Michael Ganß, Matthias Linde (Hrsg.): Kunsttherapie mit demenzkranken Menschen
Rezensiert von Gisela Stoll, 08.02.2005

Michael Ganß, Matthias Linde (Hrsg.): Kunsttherapie mit demenzkranken Menschen. Dokumentation des Symposiums "KunstTherapie in der Altenarbeit - Künstlerische Arbeit mit Demenzerkrankten" an der Fachhochschule in Ottersberg. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2004. 167 Seiten. ISBN 978-3-935964-51-7. 24,80 EUR. CH: 43,50 sFr.
Vorwort
Wer Demenzkranke in Ihrem Alltag begleitet, weiß, wie schwer es ist, immer wieder neu einen Zugang zu diesen Menschen zu finden. Die üblichen Formen der zwischenmenschlichen Kommunikation führen nicht selten zu Unsicherheit, Abwehr und Misstrauen oder bleiben erfolglos. Vertrauen und Selbstwertgefühl müssen immer wieder neu gewonnen und gestärkt werden.
Viele der verwirrten alten Menschen leben in ihrer eigenen inneren Welt und haben oft nicht mehr die Möglichkeit, sich mit Worten ausreichend und verständlich mitzuteilen. Statt diese alten "anders gewordenen" Menschen immer wieder in unsere Realität zurückzuholen und zu korrigieren, können wir über die Kunst eine Brücke in deren innere Welt bauen. Wo kognitive Fähigkeiten immer mehr verloren gehen, kann Kunsttherapie die Gefühle des hochbetagten, demenzkranken Menschen ansprechen.
Aufbau
Das Buch beleuchtet das Thema Kunsttherapie aus unterschiedlichen Perspektiven. Es enthält die überarbeiteten Manuskripte von Referaten, die die Autorinnen und Autoren im Rahmen des 2. Symposiums für "Kunsttherapie in der Altenarbeit" gehalten haben, das im März 2002 an der Fachhochschule Ottersberg stattgefunden hat. Im Rahmen dieser Veranstaltung fand auch eine Ausstellung mit Arbeiten von an Demenz erkrankten alten Menschen statt.
Autorinnen und Autoren
Die Autoren kommen aus der stationären und der ambulanten Altenarbeit. Es sind Kunst- und Musiktherapeuten, Sozialpädagogen und Ärzte. Die konkreten Schilderungen und die entsprechenden Reflexionen sind praxisnah und leuchten dem Leser unmittelbar ein.
Inhalte
Kunst und Kreativität orientieren sich nicht an Defiziten sondern an dem, was der alte Mensch noch kann, an seinen Stärken und Ressourcen. Die vielen bunten Abbildungen zeigen beeindruckend, was auch kranke und behinderte alte Menschen auf künstlerischem Gebiet noch alles leisten können. Neben bildnerischem Gestalten wie Malen und Bildhauern sind auch zwei Beiträge aus der Musiktherapie enthalten. Die Erfahrungen aus einer Singgruppe sind gut nachvollziehbar und können auch für ehrenamtliche Mitarbeiter praktikable Anregungen geben.
Wer über Rhythmen, Klänge, Bewegungen und Farben kommuniziert, kann sich auch ohne Worte mitteilen und seinen Gefühlen Ausdruck verleihen.
Malen oder Musizieren können Erinnerungen wecken und helfen, Angestautes und Verdrängtes herauszulassen. So steht am Ende eines Beitrags zur Erinnerungstherapie ein Zitat von Wallhof: "Gott gab die Erinnerung, damit auch im Winter Rosen blühen." Es werden immer wieder Berührungspunkte aufgezeigt zu anderen Methoden, wie Validation, Basale Stimulation, Kinästhetik und Milieutherapie.
Zielsetzung
In dem Buch wird beschrieben, welche positiven Effekte im körperlichen, geistigen und seelischen Bereich zu beobachten sind, wenn alte Menschen sich künstlerisch betätigen: aufrechtere Körperhaltung, Entspannung, verminderter Tremor, aber auch eine Verbesserung bei der örtlichen Orientierung, bei kognitiven Fähigkeiten und bei der Affektivität, z.B. Angstreduktion - und das oft schon nach der ersten Sitzung.
Aktivieren bedeutet auch, die getrübten Sinne anregen; dadurch werden Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein gestärkt.
Dabei wird immer wieder unterstrichen, dass nicht wie bei manchen Bastelstunden ein vorzeigbares Produkt das Ziel ist, sondern der Weg dahin, d.h. der künstlerische Prozess. Unnötiger Leistungsdruck und das ständige Vergleichen mit den "Besseren" können u.a. auch dadurch vermieden werden, dass alte Menschen ungegenständliche Bilder oder Plastiken erstellen. Ausspruch einer Patientin, nachdem ihre Bilder bei den Betrachtern Wertschätzung und Anerkennung ausgelöst hatten: "Gott sei Dank, ich bin wieder wer!"
Zielgruppen
Da ausgebildete Kunsttherapeuten in der Praxis der Altenarbeit nur in kleiner Zahl vertreten sind, würde ich mir wünschen, dass viele Mitarbeiter, Laienhelfer und Angehörige, auch ohne kunsttherapeutische Ausbildung, sich von diesem Buch motivieren und begeistern lassen. Die darin enthaltenen Projekte eignen sich nicht nur für die Arbeit mit demenzkranken alten Menschen Sie können auch Kursleiterinnen an Bildungseinrichtungen oder Teilnehmern von Selbsthilfegruppen Denkanstöße und Anregungen geben.
Fazit
Alles in allem ein Buch, das Mut macht und einen Hoffnungsschimmer darstellt in der oft so tristen und fantasielosen Landschaft der Dementenbetreuung. Den alten Menschen ist zu wünschen, dass - trotz leerer Kassen - die Ideen und Projekte aus diesem Buch möglichst viele Nachahmer finden, und dass die Forschung auf dem Gebiet der Kunsttherapie weiter vorangetrieben wird.
Rezension von
Gisela Stoll
Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Validationsanwenderin (VTI)
Mailformular
Es gibt 14 Rezensionen von Gisela Stoll.