Tomasz G. Pszczółkowski: Deutschland - Polen
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Berg, 14.12.2015

Tomasz G. Pszczółkowski: Deutschland - Polen. Eine kulturkomparatistische Untersuchung. transcript (Bielefeld) 2015. 236 Seiten. ISBN 978-3-8376-3273-6. D: 32,99 EUR, A: 34,00 EUR, CH: 40,30 sFr.
Thema
In Deutschland wie in Polen befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den kulturellen Unterschieden zwischen beiden Ländern. Zugleich können sich auch die kulturwissenschaftlichen Traditionen und Interessen, insbesondere aktuelle Entwicklungen und akademische Strukturen unterscheiden. Grundsätzlich stellen sich beim Vergleich immer methodologische Fragen der Komparatistik.
Autor
Der Autor ist Professor für interkulturelle Kommunikation und Deutsche Geschichte an der Universität Warschau.
Aufbau
Der vorliegende Band umfasst fünf Kapitel sowie eine ausführliche Literaturliste und eine Zusammenfassung auf Polnisch.
Zunächst (bis S.106) befasst sich der Autor mit den zentralen Begriffen „Vergleich“, „Kultur“ sowie „Kulturwissenschaft“. Im 3. Kapitel (45 S.) erstellt er eine Liste von Kulturfeldern, die sich für den Vergleich eignen.
Im 4. Kapitel (20 Seiten) veranschaulicht der Autor Probleme der Übersetzung am Beispiel der Begriffe „Profanierung“, „Pazifizierung“, „Vater Staat“ und „Politische Korrektheit“.
Das 5. Kapitel (25 Seiten) beschäftigt sich mit Geschichte und Politik im bilateralen Vergleich, mit einem besonderen Blick auf das Verhältnis zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR vor 1989.
Inhalt
Mit diesem Buch wirbt der Germanist Tomasz Pszczółkowski für den Vergleich als wichtige Methode in der Kulturwissenschaft, er wirbt für die vergleichende Kulturwissenschaft.
Während er anhand der einschlägigen (deutschen bzw. polnischen) Wörterbücher zeigt, dass das Vergleichen dem Gleichsetzen und Gleichmachen sehr nahe steht, verzichtet er darauf, den unzähligen Kulturdefinitionen noch eine weitere hinzuzufügen. Mit Blick auf diverse deutschsprachige Wörterbücher macht er aber darauf aufmerksam, dass bei „Kultur“ häufig von „materiellen und geistigen Leistungen der Menschheit“ die Rede ist; im Deutschen werde damit mehr das Resultat, im Polnischen eher die Ausführung assoziiert.
Zum Begriff der „Kulturwissenschaft“ zieht der Autor auch die jeweiligen Wikipedia-Einträge heran. Die polnische Version geht dabei mehr auf den internationalen Hintergrund der Cultural Studies, ein, die deutsche betont das Erbe der Geisteswissenschaften, die zu Kulturwissenschaften im Plural geführt haben. Philologie ist also eine Kulturwissenschaft, die zusammen mit der Kunstgeschichte, der Psychologie usf. Kulturwissenschaften konstituiert. Diese Disziplinen haben allesamt den internationalen Vergleich als Methode gepflegt.
Aus „Zusammensetzungen mit dem Wort Kultur“ stellt Pszczółkowski einen Katalog der deutsch-polnischen Kulturvergleichsfelder auf, von „Ackerbau“ über „Brotkultur“ (Stullen in der Dose) bis zur „Knaypa“. In einigen Fällen werden sprachliche Belege angeführt, etwa für die „Bergbaukultur“, wenn polnische Bergleute „sztygar“ sind, im „sztolna“ arbeiten. Unter dem Stichwort „Bedürfnisanstaltskultur“ erwähnt der Autor, dass Flüche oder Beschimpfungen in Polen mit sexuellen Aktivitäten zu tun haben, im Deutschen mit Fäkalien. Zu jeder -kultur führt er die aktuellen polnischen und deutschen Veröffentlichungen auf.
Beim „Kulturvergleich an ausgewählten Beispielen“ geht es um die Formel vom „Vater Staat“, zu dem die Deutschen nach Ansicht des Autors ein vertrauensvolles Verhältnis hatten und haben, das mit Ordnung und Sicherheit assoziiert werde, sogar Hitler als Vaterfigur zuließ. Demgegenüber seien die Polen Individualisten, die an Gott und Familie/Freunde glauben, nicht aber an den Staat.
Politische Korrektheit ist in Deutschland mehr als in Polen ein Thema, deutlicher auch ironisiert und zum Kampfbegriff der Rechten umgedreht.
In Polen, so der Autor, habe im 19. Jahrhundert der Adel das Nationalbewusstsein entwickelt, in Deutschland das Bürgertum. Insgesamt seien die Polen heutzutage „geschichtsbewußter“. Dagegen hätten die Deutschen mit der Reformation früh gelernt, mit konfessioneller Vielfalt zu leben. Die katholische Kirche Polens hat in der Unfreiheit (während der Teilungen,unter der Herrschaft der Nazis und Kommunisten) die Nation zusammengehalten; bis heute aber ließen sich die Gläubigen (nach Umfragen 95% Bevölkerung) von ihren „Hirten“ bevormunden.
Im Schlusskapitel wendet sich der Autor Themen zu, die eigentlich naheliegen, aber wissenschaftlich kaum bearbeitet wurden: Wie war das Verhältnis zwischen den Ostdeutschen und den Polen vor 1989, wie haben beide Länder den Transformationsprozess nach 1889 bewältigt? Pszczółkowski sieht den größten Unterschied darin, dass die Menschen in der Volksrepublik größere Freiräume hatten, insbesondere auch die Reisefreiheit, aber kaum so etwas wie die Stasi. Zu den Freiräumen gehörten auch die private Landwirtschaft, die katholischen Verlage, die leicht subversive Kunst, etliche nicht-marxistische Hochschullehrer. Der Systemwechsel sei den Polen vielleicht leichter gefallen,weil sie den Kommunismus sowieso nie ernstgenommen hätten.
Diskussion
Der Autor hat eine systematische und mitunter kommentierte Bibliografie vorgelegt, die viele aktuelle und wichtige Studien polnischer wie auch deutscher Kulturwissenschaftler/innen mit Bezug auf das Nachbarland vorstellt. Die philologische Grundlage kommt immer wieder zur Geltung. Die Analyse von Wörterbuch- und Wikipediabeiträgen ist etwas dröge und mitunter unergiebig.
Interessant wird es immer da, wo es um die Regeln des Zusammenlebens, die Selbstverständlichkeiten des Alltags, Einstellungen und Haltungen also geht. Leider referiert der Autor nur wenige Umfragen und Befragungen oder konkrete Beispiele.
Bei einigen Begriffsklärungen ist der Bezug zum aktuellen Sprachgebrauch nicht belegt. Ein kleiner Test mit Studierenden würde jederzeit zeigen, dass spätestens für diese Generation „Vater Staat“ keine relevante Größe mehr ist.
Recht unbekümmert pflegt der Autor den methodologischen Nationalismus, setzt also die aktuellen Staaten mit Kulturen gleich. Obwohl sonst philologisch-politisch sensibel und ambitioniert, spricht der Autor ungeniert die „Wende“ an (bekanntlich ein leeres, vergebliches Reformversprechen der SED im Oktober 1989) – allerdings ist er dabei ja durchaus in Gesellschaft vieler Zeitgenossen, denen eine friedliche Revolution verdächtig demokratisch vorkommt. Der Autor schafft es auch, die Rolle der (keineswegs immer so) „staatsgläubigen“ Protestanten zu ignorieren. Das Wort „Solidarnosc“ sucht man leider auch vergeblich.
Fazit
Der Autor hat einen systematischen Überblick über viele aktuelle und wichtige Studien polnischer wie auch deutscher Kulturwissenschaftler/innen mit Bezug auf das Nachbarland vorgelegt. Er geht auch darauf ein, wie die kulturwissenschaftliche Forschung, Lehre und Studiengänge in beiden Ländern organisiert sind. Er plädiert vehement für komparatistische Ansätze.
Wer sich für einzelne Items, Themen, Felder des Kulturvergleichs und speziell Polen interessiert, findet hier eine Startfläche.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Berg
Hochschule Merseburg
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