Mariele Diekhof: Kita Kitopia
Rezensiert von Jutta Daum, 28.02.2017
Mariele Diekhof: Kita Kitopia. Eine Reise ins Land der spannenden Pädagogik für PädagogInnen und Eltern. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG. (Dortmund) 2015. 320 Seiten. ISBN 978-3-8080-0777-8. D: 26,95 EUR, A: 27,80 EUR, CH: 43,65 sFr.
Autorin
Mariele Diekhof ist Kita-Beraterin, Fortbildnerin und Autorin. In ihrer Weiterbildungsstätte Kitopia in Berlin bietet sie Teamfortbildungen an, die sie auch als ‚Verwöhnseminare‘ bewirbt.
Entstehungshintergrund
Die Kindertagesstätten haben sich in den letzten 15 Jahren stark gewandelt. Von einem Ort, an dem Kinder stundenweise betreut und kleine Spielangebote erhalten, gehören sie inzwischen zur 1. Stufe des formalen Bildungswesens und werden als zentrale Basis für die Schullaufbahn angesehen. Kindertagesstätten von heute sind daher zum einen Bildungsorte, zum anderen aber auch zu Lebensorte geworden, an denen Kinder von früh an einen großen Teil ihres Alltages verbringen. Kindheit von heute findet daher meist in zwei geteilten Aufenthaltsorten, dem häuslich-familiären Umfeld und der Kindertagesstätte, statt. Es gehört daher zu einer der zentralen Herausforderung von Kindertagesstätten, ihren gesetzlich geforderten Bildungsanspruch mit den Bedürfnissen von kleinen Kindern nach Sicherheit, Wohlbefinden und Autonomie bei der Gestaltung eines lebens- und familiennahen Alltags in Einklang zu bringen.
Das vorliegende Buch geht in der Auseinandersetzung mit diesen grundsätzlichen Themen der Elementarpädagogik einen ganz eigenen Weg.
Aufbau und ausgewählte Inhalte
In der Einleitung lädt die Autorin die LeserInnen freundlich „zu einer abenteuerlichen und spannenden Reise ein, die uns durch ein aufregendes Land führt, durch ein Land voller Phantasie, Zauberei, Bildung und Lebenslust. Sie benötigen kaum Gepäck. Eine Portion Neugierde und Wissensdurst vielleicht, die Lust sich treiben zu lassen und eine Prise Entdeckerfreude reichen vollkommen aus für unsere gemeinsame virtuelle Reise durch das Abenteuerland der Kita ‚Kitopia‘“(16). Diese Reise durchläuft 24 Stationen, die inhaltlich folgende Bereiche thematisieren:
- Naturraum/Außengelände
- Funktionsräume (Bau-, Kreativ-Rollenspielraum etc.)
- Leitung
- Team
- Partizipation
- Eltern,
- Entspannen, Essen, Körperpflege
- Krippe
Im Folgenden wird der Inhalt von drei Themen vorgestellt:
Das Kapitel „Die Tür zum Bauraum“. Hier erhält der Leser Einblick und Anregungen wie dieser Raum mit den dargebotenen Materialien gestaltet werden kann, mit welchen Dokumentationsformen das Tun der Kinder gewürdigt und für die Eltern transparent gemacht werden kann. Schließlich wird im Unterabschnitt „unsere Rolle als Begleiter und Be(ob)achter“ das eigene professionelle Selbstverständnis erläutert. “Unsere Professionalität drückt sich nicht darin aus, die Kinder mit unseren Ideen und Einfällen zu ersticken, sondern ihnen ein spannendes Abenteuerfeld zu bieten, damit sie eigensinnig ihre eigene Welt und sich selbst erkunden können“ (95).
Das Kapitel „Die Tür zur Ruhe-Oase“. Mit einer „Wellness-Kiste“ (Eltern- und Großelternspenden von Salzkristalllampen, Decken, Entspannungsmusik, Duftlampe Massageöl, feines Porzellangeschirr u.v.m.) kann ein Kita-Raum in eine „Oase der Stille“ verwandelt werden, um Kindern im Laufe des Kita-Alltags mit einem sporadisch stattfindenden „ Wellnesstag „Ausgewogenheit“ und „seelisches Wohlbefinden“ zu ermöglichen. Dahinter steht die Haltung, mit diesen Erfahrungen, Kindern einen Gegenpol zum schnelllebigen und leistungsorientierten Kindheitsalltag erlebbar zu machen, „Lasst den Kindern ihre Kindheit“ (157) gilt als Leitmotiv professionellen Handelns, um anstelle einer weit verbreiteten Förderhysterie Räume zu eröffnen und frei von einer übertriebenen „Angebotspädagogik“ Kindern ihr eigenes Entdeckungsfeld zu ermöglichen. Die Vorbildfunktion der Erwachsenen spielt im sozialen Miteinander eine große Rolle und trägt dazu bei, auf welche Art und Weise Kinder lernen, miteinander einen respektvollen Umgang zu praktizieren.
„Die Tür zum Büro der Leitung“ zieht sich mit fünf Kapiteln wie ein roter Faden durch das vorliegende Buch. Aufgabe und Verantwortung einer Leitung ist es, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen, „unter denen eine gemeinsame Weiterentwicklung auf hohem Niveau im Team gedeihen kann.“(56) Hierzu gehören u.a. als Standard „30 Minuten philosophieren im Team“ zur Bereicherung, wie auch als Tankstelle für Energie und Kraft im Alltag. Leitprinzip des Leitungsstils wird als „Leiten mit Leichtigkeit und Professionalität“ mit „gelebter Fehlerkultur“ (110) beschrieben. In einer Mappe „Leiten von A – Z (111) werden zentrale Abläufe und wiederkehrende Fragen im Tagesgeschehen festgehalten und sollen bei Abwesenheit der Leitung dem Team wie auch der Stellvertretung Handlungssicherheit geben. „Neben den formulierten Aufgaben finden sich Beschreibungen, Hinweise, Vordrucke, Texte, Tipps und Formblätter, die direkt mit der Aufgaben zu tun haben.“(112)
Kommunikation und Informationsfluss erleichtern einen komplexen Arbeitsalltag in der Kita. Voraussetzung ist dabei, dass sich die Fachkräfte an die getroffenen Vereinbarungen halten. Hierzu werden im „Beschlussbuch“ Vereinbarungen und Beschlüsse im Team kurz und knapp formuliert eingetragen zu organisatorischen Regelungen (z.B. zu Urlaub oder Aufsichtspflicht) und pädagogischen Fragen wie z.B. „entspricht eine Musik-Dauerberieselung dem Grundbedürfnis des Kindes. Tut es dem Kind gut?“ (114). Das oft aufwendige Nachlesen in Protokollen bleibt erspart, Sicherheit und Klarheit wird ermöglicht. Eine Mappe mit Adressen, Verantwortungen, Beschlüsse, Sicherheit, Protokolle, Berechtigungen, Allergien, Fortbildungen, Jahres-Kalendarblatt gehört zum Arbeitsmaterial jeder Erzieherinnen. Diese Methoden sollen Leiten und professionelles Arbeiten erleichtern, ohne in einen „übertriebenen Dokuwahn“ (277) zu verfallen.
Eine weitere Säule von Leitungsaufgaben sieht die Autorin in der Ausstattung der Kita. Wie wird die Kindertagesstätte zu einem Ort, an dem möglichst viel positive Energie fließen kann? Hierfür werden „Prinzipien zur Vermeidung von Reizüberflutung in der Kita“ (200) vereinbart: „Wir nehmen uns bewusst mit überladenden Deko-Vorstellungen zurück, um genügend Platz und Raum für die Kreativität und Phantasien der Kinder zu schaffen. Die verkramten, vollgestellten und lustig bunten Räume mit einem Überangebot an Spielmaterialien tun den Kindern nicht gut und gehören nun endgültig der Vergangenheit an.“ (203) Stattdessen werden die Materialien in gut gekennzeichneten Schachten und ästhetisch ansprechenden Körben aufbewahrt, unifarbene Stoffe und sparsame bemalte oder beklebte Fenster wie klar strukturierte Dokumentationswände tragen zur Reizreduktion bei.
Diskussion
Der Titel des Buches weist bereits daraufhin, dass es hier um eine Vision und eine Phantasiereise geht. Die Autorin nimmt die Leserschaft auf eine Reise ins Land der Utopie mit. Sicherlich erscheinen so manche Beschreibungen eines Alltags in der „Kitopia“ realitätsfern und märchenhaft. Verfügen alle Kinder immer über so hohe soziale Kompetenzen? Ist der Umgang untereinander immer so entspannt und wertschätzend? Doch diese verwunschene Reise ins Land der Utopie regt zum Nachdenken an. Sie setzt einen erfrischenden Gegenpol zu den im ErzieherInnenalltag so häufig bestimmenden „Ja, aber“. So verdeutlicht die Aussage „wer will findet Wege, wer nicht will, findet Gründe“, dass Pädagogik auf das engste mit Haltung und Lebenseinstellung der Fachleute verwoben ist und bestimmt wird von dem Blick auf die häufig nicht optimalen Rahmenbedingungen. Sicherlich geht es nicht darum schlechte Rahmenbedingungen schön zu reden, doch sollten Fachkräfte sich in der Achtsamkeit für das eigene Wohlbefinden schärfen und das Potential vorhandener Möglichkeiten nutzen.
Hierzu bietet das vorliegende Buch der Leserschaft praxisnahe und konkrete Ideen für die Umsetzung und zeigt Grundlagen elementarpädagogischer Arbeit auf:
- Der Raum in seiner Strukturiertheit und ästhetischen Gestaltung mit einer wohlüberlegten Anordnung und Präsentation der Materialien, um die Kinder zum selbsttätigen Tun, Erforschen, Entdecken und Ausprobieren anzuregen. Das Reggio-Prinzip, Alltagsmaterialien statt fertige Spielmaterialien zu nutzen, zieht sich als ein Leitprinzip in den einzelnen Kapiteln durch.
- Das Wohlbefinden und die Behaglichkeit für Kinder, Eltern und Fachkräfte stärken; Stressfaktoren wie Lautstärke mindern, aber auch für sich sorgen mit Tee und warmen Lichtquellen.
- Auf die Zeit für das gemeinsame Nachdenken und den gegenseitigen Austausch im Team (Philosophieren) als eine wichtige Basis für Arbeitszufriedenheit achten und dabei das eigene Handeln mit seinen pädagogischen Handlungsprinzipien abgleichen.
- Sich bewusstmachen, dass die Transparenz und Begründung des eigenen pädagogischen Handelns auch gegenüber Eltern Ausdruck der eigenen Professionalität bedeutet.
- Die Themen der Kinder wie z.B. sie im Situationsansatz als Leitgedanke formuliert werden, aufgreifen und Kinder mit ihren Aussagen wahr und ernstnehmen.
- Dafür sind Beobachtung und Dokumentation unabdingbares Handwerkszeug von Fachkräften in der Elementarpädagogik
- Der wertschätzende Umgang unter den Fachkräften, mit den Kindern und Eltern, ist Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit und erfordert gleichzeitig auch kontroverse Auseinandersetzungen.
Fazit
Mit seiner visionären Darstellung des pädagogischen Arbeitsfelds Kindertagesstätten ermöglicht der vorliegende Band dem Leser auf kreative und spielerische Art, die eigene Praxis insbesondere von festgelegten Handlungsprinzipien kritisch zu reflektieren und Impulse für Veränderungen in das Gespräch mit Kolleginnen und dem gesamten Team mitzunehmen. Es regt daher zu einer anderen Sichtweise an und bietet daher sowohl für die Aus- und Fortbildung als auch für die Praxis eine wertvolle Diskussionsgrundlage.
Rezension von
Jutta Daum
Erziehungswissenschaftlerin (M.A.), Gießen
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