Nicole Justen, Babette Mölders (Hrsg.): Professionalisierung und Erwachsenenbildung
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 11.04.2016
Nicole Justen, Babette Mölders (Hrsg.): Professionalisierung und Erwachsenenbildung. Selbstverständnis - Entwicklungslinien - Herausforderungen. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2015. 192 Seiten. ISBN 978-3-8474-0720-1. D: 33,00 EUR, A: 34,00 EUR, CH: 44,90 sFr.
Thema
Im Mittelpunkt der Publikation stehen Fragen nach dem Kontext von Professionalität, Professionalisierung und professionellem Selbstverständnis im Bereich der Erwachsenenbildung. Mittels Analyse, Hypothesenbildung und Statement sollen die Spezifika der Erwachsenenbildung eruiert werden, die für ihre Professionalitätsentwicklung von Bedeutung sind. Dabei geht es um die Frage nach den Herausforderungen und Entwicklungslinien und deren Auswirkungen auf die Profession.
Herausgeberinnen
Die beiden die Publikation herausgebenden Diplom-Pädagoginnen Nicole Justen und Babette Mölders sind als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Fakultät für Bildungswissenschaften im Fachgebiet Erwachsenenbildung/Bildungsberatung der Universität Duisburg-Essen tätig.
Nicole Justen promovierte nach einem Studium der Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit und Erziehung an der Universität Duisburg-Essen dortselbst 2011 zum Thema: „Erwachsenenbildung und biographische Perspektive. Lebensgeschichten – Bildungsmotive – Lernprozesse“.
Babette Mölders diplomierte zum Thema „Kompetenzen von Mentorinnen und Mentoren. Ansätze der Kompetenzerfassung auf Basis von ExpertInnen-Interviews“ und ist zudem im „Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW“ engagiert.
Entstehungshintergrund
Der Band ist der Professorin für Weiterbildung und Frauenbildung an der Universität Duisburg-Essen Anne Schlüter aus Anlass ihres 65. Geburtstages ob deren Beitrag zur Professionalitätsentwicklung in der Erwachsenenbildung gewidmet. Er besitzt den Charakter einer Festschrift, die sich als ein verschiedene Beiträge beinhaltender Sammelband versteht.
Aufbau
Der Inhalt des Buches findet sich - nach einer Einleitung – in zwölf Einzelbeiträgen, die die spezifischen Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven fokussieren und den aktuellen Stand der Dinge referieren.
Inhalt
Der vorliegende Band geht von diversen Fragestellungen aus, die mittels der jeweiligen Einzelbeiträge Beantwortung suchen: So geht es unter anderem darum, welche Kompetenzen man in der Erwachsenenbildung für den Professionalisierungsprozess benötigt (vgl. Beitrag Ekkehard Nuissl von Rein), welche Selbstwirksamkeitserwartungen seitens der Erwachsenenbildner bestehen (vgl. Julia Schütz und Dieter Nittel), mit welchem Selbstverständnis erwachsenenpädagogische Studiengänge absolviert werden (vgl. Heide von Felden) oder zum Beispiel darum wie Erwachsenenbildung mit Globalisierungs- und Internationalisierungstendenzen umgehen kann (vgl. Clinton Enoch und Steffi Robak)?Ekkehard Nuissl von Rein geht in seinem Beitrag von der gegenwärtigen Situation einer relativ geringen Wertschätzung der Erwachsenen-Bildungsarbeit aus, an der auch jahrzehntelange politische, praktische und wissenschaftliche Bemühungen nichts zu ändern vermochten – was wiederum den in allen gesellschaftlichen Bereichen und quasi in allen denkbaren Gelegenheiten stattfindenden Lernprozessen geschuldet sei. Er zeichnet dies in einem Modell der „Konzentrischen Kreise“ ab, in denen zwar die Erwachsenenbildung den Kernbereich ausmacht, der sich aber im weiteren Verlauf in der nebenberuflichen Erwachsenenbildung bis hin zum Teilbereich einer sich selbst aus Arbeit bzw. Beruf ergebenden beruflichen Tätigkeit verläuft. Somit lautet sein Fazit: Obwohl die Erwachsenenbildung das am engsten mit dem gesellschaftlichen Leben verbundene Bildungsgeschehen sei, werde die Erwachsenenbildung nicht zur sozialen und individuellen Identität derjenigen, die sie betreiben (vgl. S.20). Auch der Beitrag von Wiltrud Gieseke kümmert sich um die Entwicklung der Erwachsenen- bzw. Weiterbildung, die sie von Widersprüchen, Paradoxien, Interessen, Engagement und diskursiven Bedarfen gekennzeichnet sieht.
Christina Buschle und Rudolf Tippelt konzentrieren sich in ihrem Beitrag auf „die Professionalisierung des lehrenden und organisierenden Personals in der Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund heterogener Anforderungen an den Beruf“ (S. 41); sie skizzieren die unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen und deren Konsequenzen hinsichtlich einer Professionalisierung, was wiederum den Fokus auf eine verstärkte Fortbildung, aber auch auf eine offene Kommunikation mit der Erkenntnis richtet, dass bestimmte Erwartungen aller am erwachsenenbildnerischen Prozess Beteiligten erfüllt und ebenso nicht erfüllt werden können.
Wendet man sich den bisher noch nicht genannten Beiträgen zu, so gilt es zunächst auf Nicole Justen näher einzugehen, die das professionelle Selbstverständnis bei Studierenden der Erwachsenenbildung thematisiert und insbesondere der Frage nachgeht „ob biographieorientiertes Lernen im Studium dazu beitragen kann, die Auseinandersetzung mit dem beruflichen Selbstverständnis bei Studierenden der Erwachsenenbildung anzuregen“ (S. 91). Auch hier spielt der Dreiklang von Profession, Professionalität und Professionalisierung ein gewisse Rolle. Justen kommt zu dem Schluss, dass ein biographieorientiertes Lernen innerhalb gestufter BA- und MA-Studiengänge durchaus einen Impuls für ein professionelles Selbstverständnis der Studierenden der Erwachsenenbildung zu geben vermag.
Um einer Professionalisierung der Erwachsenenbildung näher zu kommen stellt Rudolf Egger in einem Beitrag über die Entwicklung erwachsenengerechter Lehrkompetenz an Universitäten die Frage, inwieweit letztere als Erwachsenenbildungseinrichtungen gelten können. Erschwert erscheint ihm das dadurch, dass die Erwachsenenbildung – im Gegensatz zu den klar vorgegebenen Eingangsvoraussetzungen und curricular ausgearbeiteten Qualifizierungsangeboten der Universitäten -durch „eine weitreichend unreglementierte, offene, nonformale Angebotsstruktur geprägt“ (S.108) ist. Dennoch steht seine Forderung im Raum, dass die Universitäten ein spezifisches Selbstverständnis universitärer Lehre entwickeln und in der Schaffung von diesbezüglichen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten Unterstützung finden müssten.
Ingrid Schöll setzt sich in ihrem Beitrag mit der Führung unter den Bedingungen des Qualitätsmanagements auseinander; dazu skizziert sie zum einen den Prozess der Einführung eines Qualitätsmanagements und zum anderen fragt sie nach den Auswirkungen einer verbindlich vorgeschriebenen Einführung eines QM-Systems auf das professionelle Selbstverständnis und auf die Führungsgrundsätze einer Weiterbildungseinrichtung. Zudem wird erkannt, dass eine Verkopplung von Qualitätsmanagement und Organisationsentwicklungsprozessen notwendig ist, was wiederum die Aufgabe der Leitung bzw. Führung ist.
Die nachfolgenden Kapitel beschäftigen sich zum Beispiel mit einer Reflexion pädagogischen Handelns auf der Basis von Videofallarbeit (Sabine Schöb und Josef Schrader), mit der Beschreibung von Erwachsenenbildung an den niederländischen Volksuniversitäten (Ines Schell-Kiehl) oder aber mit den Ergebnissen aus der Evaluationsstudie der Weiterbildungsakademie Österreich / wba (Elke Gruber). Dieser Beitrag schildert die Bemühungen eine künftige erwachsenenpädagogische Professionalisierung über einen spezifischen Kompetenzgewinn etwa durch eine Validierung und Zertifizierung zu erreichen. Gruber zeigt dazu das Modell der wba mit deren Weg über ein Angebot an Aus-, Fort- und Weiterbildungen bis hin zur Anbindung an ausgewählte universitäre Wege auf, weist aber auch darauf hin, dass – als Ergebnis der Studie - künftig noch verstärkt auf Zielgruppen mit komplexeren Kontextstrukturen eingegangen werden müsse. So zum Beispiel auf Nichtakademiker, Nebenberufliche und Ehrenamtliche oder Migranten und Personen aus schwer zugänglichen Regionen (vgl. S. 186).
Diskussion
Es ist schade, dass sich die AutorInnen bzw. die Herausgeberinnen nicht auf eine einheitliche Diktion bezüglich der der männlichen und/oder weiblichen Benennung bei den erwachsenenbildnerisch Tätigen geeinigt haben. So entstehen durchaus kuriose Schreibformen, die den Lesefluss absolut stören. Ein einleitender Hinweis darauf, dass mit einer durchgehend männlichen bzw. weiblichen Benennung stets alle Akteure unterschiedlichen Geschlechts gemeint sind, hätte sicherlich gut getan und weniger störend gewirkt.
Sämtliche Beiträge vermitteln den Eindruck, dass die Erwachsenenbildung und insbesondere deren Akteure unter einem absoluten Mangel an selbstbewusster Professionalität leiden bzw. das eigene Selbstverständnis nicht genügend entwickeln können. Den Selbstwert von Erwachsenenbildung findet man unterrepräsentiert und man müht sich ab, diesen mittels Kompetenzzuwachs und quasi universitärer Nachhilfe steigern zu können. Somit demonstriert der Band mit seinen durchaus erkenntnisleitenden Beiträgen kompetenter AutorInnen die Gravamina eines Berufes, der permanent „sein Licht unter den Scheffel stellt“, wenngleich er dies in einer Welt, die buchstäblich nach mehr und besserer Bildung schreit, nicht nötig hat!
Fazit
Der Band bietet durchaus eine für alle in der Erwachsenenbildung tätigen Lehrenden und Lernenden aufschlussreiche Lektüre, um sich zum einen selbst „spiegeln“ zu können, aber auch um sich Gedanken darüber zu machen, wie gerade wegen der hohen Bedeutung von Erwachsenen- bzw. Weiterbildung eine künftige Kompetenz- und Reputationsverbesserung im Sinne einer unumstrittenen Professionalisierung durch eine selbstbewusstere Professionalität aller Beteiligten gelingen könnte.
Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Zitiervorschlag
Peter Eisenmann. Rezension vom 11.04.2016 zu:
Nicole Justen, Babette Mölders (Hrsg.): Professionalisierung und Erwachsenenbildung. Selbstverständnis - Entwicklungslinien - Herausforderungen. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2015.
ISBN 978-3-8474-0720-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20169.php, Datum des Zugriffs 04.10.2024.
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