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Georg Peez (Hrsg.): Kinder zeichnen, malen und gestalten

Rezensiert von Prof. Dr. Marion Baldus, 04.04.2016

Cover Georg Peez (Hrsg.): Kinder zeichnen, malen und gestalten ISBN 978-3-17-028731-0

Georg Peez (Hrsg.): Kinder zeichnen, malen und gestalten. Kunst und bildnerisch-ästhetische Praxis in der KiTa. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. 187 Seiten. ISBN 978-3-17-028731-0. 34,99 EUR.

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Thema

Das Buch gibt einen umfassenden Einblick in die Bedeutung, Entwicklung und Gestaltung bildnerisch-ästhetischer Prozesse in der frühen Bildung. Zeichnen, Malen und Gestalten werden als kindliche Zugangsweisen zur Welt verstanden, die Individualität, Kreativität und Persönlichkeitsbildung befördern. Wie frühpädagogische Einrichtungen Kinder in dieser Form von Weltaneignung kompetent unterstützen können, wird anschaulich dargelegt.

Autor

Georg Peez ist Professor für Kunstpädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Neben dem Studium der Kunstpädagogik hat er Freie Malerei und Grafik an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt studiert. Im Jahr 2015 ist er mit dem „1822-Universitätspreis für exzellente Lehre“ ausgezeichnet worden.

Entstehungshintergrund

Nach mehreren richtungsweisenden Veröffentlichungen zur kunstpädagogischen Praxis in der Schule konzentriert sich Georg Peez in dieser Publikation auf die bildnerisch-ästhetische Praxis in Kindertagesstätten. Er widmet sich damit einem Bildungssektor, der tendenziell in seiner Bedeutung nach wie vor unterschätzt wird. Indem er ein theoretisch exzellent fundiertes Grundlagenwerk vorlegt, trägt er zur Anerkennung und weiteren Professionalisierung dieses Arbeitsfeldes bei.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in 14 Kapitel.

Nach der Erläuterung zentraler Begriffe stellt der Autor die wichtigsten Phasen der Entwicklung der Kinderzeichnung und des plastischen Gestaltens dar. Daraufhin widmet er sich dem Thema der diagnostischen Verwendung und Analyse von Kinderzeichnungen und reflektiert diese kritisch. Dabei stellt er sowohl entwicklungspsychologische als auch psychoanalytische Blickweisen auf Werke von Kindern vor und versorgt den Leser mit hilfreichen Beurteilungskriterien zur Validität und Sinnhaftigkeit von Tests und Analysen.

Ob Ergebnisse bildnerisch-ästhetischer Aktivität von Kindern überhaupt als Kunst bezeichnet werden können und sollten, fragt Peez im nächsten Kapitel. Die Linie, die er hier vertritt, lässt sich prägnant verkürzt als Appell an Trennschärfe bezeichnen. Er plädiert dafür, Werke von Kindern von einem Kunstanspruch zu befreien, mit dem Argument, dass ein solcher Anspruch „nicht den Kindern, sondern nur den Erwachsenen“ (Peez, S. 107) nütze. Vielmehr gibt er – unter Bezugnahme auf Arno Stern – zu bedenken, dass eine Überfrachtung der Werke von Kindern deren individuellen Ausdruck eher einschränken als positiv unterstützen könne.

Dem Begriff der Kunst stellt er in seinen weiteren Ausführungen den Begriff der Kreativität gegenüber. Kreativität wird als Theorem und Schlüsselkompetenz beleuchtet und ein Diagnosebogen zur Einschätzung kreativer Produkte von Kindern (nach Bergner 2013) vorgestellt. Ergebnisse renommierter Kreativitätsforscher werden skizziert und Rahmenbedingungen eines kreativitätsbegünstigenden Umfeldes aufgezeigt.

Welches Verständnis von Kunst und bildnerischer Gestaltung den Bildungsplänen für den Elementarbereich zu Grunde liegt, untersucht Peez anschließend anhand konkreter Beispiele aus einzelnen Bundesländern. Die Bilanz fällt ernüchternd aus. Mit einem lakonischen Augenzwinkern fragt er nach, „wer hier was von wem übernommen hat“ (Peez, S. 123). Nicht selten spürt er Parallelen im wording bis hin zu identischen Formulierungen oder das Weglassen von Quellen für Zitate und Forschungsergebnisse auf. Hier gibt es eindeutigen Optimierungsbedarf.

In einem nächsten Abschnitt widmet sich Peez den Themen Kulturelle Vielfalt, Heterogenität und Inklusion und macht die Kunstpädagogik damit anschlussfähig an aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft und Bildungspolitik. Er gewährt Einblicke in Ergebnisse transkultureller Studien zur Kinderzeichnung und kontextualisiert damit Schema-Bildungen und Bildgegenstände. Zugleich weist er auf die Grenzen transkultureller Vergleichsstudien hin und plädiert damit indirekt für vertiefende Studien unter transparenten Bedingungen. Dass kein Weg vorbeiführt an einer kultursensiblen und inklusiven Frühpädagogik, unterstreicht er schließlich mit seinem Appell an eine „Orientierung an den individuellen Interessen und Entwicklungsmöglichkeiten jedes einzelnen Kindes“ (Peez, S. 135-136). Mit Bezugnahme auf Annedore Prengel (2014) entfaltet er die Heterogenitätsdimensionen einer inklusiven Pädagogik, die „vom Gemeinsamen aller Kinder“ (Peez, S. 139) ausgeht und zugleich ihre Verschiedenheit als Ressource betrachtet.

Dass Kunst und bildnerisch-ästhetische Praxis nicht nur die eigene kreative Produktivität von Kindern in der KiTa meint, sondern auch die Begegnung mit Kunst in Museen umfasst, legt Peez anschließend überzeugend dar. Anhand von Praxisbeispielen zeigt er anschaulich auf, wie das Betrachten von Kunst kindgemäß gestaltet und idealer Weise mit bildnerischer Eigenaktivität kombiniert werden kann. Das Wechselverhältnis zwischen Rezeption und Produktion von Kunst wird so als Quelle sinnvoller, ganzheitlicher Bildungsprozesse leicht nachvollziehbar.

Bevor das Buch mit einem Kapitel über die Rolle der Kunst in der Montessori-, Waldorf- und Reggio-Pädagogik schließt, widmet sich der Autor dem Thema Sexualität und sexualisierte Gewalt an Kindern. Während er verdeutlicht, dass die Darstellung geschlechtsspezifischer Merkmale in Kinderzeichnungen als ein nicht ungewöhnliches, sondern vielmehr sehr verbreitetes Phänomen zu verstehen ist, grenzt er im Kontrast dazu Situationen ab, in denen Motive sexualisierter Gewalt in Zeichnungen erkennbar erscheinen. Er betont die Hinweisfunktion solcher Bildmotive auf potentiell vorliegende sexuelle Traumatisierungen, appelliert an die aufmerksame und umsichtige Wahrnehmung durch die Fachkraft und warnt zugleich vor Fehlinterpretationen und Aktionismus. Hier, wie auch an anderen zentralen Stellen des Buches, verdeutlicht der Autor, wie wichtig stets Expertise und fundiertes Wissen für einen adäquaten Umgang mit diagnostischen Aspekten kindlicher Darstellungen sind. Mit Verweisen an die entsprechende Fachliteratur und zu konsultierende externe Fachkräfte rundet er die Ausführungen zu dieser sensiblen Thematik sinnvoll ab.

Diskussion

Das Buch überzeugt in mehrfacher Hinsicht: Nicht nur wird Grundlagenwissen anschaulich vermittelt, sondern auch eingeordnet, systematisiert und sinnvoll verknüpft. Exkurse in transkulturelle Studien, die Darstellung von Sexualität, das Eingehen auf Beeinträchtigungen und Heterogenität weisen das Buch als eine wertvolle Orientierungslinie für eine zeitgemäße bildnerisch-ästhetische Praxis in frühpädagogischen Kontexten aus. Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsthematik ist das Eingehen auf die Bedeutung des zeichnerischen Ausdrucks von Kindern als nonverbales Kommunikationsmedium – auch über potentielle Traumatisierungen – wegweisend.

Ein klares Plus des Buches ist der sorgfältige und umfassende Umgang mit Referenzliteratur. Das gut sortierte Literaturverzeichnis stellt einen hilfreichen Ausgangspunkt für vertiefende Lektüre dar. Trotz der hohen Zitat- und Referenzdichte wirkt der Text an keiner Stelle überfrachtet oder unnötig akademisiert. Im Gegenteil vermag es der Autor, erfrischend lebendig und praxisnah zu schreiben und so seinen Leser auch in eher theoretisch angelegten Texteinheiten in den Bann zu ziehen. Die wichtigsten Subjekte seiner Betrachtungen - Kinder auf dem Weg der Weltentdeckung und Weltaneignung – erscheinen durchgängig in einem ihnen gebührenden, glanzvollen Licht: als eigenwillige Schöpfer und kreative Gestalter ihrer Welt. Der Autor macht unvermittelt klar, dass diese Raum, Zeit und Hingabe ihrer Eltern, Erzieher und Lehrer zur Unterstützung ihrer bildnerisch-ästhetischen Tätigkeit mehr als verdienen. In dieser Lesart kann das Buch als ein Appell an die Bildungspolitik verstanden werden, Kunst und Kreativität endlich einen zentralen Platz einzuräumen.

Fazit

„Kinder zeichnen, malen und gestalten“ ist ein „must to have“ Buch, das nicht nur in Einrichtungen der frühen Bildung, sondern auch im Bücherregal von Familien mit kleinen Kindern einen festen Platz verdient. Es bietet eine hervorragende Navigationshilfe durch die Vielzahl an Forschungsergebnissen zu bildnerisch-ästhetischen Entwicklungsphasen von Kindern; dies jedoch stets leicht verständlich und nachvollziehbar. Aktuelle Herausforderungen an die frühe Bildung werden sinnvoll aufgegriffen und hinsichtlich ihrer Relevanz für die bildnerisch-ästhetische Praxis reflektiert. Im Mittelpunkt steht eine Betrachtungsweise, die gestalterische Prozesse von Kindern als Quelle von Wachstum, Welterkundung, Weltaneignung und Subjektivitätsentwicklung versteht. Dem Autor gelingt es, viel Sympathie zu erzeugen für das große – häufig nicht ausgeschöpfte - Potential der gestalterischen Energie und Freude von Kindern. Damit wirbt er indirekt für mehr Verständnis, Gewährenlassen und Freiräume für ihre Explorationen. Nicht zuletzt diese Haltung zeichnet das Buch als Gewinn für eine breite Leserschaft aus. Eltern wie Pädagoginnen wird „Kinder zeichnen, malen und gestalten“ dabei helfen, Kinder in ihren bildnerisch-kreativen Ausdrucksformen besser zu verstehen und sie dabei zu ermutigen, die Welt mit allen Sinnen zu erobern.

Rezension von
Prof. Dr. Marion Baldus
Hochschule Mannheim
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Es gibt 14 Rezensionen von Marion Baldus.

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Zitiervorschlag
Marion Baldus. Rezension vom 04.04.2016 zu: Georg Peez (Hrsg.): Kinder zeichnen, malen und gestalten. Kunst und bildnerisch-ästhetische Praxis in der KiTa. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. ISBN 978-3-17-028731-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20019.php, Datum des Zugriffs 04.10.2024.


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