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Nayla Fawzi: Cyber-Mobbing

Rezensiert von Dipl. Sozialpädagogin Monika Hirsch-Sprätz, 01.06.2016

Cover Nayla Fawzi: Cyber-Mobbing ISBN 978-3-8487-2422-2

Nayla Fawzi: Cyber-Mobbing. Ursachen und Auswirkungen von Mobbing im Internet. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2015. 2. durchgesehene Auflage. 152 Seiten. ISBN 978-3-8487-2422-2. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 36,50 sFr.

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Autorin

Die Autorin Dr. Nayla Fawzi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Von 2003 bis 2008 Studium der Publizistik, BWL und Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Auslandssemester an der Université der Bourgogne in Dijon. Studentische Hilfskraft bei verschiedenen Projekten am Institut für Publizistik. Thema der Magisterarbeit: „Ärger im Netz – Ursachen und Auswirkungen von Cyber-Mobbing“. Seit September 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit 2014 akademische Rätin auf Zeit am Lehrstuhl von Prof. Reinemann. 2014 Promotion zum Thema "Machen Medien Politik? Medialisierung der Energiepolitik aus Sicht von politischen Akteuren und Journalisten". Seit 2014 Mitglied des Management Committees der COST Action IS1308 „Populist Political Communication in Europe“ . Frühjahr 2015 Visiting Scholar am European Institute der Columbia University, New York. Weitere Lehr- und Forschungsaufenthalte an der Universität Zürich, am Dublin Institute of Technology und der Universität Amsterdam.

Entstehungshintergrund

Diverse Cyber-Mobbingfälle von Jugendlichen und Lehrern, Web 2.0, begünstigende technische Möglichkeiten, dauerhafte Speicherung von Negativeinträgen im world wide web, unbegrenzte Personenkreise und anonyme Urheber veranlassten u.a. die Autorin sich dem Thema wissenschaftlich zu nähern. Neun persönliche, Leitfaden gestützte Interviews mit ExpertInnen aus Deutschland, sieben schriftliche Interviews mit anglo-amerikanischen ExpertInnen und vier Betroffenen-Interviews, bildeten die Grundlage der Erhebungen.

Aufbau

Das Buch, 152 Seiten stark, startet mit einem Vorwort zur 2. durchgesehenen Auflage und einem weiteren Vorwort zur 1. Auflage. Im darauf folgenden Inhaltsverzeichnis werden neun Kapitel aufgeführt:

  1. Einleitung (S. 13-16);
  2. Mobbing und Interpersonale Kommunikation, Klatsch mit seiner sozialen Funktion, traditionelles Mobbing und reziproke Effekte, auch in Bezug auf die Opfer (S. 17-30);
  3. Cyberspace und Computerkommunikation, Internet und Handy, wie auch deren Nutzung durch Jugendliche, Medienkompetenz (S. 31-43);
  4. Cyber-Mobbing mit Definition und Merkmalen, den Rollen der Täter/Opfer und Zuschauer, Methoden, Ursachen und dem aktuellen Forschungsstand (S. 45-67);
  5. Anlage und Durchführung der Untersuchung mit Experteninterviews und Interviews mit Opfern (S. 69-79);
  6. Ergebnisse zu den Experteninterviews und den Auswirkungen auf die Opfer (S. 81-131);
  7. Diskussion und Fazit mit Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder (S. 133-140);
  8. Literaturverzeichnis (S. 141-150) und zuletzt der
  9. Anhang – mit je einem Leitfaden für die Experten- und Opferinterviews, wie auch einem Fragebogen für die angloamerikanischen Experten (S. 151-152).

Jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung. Diverse Tabellen, Abbildungen und Fußnoten begleiten den Textverlauf.

Inhalte

Cyber-Mobbing oder Cyber-Bullying ist – wie das Face-to-Face-Mobbing (hier traditionelles Mobbing genannt) auch – ein Thema mit vielen Seitenaspekten (rechtliche Aspekte, direktes-indirektes Mobbing, Userverhalten im Netz, etc.). Frau Dr. Nayla Fawzi konzentrierte sich in ihren Untersuchungen auf zwei Aspekte: die Alltagskommunikation im öffentlichen Raum des Social Webs und auf die jugendlichen TäterInnen und jungen Heranwachsenden in Verbindung mit der Bedeutung der Peergroup.

Die Autorin spricht in Kapitel 2 über den Aspekt der interpersonalen Kommunikation oder computervermittelnden Kommunikation, einer wechselseitigen Interaktion zweier oder mehrerer Personen. Sie meint hier eine Kommunikation, die im Kontext als „soziales“ und zielgerichtetes Handeln mittels Symbolen, Zeichen und Codes zu verstehen ist, welches sich auf das Verhalten anderer bezieht und sich im weiteren Verlauf daran orientiert. In diesem Zusammenhang weist die Autorin auf die soziale Funktion des Klatsches hin, aber auch, dass eine Folge von Klatsch das Mobbing sein kann. Dr. Fawzi benennt im Weiteren einige Persönlichkeitsmerkmale von Tätern und Opfern und die psychosozialen Auswirkungen von Mobbing auf die Opfer im Rahmen des Face-to-Face-Mobbings.

Kapitel 3 beschreibt das Nutzungsverhalten von Jugendlichen, bezogen auf Internet und Handy-Dienste. Digitale Medien werden als vierte, eigene Sozialisationsinstanz für Jugendliche neben Elternhaus, Schule und Peergroup beschrieben. Auf die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung trotz vorhandener Rechtsgrundlagen wird hingewiesen, wie auch auf die notwendige Vermittlung von Medienkompetenz an Jugendliche.

Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand gibt Kapitel 4. So existiert noch keine allgemein gültige Definition von Cyber-Mobbing. Es werden die Rollen der Akteure nochmal beleuchtet und es wird sich auch den Zuschauern gewidmet. Medium (Handy/Internet), Kanäle (Video, Social Communities, Chats, Online-Spiele, SMS, etc.) und Öffentlichkeitsgrad (öffentlich, halb-öffentlich, privat) werden tabellarisch aufgeführt, wie auch die Methoden des direkten und indirekten Cyber-Mobbings.

In Kapitel 5 geht es um das Forschungsinteresse zum Thema, die Auswahl, Methode und Durchführung der Experten- und Opferinterviews, die Datenaufbereitung und Analyse.

Die Expertenergebnisse und die Auswirkungen auf die Opfer bilden den Schwerpunkt des Buches und werden in Kapitel 6 ausgeführt. Neben einer Definition von Cyber-Mobbing werden Merkmale wie Internet/Handy, Text/Bild/Video, Unsichtbarkeit, Unabhängigkeit von Raum und Zeit, mangelnder gemeinsamer Handlungskontext, Dauerhaftigkeit, große Reichweite, geringe Unterstützungsmöglichkeit der Zuschauer und Wehrlosigkeit des Opfers eruiert. Im weiteren Verlauf liegt das Augenmerk auf den Tätern, Ursachen und Opfern und es wird ein Zwischenfazit gezogen. Dem folgen vier Falldarstellungen von Opferberichten und eine fallübergreifende Auswertung.

Diskussion

Unter den aufgeführten Erkenntnissen fand ich wesentlich, dass die Untersuchungen diverser im Buch zitierter Forscher ergaben, dass eine Auswirkung der computervermittelnden Kommunikation die Verarmung von Kommunikation auf der psychosozialen Ebene und der Verlust von typisch Menschlichem, wie Empathie und Emotionalität, zugunsten von Ökonomie, Kommerz, Kontrolle und Manipulation ist. Dabei wurden das Kanalreduktions-Modell (S.34) und Filtermodelle (S.34) kurz benannt. Letzteres konzentriert sich auf Alter, Aussehen, Status, etc. und bleibt gleichzeitig anonymisierend, erfasst jedoch viele weitergehende Aspekte einer Person nicht. So können sich Individuen in der virtuellen Welt als Teil einer anonymen Masse fühlen, sich auch falsche Identitäten geben und sich aus der persönlichen Verantwortung für ihre Handlungen stehlen. Dies kann eine enthemmende Wirkung haben und aggressives und beleidigendes Verhalten fördern.

Wurde zu Beginn des Internetzeitalters auf die Selbstregulierungskraft im Netz vertraut, setzt die EU heute darauf, das Internet zu einem rechtssicheren Ort zu machen. Der deutsche Gesetzgeber trägt bisher in angezeigten Fällen von Mobbing/Cyber-Mobbing (auf der Grundlage einer persönlichen Einschätzung der Betroffenen) in keinster Weise deren Relevanz Rechnung, auch nicht den weisungsgebenden EU-Gesetzen. Auch können die einzelnen Gerichtsbarkeiten und Länder unterschiedliche Urteile fällen und Ergebnisse in der Rechtsverfolgung aufweisen oder Provider einfach mit ihrem Server in ein anderes Land umziehen oder User ihre IP wechseln. Hoffen lässt allein die geplante Überleitung des noch bestehenden Bundesdatenschutzgesetzes in ein einheitliches Datenschutzgesetz (EU-DSGSO) für alle europäischen Länder im Frühjahr 2018.

Was das etwas kurz angerissene Thema der Medienkompetenz betrifft, fragt sich die Autorin zu recht, wer Jugendliche diese beibringen soll, da sich Jugendliche die Kenntnisse über Neue Medien lange vor ihren Eltern aneignen, bzw. sich innerhalb ihrer Peergroup und damit außerhalb der Erwachsenenwelt informieren. Die Medienwirkungskompetenz (Begriff der Autorin) ist bei den meisten mobbenden Jugendlichen nicht ausgeprägt, zumal die rein technische Medienkompetenz für Mobbing-Interventionen schon ausreicht.

In den Untersuchungen wird zudem eine deutliche Diskrepanz zwischen den Wahrnehmungen der Opfer und denen der Täter sichtbar, speziell bezogen auf das anti-soziale Verhalten der Täter und die Wehrlosigkeit der Opfer. Interessante Hinweise auf passives und aktives Opferverhalten enthalten die Tabellen der Autorin zu Intention und Verhalten der Täter und Konsequenzen (S.90), Auswirkungen bei den Opfern (S.122, S.126) und die vier Falldarstellungen der ausgewählten Opfer (2 SchülerInnen & 2 LehrerInnen). Es zeigte sich, dass Entschuldigung, Bestrafung, Aussprachen, offizielles Ansprechen der Vorfälle, Täter die sich rechtfertigen müssen, Verständnis und Unterstützung für die Opfer sehr wichtig sind bzgl. Aufarbeitung / Erleichterung in der Situation, auch wenn damit das Problem noch nicht gelöst ist.

Ein wichtiges Ergebnis aus den Interviews war auch, dass im Gegensatz zum Face-to-Face-Mobbing schon 2-3 Vorfälle ausreichen, um von Cyber-Mobbing zu sprechen, da die Einträge dauerhaft abrufbar sind.

Leider sind die Ergebnisse der Untersuchungen nicht repräsentativ und daher nicht verallgemeinerbar. Sie zeigen jedoch Tendenzen auf. Die Autorin weist dabei selbst auf die Notwendigkeit von Langzeitstudien hin.

Die Vielzahl von anderen hier zitierten Forschungsquellen macht die Lektüre an der ein oder anderen Stelle etwas holprig. Leider endet das Buch auch nur mit Appellen ohne das WIE der Handlungsebene zu beleuchten, was ich als Praktikerin etwas enttäuschend finde, da es mittlerweile durchaus wissenschaftliche Studien zum Thema mit mehr Handlungsansätzen gibt. Trotzdem würde ich den Band denjenigen empfehlen, die über aktuelle Studien zum Thema informiert sein und auch mal gerne zwischen den Zeilen auf Entdeckungsreise nach wesentlichen Botschaften gehen möchten.

Fazit

Eine wesentliche Erkenntnis des Buches ist, dass die computervermittelte Kommunikation direkt das Verhalten der Individuen beeinflusst. Es wird darauf hingewiesen, dass neue Kommunikationsgewohnheiten und -umgebungen entstehen, die die Formen des menschlichen Zusammenlebens zentral verändern und somit die Kultur und Gesellschaft insgesamt und das nicht nur virtuell. Es geht um die Veränderung fundamentaler Normen und Regeln und des sich darauf aufbauenden Sozialverhaltens.

Experten (im Buch unterteilt in Medienskeptiker und Medienfokussierer) weisen deshalb auf die Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion hin. Eltern müssen Medienkompetenz erwerben und sich intensiver mit der virtuellen Welt ihrer Kinder befassen. Schulen haben neben der Aufklärung über Neue Medien die dazugehörenden sozialen und emotionalen Kompetenzen zu vermitteln. Schulministerien benötigen Leitfäden. Und der Gesetzgeber hat sich mit einer einheitlichen Definition zu befassen, wie auch mit einer einheitlich-rechtlichen Handhabung.

Rezension von
Dipl. Sozialpädagogin Monika Hirsch-Sprätz
Supervisorin, Mediatorin und Leiterin der Mobbingberatung Berlin-Brandenburg. Arbeitsschwerpunkte: Information, Beratung, Training, Moderation, Konfliktmanagement, Mediation, Kooperation mit interdisziplinärem Experten-Netzwerk. Face-to-Face- und Online-Beratung. Bereiche: Schule, Ausbildung und Arbeitswelt.
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Es gibt 25 Rezensionen von Monika Hirsch-Sprätz.

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Zitiervorschlag
Monika Hirsch-Sprätz. Rezension vom 01.06.2016 zu: Nayla Fawzi: Cyber-Mobbing. Ursachen und Auswirkungen von Mobbing im Internet. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2015. 2. durchgesehene Auflage. ISBN 978-3-8487-2422-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20091.php, Datum des Zugriffs 17.09.2024.


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