Anja Peltzer, Angela Keppler: Die soziologische Film- und Fernsehanalyse
Rezensiert von Michael Christopher, 07.06.2016
Anja Peltzer, Angela Keppler: Die soziologische Film- und Fernsehanalyse. Eine Einführung. De Gruyter Oldenburg (Berlin) 2015. 183 Seiten. ISBN 978-3-11-036759-1. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
Thema
Viele wissenschaftliche Fachgebiete werden von Medien wie Film und Fernsehen tangiert. Diese medialen Produkte erregen die Aufmerksamkeit der dort Forschenden, da sie die Fähigkeit besitzen, tief in das kulturelle Gedächtnis einzuwirken. So beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft genauso mit dem Film wie die Psychologie, die Philosophie oder die Mathematik. Medien sind zum großen Teil in unserer Gesellschaft omnipräsent. Doch gerade dies ist das Problem der wissenschaftlichen Betrachtung des Phänomens Film. Die Film- und Fernsehwissenschaft hat ihr spezielles Handwerkszeug und bedient sich selbst bei anderen Wissenschaftszweigen, um darüber hinaus Zusammenhänge zu ergründen. Für die Soziologie haben die Autorinnen nun ein Lehrbuch, bzw. einen Leitfaden, zusammengestellt um Film und Fernsehen für die Fachdisziplin entsprechend analysieren und die Ergebnisse auch nutzen zu können.
Autorinnen
Die beiden Autorinnen arbeiten gemeinsam in Mannheim an der Schnittstelle von Medien und Soziologie. Anja Peltzer ist akademische Rätin und Angela Keppler Professorin am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft an der Universität in Mannheim.
Aufbau und Inhalt
Die Einführung in die soziologische Film- und Fernsehanalyse ist von seinem Ziel her ein Lehrbuch und daher ebenso strukturiert. Der Aufbau des Buches begleitet den Leser von der Idee, bzw. der Aufgabenstellung, über die Methodik hin zur Präsentation einer eigenen wissenschaftlichen Filmanalyse. Zur Untermauerung des Wesentlichen sind wichtige Aussagen der Autorinnen hervorgehoben und dienen als Leitsätze für das Gelingen einer Filmanalyse.
Bereits im Vorwort konkretisieren die Autorinnen die Bedeutung der Medien für ihr Fachgebiet. Film und das Fernsehen tragen ständig „zur Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit bei“ (VII) und modifizieren das Wissen und die Werte der Mitglieder sozialer Gemeinschaften (vgl. ebd.).
Einführung. In der Einführung stellen die Autorinnen die Relevanz des soziologischen Interesses an einer Film- und Fernsehanalyse in den Vordergrund. Peltzer und Keppler sehen mediale Produkte als Reaktionen auf das gesellschaftliche Umfeld in denen sie entstehen, weswegen sie als Bestandteil einer gesellschaftlichen Dynamik diese nicht nur beschreiben, sondern auch formen. Sie verorten die Analyse in den Wissenschaftskanon der Soziologie und untermauern, dass die Untersuchung am Film eine qualitative Methode im interpretativen Paradigma der Soziologie sei. Der Forschungsprozess sollte zwar ergebnisoffen geführt werden, die Autorinnen nennen es die Integration des systematischen Zweifelns, aber die Vorgehensweise sollte kontrolliert sein.
Forschungsdesign. In erster Linie sehen die Autorinnen die Grundbedingung für die Arbeit in einem Erkenntnisinteresse. Das klingt im ersten Moment banal, doch ist es entscheidend für das Gelingen einer Arbeit. Dabei geht es Peltzer und Keppler hier um die Fragestellung (Forschungsfrage), den Stand der Forschung und die Begründung der Relevanz der eigenen Untersuchung. Nach einer theoretischen Einführung veranschaulichen die Autorinnen ihre Aussagen in nachvollziehbaren Beispielen. Nachdem der eigene Arbeitsauftrag definiert worden ist und sich die Forschungsfrage nun auf einzelne Aspekte eines medialen Produkts bezieht, muss, nach den Autorinnen, der Untersuchungskorpus eingegrenzt werden. Anhand von zwei weiteren Beispielen zeigen Peltzer und Keppler die Anwendungsmöglichkeiten.
Analyseverfahren 1: Mikroebene. Nachdem die Grundbedingungen einer Analyse von den Autorinnen geklärt worden sind, stellen sie das Handwerkszeug einer Film und Fernsehanalyse vor. Am Anfang steht die Vorstellung einzelner technischer Bedingungen der visuellen Medien. Sie beschreiben Kameraeinstellungen, Schnitt, Sound, Sprache und Musik und verweisen auf die Bedeutung von Filmtranskripten für die Analysetätigkeit.
Analyseverfahren 2: Makroebene. Das nächste Kapitel bewegt sich auf der Ebene von Erzählung und Erzählstrategien, den Zeitebenen der Erzählung, der Figuren (-Konstellation), des filmischen Blickwinkels und des Genre. Außerdem wird auf außerfilmische Konnotationen geblickt.
Analyseverfahren 3: Interpretation. Die Interpretation liegt nach Peltzer und Keppler in der Erläuterung der dem Film innewohnenden Bedeutungen. Hierbei ist auf der einen Seite die Analyse von Schlüsselszenen wichtig, wobei man die Makro-Ebenen des Films nicht vergessen dürfe, um sich nicht im Detail zu verirren. Neben einer Detailanalyse sind auch Komparative Analysen ein wichtiges Feld. Dabei verdeutlichen die Autorinnen, dass es nicht das Ziel einer Analyse sein kann, ein umfassendes Bild abzugeben, sondern die Forschungsfrage überprüfbar zu beantworten.
Darstellung der Ergebnisse. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Präsentation der Analyse in einer schriftlichen Arbeit. Es zeigt, wie ein Text aufgebaut sein kann und wie man sein Filmtranskript im Text integrieren kann.
Diskussion
In erster Linie ist dieses Buch ein Lehrbuch für Studierende der Soziologie und an diese ist es auch gerichtet. Hierfür stellt es einen Standard bereit, der sich hinter dem zur Verfügung stehenden Handwerkszeug im Bereich der Film und Fernsehwissenschaften nicht verstecken muss. Darüber hinaus stellt es auch Grundfragen zur film- und fernsehsoziologischen Arbeit. Dem Diskursiven des filmtheoretischen Philosophierens wird hier eine sozialwissenschaftliche Methodik entgegen gestellt. Damit tritt sie der Unsicherheit der Soziologie gegenüber den populären Medien entgegen. Auch werden, wie u.a. das Kommunikationsmodell von Watzlawick, Themen angesprochen, die in der Filmwissenschaft eher marginal betrachtet werden.
Die Sprache der Autorinnen ist frisch und verständlich. In Teilen eignet sich der Text sogar als wissenschaftliche Referenz, da sich die Autorinnen grundsätzliche Gedanken zu einer soziologischen Film-und Fernsehanalyse gemacht haben. Der Hinweis, dass es sich in der Praxis als hilfreich erwiesen habe, drei Filmstills in einer Reihe zusammenzufügen (175), ist jedoch sehr problematisch. Die Integration von Filmstills, d.h. Bilder die für eine große Leinwand geschaffen worden sind, auf eine Höhe von 2,2cm zu schrumpfen kann sich in keiner Praxis als hilfreich erwiesen haben (siehe hierzu das Beispiel auf 176, in dem wahrhaftig nichts zu erkennen ist). Es stellt sich die Frage, was mit der Präsentation von Stills bezweckt werden möchte, ob sie den Text unterstreichen oder nur als grafisches Beiwerk dienen sollen. Im Grunde ist von einer solchen Praxis nur abzuraten.
Im Buch finden sich, ganz nach einem pädagogischen Duktus, viele Wiederholungen von bereits Gesagtem, was einen stets daran erinnert, dass dieses Werk ein Lehrbuch ist. Kritisch zu beachten ist, dass hier der hehre Versuch einer Standardisierung eines Feldes gemacht wird, das sich selbst ständig Standards schafft und sofort wieder bricht. Dieses „sich-im-Fließen-Befinden“ findet im Buch zu wenig Berücksichtigung (auch: Was ist mit einer 3-D Visualität?). Natürlich kann ein Lehrbuch nicht die gleichen Fragen berücksichtigen wie eine ganze Fachrichtung es vermag, nur weckt es den Schein, dass man einen Film wirklich verstehen kann, wenn man nur das richtige Handwerkszeug anwendet. Jedoch verweisen die Autorinnen anfangs auch darauf, dass man die eigenen Erkenntnisse stets systematisch hinterfragen solle. Hierzu gehört natürlich auch, dass ein Lehrbuch niemals die Antwort auf die eine Frage beantworten könne (siehe hierzu auch 42: Es gebe nicht nur eine korrekte Bestimmung der filmischen Sequenzen).
Der Blick in dem Lehrbuch bleibt ein westlicher. Hollywood und Europa stehen im Fokus der Untersuchungen. Es sind nur wenige Hinweise auf existierende filmtheoretische Modelle/ Schulen vorhanden. Die unterschiedlichen Ansätze zur Filmwissenschaft werden hier zusammengeführt und homogenisiert. Besonders im Kapitel der Makroebene ist kaum filmphilosophische Literatur zu Erzählstrategien zu finden. Dabei könnten die Cultural Studies oder die Postkolonialen Studien, z.B. in Bezug auf Migration oder Marginalität, viel Input für eine soziologische Film- und Fersehanalyse beisteuern. Negativ fällt zudem eine zu hohe Selbstreferenzialität der Autorinnen auf, ohne dass es für ein Lehrbuch zwingend notwendig wäre.
Fazit
Viele Studierende stehen vor der Aufgabe eine Film- oder Fernsehanalyse zu schreiben wie versteinert. Denn über Filme reden können alle, aber das wissenschaftliche Schreiben über ein populäres Produkt ist eine besondere Herausforderung. Abgesehen von den Film- und Fernsehwissenschaften wird ihnen das Handwerkzeug kaum gelehrt. So ist ein Lehrbuch, das den Studierenden an die Hand nimmt und ihm zeigt, was mit einer Film- oder Fernsehanalyse alles möglich ist, sehr nützlich.
Darüber hinaus positionieren die Autorinnen die Medien als Quelle für die soziologische Forschung, was das Buch aus der wissenschaftlichen Nische eines Lehrbuchs herauskatapultiert und auch im wissenschaftlichen Sinn (in den Aussagen zur Bedeutung des Films für die soziologische Forschung) zitierfähig macht.
Trotz einiger Kritikpunkte ist dieses Buch ein sehr gutes Lehrbuch für das Erstellen einer studentischen Filmanalyse. Der Aufbau des Werkes, die Hervorhebung des Wichtigen, hilfreiche Checklisten, konkrete Beispielanalysen und solide Tipps geben dem Studierenden ein exzellentes Werkzeug an die Hand, das sich nicht vor anderen Einführungen in die Filmanalyse verstecken muss.
Rezension von
Michael Christopher
Filmwissenschaftler, Theaterwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift manycinemas
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Zitiervorschlag
Michael Christopher. Rezension vom 07.06.2016 zu:
Anja Peltzer, Angela Keppler: Die soziologische Film- und Fernsehanalyse. Eine Einführung. De Gruyter Oldenburg
(Berlin) 2015.
ISBN 978-3-11-036759-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/19987.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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