Dennis Danner: JA zu mir. Trauma und seelisches Wachstum
Rezensiert von Mag.a Barbara Neudecker, 01.07.2016
Dennis Danner: JA zu mir. Trauma und seelisches Wachstum. Asanger Verlag (Kröning) 2015. 112 Seiten. ISBN 978-3-89334-598-4. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR.
Thema
Das Buch behandelt das Thema Traumatisierung unter Bezugnahme auf Ansätze der personenzentrierten Psychotherapie und der Psychotraumatologie. Diese werden herangezogen, um einen integrativen Zugang zum Umgang mit seelischen Verletzungen zu entwickeln, dessen Grundannahme ist, dass traumatische Erfahrungen auch das Potential für seelisches Wachstum enthalten können.
Autor
Der Autor ist Psychologe und Psychotherapeut und leitet ein Zentrum für Beratung und Psychotherapie in Marburg. In seinen theoretischen Ausführungen bezieht er sich immer wieder auf die Arbeiten der sogenannten GAP-Arbeitsgruppe (Gesellschaft für angewandte Psychologie).
Aufbau und Inhalt
In den ersten sieben Abschnitten des Buchs wird das Verständnis psychischer Traumatisierung dargelegt, auf dem die weiterführenden Überlegungen basieren. Wenngleich der Autor sich auch auf „klassische“ Trauma-Definitionen wie jene von Fischer & Riedesser bezieht, wird anhand der aufgezeigten Fallbeispiele bald deutlich, dass das Verständnis von „Trauma“ sehr weit gefasst ist und auch allgemein belastende Erlebnisse und seelische Verletzungen umfasst. Eine Grundannahme des Buches ist, dass sich bei psychischer Traumatisierung die Erfahrung von Ohnmacht mit einer negativen Bewertung in der betroffenen Person zu einem „Traumaknoten“ (S. 26) verknüpft.
Das ganze Buch hindurch findet ein 4-Felder-Schema Verwendung, das Traumastrukturen im Spannungsfeld von „Bejahung“ und „Verneinung“ bzw. von „Erfolg“ und „Niederlage“ veranschaulichen und beschreiben soll. Die vier Felder werden bezeichnet mit:
- „das erhoffen wir“,
- „das erfahren wir“,
- „so versuchen wir uns zu retten“,
- „so können wir uns entwickeln und heilen“.
Die Verknüpfung von Niederlagen mit negativen Bewertungen wird auf grundlegende frühkindliche Traumatisierungen zurückgeführt, die als „Bindungstrauma“ (S. 31ff) bezeichnet werden. Das Bindungstrauma ist transgenerativ und „in der menschlichen Individuation unvermeidlich“ (S. 34).
In den folgenden Abschnitten werden Überlebensstrategien und Faktoren, die zu einer Krise führen, dargestellt. Im achten Abschnitt wird der Gedanke entfaltet, Niederlagen als Chance für seelisches Wachstum zu begreifen, wobei vor allem dem Auftreten von Widerstand als „Verweigerung von Kontakt und Lösungsbereitschaft“ (S. 54) viel Raum gewidmet wird.
Nach einem Abschnitt über Stabilisierung, die hier vor allem als Erleben von Sicherheit verstanden wird, wird auf Selbstbeachten als heilsamer Prozess eingegangen.
Ein weiterer zentraler Begriff neben dem Beachten als bewusstem Wahrnehmen dessen, „wie ich bin“ (S. 72), ist das Selbstbejahen, das als bedingungsloses Annehmen dessen, was geschieht, beschrieben wird und Schlüssel für tiefes Verstehen und Förderung unserer schöpferischen Kräfte ist.
Die beiden folgenden Kapitel befassen sich mit therapeutischen Schritten und dem Umgang mit Widerstand, bevor das Buch mit Ausführungen zur Instanz der „Inneren Autorität“ schließt: „Das bewusste Beachten und Bejahen des Widerstands bei der Ausrichtung auf unsere Lebensziele eröffnet unsere Ressourcen: die Innere Stimme, die eigenen Werte und die eigenen verborgenen Potentiale. Dies erst ermöglicht selbstbestimmtes Handeln.“ (S. 104)
Diskussion
Der Untertitel des Buches „Trauma und seelisches Wachstum“ klingt vielversprechend, da die wichtige Frage, welche Chancen in Hinblick auf förderliche Entwicklungsprozesse dem destruktiven Potential traumatischer Erfahrungen gegenüberstehen, in der Traumaforschung nur wenig Beachtung findet. Allerdings wird der Zugang zu diesem wichtigen Thema durch einige Aspekte erschwert: Der Autor nimmt offenbar Bezug auf Konzepte einer „integrativen Psychotherapie“, die in der GAP-Arbeitsgruppe entwickelt wurden, ohne die Grundlagen und Grundannahmen dieser Konzepte darzulegen und zu erläutern. Das macht manche seiner Ausführungen für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass zentrale Begriffe wie „Trauma“, „Bindungsstörung“ oder „Widerstand“ – die in ihrer Bedeutungsvielfalt ohnehin schon einer genauen Definition bedürfen, um im konkreten Zusammenhang verstanden werden zu können – im Buch in sehr speziellen Bedeutungszusammenhängen verwendet werden, die von in der Fachliteratur gängigen Definitionen teilweise deutlich abweichen.
Vor allem der Begriff des Traumas droht in seiner spezifischen Bedeutung verwässert zu werden, wenn damit alle seelischen Verletzungen gemeint sind. Dies wird daran deutlich, wenn die therapeutischen Schritte, mit denen das „Prinzip des Bejahens“ etabliert werden soll, am Beispiel von Prüfungsangst veranschaulicht werden. Hierbei ist auch zu bedenken, dass das Öffnen und bewusste Erleben von Angst oder die „bewusste Wahl, ob wir die Einstellung zum Gefühl verändern wollen“ (S. 87) vielleicht bei Zuständen wie Prüfungsangst leicht bewerkstelligt werden kann, bei extremtraumatischen Erfahrungen aber besondere psychotherapeutische Kompetenz und äußerste Umsicht erforderlich macht.
Der gesamte Texte ist von einer Sprache geprägt, die sich ohne Vorverständnis der verwendeten Begriffe und Grundannahmen nur schwer erschließt: Sätze wie „Traumatische Strukturen werden aufgelöst, wenn ich mich als die Weite und das JA erfahre, das die Enge und das NEIN des Widerstands, umfassen und befreien kann.“ (S. 75), vermitteln zwar im ersten Moment eine bestimmte Botschaft, die aber bei näherer Betrachtung offenlässt, was genau damit gemeint ist. So bleiben viele Fragen dazu, wie genau seelisches Wachstum – vor allem nach massiven Traumatisierungen – erreicht werden kann, nach der Lektüre des Buches offen.
Fazit
Zielgruppe des Buches sind Fachleute aus dem pädagogischen, beraterischen und therapeutischen Bereich. Vor allem jenen Professionistinnen und Professionisten, die aus anderen psychotherapeutischen Schulen kommen, wird es möglicherweise schwer fallen, an die im Buch vorgestellten Annahmen und Konzepte anzuschließen. Vielleicht erhoffen sie sich auch eine differenziertere und eingehender begründete Darstellung für den therapeutischen Umgang mit traumatisierten Menschen. Ansprechend könnte dieses Buch für Betroffene sein, die durch das Buch Hoffnung schöpfen können, dass seelisches Wachstum auch nach traumatischen Erfahrungen möglich ist.
Rezension von
Mag.a Barbara Neudecker
MA, Psychotherapeutin (IP) und psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin, Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche in Wien, Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Innsbruck, eigene Praxis
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Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Neudecker.
Zitiervorschlag
Barbara Neudecker. Rezension vom 01.07.2016 zu:
Dennis Danner: JA zu mir. Trauma und seelisches Wachstum. Asanger Verlag
(Kröning) 2015.
ISBN 978-3-89334-598-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20267.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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