Sibylle Heeg, Katharina Bäuerle: Freiräume – Gärten für Menschen mit Demenz
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 12.10.2004

Sibylle Heeg, Katharina Bäuerle: Freiräume – Gärten für Menschen mit Demenz.
Mabuse-Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2004.
91 Seiten.
ISBN 978-3-938304-85-3.
17,50 EUR.
3. Auflage 2011. Die Rezension basiert auf der 1. Auflage.
Zur Thematik des Buches
Erkenntnisse und Erfahrungen über Interventionsformen bei Demenzkranken haben in den letzten 10 - 15 Jahren rapide zugenommen. Angesichts der Tatsache, dass medikamentöse Behandlungen nur geringfügige Wirkungen in der ersten Phase der Erkrankung zeigen, wächst der Stellenwert pflegerischer und auch Milieubezogener Einflussnahmen. Seit dem Durchbruch des Homogenitätskonzeptes in Gestalt besonderer Demenzwohnbereiche als Leitkonzept der Demenzpflege in Deutschland werden in den Einrichtungen der stationären Altenhilfe vermehrt demenzspezifische Raum- und Milieustrukturen geschaffen. In diesem Kontext treten zunehmend auch Außenbereiche wie Gärten, Hofanlagen und Dachterrassen in den Mittepunkt der Planung und gestalterischen Umsetzung in den Heimen.
Die vorliegende Broschüre dient vor allem dem Zweck, Verantwortliche in den Einrichtungen für die Thematik Freiräume für Demenzkranke zu sensibilisieren und zugleich Grundlagen für die Planung und Gestaltung entsprechender Gartenanlagen aufzuzeigen.
Inhalt
Im ersten Kapitel (Zur Bedeutung von Freibereichen für Menschen mit Demenz) wird in kurzen Ausführungen die positive Wirkung von Außenaufenthalten Demenzkranker auf ihr psychophysisches Allgemeinbefinden angeführt. Zugleich werden stichpunktartig die Hemmnisse für die Gartennutzung (u. a. problematischer Standort, unzulängliche Gestaltung und mangelnde milieutherapeutische Orientierung) referiert.
Kapitel 2 (Besondere Anforderungen an Gärten für Menschen mit Demenz) enthält die erforderlichen Charakteristika für eine demenzspezifische Gartengestaltung. Angeführt wird eine Reihe von Milieufaktoren:
- "Stimulation ohne Stress": der Garten soll als ein Mittel zum Stressabbau dienen und zugleich die Sinne anregen.
- "Sicherheit und Geborgenheit": der Außenbereich soll Anregungen vermitteln, ohne zugleich Gefahrenpotentiale wie das Sturzrisiko aufzuweisen. Daher sollte die Gartenanlage für das Pflegepersonal überschaubar sein.
- "Hilfen zur Wahrnehmung und Orientierung": das eingeschränkte Sehvermögen und die Orientierungsstörungen sollte in Gestalt der Farbgestaltung und Wegemarkierung Berücksichtigung finden.
- "Erleben von Kompetenz": das Gartenmilieu sollte den Demenzkranken Möglichkeiten zur Gartenarbeit wie Gießen, Harken, Unkraut jäten etc. bieten.
- "Wahlmöglichkeit zwischen Privatheit und Gemeinschaft": der Außenbereich sollte sowohl Begegnungen zwischen Bewohnern als auch den Rückzug und das bloße Zuschauen des Geschehens je nach Bedürfnis der Demenzkranken zulassen.
- "Autonomie und Kontrolle": Einerseits dient der Garten dazu, sich frei bewegen zu können und auch das Gefühl hierfür wieder zu entwickeln. Andererseits sollte der Gartenbereich eingefriedet und damit geschützt gestaltet werden, damit ein unbeaufsichtigtes Verlassen dieses Bereiches vermieden werden kann.
- "Kontinuität - Bezug zum bisherigen Lebenszusammenhang": Hierbei sollten lebensgeschichtliche Elemente der Bewohner in die Gartenplanung Eingang finden.
Im dritten Kapitel (Leitkonzepte) werden einige Modelle von unterschiedlichen Gartenmilieus aufgezeigt:
- der "Phasengarten" (Gartengestaltung gemäß den Stadien der Demenzerkrankung),
- "Gefühlsräume" (Betonung des emotionalen Erlebens des Gartens),
- "Sinnesgarten" (z. B. Anbringung von akustischen Stimulationsobjekten und Tastobjekten)
- und das Konzept "Begegnung von Jung und Alt" (gemeinsame Nutzung des Gartens durch das Pflegeheim und einen angrenzenden Kindergarten).
Kapitel 4 (Planungshinweise) führt die für eine demenzspezifische Gartengestaltung erforderlichen Planungskriterien auf:
- die Beziehung Innenraum - Außenraum (u. a. Einsehbarkeit, ebenerdiger Zugang),
- die Eigenschaften des Geländes (möglichst ebenes Gelände und der Freibereich sollte zumindest teilweise vor Wind und Sonne geschützt sein),
- die Begrenzung (u. a. weglaufsichere Einfriedung und Gartentore sollten verborgen werden),
- besondere Orte im Freibereich (Hochbeete, Pavillon, Klangelemente),
- Wege (Rundlaufgestaltung, Vermeidung von Stufen und steilem Gefälle, kontrastreiche Wegrandgestaltung, rutschsichere Wegematerialien und ausreichende Wegbreite),
- Bepflanzung (u. a. regional typische Pflanzen, keine giftigen Pflanzen, Elemente eines Naschgartens, Hochbeete, Anpflanzung von Duftpflanzen),
- Wasser im Garten (z. B. Springbrunnen, geschützter Teich)
- und die Möblierung und Ausstattung des Gartens.
Im Kapitel 5 (Zehn Schritte zur Realisierung) werden die konkreten Planungs- und Gestaltungsweisen zur Errichtung eines Demenzgartens aufgelistet: 1. Nutzungskonzept formulieren, 2. Auswahl des Geländes, 3. Gestaltungselemente bestimmen, 4. Geländeanalyse vor Ort, 5. Entwurfsplanung und Kostenschätzung, 6. Finanzierung, 7. Überarbeitung der Entwurfsplanung, 8. Ausführungsplanung und Ausschreibungen, 9. Bau und 10. Nutzung, Evaluation und Anpassung.
Im sechsten Kapitel (Beispiele) werden sechs konkrete Gartenmilieus verschiedener Altenhilfeeinrichtungen in Deutschland ausführlich mit Grundrissen und Fotos vorgestellt:
- eine Dachgartengestaltung (Plochingen),
- ein Garten für Kurzzeitpflege (Münster),
- ein Hausgarten (Bauerngarten mit Gemüsebeeten) (Münster),
- ein "Garten der Sinne" mit Stimulierungselementen (Weilerswist),
- ein "Gerontogarten" (Elsendorf)
- und ein Garten zur "Begegnung von Jung und Alte" (Stuttgart).
Kritische Würdigung
Es kann konstatiert werden, dass hier eine profunde Veröffentlichung im Bereich Gärten für Demenzkranke vorliegt. Die Broschüre enthält alle wesentlichen Aspekte dieses Gegenstandsbereiches in einer äußerst allgemeinverständlichen und übersichtlichen Darstellungsweise. Bildmaterial zur Veranschaulichung und hervorgehobene Zusammenfassungen erleichtern zusätzlich die Aneignung der Fakten und Zusammenhänge.
Besonders zu betonen ist auch der Sachverhalt, dass durch die Verbindung von Erfahrungen aus der Praxis mit spezifischem Grundlagenwissen über Demenzen ein fundierter Orientierungsrahmen entstanden ist.
Fazit
Die vorliegende Broschüre kann allen Einrichtungen, die sich mit der Thematik Gärten für Demenzkranke auseinandersetzen möchten, zur Lektüre empfohlen werden.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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