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Marc Walter, Daniel Sollberger et al.: Persönlichkeits­störungen und Sucht

Rezensiert von Dr. rer. nat. Volker Premper, 05.04.2016

Cover Marc Walter, Daniel Sollberger et al.: Persönlichkeits­störungen und Sucht ISBN 978-3-17-026096-2

Marc Walter, Daniel Sollberger, Sebastian Euler: Persönlichkeitsstörungen und Sucht. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. 160 Seiten. ISBN 978-3-17-026096-2. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 34,50 sFr.

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Autoren

  • PD Dr. med. Mark Walter ist Chefarzt an der Psychiatrischen Klinik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Er ist dort bereits seit 1999 beschäftigt zunächst als Assistenzarzt, seit 2007 als Oberarzt und seit 2012 als Leitender Arzt. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychoanalytischer Psychotherapeut. Seine wissenschaftlichen und klinischen Schwerpunkte sind Persönlichkeitsstörungen und Abhängigkeitserkrankungen.
  • PD Dr. med. Dr. phil. Daniel Sollberger Chefarzt am Zentrum für Spezifische Psychotherapien und Psychosomatik sowie Chefarzt am Zentrum für Psychosoziale Therapie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Zuvor dort Leitender Arzt des Zentrums für spezielle Psychiatrie. Lehrtätigkeiten an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel sowie am Ausbildungszentrum für Psychoanalytische Psychotherapie.
  • Dr. med. Sebastian Euler ist Leiter der Ambulanz des Zentrums für Spezielle Psychotherapie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin. Ausbildung in Psychoanalytischer und Mentalisierungsbasierter Therapie. Schwerpunkte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen und Gruppenpsychotherapie

Ziel und Zielgruppe

Der vorliegende Band ist Teil der im Kohlhammer Verlag erscheinenden Reihe „Sucht: Risiken – Formen – Interventionen“. Mit dieser Buchreihe ist die Intention verbunden, einen umfassenden Überblick, über neue Entwicklungen in Prävention, Diagnostik und Therapie von Suchterkrankungen zu geben. Die Zielrichtung wird folgendermaßen formuliert: „In jedem Band wird auf die interdisziplinären und praxisrelevanten Aspekte fokussiert, es werden aber auch die neuesten wissenschaftlichen Grundlagen des Themas umfassend und verständlich dargestellt.“ Der Anspruch ist also hoch.

Das Buch gehört zum sogenannten „Track 3: Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten.“ Er gibt einen Überblick, über Schwierigkeiten, die bei Patienten mit gleichzeitigem Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung und einer Suchterkrankung entstehen können. Berater und Behandler sehen sich bei Vorliegen beider Störungsbilder besonderen Herausforderungen gegenüber. Auf Ätiologiemodelle, Diagnostik sowie Interventions- und Behandlungsansätze wird fundiert eingegangen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf Erklärungsmodelle und Therapiemöglichkeiten bei Vorliegen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gelegt. Mit diesem Buch, wie mit der gesamten Reihe, sollen Praktiker und Interessierte aus den Arbeitsfeldern Suchtberatung, ambulante und stationäre Therapie, Rehabilitation und Prävention angesprochen werden. Auch Studierenden, der Psychologie, der Pädagogik, der Medizin sowie der Pflege wird die Lektüre empfohlen.

Inhalt

In den Kapiteln 1 und 2 wird ein Überblick zur Problematik der Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen gegeben. Neben einem kurzen Abriss zur Epidemiologie wird herausgearbeitet, dass das gleichzeitige Vorliegen beider Störungsbilder einem komplizierenden Faktor für die Diagnostik und die Behandlung darstellt. Die Überlagerung der Störungsbilder erschwert es häufig, einen geeigneten Behandlungsplan zu entwickeln, der beiden Störungsbildern und deren gegenseitiger Beeinflussung gerecht wird. Die Autoren heben hervor, dass eine Komorbidität zwischen Persönlichkeitsstörung und Suchterkrankungen häufig ist und dass eine korrekte Diagnose beider Erkrankungen essentiell für eine erfolgversprechende Behandlung ist. Bleibt eine der beiden Störungen undiagnostiziert oder unbehandelt, so ist auch die Prognose für die jeweils andere Störung ungünstiger. Illustriert wird dies durch drei eindrückliche Fallvignetten.

Im 3. Kapitel wird nach einer grundlegenden Charakterisierung von Persönlichkeitsstörungen auf die Symptomatik und den Verlauf von spezifischen Persönlichkeitsstörungen eingegangen, die besonders häufig gemeinsam mit Suchterkrankungen auftreten. Dabei wird ein kompakter und prägnanter Überblick über die Entwicklung der Konzepte von Borderline-Persönlichkeitsstörung, narzisstischer Persönlichkeitsstörung und antisozialer Persönlichkeitsstörung gegeben. Besonders im Hinblick auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird betont, dass es ohne Behandlung der Persönlichkeitsstörung kaum eine dauerhafte Besserung der Suchterkrankung zu erwarten ist. Es wird nachvollziehbar verständlich gemacht, wie der Konsum von Alkohol oder Drogen für den Patienten zwar eine zeitweilige Linderung der Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung zu erbringen vermag, jedoch letztlich zu einer Verschlimmerung der Symptomatik beiträgt.

Das 4. Kapitel widmet sich Entstehungsmodellen und der Psychodynamik von Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen. Neben genetischen und neurobiologischen Einflussfaktoren wird ausführlich auf psychodynamische Erklärungsansätze eingegangen. Unterschiedliche Ausgangspunkte und die Entwicklung der Konzepte werden dabei gut nachvollziehbar dargestellt. Auf die Konzeptualisierung von Persönlichkeitsstörung als Identitätsstörung, als Bindungs- und Traumafolgestörung sowie als Mentalisierungsstörung wird in übersichtlicher und gut verstehbarer Weise eingegangen. Suchterkrankungen werden im Wesentlichen als Störungen gesehen, die vor dem Hintergrund einer prämorbide bestehenden anderen psychischen Erkrankung, häufig einer Persönlichkeitsstörung, entstanden sind. Gleichzeitig wird betont, dass die Eigendynamik einer Suchterkrankung oftmals „die ursprüngliche Psychodynamik der Patienten überlagern kann“.

In Kapitel 5 werden die Diagnosekategorien nach ICD und DSM vorgestellt, ebenso wie die wichtigsten klinischen Interviews und testpsychologischen Verfahren.

Im umfangreichsten 6. Kapitel werden psychotherapeutische Behandlungsansätze vorgestellt. Ausgangspunkt ist gemäß den vorher dargelegten Zusammenhängen, dass ohne hinreichende Behandlung der Persönlichkeitsstörung keine nachhaltige Behandlung von Suchterkrankungen möglich ist. Es wird deutlich gemacht, dass sich der therapeutische Blickwinkel bezüglich Persönlichkeitsstörungen in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert hat. Sie werden nicht mehr als statisch und nahezu unbehandelbar angesehen, vielmehr konnten mittels evidenzbasierter Behandlungsmethoden unterschiedlicher Provenienz oftmals erhebliche Remissionsraten erzielt werden. Als Fundament für spezifischere Therapieansätze werden grundlegende Behandlungsprinzipien dargelegt, wie sie vor allem in der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen entwickelt wurden. An spezifischen Therapieverfahren wird auf die „Übertragungsfokussierte Psychotherapie“, die „Mentalisierungsbasierte Therapie“, die „Dialektisch-behaviorale Therapie“ sowie die „Schemafokussierten Therapie“ eingegangen.

Es wird hervorgehoben, dass dem Therapeuten bei gleichzeitigem Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung und einer Suchterkrankung eine aktiviere Rolle zukommt wie sonst in psychodynamisch ausgerichteten Verfahren üblich. Der Therapeut übernimmt zum Teil soziale Modellfunktion, er lebt gelingende Emotionsregulation und Umgehen mit Frustrationserlebnissen vor und unterstützt so den Patienten, dies bei sich aufzubauen. Gesondert wird auf „Narzisstische Dynamiken und Sucht“ sowie sich daraus ergebenden Implikationen für die Therapie eingegangen. Es wird herausgearbeitet, dass die Psychotherapie mit Suchtpatienten mit gleichzeitiger narzisstischer Problematik häufig eine Gradwanderung ist. Um den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung muss sich sehr bemüht werden, gleichzeitig bleibt diese jedoch stets fragil, insbesondere wenn der Patient zur Reflexion und zur Auseinandersetzung mit seinen Erlebens- und Verhaltensweisen angehalten wird.

Im Weiteren werden besondere Problematiken in der Behandlung von Patienten mit antisozialer Persönlichkeitsstörung aufgeführt. Die Wichtigkeit von fallzentrierter Supervision, an der alle Beteiligten des Behandlungsteams beteiligt sind, wird an dieser Stelle nachdrücklich begründet. Zum Abschluss des 6. Kapitels wird kurz auf pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen und bei Suchterkrankungen eingegangen. Es wird deutlich, dass diesen eher eine adjuvante Funktion zukommt. Eine Ausnahme stellt die Substitutionsbehandlung bei Opiatabhängigkeit dar.

Diskussion und Fazit

Den Autoren ist es gelungen, dass komplexe Thema der Persönlichkeitsstörung mit komorbiden Suchterkrankungen kompakt und fundiert darzustellen. Grundlegende Informationen zu den Störungsbildern, zu Problemen bei der Beziehungsgestaltung und in der Behandlung werden gegeben. Wichtige Rahmenbedingungen für die Therapie und allgemeine Behandlungsprinzipien werden benannt. Herausragend ist die kompakte und gleichzeitig fundierte und gut nachvollziehbare Darstellung der Ätiologiemodelle und der Therapieverfahren. Die spezifischen Herausforderungen und Fallstricke und erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten werden dargestellt. Dies gilt besonders für die Ausführungen zur Borderline-Persönlichkeitsstörung und zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Bei den bei den spezifischen Therapieverfahren ist vor dem Hintergrund der dargelegten Ätiologiemodelle besonders die Darstellung der übertragungsfokussierten Psychotherapie und der mentalisierungsbasierten Therapie gelungen. Das hier Dargelegte knüpft sehr gut an die zuvor aufgeführten Ätiologiemodelle an. Mehr Raum hätten in der Darstellung noch die Dialektisch-behaviorale Therapie und die Schematherapie verdient. Auch für kognitiv verhaltenstherapeutische Ansätze (Fiedler, 2000) wäre mehr Beachtung angemessen gewesen. Gänzlich fehlt leider die klärungsorientierte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen (Sachse et al. 2011). Ein ebenfalls gut ausgearbeiteter differenzierter Therapieansatz für den deutliche Evidenz vorliegt.

Insgesamt ist der vorliegende Band sehr lesenswert. Die Autoren haben es verstanden, ein komplexes Thema kompakt und dabei gleichzeitig fundiert und verständlich darzustellen. Rahmenbedingungen und grundlegendes Behandlungsprocedere werden klar beschrieben. Ätiologiemodelle und spezifische Behandlungsansätze insbesondere psychodynamischer Provenienz werden überzeugend und nachvollziehbar dargestellt. Den von den Herausgebern der Reihe formulierten Anspruch (s. o.) wird der Band gerecht. Er kann uneingeschränkt allen, die mit den genannten Patientengruppen arbeiten, sowie allgemein allen an dem Themenfeld Interessierten zur Lektüre empfohlen werden.

Rezension von
Dr. rer. nat. Volker Premper
Leitender Psychologe, MEDIAN Klinik Schweriner See, Lübstorf (Mecklenburg-Vorpommern)
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Es gibt 17 Rezensionen von Volker Premper.

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Zitiervorschlag
Volker Premper. Rezension vom 05.04.2016 zu: Marc Walter, Daniel Sollberger, Sebastian Euler: Persönlichkeitsstörungen und Sucht. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. ISBN 978-3-17-026096-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20008.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.


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