovierende im erziehungswissenschaftlichen, sozialarbeitswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Bereich, aber auch für Studierende, die in diesen Disziplinen Qualifikationsarbeiten erstellen, empfohlen werden. Orientierung und Inspiration geben können beispielsweise die beschriebenen Qualitätsstandards einer Qualifikationsarbeit, die unterschiedlichen methodischen Zugänge, die Beispiele für „good-practice“ und dafür, wie trotz aller Probleme eine Arbeit zum Abschluss kommen kann.
Rezension von
Prof. Dr. Erika Steinert
Prof. i. R., Hochschule Zittau/Görlitz
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