Cicely Saunders (Hrsg.): Der Horizont ist nur die Grenze unserer Sicht (Palliative Care / Hospizarbeit)
Rezensiert von Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike, 15.04.2016
Cicely Saunders (Hrsg.): Der Horizont ist nur die Grenze unserer Sicht. Eine persönliche Sammlung ermutigender Texte für Palliative Care und Hospizarbeit. TVZ Theologischer Verlag Zürich (Zürich) 2015. 112 Seiten. ISBN 978-3-290-17836-9. D: 21,90 EUR, A: 22,60 EUR, CH: 24,80 sFr.
Thema
Die 1990 unter dem Titel «Beyond the Horizon» erschienene Textsammlung umfasst Zitate, Gedichte und Erzählungen, die Cicely Saunders in der Begleitung kranker und sterbender Menschen als hilfreich und tröstlich empfand sowie Gedichte von PatientInnen, die ihr in besonderer Erinnerung geblieben sind.
Herausgeberin
Cicely Saunders (1918-2005) war während des Zweiten Weltkriegs als Krankenschwester und danach als Sozialarbeiterin tätig. Sie studierte Medizin, wurde zur Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin und erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Auszeichnungen.
Entstehungshintergrund
Vorliegender Band ist die erste deutsche Übersetzung des von Saunders als Trostschrift bezeichneten Buches. Es soll auch Einblicke in eher unbekannte englische Literatur und Poesie geben. Einige der Texte hat Saunders selbst an Menschen im Hospiz weitergegeben. Die Gedichte von PatientInnen entstanden in der Poesiewerkstatt des St. Christopher´s Hospice in London.
Das Buch ist die dritte im Theologischen Verlag Zürich erschienene Publikation Saunders; nach „Sterben und Leben“, in dem anhand von Artikeln und Vorträgen Einblick in Saunders Denken und Forschen gegeben wird, sowie „…dass du bis zuletzt leben kannst“, einer Darstellung ihrer biografischen und spirituellen Entwicklung.
Aufbau und Inhalt
Viele der in vorliegendem Band enthaltenden Beiträge weisen einen starken Bezug zur christlichen Tradition auf. Das Buch umfasst acht Kapitel, die neben den Passagen und Gedichten jeweils auch einleitende Gedanken und erklärende Zwischenbemerkungen Saunders enthalten. Die Gedichte sind oft zweisprachig, in Deutsch und Englisch, abgedruckt.
1. Die Suche nach Sinn. Dieses Kapitel umfasst, so Saunders, „verschiedene Ausdrucksweisen der Suche nach Sinn inmitten der Ungerechtigkeit des Lebens.“ Es beinhaltet neben Beiträgen, z.B. des Theologen John Austin Baker und des mittelalterlichen Philosophen Boethius, auch Ausschnitte aus dem jüdischen Gebetbuch für Schabbat und Wochentage und Texte von Holocaustüberlebenden. Daneben werden Gedichte von PatientInnen zitiert.
2. Wut, Schuld und Vergebung. Um hilfreiche Herangehensweisen im Umgang mit der eigenen Wut zu erörtern, werden das Gebet aus dem Sohar der jüdischen Mystik in diesem Abschnitt ebenso herangezogen wie Textpassagen aus der Bibel sowie von Schriftstellern und Theologen unterschiedlicher Nationalität und Religionszugehörigkeit. Daneben werden Ausschnitte aus einem Buch von jungen litauischen Frauen zitiert, die in Sibirien gefangen gehalten wurden und das Thema Vergebung wird aus PatientInnenperspektive dargestellt.
3. Leiden. Einleitend zu diesem Kapitel schreibt Saunders, sie habe keinen Weg gefunden, das Geheimnis des Leidens zu akzeptieren. Manche in diesem Abschnitt zitierten Beiträge hätten aber ein wenig Licht ins Dunkel gebracht. Dazu gehören neben Gebeten der bereits erwähnten litauischen Frauen auch Texte des französischen Theologen und Naturwissenschaftlers Teilhard de Chardin und der britischen Pionierin für Trauerarbeit Margaret Torrie. Ein entscheiden Rolle spielt in diesem Kapitel „die Teilhabe Christi am Leiden und somit auch die Verwandlung von Leid, durch die der Mensch Gottes Zuwendung erfahren kann.“
4. Sterben. Neben zwei anderen PatientInnenbeiträgen zeigen in diesem Abschnitt acht Gedichte eines Patienten des Hospizes seine Entwicklung, Gedanken und seinen Glauben. Vor allem umfasst das Kapitel aber Texte von Schriftstellern, die Saunders zu ganz verschiedenen Zeiten als tröstend und ermutigend empfunden hat, während sie Sterbenden zur Seite stand. Auch die Frage nach dem endgültigen Loslassen kommt darin zur Sprache. Saunders schreibt, die Hilfe sei oft durch die Stille gekommen, Worte und Gedanken wie die ihrer Sammlung könnten aber die Fähigkeit bekräftigen, ruhig zu warten und der Gnade zu vertrauen, die weit über alles hinaus geht, was wir zu schenken vermögen.
5. Weggegangen. Mit Texten aus jüdischen Gebetsbüchern, von Lyrikern wie John Masefield oder Theologen wie Ladislaus Boros sowie (früh-) mittelalterlichen Gedichten widmet sich dieses Kapitel dem ewigen Zuhause in Frieden, der Wiedervereinigung und der Zusammengehörigkeit der Menschen.
6. Zurückbleiben. Dieses Teil des Buches umfasst Prosa und Poesie über den Prozess der Trauer. Der Schmerz des Zurückgelassen werden findet darin genauso Beachtung wie – erneut – Schuld und Wut, sowie die Möglichkeit des Wachsens und Reifens, die in der Trauer liegt. Dazu werden Texte von Schriftstellern wie Margery Allingham und Theologen wie Dietrich Bonhoeffer genauso herangezogen wie Gedichte eines freiwilligen Mitarbeiters im Hospiz oder der Mutter einer verstorbenen Patientin.
7. Auferstehung. Augenblicke, in denen im Trauerprozess Erleichterung von der Last des Schmerzes erfahrbar wir, bezeichnet Saunders als Auferstehung. Dazu werden z.B. Texte des Predigers John Bunyan und des Theologen Harry A. Williams, der Autorin Dorothy L. Sayers und des Dichters George Herbert angeführt.
8. Weitergehen. Der Titel des letzten Kapitels soll eine neue Entscheidung für das Leben beschreiben, durch die sich Heilung und Befreiung schließlich Raum schaffen kann. Die Texte dazu stammen u.a. vom Theologen John V. Taylor und dem Folk-Musiker Pete Seeger. Auch der Künstler und Poet Laurence Whistler wird zitiert, ebenso wie der Holocaustüberlebende und Begründer der Logopädie Viktor E. Frankl oder Texte aus einem Kloster. Das Kapitel endet mit einem keltischen Segen.
Diskussion
In diesem insgesamt sehr spirituellen Werk spiegeln sich die kulturellen und geschichtlichen Zusammenhänge wider, in denen sich das Leben und Wirken Cicely Saunders verorten lassen. Das Buch ist damit, wie im Vorwort erklärt wird, „weder als Anleitung für Spiritual Care noch als spirituelle Schatztruhe zu verstehen“ und die Beiträge erschließen sich dem heutigen deutschsprachigen Leser nicht zwingend unmittelbar. Sie können aber die geistlichen und theologischen Fragen aufzeigen, mit denen Saunders sich beschäftigte.
Fazit
Die sehr spirituelle Textsammlung umfasst Zitate, Gedichte und Erzählungen, die Cicely Saunders in der Begleitung kranker und sterbender Menschen als besonders hilfreich und tröstlich empfand. Sie gibt damit Einblicke in die kulturellen und geschichtlichen Zusammenhänge, die Saunders prägten und zeigt die geistlichen und theologischen Fragen auf, die sich die Pionierin der Hospiz- und Palliativarbeit stellte.
Rezension von
Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Zentrum für Palliativmedizin
Universitätsklinikum Köln (AöR)
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Es gibt 24 Rezensionen von Kerstin Kremeike.
Zitiervorschlag
Kerstin Kremeike. Rezension vom 15.04.2016 zu:
Cicely Saunders (Hrsg.): Der Horizont ist nur die Grenze unserer Sicht. Eine persönliche Sammlung ermutigender Texte für Palliative Care und Hospizarbeit. TVZ Theologischer Verlag Zürich
(Zürich) 2015.
ISBN 978-3-290-17836-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20191.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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