Annelen Schulze Höing: Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen
Rezensiert von Prof. Dr. rer. nat. habil. Sandra Verena Müller, Valentina Nartschenko, 05.07.2016
Annelen Schulze Höing: Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen. Pflegebedarfsanalyse und integrierte Hilfeplanung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. 320 Seiten. ISBN 978-3-17-025742-9. D: 35,00 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 46,90 sFr.
Thema
Das Buch setzt sich mit der Bedeutung und Wirksamkeit der fachgerechten Pflege in der Behindertenhilfe auseinander. Ziel ist es, die Qualität zur Erbringung pflegerischer Leistungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe sicherzustellen. Die Autorin stellt ihr eigens entwickeltes Screeninginstrument Gesprächsleitfaden Pflegeerfassung® vor, welches anhand von Pflegediagnosen Mitarbeitern der Behindertenhilfe Orientierung bei der Ermittlung der Pflegebedarfe geben soll. Diese können zudem in gängige Verfahren der Bedarfsfeststellung und der Hilfeplanung integriert werden.
Autorin
Annelen Schulze Höing ist Pflegefach- und Organisationsberaterin (MSc) und Auditorin. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der ambulanten und stationären Pflege sowie in Leitungspositionen. Weiterhin bietet sie Workshops an und bildet pflegerische Multiplikatoren aus.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich nach dem Geleitwort zur 1. Auflage, dem Vorwort zur 2. Auflage und einem Wegweiser zur Handhabung in fünf Teile.
Die Einleitung im ersten Teil handelt von pflegerischen und haftungsrechtlichen Aspekten in der Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung. Der Begriff der Pflege wird nach seiner Definition und seinem rechtlichen Standpunkt dargestellt. Weiter findet Schulze Höing einleitende Worte, wie die Anforderung an die Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen in der Praxis aussieht. Hierzu gibt es eine Überleitung zum Thema Pflege und Sexualität sowie Alterungsprozess und Umgang mit Sterben und Tod.
Der zweite Teil Konzeptionelle Ansätze zur Integration von Pflege legt die Notwendigkeit dar konzeptionelle Veränderungen wie Leitlinien, Verfahrensanweisungen und Erfassungsinstrumente gemeinsam mit den Mitarbeitern z.B. in Projektarbeiten zu erstellen. Die Autorin empfiehlt, Fachpersonal mit pflegerischer Ausbildung als Multiplikator für Mitarbeiter ohne pflegerische Qualifikation fungieren zu lassen.
In Kapitel 2 führt sie umfassend und mit Hinweis auf die Möglichkeit des Herunterladens aus dem Internet der gesamten Unterlagen, in das von ihr entwickelte Screeninginstrument Gesprächsleitfaden Pflegeerfassung® ein. Diese ist ergänzend zum H.M.B.-W-Verfahren einzusetzen ist und dazu dient, den individuellen Hilfebedarf sowie pflegerische Erfordernisse von Klienten der Eingliederungshilfe zu erkennen. Es ist wichtig bereits zu Beginn eine Pflegediagnose zu stellen. Hierzu gibt es eine ausführliche Anweisung. In einem Auszug wird beispielhaft dargestellt wie der Bereich der Ernährung in der individuellen Basisversorgung erfasst werden kann. Zusammengefasst wird das Ganze in einem Pflegeprozess, welcher als Hilfestellung zur Strukturierung der Handlungsabläufe dient.
Anschließend wird in Kapitel 3 die Arbeitsweise mit dem Gesprächsleitfaden Pflegeerfassung® erläutert. Schritt für Schritt wird anhand von Beispielen ausführlich beschrieben wie das Instrument anzuwenden ist. Es wird deutlich, dass der Austausch im interdisziplinären Team unweigerlich zum Gelingen einer optimalen Pflegeerfassung notwendig ist. Hierzu wird das dazugehörige Formular zum Protokolieren der Pflegebedarfsanalyse online bereitgestellt.
Die Basis für einen korrekten Betreuungsprozess wird in Kapitel 4 Hilfeplanung, Dokumentation, Kostenübernahme Pflege und Aktenführung dargestellt. Es folgt eine Handreichung zur Erstellung von Hilfeplänen und Grundsätze einer fachgerechten Dokumentation, Führung und Archivierung von Klientenakten.
Im dritten Teil Pflegethemen der Grundpflege (Individuelle Basisversorgung) werden die Pflegediagnosen wie z.B. Irritation der Mundschleimhaut, Schluckstörung, Hautschäden oder chronische Wunden strukturiert nach Items des Gesprächsleitfaden Pflegeerfassung® zur Ernährung, Körperpflege, Ausscheidungen (Persönliche Hygiene/Toilettennutzung), Körperliche Mobilität und Schlaf (Aufstehen/zu Bett gehen) im Detail dargestellt. Gegliedert werden diese nach Formen, Symptomatik, Ursachen, Ziele im Rahmen der Hilfeplanung und Maßnahmen/Erfolgsfaktoren. Zusätzlich dazu bietet Schulze Höing vertiefendes Fachwissen.
Das Thema Kommunikation und Orientierung wird im vierten Teil des Buches unter dem Item Kompensation von Sinnesbeeinträchtigungen und Sprachstörungen dargestellt. Es werden die Pflegediagnosen nach eingeschränkter Sprach-, Hör- und Sehfähigkeit sowie eingeschränktes Tast- und Berührungsempfinden und Verwirrtheit sowie im vorherigen Teil gegliedert, aufgeführt.
Der letzte Teil des Buches beinhaltet die Medizinische Pflege (Behandlungspflege). Die Autorin stellt in dem Kapitel das Ausführen ärztlicher und therapeutischer Verordnung anhand von Pflegediagnosen wie akuter und chronischer Schmerz, Juckempfinden, eingeschränkte Selbstreinigungsfunktion der Atemwege, venöse Durchblutungsstörungen, periphere arterielle Durchblutungsstörungen und Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe dar. Um prophylaktisch zu arbeiten und somit die aufgeführten Pflegediagnosen zu lindern und zu verhindern, bedarf es einer guten Beobachtung und einem engen Austausch zwischen Betroffenen, Betreuern, Therapeuten und Ärzten. In den letzten beiden Kapiteln wird der Umgang mit Medikamenten und Künstlichen Darm- oder Blasenausgang thematisiert.
Zusätzlich werden ein Stichwortverzeichnis sowie Links zum kostenlosen Download der Arbeitsmaterialien (Gesprächsleitfaden Pflegeerfassung® und Protokoll Pflegebedarfserfassung) zur Verfügung gestellt.
Fazit
Das Buch „Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung Pflegebedarfsanalyse und integrierte Hilfeplanung“ gibt einen kompakten und fachlich fundierten Überblick über das Thema. In dieser erweiterten 2. Auflage macht die Autorin auf die aktuelle Situation über die bevorstehenden Änderungen des H.M.B.-W. Verfahrens aufmerksam und setzt sich damit auseinander. Durch den stark rechtlich dominierten ersten Teil zu könnte der Eindruck entstehen, dass es in dieser Art weiter geht. Doch es geht übersichtlich und les- und nachvollziehbar weiter.
Frau Schulze Höing bietet einen mehrperspektivischen Blick auf die Pflege bei Menschen mit geistiger Behinderung. Es ist dem Inhalt des Buches anzumerken, dass die Autorin aus der Praxis kommt und den Blick für das Detail hat. Weiterhin führt sie die Pflegediagnosen anhand von diversen anschaulichen Praxisbeispielen auf die dem Leser einen guten und kompakten Überblick geben. Es gibt Links für den Download von dem Gesprächsleitfaden Pflegeerfassung® sowie für das Protokoll Pflegebedarfsanalyse. Die Hinweise zu Vereinen und Selbsthilfegruppen runden das Fachwerk ab.
Das Buch richtet sich an pädagogische Mitarbeiter, Heilerziehungspfleger sowie Pflegefachkräfte die Menschen mit geistiger Behinderung betreuen. Auch könnten an diesem Thema interessierte Studierende davon profitieren. Des Weiteren ist es ist eine Handreichung für Verantwortungsträgerinnen und Qualitätsmanager.
Rezension von
Prof. Dr. rer. nat. habil. Sandra Verena Müller
Diplom-Psychologin, seit 2010 Professorin an der Ostfalia Hochschule für das Lehrgebiet Rehabilitation und Teilhabe. Forschungsschwerpunkte: Inklusion durch Digitalisierung, Der Einsatz assistiver Technologien in der Rehabilitation, Intellektuelle Beeinträchtigung und Demenz, Diagnostik und Therapie exekutiver Dysfunktionen. Aktuelle Forschungsprojekte: Verbundprojekt SmarteInklusion - Smarte Devices zur Förderung der Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt gefördert vom BMBF (Förderkennzeichen: 01PE18011C). Projektleiterin des Teilprojekts „Mobile Endgeräte in der Rehabilitation von Patienten mit exekutiven Dysfunktionen“ im Rahmen des Forschungsschwerpunkts SecuRIn (Förderkennzeichen: ZN3224).
Projekthomepages: www.smarte-inklusion.de und http://securin.de
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Valentina Nartschenko
studierte an der Ostfalia Hochschule Wolfenbüttel Soziale Arbeit. Nach Abschluss arbeitete sie drei Jahre in der Theodor Fliedner Stiftung in der Abteilung Wissenschaft und Forschung als stellvertretende Leiterin im Projekt „Demenzarbeit bei geistiger Behinderung (DAGBE)“ in Kooperation mit der Ostfalia Hochschule.
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Es gibt 1 Rezension von Valentina Nartschenko.
Zitiervorschlag
Sandra Verena Müller, Valentina Nartschenko. Rezension vom 05.07.2016 zu:
Annelen Schulze Höing: Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen. Pflegebedarfsanalyse und integrierte Hilfeplanung. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2015. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-17-025742-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20127.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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