Elke Kruse: Stufen zur Akademisierung
Rezensiert von Dr. Birgit Szczyrba, 30.11.2004
Elke Kruse: Stufen zur Akademisierung. Wege der Ausbildung für Soziale Arbeit von der Wohlfahrtsschule zum Bachelor-/Mastermodell. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2004. 265 Seiten. ISBN 978-3-531-14310-1. 27,90 EUR.
Einführung
Die fast einhundertjährige Geschichte der (Hochschul-)Ausbildung für Sozialarbeit/Sozialpädagogik ist gekennzeichnet von unterschiedlichen Wurzeln einerseits der Sozialarbeit, anderseits der Sozialpädagogik. "Stufen zur Akademisierung" von Elke Kruse nimmt diese fast einhundertjährige Geschichte in den Blick und beinhaltet die frühen Akademisierungsentwicklungen als auch Tendenzen zur Internationalisierung. In den 1970er Jahren differenzierte sich die Hochschulausbildung stark aus: Seitdem existieren zahlreiche Studiengänge an Fachhochschulen, Universitäten, Berufsakademien und (ehemaligen) Gesamthochschulen.
Kruse analysiert Ausbildungsordnungen und Entwicklungen der unterschiedlichen Studiengänge, um im hochschulpolitischen Kontext die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge sowie die Diskussion um neue Studienmodelle im Bereich der Sozialarbeit/Sozialpädagogik aufzunehmen und darin wiederkehrende Tendenzen zu identifizieren. Ziel der Sammlung dieser Fülle von Aspekten ist u.a., sie für weitere Studienreformprozesse zu nutzen.
Zur Autorin
Dr. Elke Kruse ist zurzeit Vertretungsprofessorin für Allgemeine Pädagogik und Didaktik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Göttingen (HAWK).
Aufbau und Inhalte
In Kapitel 1 erläutert die Autorin ihr Anliegen: die Identifizierung und Aufarbeitung wiederkehrender Themen, die die Geschichte der (Hochschul)Ausbildung für Sozialarbeit/Sozialpädagogik durchziehen. Hierbei geht sie ihrer These nach, dass wesentliche Impulse für Veränderungen der Ausbildung nicht von den Anstellungsträgern sondern vielmehr aus dem Ausbildungskontext selbst bzw. aus der allgemeinen bildungspolitischen Entwicklung herrührten. Hiermit verfolgt sie einen Gedanken, der sich auch in anderen Bereichen der Ausbildung bzw. Dienstleistung zeigt: Professionalisierungsschübe und neue Dienstleistungsangebote zeigen sich in vielen Bereichen nicht aufgrund einer Nachfrage. Im Gegenteil: Die Nachfrage wird häufig durch Angebote erst hergestellt. Kruse beschreibt, wie sich angesichts der stufenweisen Akademisierung die Anstellungsträger eher zurückhaltend die Entwicklungen der sozialen Berufe anschauen und wie sie die erworbenen Fertigkeiten der Absolvent/inn/en angepasst an den Bedarf der Praxis einsetzen.
In Kapitel 2 klärt sie zentrale Begrifflichkeiten: "Sozialarbeit", "Sozialpädagogik", "Soziale Arbeit" und "Sozialwesen" deuten in ihrer Verwendung auf eine Auseinandersetzung in Fachkreisen über die historischen Wurzeln der Begriffe. Besonders die Diskussion um eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin - Sozialarbeitswissenschaft vs. Sozialpädagogik - liefert den Hintergrund für inhaltliche, wissenschaftstheoretische und programmatische Unterschiede.
Die historische Betrachtung der Begriffe zeigt, dass die Sozialarbeit ihre Wurzeln in den Sozialen Frauenschulen und den armenfürsorgerischen Bestrebungen der bürgerlichen Frauenbewegung hat. Die Vorgängerin der Sozialpädagogik ist die Ausbildung zur Kindergärtnerin und Jugendleiterin. Parallel beschreibt Kruse den wissenschaftlichen Strang der Sozialpädagogik als Erbe von Reformpädagogik und bürgerlicher Jugendbewegung.
Der Kunstbegriff "Sozialwesen" kommt erst in den 1970er Jahren ins Spiel, als eine Einigung hinsichtlich der Bezeichnung von Fachbereichen, Studiengängen und Studienabschlüssen nicht erzielt werden konnte.
In den 1990er Jahren wird im Fachhochschulkontext vermehrt der Begriff "Soziale Arbeit" als Oberbegriff für Sozialarbeit und Sozialpädagogik eingeführt. Zahlreiche Diplomtitel, Fachbereichs- und Studiengangsbezeichnungen lassen sich heute finden - sie divergieren sowohl nach Bundesländern als auch nach Hochschulen und sogar innerhalb von Hochschulen.
In den Kapiteln 3-5 vertieft sich die Untersuchung der Ausbildungsgeschichte in drei Zeitabschnitte des 20. Jahrhunderts: Die Gründung der Ausbildungsstätten bis zum Ende der 1960er Jahre ist Erklärungsfolie für erste Akademisierungstendenzen.
Die Etablierung der Ausbildung an Hochschulen fällt in die 1970er Jahre. Die Facetten dieser Periode werden nach Institutionen (Fachhochschulen, Universitäten, Berufsakademien und Gesamthochschulen) getrennt geschildert.
Die 1980er und 1990er Jahre sind Zeitspiegel der Manifestationen der Ausbildungsstrukturen, der inneren Reformen sowie der Entwicklungen in den neuen Bundesländern. Gleichzeitig sind die 1990er Jahre begleitet von Konvergenzen und Abgrenzungen der Leitwissenschaften Sozialarbeitswissenschaft und Sozialpädagogik.
Kapitel 6 thematisiert den engen Zusammenhang zwischen Ausbildung und Weiterbildung für Absolvent/inn/en sozialer/sozialpädagogischer Studiengänge.
In Kapitel 7 systematisiert Kruse die aktuellen Ausbildungsvarianten als gegenwärtigen Stand der Hochschulausbildung im herkömmlichen Studiensystem, bevor sie in Kapitel 8 die aktuelle Studienreformdebatte um Bachelor- und Materstudiengänge aufgreift und die Tendenzen der ersten nach diesem Modell durchgeführten Studiengänge herausarbeitet.
In Kapitel 9 werden entscheidende Anstöße für Reformen in einer Periodisierung der Ausbildungsgeschichte erfasst: Vorläufer, Pionierphasen, Gründungen, Aufbau und Konsolidierung, Stillstand, Rückentwicklung, Neubeginn, Umstrukturierung, Aufwertung, Manifestationen von Strukturen, Konvergenzen und Abgrenzungen sowie Umbruchphasen wie die aktuelle Studienstrukturreform werden hier beschrieben und im Überblick erläutert.
In Kapitel 10 filtert Kruse Themen der Ausbildung im Rückblick auf die Geschichte heraus, die Prognosen für Studienreformen beeinflussen sollten/könnten:
- Niveau und Akademisierung der Ausbildung
- die Debatte um die "richtige" Ausbildungsinstitution und die Vielfalt der Ausbildungskonzepte
- das Verhältnis von Sozialarbeit und Sozialpädagogik zueinander
- universelle vs. spezielle Ausbildung
- das Verhältnis von Theorie und Praxis
- die Vielfalt der beteiligten Fächer und ihr Beitrag zur Ausbildung
- Qualifikation, Status und Zusammensetzung der Lehrenden
- (wissenschaftliche) Weiterbildung der Absolvent/inn/en
Zusätzliche, nicht durchgehende, aber für die Studienreform zentrale Aspekte sind:
- der internationale Austausch, Studieninhalte, Forschung, Kooperation und Rezeption ausländischer Fachliteratur
- der Gender-Aspekt, besonders das Verhältnis von Frauen und Männern in Ausbildung und Beruf
- persönliche Eignung und Persönlichkeitsbildung in der Ausbildung
Fazit
Mit dem Buch "Stufen zur Akademisierung" betritt Elke Kruse Neuland: Sowohl in Form und Breite der Darstellung der Ausbildungsgeschichte der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als auch in ihrer Verknüpfung mit aktuellen hochschulpolitischen Diskussionen tritt dieses Buch hervor. Unter Bewusstmachung und Berücksichtung der Traditionen - und hier insbesondere der Chancen als auch der Fehlentwicklungen - leistet das Buch einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Hochschulausbildung für Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Es richtet sich an Studierende und Lehrende in Sozialarbeit/Sozialpädagogik/Erziehungswissenschaft an Fachhochschulen und Universitäten, an Fachkräfte der Sozialen Arbeit und an Interessierte der Geschichte der sozialen/sozialpädagogischen Berufe.
Rezension von
Dr. Birgit Szczyrba
Sozial-und Erziehungswissenschaftlerin, Psychodrama-Leiterin (DFP/DAGG), Leiterin der Hochschuldidaktik in der Qualitätsoffensive Exzellente Lehre der Technische Hochschule Köln, Sprecherin des Netzwerks Wissenschaftscoaching
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Zitiervorschlag
Birgit Szczyrba. Rezension vom 30.11.2004 zu:
Elke Kruse: Stufen zur Akademisierung. Wege der Ausbildung für Soziale Arbeit von der Wohlfahrtsschule zum Bachelor-/Mastermodell. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2004.
ISBN 978-3-531-14310-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2025.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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