Harald Rüßler, Dietmar Köster et al.: Lebensqualität im Wohnquartier
Rezensiert von Prof. Dr. Detlef Baum, 08.04.2016
Harald Rüßler, Dietmar Köster, Janina Stiel, Elisabeth Heite: Lebensqualität im Wohnquartier. Ein Beitrag zur Gestaltung alternder Stadtgesellschaften. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. 218 Seiten. ISBN 978-3-17-025792-4. D: 39,00 EUR, A: 40,10 EUR, CH: 51,90 sFr.
Thema
Das Alter und das Altern haben sich verändert. Wir werden anders alt als unsere Vorfahren, wir haben andere gesellschaftliche Rahmenbedingungen, das Alter und den Prozess des Alterns zu gestalten und wir erleben zunehmend, dass sich die Alten differenzieren. Wir haben immer mehr diejenigen Alten, die nach ihrer Berufsphase aktiv bleiben und etwas tun wollen und wir haben gleichzeitig immer mehr Hochbetagte, die irgendwann auf unsere Hilfs- und Unterstützungssysteme angewiesen sind.
Kommunale Sozialpolitik muss bei der Gestaltung des Sozialen und der Wohnumfeldbedingungen darauf reagieren. Nicht nur, dass eine ortsnahe Versorgung mit den Grundbedarfen des Alltags erforderlich ist. Vielmehr streben die aktiven Alten auch danach, das Soziale mit zu gestalten, mit zu reden bei kommunalpolitischen Entscheidungen im Stadtteil, die sich auch auf ihre Situation beziehen. Teilhabeansprüche werden formuliert, man möchte dazugehören, anerkannt sein, Vertrauen in die sozialräumlichen Strukturen des Alltags haben und schlicht für andere von Bedeutung sein-auch noch im Alter!
Autorinnen und Autoren
- Dr. Harald Rüßler ist Professor für Sozial- und Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund.
- Dr. Dietmar Köster ist Professor für Soziologie an der Fachhochschule Dortmund und derzeit Mitglied des Europäischen Parlaments.
- Janina Stiel (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Dortmund.
- Elisabeth Heite (M.A.) ist stellvertretende Geschäftsführerin des Generationennetzwerks Gelsenkirchen e. V.; zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Dortmund.
Aufbau
Nach einem kurzen Vorwort gliedert sich das Buch in neun Kapitel:
- Einleitung
- Theoretische Leitkonzepte
- Ausgangslage und Fragestellungen
- Methodologischer Rahmen und Methodendesign
- Ruhrgebiet im Fokus
- Quartier im Fokus
- Soziale Intervention - Quartierskonferenzen
- Diskussion und Zusammenfassung
- Ausblick
Am Ende befindet sich eine ausführliche Literaturliste.
Zur Einleitung
In seiner Einleitung formuliert das Autorenteam die Fragestellung und den Rahmen für die Entstehung und Durchführung eines Projektes der Forschungsgruppe „Alternde (Stadt-)Gesellschaften“ an der Fachhochschule Dortmund, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderlinie „Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ gefördert wurde. Neben der Stadt Gelsenkirchen waren noch andere Institutionen an dem Projekt beteiligt, die sich mit dem Alter in der Stadt beschäftigen.
Weiter wird in der Einleitung der demographische Wandel in seinen unterschiedlichen Facetten diskutiert: Hochaltrigkeit, der starke Anstieg der Zahl alter Menschen und der überproportionale Anstieg der älteren Generation gegenüber den jüngeren Generationen.
Die Auswirkungen der veränderten Sozialstruktur auf die kollektive Daseinsvorsorge und auf die Ausgestaltung öffentlicher Räume, wie auch die Veränderungen in den Wohn- und Wohnumfeldbedingungen sind sicher die größten Herausforderungen der Städte. Das Gleiche gilt für die Wohlfahrtsproduktion durch nichtstaatliche Akteure. Alles wird kurz begründet.
Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet sind der sozialräumliche Bezug der Studie und der Untersuchungsraum.
Zu: Ausgangslage und Fragestellungen
Das Autorenteam entfaltet in diesem Kapitel seine Forschungsfragen. Zunächst geht es aber um die Beschreibung des Stands der Forschung, der Theorieentwicklung sowie der Begrifflichkeiten. So setzt sich das Team zunächst auch ausführlich mit dem Begriff und dem Prozess des Alterns auseinander, der sich gewandelt hat und kommt auch zum Wandel des Begriffs Alter. Die Autorinnen und Autoren verstehen das Alter als eine nachberufliche Phase, das im Spannungsfeld von Rückzug und Engagement ein neues Vergesellschaftungsmodell erforderlich macht.
Ebenso geht es um Teilhabe und Partizipation im Kontext des Wandels der lokalen Formen des Regierens, was sie mit dem Begriff der Good Urban Governance umschreiben. Die zentrale Frage ist: Wie lässt sich diese Governance realisieren im Wirkungszusammenhang von verschiedenen kommunalen Akteuren (Verwaltung, Politik, zivilgesellschaftliche Akteure)?
Weiter begründen die Autorinnen und Autoren, warum das Ruhrgebiet, das im Zentrum der Analyse steht, zu einer Modellregion alternder Stadtgesellschaften gestaltet werden kann.
Zu: Theoretische Leitkonzepte
Das Forschungsprojekt „Lebensqualität Älterer im Wohnquartier“ knüpft an theoretische Leitkonzepte an, die den Prozess der sozialen Intervention und die empirische Untersuchung heuristisch begleiten (21). Diese Leitkonzepte sind: Lebensqualität/Lebenslage, Partizipation, Sozialraum- und Quartiersbezug und selbstbestimmtes Lernen im Alter.
Unter Lebensqualität werden einmal die objektiven Lebensbedingungen gemeint, zum anderen der Ausdruck subjektiven Wohlbefindens. Weiter versteht das Autorenteam Lebensqualität als einen integrativen Ansatz, der die subjektive Sicht mit den objektiven Bedingungen zu verknüpfen vermag.
Mit der Lebenslage umschreiben die Autorinnen und Autoren einmal die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume, die dem einzelnen zur Verfügung stehen, zum anderen verweisen sie auf die gesellschaftliche Produktion dieser Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume. Damit wird auch soziale Ungleichheit zu einem wesentlichen Faktor der Lebenslage.
Partizipation wird sowohl als soziale Teilhabe als auch politische Einflussnahme umschrieben und in einem Modell ausführlich dargestellt.
Sozialraum- und Quartiersbezug wird in Anlehnung an M. Löw mit einem Konzept des relationalen Raums verstanden und in Anlehnung an M. Riege als geographischer und administrativer Raum, als Wahrnehmungsraum und als Handlungsraum- und Aktionsraum definiert. Quartiere entwickeln ihre Wohnqualität im Zusammenhang mit ihrer Erreichbarkeit und Zugänglichkeit, ihrer Sicherheit und Vertrautheit, mit den dort vorhandenen Unterstützungssystemen, mit ihrem Anregungscharakter, den Möglichkeiten der Orientierung und der Kontrolle der unmittelbaren Wohnumwelt.
Lernen im Alter meint den individuellen Prozess der Aneignung von Bedeutungen, die die Grundlagen des Handelns bilden. Im Alter werden diese Lernprozesse kombiniert mit lebensgeschichtlichen Ereignissen und Erfahrungen.
Lernen wird demnach nicht mehr als eine reine Vermittlung und Verarbeitung von Informationen und Erkenntnissen verstanden, sondern als ein Prozess der diskurshaften Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie, dann aber auch mit anderen, was das Autorenteam als partizipatives Lernen versteht.
All diese Aspekte werden gründlich und ausführlich diskutiert, mit Literatur unterlegt und mit Studien empirisch begründet.
Zu: Methodologischer Rahmen und Methodendesign
Die Autorinnen und Autoren beschreiben in diesem Kapitel das methodische Vorgehen und ordnen dieses in einen methodologischen und wissenschaftstheoretischen Kontext ein.
Einmal ist es der Bezug die kritische Gesellschaftstheorie, in der Theorie und Empirie dialektisch mit einander verknüpft sind. Zum anderen favorisiert das Autorenteam die praxologische Forschung, die in ihrem Ansatz auch immer ermöglicht, die handelnden Akteure als „Erforschte“ und Forscher zusammen zu bringen.
Es werden dann Erhebungsinstrumente wie Interviews, schriftliche Befragungen, narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung und Auswertungsmethoden vorgestellt und anschließend folgende Phasen der Untersuchung ausführlich vorgestellt und erläutert:
- Phase I Felderschließung,
- Phase II Entwicklung von Pilotmaßnahmen,
- Phase III Umsetzung der Pilotmaßnahmen,
- Phase IV Ergebnisaufbereitung und Entwicklungen eines Handlungsraumen.
Zu: Ruhrgebiet im Fokus
Nach einer allgemeinen Hinführung zum spezifischen Untersuchungsgebiet Gelsenkirchen, in der der Typus „Schrumpfende Stadt im postindustriellen Strukturwandel“ (Bertelsmann-Stiftung) mit den Merkmalen Bevölkerungsrückgang, Wanderungsverluste, Alterung, rückläufige Arbeitsplatzentwicklung, verbunden mit hohen Arbeitslosenquoten und einem vergleichsweise geringen Anteil hoch Qualifizierter beschrieben wird, beschreibt das Autorenteam die kommunalen Rahmenbedingungen in Gelsenkirchen ausführlich. Diese sind weit entwickelt, auch gerade, was die Arbeit mit Älteren betrifft.
Danach erläutern die Autorinnen und Autoren die Auswahl des Referenzgebietes bzw. des Projektstandorts - ein Quartier, das bei der Durchführung die bestmögliche Generierung von Daten verspicht (61).
Im weiteren Verlauf werden die folgenden Tools erörtert, die für die Entscheidung für ein Quartier bestimmend waren: Einmal wurden quantitative Parameter herangezogen wie Bevölkerungszusammensetzung, Bevölkerungsentwicklung und Wohnstabilität, Beschäftigungs- und Armutslage und politische Partizipation. Dann sollten Empfehlungen von Expertinnen und Experten eingeholt werden. Weiter ging es um qualitative Parameter wie seniorenpolitische Kooperations- und Unterstützungsstrukturen, um den Grad der Ambulantisierung, um die kritische Masse bei Beteiligung, um Stadterneuerungsaktivitäten und um den Bestand der beteiligten Wohnungsbaugesellschaft.
Die Diskussion der potentiellen Standorte wurde methodenkritisch begleitet. Dies wird im Detail ausgeführt.
Zu: Quartier im Fokus
In diesem Kapitel beschreibt das Autorenteam den analytischen und empirischen Zugang zum ausgesuchten Quartier. Dabei ging es um soziographische Daten der Stadt, um die Organisation und Durchführung einer schriftlichen Befragung und der Experteninterviews und um die Zusammenstellung aller seniorenrelevanten Einrichtungen, Akteure oder Institutionen im Quartier. Diese Schritte werden für die schriftliche Befragung ausführlich dargestellt; auch einige Ergebnisse werden diskutiert.
Weiter enthält das Kapitel einen Exkurs „Altersarmut im Ruhrgebiet und in Schalke“.
Die vorgestellten Ergebnisse beziehen sich auf Aspekte wie Gesundheit, Einkommen, Wohnverhältnisse, soziale Beziehungen, vor allem auf familiale Netzwerke und Unterstützungssysteme.
Ressourcen und Defizite des Quartiers werden in folgenden Ausprägungen der Lebensqualität identifiziert: Erreichbarkeit und Zugänglichkeit einer gesundheitlichen und alltäglichen Versorgungsstruktur, Sicherheit, Vertrautheit, Unterstützung, Anregung und Stimulierung, Orientierung und Kontrollierbarkeit.
Die Experteninterviews beziehen sich auf die Frage, wie Schalke wahrgenommen wird. Schalke wird dann auch beschrieben, einige Fotos verdeutlichen das Beschriebene.
Wie die Partizipation älterer Menschen wahrgenommen wird, ist eine weitere Frage.
Welche Rolle verschiedene Akteure im Quartier spielen wird ebenso ausführlich dargestellt.
Zu: Soziale Interventionen – Quartierskonferenzen
In diesem umfangreichsten Kapitel beschreiben und analysieren die Autorinnen und Autoren den Prozess der Beteiligung in seinen einzelnen Phasen und seine unterschiedlichen Formen und Dimensionen. Zuvor erläutern sie kurz die Bedeutung und die Funktion von Quartierskonferenzen als zentrales Instrument der Quartiersentwicklung, um dann im weiteren Verlauf ihren Prozesscharakter und die einzelnen Phasen dieses Prozess vorzustellen.
Im Überblick stellen sie ausführlicher die einzelnen Phasen folgendermaßen vor.
- Phase I: Bestimmen der relevanten Handlungsfelder im Quartier. Diese Phase ist durch die ersten beiden Konferenzen bestimmt, in denen Ergebnisse der schriftlichen Befragung vorgestellt und diskutiert wurden (World Café). Weiter wurden Handlungsfelder ausgewählt und Arbeitsgruppen gebildet. Die Handlungsfelder waren Sicherheit und Sauberkeit, Wohnen und Wohnumfeld Mobilität und Verkehr, Öffentlichkeitsarbeit, gemeinschaftliches Zusammenleben, haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheit und Sport, Armut im Alter, mehr Mitbestimmung und Infrastruktur.
- Phase II: Aneignen des Sozialraums durch Arbeitsgruppen. Hier stand die Frage im Mittelpunkt, wie man sich den Sozialraum Quartier systematisch aneignet. Dazu wurden Methoden wie die Nadelmethode und die Stadteilbegehung vorgestellt und angewandt. Die einzelnen Arbeitsgruppen hatten zu jeder der beiden Methoden Leitfragen entwickelt, die referiert werden.
- Phase III: Maßnahmenplanung und -umsetzung. Welche Maßnahmen lassen sich realisieren und wer wäre von Seiten der Stadtverwaltung und von anderen Akteuren für die jeweiligen Maßnahmen der Ansprechpartner?
Fünf Handlungsfelder wurden ausgewählt, die in fortlaufenden Arbeitsgruppen bearbeitet werden sollten:
- Sicherheit,
- Wohnen und Wohnumfeld,
- gemeinschaftliches Zusammenleben,
- Mobilität und Verkehrssicherheit und
- Öffentlichkeitsarbeit.
Alle Themen wurden bezüglich der Methoden der Befragung und der teilnehmenden Beobachtung analysiert und diskutiert.
Im weiteren Verlauf des Kapitels geht das Autorenteam auf Spannungen im Partizipationsprozess ein wie z. B. auf spezifische Konflikte und Problemlagen, die mit den sozialen Interventionen verbunden waren, bzw. deren Wirkungen im interkulturellen Diskurs zu Problemen geführt haben. In diesem Zusammenhang wurde ein Beteiligungsprozess im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ vorgestellt und diskutiert, der teilweise auch einen konflikthaften Verlauf hatte.
Eine weiterer Konfliktpunkt waren rechtsextreme Einstellungen, die auch in der älteren Generation ein Thema sind. Das Autorenteam analysierte dabei, dass sozioökonomische Strukturmerkmale, die individuelle soziale Lage, das Gefühl der Machtlosigkeit, der soziale Zusammenhalt, Kontakterfahrungen und psychosoziale Einflussgrößen bestimmend für die Vorurteilsbildung und für Stereotype sind.
Weiter diskutiert das Autorenteam auf der Grundlage der Daten der eigenen Befragung und anderer Studien den Zusammenhang von Partizipation und Lebensqualität. Dabei werden Indikatoren vorgestellt, die diesen Zusammenhang messen lassen: Wertschätzung, Lernen/persönliche Weiterentwicklung, Empowerment, sozialräumliches Zugehörigkeitsgefühl, Netzwerkeffekte und die Bewertung der Outputs. Alle diese Indikatoren werden ausführlich dargestellt und erörtert.
Die Autorinnen und Autoren beschreiben dann den Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Beteiligung, wobei einige Einzelfälle typisierend vorgestellt werden.
Zunächst geht es um Veränderungen und um Verluste von „primärgruppenhaften“ Beziehungsmustern, die im Rahmen des öffentlichen Charakters der Beteiligung keinen Platz fanden. Dann sind Einkommensarme auf ihren Nahraum verwiesen, womit auch erklärbar ist, warum sich selbst in deprivierten Räumen eine Ortsbindung und Identifikation mit dem Quartier herausbildet. Ältere sind aufgrund ihrer biographischen Situation nicht mehr flexibel genug, um mit divergierenden Handlungslogiken im Diskurs zurecht zu kommen. Damit wird Partizipation auch zu einen Lernfeld und die soziale Ungleichheit zeigt sich dann auch in den kognitiven und psychosozialen Lernvoraussetzungen, die der Einzelne aufgrund seiner Lebensverhältnisse und seines Milieus mitbringt.
Der letzte Teil des Kapitels beschäftigt sich mit einem Handlungsrahmen für eine partizipative Quartiersentwicklung. Dabei werden folgende Aspekte als relevant angesehen:
- Identifikation von Handlungsproblemen im Quartier
- Bestimmung der Handlungsfelder und Konstituieren von der Arbeitsgruppen
- Erkundung des Quartiers und Durchführen von Maßnahmen
- Ermitteln von Prozesseffekten und Sichern der Ergebnisse
- Soziale Nachhaltigkeit als Wirkungsziel
Diese Aspekte werden ausführlich diskutiert und in einem Überblicksschema zusammengeführt.
Zu: Diskussion und Zusammenfassung
Hier werden Absicht und Ergebnisse der Studie noch einmal kurz zusammengefasst. Die Autorinnen und Autoren stellen abschließend fest, dass auf kommunaler Ebene Handlungsspielräume in der Gestaltung des Sozialen, insbesondere in der seniorengerechten Ausgestaltung der kommunalen Sozialpolitik durchaus möglich sind, um ein „gutes Leben“ zu realisieren. Eine „gutes Leben“ ist ein Leben, in dem Individuen zu Akteuren, Betroffene zu Beteiligten gemacht werden und dies über einen besonderen Forschungsansatz: die praxologische und partizipative Forschung. Dieser Ansatz ist anderen Ansätzen in der Alterforschung überlegen. Dies wird kritisch analysiert und reflektiert.
Interessant ist dabei, was das Autorenteam in Anschluss an Empacher unter Nachhaltigkeit versteht. Deren Schlüsselelemente sind Existenzsicherung, Entwicklungsfähigkeit der Systeme und Strukturen, Erhaltung und Weiterentwicklung der Sozialressourcen, Chancengleichheit im Zugang zu diesen Ressourcen und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen.
Zum Ausblick
Hier wollen die Autorinnen und Autoren einen Blick über das Projekt hinaus werfen und nach den Transformationsmöglichkeiten des Projektes fragen. Dabei beziehen sie sich einmal auf den sozialräumlichen Kontext des Quartiers, der aufgrund des lokalen Lebenszusammenhangs eine partizipative Aktivierung der Älteren ermöglicht. Zum anderen ermöglicht der Quartiersbezug ein intergeneratives Handeln, ja sogar Solidarität der Generationen, was sich in den Arbeitsgruppen gezeigt hat. Damit hat das Projekt etwas angestoßen, was man mit lernender Organisation beschreiben kann. Weiter werden Aspekte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und der Profession der Sozialen Arbeit angesprochen, die mit der Projektentwicklung verbunden sind.
Alle Kapitel enden jeweils mit einem Zwischenfazit, das noch einmal das Kapitel zusammenfasst und den Erkenntnisfortschritt gegenüber den vorigen Kapiteln deutlich macht.
Diskussion
Neben kultureller Diversität und Heterogenität und Schrumpfung, neben den Veränderungen, die postindustrielle Gesellschaften für die Stadt mit sich bringen, ist Alterung das zentrale Thema der zukünftigen Stadtentwicklung. Und für Quartiere als Orte sozialer Integration und des sozialen Zusammenlebens wird es immer bedeutsamer, ob Menschen sich dort sozial verorten können, Vertrauen in die sozialräumlichen Strukturen der Alltagsbewältigung haben und ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln können und ob sie für andere relevant sind, von Bedeutung sind – und das alles auch noch im Alter. Insofern ist die Frage, wie eine alternde Stadtgesellschaft mit dem Alter umgeht, auch eine Frage der Entwicklung der Integrationspotentiale der Stadtquartiere und ihrer Ressourcen der sozialen Verortung.
Der Wandel des Alterns als Prozess und des Alters als Zustand bringt es mit sich, dass auch die Alten je nach ihren Ressourcen teilhaben wollen an dieser Entwicklung ihrer eigenen Quartiere. Sie wollen mit reden, mit gestalten, wollen eingebunden sein in diese Gestaltung. Und das sind zentrale Voraussetzungen sozialer Verortung.
Diesen Wandel des Alterns als aktivem Prozess und des Alters als auch eine aktive Phase können wir weitgehend beschreiben und begründen. Ihn aber noch einmal auf der Basis einer empirischen Studie differenziert und vertieft zur Kenntnis zu nehmen, ist hilfreich und bringt auch neue Facetten der Diskussion ans Licht.
Wie also muss eine kommunale Sozialpolitik aufgestellt sein, die in ihren Bemühungen um eine angemessene kollektive Daseinsfürsorge auf die Alten reagiert und was bedeutet es für eine Kommune in der sozialräumlichen Ausgestaltung ihrer Quartiere, jeweils dort ein „gutes Leben“ zu ermöglichen, ein Leben, das Teilhabe ermöglicht, Verantwortung fordert, Identitätssicherung ermöglicht, Solidarität der Generationen gestalten kann und Identifikation mit dem Ort erlaubt?
Diese Studie hat deutlich gemacht, wie differenziert man dieses gute Leben beschreiben und analysieren muss, um angemessene Antworten auf diese Frage zu bekommen.
Fazit
Dieses Buch ist eine empirische Studie, die am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen die Probleme einer alternden Stadtgesellschaft analysiert und dies auf ein Quartier bezieht, das alle Voraussetzungen der Datenerhebung und Analyse erfüllt.
Dabei werden die Lebensqualität und die Lebenslage, die Beteiligung, der Quartiersbezug und das Lernen im Alter zu zentralen Dimensionen der Analyse.
Mit unterschiedlichen Methoden und Erhebungstechniken wird das ausgewählte Quartier untersucht und die sozialen Interventionsmethoden beschrieben, die zu Veränderungen des Quartiers führen und die deutlich machen, wie Quartiersbewohnerinnen und -bewohner auch im Alter zu Akteuren, Betroffene zu Beteiligten gemacht werden.
Das Buch ist ein anschauliches Projekt, in der jeder Schritt nachvollziehbar ist und es ist zugleich komplex und differenziert in der Ausgangsfragestellung und in der Würdigung der Ergebnisse, die dann in einen Handlungsrahmen für eine partizipative Quartiersentwicklung münden.
Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em.
Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt
Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
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Es gibt 172 Rezensionen von Detlef Baum.
Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 08.04.2016 zu:
Harald Rüßler, Dietmar Köster, Janina Stiel, Elisabeth Heite: Lebensqualität im Wohnquartier. Ein Beitrag zur Gestaltung alternder Stadtgesellschaften. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2015.
ISBN 978-3-17-025792-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20100.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.
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